Bis heute zeugt in der Hamburger Hafen City ein steinerner Orientteppich auf der Wilhelminen-Brücke von der einstigen Bedeutung der Hanse- und Hafenstadt Hamburg als weltweit größtem Umschlagplatz des internationalen Teppichhandels. Es waren maßgeblich Kaufleute aus Iran, die sich in der Speicherstadt niederließen und den Handel im Freihafen organisierten. Weniger bekannt hingegen ist, dass auch iranische Juden seit den 1950er-Jahren einwanderten um diesen Wirtschaftszweig aufzubauen und für einige Jahrzehnte die Stadtgeschichte mitprägten. Innerhalb der noch kleinen Nachkriegsgemeinde bildeten die iranischen Jüdinnen und Juden Ende der 1950er-Jahre eine zahlenmäßig bedeutende Gruppe, die sich außerdem durch eine gemeinsame Herkunft und geteilte Traditionen auszeichnete. Die Ausstellung „Wir sind wegen des Freihandels gekommen…“ Eine andere Nachkriegsgeschichte: Die iranisch-jüdische Gemeinschaft in Hamburg beleuchtet am Beispiel von verschiedenen Familiengeschichten dieser Gruppe eine andere jüdische Nachkriegsgeschichte, in der sich Migrations- und Wirtschaftsgeschichte verschränken und deren lokaler und zugleich globaler Bezugspunkt für einige Jahrzehnte Hamburg war.
In insgesamt sechs Kapiteln werden grob chronologisch der Handel zwischen Hamburg
und Iran, Migrations- und Handelswege und die Bedeutung des Freihafens beleuchtet.
Geschildert wird das Ankommen in Hamburg, die existierenden transnationalen und
lokalen Netzwerke und der Aufbau von familiengeführten Import- und
Exportunternehmen.
Ebenso thematisiert die Ausstellung die Ankunft in einer noch vom Krieg gezeichneten
Stadt und in einer jüdischen Gemeinschaft, die durch den Holocaust traumatisiert war
und mit Problemen des alltäglichen Lebens kämpfte.
Der Perspektivwechsel von der ersten auf die zweite Generation in Kapitel vier
umreißt die komplexe Frage nach Zugehörigkeit, nach Fremd- und Selbstwahrnehmung und
gibt Einblicke in die (Un-)Vereinbarkeiten unterschiedlicher Lebenswelten. Gleich
mehrere Stationen verweisen auf den Einschnitt, den die islamische Revolution 1979
für das Leben der hier vorgestellten Familien sowie die Migrations- und Handelswege
der Gruppe hatte. Die letzten beiden Kapitel widmen sich dem Weiterwandern in die
USA
sowie dem Nachwirken der Hamburger Zeit in den Familienerinnerungen.
Diese Online-Ausstellung wäre ohne das uns entgegengebrachte große Vertrauen der vielen beteiligten Personen und Familien nicht möglich gewesen. Ihre Erzählungen, Fotos und Dokumente geben – wie kleine Mosaiksteine – den Blick auf ein größeres Bild dieser weitgehend unbekannten Geschichte frei. Wir danken ganz besonders all denjenigen, die uns im Rahmen des Interviewprojektes „Iranische Jüdinnen und Juden in Hamburg“ in den USA, in Israel, in London und in Hamburg Einblicke in ihre individuellen Lebensgeschichten gewährt haben und wir danken der Gerda Henkel Stiftung, deren finanzielle Förderung dieses Projekt erst ermöglicht hat. Um die Persönlichkeitsrechte der beteiligten Personen zu schützen, haben wir uns bei Interviewausschnitten dazu entschieden, diese zu anonymisieren. Fotografien lassen sich anders als sonst nicht vergrößern. Alle Auszüge stammen aus dem Interviewprojekt „Iranische Jüdinnen und Juden in Hamburg“, das Dr. Karen Körber am IGdJ durchgeführt hat und das in jeder Hinsicht die Grundlage für diese Ausstellung bietet.
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich Hamburg als Handelszentrum für das damalige Persien zu etablieren. Die Gründung des Freihafens 1888 und der Bau der Speicherstadt erlaubten die Lagerung und den Umschlag zollfreier Waren und bildeten eine wesentliche Voraussetzung für die Niederlassung iranischer Kaufleute. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen Deutschland und Iran, so die offizielle Bezeichnung seit 1935, frühzeitig enge diplomatische Beziehungen auf, die sich in den kommenden Jahrzehnten stabilisieren sollten und den Rahmen für wirtschaftliche Beziehungen abgaben, zu denen in Hamburg maßgeblich der Teppichhandel gehörte. Zu der wachsenden Gruppe an Kaufleuten aus Iran gehörten auch iranische Juden, die aus verschiedenen Städten des Landes wie Teheran, Urmieh, Kashan und Mashad nach Hamburg kamen, um gemeinsam mit vor Ort verbliebenen Angehörigen transnationale Familienunternehmen aufzubauen. Hamburg wurde zum Umschlagplatz von iranischen Teppichen aus allen Teilen des Landes und bald schon aus benachbarten Ländern der Region wie Afghanistan, Indien oder Nepal. Kritisch beäugt von der einheimischen Teppichindustrie entwickelte sich der „Perserteppich“ von einem Luxusartikel zu einem Massenprodukt der sogenannten Wirtschaftswunderjahre, in dem sich die Orientbegeisterung in der jungen Bundesrepublik Deutschland symbolisierte.
Am 23.7.1857 unterzeichnete der Hamburger Diplomat (und Ministerresident) Vincent Rumpff für die drei Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg einen Freundschafts- und Handelsvertrag mit Persien. Mit diesem Vertrag begann sich Hamburg bereits als Handelszentrum zu etablieren, noch bevor 1873 Deutschland und Persien ihren ersten Freundschafts-, Handel- und Schifffahrts-Vertrag abgeschlossen hatten. Nach der Gründung des Hamburger Freihafens 1888 ließen sich persische Kaufleute in den Lagerhäusern der Speicherstadt nieder. Im Verlauf der 1920er-Jahre wuchs die Zahl der Handeltreibenden weiter an. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges importierten sie Agrargüter, Baumwolle und Teppiche und exportierten Industrieprodukte nach Persien. 1941 erwarben iranische Kaufleute anlässlich des Todes eines in Hamburg ansässigen Großhandelskaufmanns auf dem Ohlsdorfer Friedhof ein islamisches Gräberfeld mit 102 Grabstätten, das bis heute existiert und durch weitere islamische Gräberfelder ergänzt wurde. Spätestens dieser Schritt markierte ihre dauerhafte Anwesenheit in der Stadt.
1952, wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen die Bundesrepublik Deutschland und Iran wieder diplomatische Beziehungen auf. 1955 wurde die iranische Botschaft in Bonn eröffnet und in drei weiteren Städten wurden Konsulate eingerichtet, eines davon in Hamburg. Wie wichtig den beiden Staaten die wirtschaftlichen und politischen Austauschbeziehungen waren, dokumentierte der Besuch des damaligen Schahs von Persien, Mohammad Reza Pahlewi und seiner Frau, Kaiserin Soraya, die anlässlich der Eröffnung nach Deutschland reisten. Die erste Station des Staatsbesuchs war Hamburg. Ein Artikel in der „Welt“ berichtete sichtlich beeindruckt von dem Aufenthalt des Kaiserpaars, das von der Hamburger Politik und Öffentlichkeit begeistert begrüßt wurde, und erwähnte in diesem Zusammenhang bereits die in Hamburg ansässige „persische Kolonie“. Unter der nach Kriegsende erneut wachsenden Gruppe iranischer Kaufleute waren auch einige jüdische Händler. Zu den ersten gehörte Youssef Khakshouri, Besitzer einer Fabrik für Trockenfrüchte in Urmieh, und seit 1951 in Hamburg tätig, wo er erfolgreich Rosinen an deutsche Firmen als Süßungsmittel verkaufte. Das Foto zeigt seine Frau Margrit Khakshouri, wie sie anlässlich eines Empfangs im Hotel Atlantic, Kaiserin Soraya begrüßt.
Abdolrahim Roubeni, der 1959 nach Hamburg kam, gefolgt von seinen beiden Brüdern, stammte aus einer Familie, die bereits in der dritten Generation im Teppichhandel tätig war und deren Handelsrouten bis nach Indien reichten. Die jüdischen Händler, die sich in Hamburg niederließen, kamen aus unterschiedlichen Städten des Landes wie Mashad, Teheran, Kashan, Ishfahan und Tabriz. Auf dem Foto ist eine Teppichmanufaktur in Iran zu sehen, die auf die die lange Handwerkstradition in dem Land verweist, in dem Teppiche nach ihrer Herkunft aus den verschiedenen Regionen und den damit verbundenen Stilen unterschieden werden. In vielen Fällen war der Import der Teppiche Teil eines transnationalen Familienunternehmens. So etwa bei den Roubenis, die ein großes Teppichlager in Teheran unterhielten. Die in Iran, aber auch in Afghanistan, China, Russland und Pakistan eingekaufte Ware wurde dort zwischengelagert und anschließend per Schiff nach Hamburg überführt, wo die Gebrüder Roubeni sie entgegennahmen. Das Hamburger Unternehmen hatte seine Lager- und Verkaufsstätte in der Speicherstadt am Brooktorkai 5.
„Schreiben Sie, wir sind wegen des Freihandels gekommen“, sagt Albert Nassimi, Hamburger Großhändler, dessen Vater auf der Suche nach einem geeigneten Ort für den Handel mit Textilien bereits 1951 aus Teheran nach Hamburg gekommen war. Während einige Händler, so auch Aghajan Nassimi, bereits in den Vorkriegsjahren in Iran über Handelsbeziehungen nach Europa und nach Deutschland verfügt hatten, kamen die meisten der Kaufleute, darunter auch eine wachsende Zahl iranischer Juden, erst im Zuge des beginnenden wirtschaftlichen Wiederaufbaus in die Stadt. Gemeinsames Ziel der Handeltreibenden war der Hamburger Freihafen, der bereits 1888 zur zollfreien Zone deklariert worden war und der aufgrund seiner Internationalität, der Nähe zur Innenstadt und den großzügigen Lagerhäusern attraktive Möglichkeiten für den Handel bot. Insbesondere die Einfuhr und der Verkauf von Teppichen aus Iran, die in der Speicherstadt gelagert werden konnten, wurde zu einem erfolgreichen Geschäftszweig, der in den kommenden Jahren weiterwachsen sollte. Wie dynamisch die Einwanderung von Iranerinnen und Iranern in die Hansestadt war, verdeutlicht ein Blick auf die Meldestatistik, laut der 1958 861 iranische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in der Stadt lebten, während 1969 die Zahl bereits bei über 2.000 Personen lag. Dass es sich hierbei aus Sicht der Stadt um eine bedeutende Einwanderungsgruppe handelte, verdeutlicht ein internes Schreiben der Hamburger Senatskanzlei aus dem Jahr 1956, das neben der besonderen Wirtschaftskraft der Gruppe ihre symbolische Funktion für das Selbstbild einer internationalen Handelsmetropole unterstreicht. Darin heißt es: „Aber wir sind schließlich eine Stadt, die zum grossen Teil von ihren freundschaftlichen Beziehungen zum Ausland – und auch zum moslemischen Ausland – lebt“.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in der Hamburger Speicherstadt Teppiche aus Iran eingeführt und verkauft. Zu diesem Zeitpunkt waren „Orientteppiche“ ein nur für wenige erschwingliches Luxusgut.. Im Unterschied dazu avancierte der „Perserteppich“ im Verlauf der 1960er-Jahre zu einem begehrten Konsumobjekt in den westdeutschen Wohnzimmern der Wirtschaftswunderjahre. 1966 hatten sich rund 300 Teppichimporteure im Hamburger Freihafen niedergelassen und rund 85 Prozent der eingeführten Teppiche stammten aus Iran. Die Anzeigen iranischer Teppichhändler im Hamburger Branchenverzeichnis von 1963 und von 1969 dokumentierten nicht allein die wachsende Zahl an Handeltreibenden, sondern zeigten auch den Erfolg der sich etablierenden Unternehmen, zu denen auch die jüdischen Iraner gehörten. In den kommenden Jahren eröffneten manche der jüdischen Familien eigene Teppichgeschäfte in der Hamburger Innenstadt, während andere die Teppichabteilungen der großen Kaufhäuser belieferten.
Der erfolgreiche Teppichhandel wurde auch in der deutschen Presse kommentiert, die darauf hinwies, dass erstmals ein Importprodukt der einheimischen deutschen Teppichindustrie Konkurrenz bereitete. Bereits 1961 hielt ein Artikel in der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ fest, dass in 80 Prozent der rund 17 Millionen bundesdeutschen Haushalte jeder dritte Teppich aus Iran stamme. Irritiert schilderte der Autor einen Wandel im Straßenbild, wo sich neben dem deutschen Einzelhandel Geschäfte niedergelassen hätten, an deren Fassaden abends Suren des Koran oder orientalische Namen wie Mohammed oder Soraya in Neonschrift aufleuchteten. Fünf Jahre später, 1966, nahm die Wochenzeitung die „Zeit“ das Thema noch einmal auf. Unter dem Titel „Des Schahs liebste Kunden. Der Orient bedrängt die deutsche Teppichindustrie“, wurde in dem Artikel eine Marktentwicklung beklagt, in der der Wert der importierten Orientteppiche bereits nahe an die Produktion vergleichbarer Erzeugnisse der deutschen Teppichindustrie heranreiche. Mit deutlich rassistischen Untertönen war von einer „gewaltig anschwellenden orientalischen Teppichwoge“ und von Betrugsmöglichkeiten durch „dunkelhäutige Akademiker“ und deren „wuchernder orientalischer Phantasie“ die Rede. Der Autor des Textes warnte eindringlich vor der „Übertölpelung des Kunden, jenes verbrauchsbewussten Deutschen, der mit verhaltenem Stolz auf seinen neuerworbenen strahlend bunten Orientteppich hinweist“. Zu diesem Zeitpunkt war Hamburg bereits der größte Teppichumschlagplatz der Welt.
„Vom Handel mit 'Volks-Persern' leben heute Hunderte neuer Teppichhändler. In fast allen Großstädten entstanden Geschäfte, an deren Fassaden abends Suren des Koran oder orientalische Namen wie Soraya, Mohammed und Ahmed Ali in farbigen Neonröhren aufleuchten.”
Im Verlauf der 1950er-Jahre waren es vor allem alleinstehende junge Männer, die in Hamburg ankamen, um im Handel tätig zu werden. Sie waren in Iran unter der Pahlavi-Dynastie aufgewachsen, die seit 1925 das Land modernisiert und säkularisiert hatte, was eine Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der jüdischen Minderheit nach sich gezogen und den Zugang zu höherer Bildung für Jüdinnen und Juden ermöglicht hatte. Manche von ihnen waren zuvor in anderen europäischen Städten gewesen, andere hatten bereits in Iran vom Freihafen gehört oder verfügten über einen Kontakt in der Stadt, der die Ankunft erleichterte. Unter ihnen waren einige, deren Familien in Iran bereits seit mehreren Generationen erfolgreich Handel trieben und über Unternehmen verfügten, während für andere die Emigration einen Versuch darstellte, in den Nachkriegsjahren ihr Glück zu machen. Vor Ort half ein wachsendes Netzwerk von Bekannten und Verwandten. Auf die geschäftliche Niederlassung folgte die Eheschließung, zumeist vermittelt über die Herkunftsfamilien in Iran, und die Familiengründung in Hamburg. Trotz der guten ökonomischen Bedingungen war die Ankunft in Deutschland für viele mit ambivalenten Gefühlen verbunden. Schließlich reisten sie wenige Jahre nach Kriegsende in das Land ein, das den Holocaust zu verantworten hatte. Ein Ereignis, das ihnen insbesondere in der lokalen jüdischen Gemeinde in den Begegnungen mit den Überlebenden der Shoah nahegebracht wurde. Aus der Handels- und Heiratsmigration der 1950er- und 1960er-Jahre wurde nach der islamischen Revolution 1979 eine Fluchtmigration, in deren Folge sich die iranische community in Hamburg um ein Vielfaches vergrößerte.
Die vier Fotografien, allesamt in Hamburg im Abstand von rund zehn Jahren aufgenommen, zeigen eine Gruppe junger Männer, Mitte der 1950er-Jahre und eine Gruppe junger Frauen, fotografiert 1966 im Saal der Jüdischen Gemeinde sowie ein Foto, auf dem eine Reihe junger Paare versammelt ist. Ein weiteres Bild zeigt die Hochzeit von Abdi (Abdolrahman) und Rita Yaghoubi, 1967. Alle vier Bilder stehen stellvertretend für die verschiedenen Migrationswege, auf denen die Männer und die Frauen innerhalb der iranisch-jüdischen Handelsdiaspora nach Hamburg kamen. Ein Beispiel dafür ist das junge Brautpaar Yaghoubi. Abdi Yaghoubi war 1958 seinem älteren Bruder aus Teheran nach Hamburg gefolgt, um mit diesem in der Hansestadt einen Importhandel für Teppiche aus Iran aufzubauen. Wie viele andere alleinstehende junge Männer, war er von seiner Familie ins Ausland entsandt worden, während die in Iran verbliebenen Brüder für den Ankauf und die Lieferung der Ware zuständig waren. Nachdem das Unternehmen erfolgreich etabliert worden war, kehrte Yaghoubi 1966 nach Teheran zurück und verlobte sich mit Rita Ghassabian. Ein Jahr später folgte ihm die junge Frau nach Hamburg, wo die beiden in der Synagoge Hohe Weide heirateten. Wie die Gruppenfotos zeigen, vollzog das junge Paar diesen Schritt nicht allein. Auf die geschäftliche Niederlassung der Männer erfolgte in vielen Fällen eine (arrangierte) Eheschließung, die von den Familien am Herkunftsort organisiert wurde und dazu führte, dass im Verlauf der späten 1950er- und 1960er-Jahre jüdische Frauen aus Iran über den Weg der Heiratsmigration nach Hamburg einreisten und hier Familien gründeten.
In dem Interview erzählt Mona Nasirzadeh von der Flucht ihrer Familie aus Iran nach der iranischen Revolution 1979, in deren Folge eine islamische Republik eingeführt wurde. Den Bilderrahmen mit der Hochzeitsfotografie der Eltern aus dem Jahr 1971 verpackte der Vater in einem der Koffer für die Flucht. Kurze Zeit nach dem gewaltsamen Umsturz reiste die Mutter mit den drei kleinen Kindern nach Israel aus, während der Vater wegen seines Geschäftes, einer Fabrik für Strickwaren, versuchte, in Teheran zu bleiben. Als ein Warenlager der Familie unter der neuen politischen Führung geschlossen wurde, musste auch Mona Nasirzadehs Vater ausreisen und das Paar entschied, sich in Hamburg niederzulassen. Ihre Geschichte verweist auf die große Fluchtmigration von Menschen aus Iran, die nach dem Umsturz das Land aus politischen, sozialen oder religiösen Gründen verließen oder verlassen mussten. Wie auch in der Familie Nasirzadeh wandten sich viele Flüchtende an Angehörige, die bereits im Ausland lebten. In der Folge wuchs die Gruppe der Iranerinnen und Iraner in Hamburg beträchtlich an. War die Stadt in der Vergangenheit vor allem ein Ziel für diejenigen gewesen, die Handel treiben oder ein Studium absolvieren wollten, so verfünffachte sich die Zahl binnen eines Jahrzehntes auf über 10.000 Menschen, die im Zuge veränderter Aufnahmeregelungen zwischen Deutschland und Iran nun politisches Asyl beantragen mussten, um einreisen zu können. Während die einen blieben, wurde die Stadt für andere ein Transitraum, von wo aus sie versuchten, in die USA weiterzuwandern.
„Also die jüdischen Perser, die im Teppichgeschäft waren, hatten auch natürlich auch mehr Kontakt mit nichtjüdischen Persern. […] Bis zur Revolution waren die Beziehungen mit den nicht-jüdischen, also sehr eng. Das war sehr gut.“
Das Foto aus der Rothenbaumchaussee 34 zeigt das Wohnhaus, in dem ab 1951 Aghajan Nassimi mit seiner Frau und den drei Söhnen ihre erste Wohnung in Hamburg bezogen hatte. Ab 1953 lebten dort auch Youssef Khakshouri und seine Frau mit den beiden Kindern für einige Jahre. Beide Familien übernahmen eine wichtige Funktion für eine Gemeinschaft, in der die Eingewanderten ohne den alltäglichen Bezug zu ihren Herkunftsfamilien auskommen mussten und in der Folge zum Teil untereinander verwandtschaftsähnliche Beziehungen aufbauten. Dies traf in besonderer Weise für die Gruppe der mashhadischen Jüdinnen und Juden zu, die aufgrund ihrer Herkunft aus der Stadt Mashhad und ihrer besonderen Geschichte ein Gefühl der Zusammengehörigkeit teilten. Differenzierte sich die Gruppe nach innen, so war sie von Beginn an Teil der deutlich größeren iranischen community in Hamburg, die aus einer wachsenden Zahl an Handeltreibenden sowie an Studierenden bestand und mehrheitlich muslimisch war. Die jüdischen und muslimischen Kaufleute begegneten sich im Arbeitsalltag in der Speicherstadt, wo sie Tür an Tür arbeiteten und gemeinsam Hamburger Spediteure mit der Verschiffung und dem Transport der Teppiche aus Iran beauftragten, aber auch bei Anlässen und Feiern, die das iranische Konsulat in der Stadt organisierte, oder bei wirtschaftlichen Zusammenschlüssen wie der 1952 neugegründeten Deutsch-Iranischen Handelskammer e.V.
„So verließ ich 1952 den Iran, um ausgerechnet in Deutschland, genauer gesagt in Hamburg, mein Glück zu machen.“
Ankommen in Hamburg bedeutete auch, in dem Land anzukommen, das den Holocaust zu verantworten hatte. Youssef Khakshouri schreibt in seinen Anfang der 2000er-Jahren publizierten Erinnerungen, wie schwer ihm der Schritt gefallen sei, nach Deutschland zu gehen. Insbesondere für die kleine Gruppe der Kinder, die bereits in den 1950er-Jahren in Hamburg eine Schule besuchten, galt „wir sollten niemandem sagen, dass wir jüdisch sind“. In der Jüdischen Gemeinde trafen Jüdinnen und Juden aus Iran auf Überlebende aus den Konzentrationslagern, wie den Geschäftsführer der Gemeinde, Günther Singer, der die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Birkenau überlebt und seine gesamte Familie verloren hatte. Stellvertretend für viele der Angehörigen der zweiten Generation, die bereits in Hamburg geboren waren und hier aufwuchsen, berichtet einer der Interviewten aus dem Projekt „Iranische Jüdinnen und Juden in Hamburg“, wie ihn die Erzählungen von Singer geprägt und ihm eine Geschichte nahegebracht haben, die nicht Teil der eigenen familiären Erfahrung war.
„The school I went to, which was a general school, was in a place that used to be the Jewish neighborhood, but I didn´t know this at first. When I found out that it had previously been an all-girls, Jewish school, I couldn´t help wondering who sat in my chair before the war, and how many of them remained alive.“
Von Anfang an nahmen die iranischen Jüdinnen und Juden am Leben der im Sommer 1945 nach dem Krieg neu gegründeten Jüdischen Gemeinde in Hamburg teil. Obgleich in den Synagogen in Iran der sefardische Ritus gegolten hatte, praktizierten sie selbstverständlich den aschkenasischen Ritus der Nachkriegsgemeinde und besuchten regelmäßig deren Gottesdienste. Einige der Paare gehörten zu den ersten, die in der 1960 in der Hohen Weide errichteten Synagoge ihre Hochzeit feierten; in den kommenden Jahrzehnten wurden dort die in Hamburg geborenen Jungen zu ihrer Bar Mitzwa aufgerufen. Die Familien spendeten für Bedarfe der Synagoge und der Gemeinde und für die Unterstützung Israels. Während die Männer religiöse Funktionen übernahmen und Ämter im Beirat oder verschiedenen Ausschüssen wie etwa im Kultur-, Kultus- oder Finanzauschuss bekleideten, gestalteten die Frauen aktiv das soziale Leben der Gemeinde mit, viele der Kinder besuchten den gemeindeeigenen Kindergarten und später den Jugendclub. Zugleich sorgte die Gruppe, die zwischenzeitlich um die 250 bis 300 Personen umfasste, dafür, dass die Traditionen der eigenen Gemeinschaft auch in Hamburg gewahrt werden konnten. Dazu gehörte die Versorgung mit koscherem Fleisch für die wöchentlichen Schabbatfeiern und die familiär begangenen Feste und Feiertage, zu denen sich die Familien wechselseitig einluden und so den sozialen Zusammenhalt stärkten.
Das Schreiben von Parviz Namdar aus dem Jahr 1999 anlässlich des zehnjährigen Todestages des langjährigen Geschäftsführers und Kantors, Günther Singer, ist ein Beispiel für das Engagement der iranischen Jüdinnen und Juden innerhalb der Hamburger Jüdischen Gemeinde. So hatten einige der iranischen Männer frühzeitig Funktionen im Gottesdienst übernommen, während die Frauen in sozialen Belangen aktiv wurden. Wie ein Artikel aus der Jüdischen Allgemeinen von 2007 zeigt, waren sie insbesondere an Aktivitäten im Rahmen der WIZO ( Women’s International Zionist Organization) beteiligt und organisierten den alljährlichen Basar mit, nicht zuletzt in dem sie zu diesem Anlass vielfältige persische Speisen darboten. Das 1969 im gemeindeeigenen Kindergarten aufgenommene Foto, zeigt eine Gruppe, zu der auch die ersten in Hamburg geborenen iranisch-jüdischen Kinder gehörten, wie der damals vierjährige Jack Morad, der später auch an den Treffen des Jugendclubs teilnahm. Ebenfalls bereits wenige Jahre nach ihrer Ankunft, in den frühen 1960er-Jahren, engagierten sich einige der Männer erstmals im Gemeindevorstand und übernahmen in den folgenden Jahrzehnten verschiedene Funktionen, so wie der bereits erwähnte Parviz Namdar, der zum Zeitpunkt des abgebildeten Schreibens Vorsitzender der Kultuskommission der Jüdischen Gemeinde war, ein Amt, das 2008 Dr. Baroukh Mazloumi ausübte. Auch das Spendenwesen gehörte zum Selbstverständnis der Gruppe, aus der viele Familien wiederholt finanzielle Zuwendungen beispielsweise für gemeindliche Aktivitäten oder auch für Maßnahmen der Instandhaltung in der Synagoge leisteten.
Das Schächtmesser von Moussa Karimzadeh erinnert an die Herausforderungen der Familien in den 1950er-Jahren, nach ihrer Ankunft in Hamburg ihre religiösen Traditionen zu wahren. Dazu gehörte etwa die Versorgung mit koscherem Fleisch, das nur in größeren Abständen in der Jüdischen Gemeinde bestellt werden konnte und aus Frankfurt am Main angeliefert wurde. Um vor Ort dem Bedarf in der eigenen Gruppe nachzukommen, war anfänglich Moussa Karimzadeh als Schochet tätig, der anlässlich von familiär begangenen Festen und Feiertagen für koscheres Geflügel sorgte. Auch das Foto zur Mesusa-Anbringung in der Wohnung von Familie Nasirzadeh 1993 sowie die Schilderungen über die wöchentlichen Schabbatessen im Familienkreis weisen auf die Bedeutung hin, die religiöse Riten und Praktiken für den Zusammenhalt der Gruppe im Alltag hatten. Gleichzeitig nahmen die iranischen Jüdinnen und Juden an der Ausübung all derjenigen religiösen Traditionen und Feiern teil, die im Rahmen der Jüdischen Gemeinde stattfanden. Viele Familien besuchten regelmäßig die Gottesdienste und die Kinder machten bei den jährlichen Purimfeiern mit. Ein wichtiges Ereignis für die in Hamburg geborenen Jungen war ihre Bar Mitzwa. Das Foto zeigt Mikael Kavian und Robert Nowbakt mit angelegtem Gebetsriemen und -mantel in der Synagoge Hohe Weide beim Verlesen des Thora-Abschnitts.
Im September 1976 informierte die Gruppe „Persische Juden in Hamburg“ den Vorstand der Jüdischen Gemeinde darüber, dass sie anlässlich der bevorstehenden Feiertage, Räumlichkeiten im Hotel Plaza (heute Radisson Blu) für die Durchführung sefardischer Gottesdienste angemietet und zu diesem Zwecke ebenfalls einen persischen Rabbiner sowie sefardische Gebetsbücher organisiert hätte. Während dieser Teil des Schreibens auf die Bedeutung und Pflege der aus Iran mitgebrachten Traditionen und Riten verweist, wird im weiteren Verlauf des Briefes die Verbundenheit mit der Jüdischen Gemeinde in Hamburg unterstrichen und die Mitgliedschaft betont. Tatsächlich fanden in dem Hotel für einige Wochen Gottesdienste statt, bevor die Gruppe wieder in den Gemeindegottesdienst zurückkehrte. Die Hinwendung zum eigenen, sefardischen Ritus, die nur kurze Zeit währte, weist umgekehrt daraufhin, mit welcher Selbstverständlichkeit die Gruppe von Anfang an am aschkenasischen Ritus der Hamburger Gemeinde teilnahm, in dem einige schon bald eine aktive Rolle innehatten. Parviz Namdar fungierte beispielsweise viele Jahre als Ersatzkantor, während Mikael Kavian davon erzählt, dass sein Vater über zwei Jahrzehnte der offizielle Thora-Leser gewesen sei.
Mochten sich die iranischen Jüdinnen und Juden in ihrem religiösen Selbstverständnis und ihren Traditionen von der hiesigen jüdischen Gemeinschaft in mancherlei Hinsicht unterscheiden, so galt dies nicht für ihre gegenüber Israel zum Ausdruck gebrachte Solidarität. Manche der Familien hatten verwandtschaftliche Kontakte nach Israel, andere besuchten das Land während der Feiertage. Baroukh Mazloumi war als Student der Medizin in der Vereinigung israelisch-jüdischer Studenten organisiert, die 1969 den damaligen israelischen Botschafter Asher Ben Natan zum öffentlichen Vortrag in das Audimax der Universität Hamburg einlud, wo dieser von protestierenden Studierenden angegriffen wurde. Auch in den kommenden Jahren dokumentierte die Gruppe der iranischen Jüdinnen und Juden ihre Unterstützung, beispielsweise durch Spendenaktionen auf dem WIZO Basar oder durch großzügige Beiträge an Organisationen wie Keren Kayemeth und unterstrich somit die besondere symbolische Verbindung zum Staat Israel.
Die meisten Familien ließen sich im Hamburger Westen nieder, wo die zweite Generation aufwuchs und die Schule besuchte. Sie nahmen Teil am Leben einer Großstadt, die zunächst noch von den Folgen des Krieges geprägt war, dann die Wirtschaftswunderjahre und in deren Folge den Zuzug der sogenannten „Gastarbeiter“ erlebte. Die mitgebrachten iranisch(-jüdischen) Traditionen aufrechtzuerhalten erwies sich nicht immer als einfach, gerade die jüngeren Generationen übten den Spagat zwischen verschiedenen Lebenswelten und teilten ganz selbstverständlich verschiedene Zugehörigkeiten. Eine Selbstverständlichkeit, die ihnen von außen allerdings mitunter abgesprochen wurde, denn auch Rassismus und Antisemitismus gehör(t)en zur Lebensrealität der iranischen Jüdinnen und Juden in Hamburg.
Von Beginn an war der Alltag der iranischen Jüdinnen und Juden zum einen durch den Zusammenhalt der eigenen Gruppe und die Erfahrungen in der Jüdischen Gemeinde geprägt und fand zum anderen im Austausch mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft statt. Die Fotografien von geselligen Runden und Familienausflügen an den Timmendorfer Strand, von Besuchen auf dem Weihnachtsmarkt und dem Hamburger Dom zeugen davon, wie die Familien am sozialen Leben und den Freizeitaktivitäten im Hamburg der Nachkriegsjahrzehnte teilnahmen. Dazu gehörte es auch, dass neben den jüdischen Fest- und Feiertagen auch das persische Neujahr und Silvester gemeinsam gefeiert wurde. Im Interview erzählt Mona Nasirzadeh davon, wie ihre Eltern zu Hause dafür gesorgt hätten, zu jedem Zeitpunkt des Tages Gäste empfangen und bewirten zu können und weist auf die besondere Bedeutung hin, die solchen sozialen Zusammenkünften im Selbstverständnis der Gruppe zukam. Gemeinsames Essen spielte dabei eine zentrale Rolle, die Rezepte der traditionell persischen Gerichte – für die es nicht immer einfach war, in Hamburg die Zutaten zu erhalten – wurden innerhalb der Familien an die nächste Generation weitergegeben.
„Das Problem war eher, dass (…) mir klargemacht wurde, dass ich eben anders bin. (…) Unser jüdischer Schüler, oder, du als Ausländer, musste ich mir auch schon anhören und so weiter, die Tatsache dass ich dort geboren wurde, spielte überhaupt keine Rolle.“
Die Einschulung von Jack Morad 1971 steht stellvertretend für die wachsende Gruppe der zweiten Generation, die in Hamburg geboren wurde und zumeist im Westen der Stadt aufwuchs. Viele der Kinder besuchten eine der öffentlichen Schulen in ihrer Nachbarschaft und schlossen dort oder im Sportverein Freundschaften mit nichtjüdischen Gleichaltrigen. Das Aufwachsen in einer sich erst langsam pluralisierenden Stadt war jedoch nicht immer einfach. Oftmals stießen sie als einziges jüdisches Kind in ihrer Klasse auf Unverständnis, wenn etwa im Schulalltag religiöse Praxen sichtbar wurden, wie der Verzicht auf Fleisch, das nicht koscher war. Wie das nebenstehende Zitat zeigt, paarte sich die Ignoranz gegenüber Elementen einer jüdischen Lebensführung nicht selten mit einer Fremdenfeindlichkeit, die den in Hamburg Geborenen eine Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft grundsätzlich absprach. Dagegen gestaltete sich für diejenigen der Schulalltag einfacher, die als Gruppe gemeinsam die Internationale Schule besuchten, auf der eine heterogenere Schülerschaft anzutreffen war. Trotzdem teilten viele Angehörige der zweiten Generation das Gefühl, in zwei Welten zu leben. Dazu trug neben geteilten Erfahrungen der Ausgrenzung auch bei, dass der Zusammenhalt der Gruppe, beispielsweise in den wöchentlichen Schabbatfeiern, auch für die zweite Generation bindend war. Der Wunsch der Eltern, dass die eigenen Kinder gemeinsam mit anderen iranischen Jüdinnen und Juden aufwuchsen und ihre Zukunft planten, war hier zentral.
„Wir haben dieses traditionelle Schabbat-Essen am Freitagabend, haben wir immer alle gemacht. Einige von uns sind hinterher vielleicht dann mit den Freunden trotzdem noch ausgegangen. Also es heißt nicht, dass wir jetzt hier im Dunkeln gesessen haben und auch kein Fernsehen geguckt haben. Aber es gab schon diese Tradition, Freitagabend ist Schabbat, und das wird jetzt eingehalten.“
Die Frage der eigenen Zugehörigkeit stellte für die zweite Generation in verschiedener Hinsicht eine Herausforderung dar. Die jungen iranischen Jüdinnen und Juden wuchsen im Hamburg der 1970er- und 1980er-Jahre auf. Sie trugen die Mode und Frisuren der Zeit, unternahmen Kinobesuche im UfA-Filmpalast am Gänsemarkt und anschließend einen Abstecher zu McDonald’s oder trafen sich gelegentlich im Block House, wo sie jedoch auf Fleisch verzichteten. Sie hörten die Neue Deutsche Welle und lachten über Otto Waalkes und Filme mit Louis de Funès. Gleichzeitig sorgte der Umstand, dass sie über mehrere Zugehörigkeiten verfügten, wiederholt für Irritationen und Erfahrungen von Diskriminierung. Als iranische Jüdinnen und Juden begingen sie im Familienkreis die Schabbatabende, sprachen mit ihren Eltern Farsi, fühlten sich aber nicht als selbstverständlicher Teil der mehrheitlich muslimischen Gruppe von Iranerinnen und Iranern, die in Hamburg lebten. Nichtjüdische Deutsche begegneten ihnen mitunter mit fremdenfeindlichen Kommentaren aufgrund ihrer Haut- oder Haarfarbe und zeigten sich verwundert angesichts von Jüdinnen und Juden, deren eigene historische Erfahrung nicht der Holocaust war. Hinzu trat der rechtliche Status der Familien, die die iranische Staatsbürgerschaft besaßen und in Deutschland nur über eine Aufenthaltsberechtigung verfügten. Sonia Roubeni erinnert sich ungern daran, wie sie als gebürtige Hamburgerin, die noch nie in Iran gewesen war, nach der islamischen Revolution im Verlauf der 1980er-Jahre ein neues Foto für ihren iranischen Pass brauchte und dafür gezwungen war, ein Kopftuch zu tragen.
Die islamische Revolution 1979 änderte das Leben der Hamburger iranischen Jüdinnen und Juden nachhaltig. Der Umsturz in Iran setzte eine große Fluchtbewegung in Gang, zu der auch die Familien der in Hamburg ansässigen Gruppe gehörten. Während manche bislang in Iran lebende Angehörige daraufhin in Hamburg eintrafen, wanderte die Mehrheit in die USA aus, andere gingen nach Israel. In Hamburg wuchs in der Folge der politischen Ereignisse in Iran die größte iranische community in Deutschland heran. Für die einen wurde die Stadt zum Transitraum, andere versuchten zu bleiben, was auch den Teppichhandel veränderte. Die veränderten Bedingungen führten bei vielen Familien zu einer Neuorientierung innerhalb ihrer transnationalen Handels- und Familiennetzwerke, die häufig in der Entscheidung mündete, ebenfalls in die USA auszuwandern. Ein Ziel wurde Los Angeles, wo mit einer halben Million Menschen iranischer Herkunft, darunter rund 50.000 Jüdinnen und Juden, die größte iranische Niederlassung weltweit existiert. Viele der Familien, die zur Gruppe der mashadischen Juden zählten, deren gemeinsame Geschichte und Erinnerung einen besonderen Zusammenhalt schuf, gingen nach Great Neck in New York, wo mit rund 10.000 Personen, die weltweit größte mashadische Gemeinschaft lebt.
Nach der islamischen Revolution 1979 verließen viele Jüdinnen und Juden Iran, so auch fast alle Angehörigen der in Hamburg ansässigen Familien. Sie waren Teil einer wachsenden Fluchtbewegung, in deren Folge die in den USA und Europa bereits existierenden iranischen communities um ein Vielfaches wuchsen. Los Angeles wurde zur größten iranischen Destination in den USA, auch für viele iranische Jüdinnen und Juden. Daneben entwickelte sich in New York, Great Neck zu einem Ort, an dem sich vor allem Familien niederließen, die der Gruppe der mashadischen Jüdinnen und Juden angehörten. Die iranisch-jüdische Diaspora in Hamburg war durch den Regimewechsel in Iran damit konfrontiert, dass ihre dort ansässigen Handelspartner, zumeist Familienangehörige, ihre Geschäfte aufgaben, um das Land zu verlassen. Die Revolution zog also Veränderungen in den wirtschaftlichen Austauschbeziehungen nach sich und führte gleichzeitig zu einer geografischen Veränderung in den bestehenden transnationalen Familiennetzwerken. Eine Transnationalität und Vielsprachigkeit, die sich beispielhaft in den zahlreichen Glückwünschen von Verwandten an Rabin Yaghoubi anlässlich seiner Bar Mitzwa-Feier in Hamburg im Jahr 1984 zeigt. Während einerseits die USA immer mehr zum Hauptbezugspunkt wurden, wurde andererseits Hamburg selbst für viele exilierte Iranerinnen und Iraner zum Fluchtpunkt, was auch für den Teppichhandel vor Ort Folgen hatte. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre nahmen die Lieferungen von Teppichen aus Iran, wie aus dem Bericht des Statistischen Landesamtes Hamburg von 1990 hervorgeht, noch einmal erheblich zu. Parallel dazu stieg die Anzahl an Teppichhändlern erneut an und erhöhte den Konkurrenzdruck unter den lokalen Anbietern, was bei einigen der iranisch-jüdischen Händlern zu Geschäftsaufgaben führte. Diese verschiedenen Entwicklungen führten dazu, dass bereits ab den 1980er-Jahren eine wachsende Zahl an Familien begann, Hamburg zu verlassen, um vornehmlich in die USA, aber auch nach Israel auszuwandern und dort in neue Geschäftsideen zu investieren. Andere Familien blieben vorerst und kauften Teppiche aus Indien, Nepal, Afghanistan und China ein, bevor der Handel im Verlauf der 1990er-Jahre einzubrechen begann und in den 2000er-Jahren erheblich zusammenschrumpfte.
Die Familien, die Hamburg mehrheitlich entweder in Richtung Los Angeles oder nach New York, Great Neck / USA verließen, trafen am Zielort oftmals Angehörige, die aus Iran dorthin emigriert waren. Familie Ghoulian ließ sich 1989 in Los Angeles gemeinsam mit vielen anderen im Stadtteil Westwood, auch „Tehrangeles” genannt, nieder, in dem sich eine große Anzahl iranischer Geschäfte und Restaurants auf dem von der Stadtverwaltung inzwischen offiziell anerkannten „Persian Square” befinden. In der Folge der islamischen Revolution leben heute über eine halbe Million Menschen iranischer Abstammung in der Stadt, rund 50.000 von ihnen sind iranische Jüdinnen und Juden. Hekmat und Doris Roubeni verließen die Stadt erst 2002 und zogen nach Great Neck, einem Stadtteil auf der Halbinsel Long Island und Ziel vieler mashadisch-jüdischen Familien aus Hamburg, wo heute mit rund 10.000 Personen die größte Anzahl mashadischer Jüdinnen und Juden in den USA lebt. Die Gemeinschaft verfügt über eine eigene religiöse Infrastruktur, zu der mehrere Synagogen und Community Center gehören.
Nicht alle iranischen Jüdinnen und Juden haben Hamburg verlassen. Einige leben und arbeiten auch heute noch in der Stadt. Diejenigen, die in Hamburg geboren wurden, gehen verschiedenen Berufen nach, arbeiten in Agenturen, als Lehrerin, Anwalt und Ingenieur oder haben sich selbständig gemacht. Noch immer sind sie der hiesigen Jüdischen Gemeinde verbunden, einige der Mitglieder der ersten Generation haben bis in die 2000er-Jahre dort Ämter innegehabt. Sie alle leben ein transnationales Familienleben und haben Angehörige in den USA oder in Israel, wo sie einen Teil ihrer Zeit verbringen. Für diejenigen, die weiterwanderten, besitzt Hamburg als Ort einer erfolgreichen Geschäfts- und Familiengründung und als Ort der Kindheit und Jugend nach wie vor eine (nostalgische) Bedeutung. Gleichzeitig hat die Gruppe in Hamburg ihre Spuren hinterlassen. In der Synagoge zeug(t)en Perserteppiche und andere Spenden von ihrem aktiven Engagement. Der steinerne Orientteppich am Eingang der Hamburger Speicherstadt verweist auf diesen für die Stadt wichtigen Aspekt ihrer Wirtschaftsgeschichte, die auch die Geschichte der in Hamburg lebenden iranischen Jüdinnen und Juden ist.
Nicht alle iranischen Jüdinnen und Juden wanderten aus, einige blieben auch in Hamburg. Zu ihnen gehört Erik Dilmanian, der mit seinem Teppichhandel bereits Ende der 1970er Jahre von der Speicherstadt in die Nähe des Flughafens umzog, denn die Teppiche nicht mehr verschifft, sondern mit dem Flugzeug transportiert. Bis in die frühen 2000er-Jahre war er im Vorstand der Jüdischen Gemeinde und hat dort als Schuldezernent den Prozess der Schulgründung der heutigen Joseph-Carlebach-Schule maßgeblich begleitet. Baroukh Mazloumi, der in den 1960er-Jahren als Medizinstudent nach Deutschland kam, praktiziert noch immer als niedergelassener Arzt in der Stadt. Beide Männer und ihre Ehefrauen verbringen einen Teil des Jahres in New York, wo sich ihre Kinder niedergelassen haben. Auch Mona Nasirzadeh lebt in Hamburg und pendelt beruflich und privat nach San Francisco und Los Angeles. Sie alle stehen beispielhaft für ein transnationales Familienleben, dessen Lebensmittelpunkt Hamburg bleibt und das zugleich über nationale Grenzen und große geografische Distanzen hinweg geführt wird.
„…und das Leben, was ich mir hier aufgebaut habe, da hätte man auch wirklich gute Argumente haben müssen, um das dann zu verlassen.“
„Also Hamburg ist schon ein Stück weit Heimat.“
„Und wir sind unglaublich mit unseren Familien verwurzelt. […] Ich bekomme tatsächlich Heimweh, wenn ich weg bin. Und fühle mich hier tatsächlich Zuhause.“
Viele der ausgewanderten Familien kommen regelmäßig nach Hamburg. Sie besuchen die Synagoge Hohe Weide, wo sie als Kinder nach den Gottesdiensten in der Garderobe Verstecken spielten, gehen an der Außenalster spazieren und erinnern sich an Hamburger Franzbrötchen. Das Foto von 2017 zeigt Abdi Yaghoubi mit seiner Familie in der Speicherstadt, wo er den beiden Enkelsöhnen seinen ersten Firmensitz zeigt. Die Enkel, in New York geboren und aufgewachsen, nennen ihre Großeltern „Oma und Opa“, eines der vielen Beispiele, welche Spuren das Leben in Hamburg auch in den nachwachsenden Generationen hinterlassen hat. Ein weiteres Beispiel ist die Facebook-Gruppe „Legacy“, in der sich vor allem diejenigen, die heute in New York, Los Angeles, aber auch in Mailand, London und Tel Aviv und nicht zuletzt in Hamburg leben, zu einem virtuellen Erinnerungsaustausch über ihre Kindheit und Jugend in Hamburg zusammengefunden haben und über die viele der hier präsentierten Fotografien bereitgestellt wurden.
Dass nicht nur Hamburg als Ort des wirtschaftlichen Erfolgs, der Kindheit und Jugend viele der Familien nachhaltig prägte, sondern andersherum auch die iranischen Kaufleute in Hamburg ihre Spuren hinterließen, zeigt der steinerne Orientteppich auf der Wilhelminen-Brücke in der Hamburger Speicherstadt. Das 2019 von Frank Raendchen neu erarbeitete Kunstwerk soll an die Geschichte des Quartiers erinnern, dass einmal der weltweit größte Umschlagplatz für Teppiche war. Noch immer finden sich einige wenige Teppichhändler am alten Ort, wo sich heute hauptsächlich Agenturen, Kreative und Restaurants niedergelassen haben.
Konzeption: Karen Körber und Anna Menny. Texte: Karen
Körber.
Technische Umsetzung: Anna Neovesky
Stand: 6.11.2023.
Wir danken der Gerda-Henkel-Stiftung für die Projektförderung.