Interview mit Elsa Davidsohn, geführt von Jens Michelsen am 24.7.2001 [in Auszügen], FZH/WdE 433.

    Jens Michelsen liest Elsa Davidsohns Bericht „Meine Vergangenheit“ (1999) vor, der in der im Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte unter der Signatur FZH-Archiv, B_D 004 (Elsa Davidsohn und Senta Levy), 32 archiviert ist, und Elsa Davidsohn kommentiert.
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    M: „Nachdem Palästina 1948 Israel wurde, ja, waren die Abgaben viel höher als bei den Engländern, und so haben wir uns entschlossen, Senta und ich, 1958 nach Hamburg zu gehen, da es die Geburtsstadt von Senta war und wir eine Wohnung in Aussicht hatten“, ja. Oh ja. Es waren also hauptsächlich so finanzielle Gründe, dass Sie gingen?
    D: Ja.
    M: Oder hatten Sie auch, äh, Sorge, dass es zu viel Kram…
    D: Auch sprachlich, auch sprachlich.
    M: Sprachlich auch, mhm.
    D: Man konnte nicht richtig verstehen, Theater oder Konzerte oder…
    M: Mhm.
    D: Wir waren schon zu alt.
    M: Sie waren schon zu alt. Ja, ja… Und sowas wie Konzerte und Theater, das war wichtig für Sie?
    D: Genau
    M: Ja…
    M: Genau
    M: Ja… Fuhren Sie denn nach Haifa zum Konzert und Theater? Oder wo fuhren Sie hin?
    D: Ach, haben wir keine Zeit gehabt.
    M: Keine Zeit gehabt…
    D: Wir waren vollkommen abgeschlossen.
    M: Aha, ja…
    D: Ne, keine Zeit und kein Geld.
    M: Ja…
    D: Hehe. Ne, das war… Und deshalb haben wir es auch gemacht.
    M: Ja, ja, verstehe… Also auch kaum Freunde gehabt und so?
    D: Ja, doch.
    M: Doch das ja…
    D: Da waren wir in die Loge, in die B‘rithloge Gemeint ist vermutlich die B'nai B'rith-Loge.
    M:: Ah ja, da gingen Sie hin?
    D: Freitagabend dann, ja doch.
    M: Ah ja.
    D: Innerhalb der KJ oder KJ vermutlich ist Keren Kayemeth, der Jüdische Nationalfonds gemeint ist die Mehrzahl?…
    M: Ja…
    D: Da haben wir schon Freunde gehabt, aber ist nicht viel rausgekommen.
    M: Mhm. Haben Sie auch die Kontakte, später, als Sie in Hamburg waren, nicht mehr so sehr gehalten?
    D: Ach was.
    M: Ne?
    D: Die sind mittlerweile weg gestorben alle.
    M: Ja…
    M: Ich les mal weiter: „Ich habe mich hier zur Ruhe gesetzt.“
    D: Jaha.
    M: Mit, ich rechne mal…
    D: 55!
    M: … 50 Jahren.
    D: 55!
    M: „55 Jahren… und die Wirtschaft geführt. Senta ist in die Behörde gegangen und hatte es sehr schwer, nach 18 Jahren die deutschen Gesetze zu lernen.“ Ah ja.
    M: „Aber sie hat es geschafft. Durch die Wiedergutmachung konnten wir uns eine Eigentumswohnung kaufen.“ Das ist die hier? Oder… ah, ja. „Und alle zwei Jahre ein neues Auto.“ Toll!
    D: Hehe.
    M: Ja, das ist ja Klasse! Ähä. „Wir haben wunderschöne Reisen gemacht, bis Senta krank wurde und leider am 22.1.99 von uns gegangen ist. Sie hatte sich mit 60 Jahren pensionieren lassen und ist mit 85 Jahren gestorben. Ich habe vergessen zu sagen, dass mei-, ja, dass meine Mutter, meine Schwiegermutter, mein ältester Bruder mit Frau und Tochter, die damals 17 Jahre alt war, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen aus Berlin abgeholt wurden und im… im Osten verschollen sind.“ Aber Sie haben noch ein Wort dazwischen geschrieben…
    D: Mit, glaub ich.
    M: Ne, Sie haben nur: „abgeholt wurden und…“
    D: Weiß ich nicht.
    M: Wissen Sie nicht?
    D: „…und vergast wurden wahrscheinlich! Oder wie?“
    M: Ja… Ja…
    D: Ah, meine Brille…
    M: „abeholt wurden und…“
    D: Will mal Ihre nehmen, vielleicht kann ich damit sehen.
    M: Ja, gucken Sie mal. Geht das?
    D: Ne!
    M: Ne. Geht nicht? Hehehe.
    D: Hehehe
    M: Gut. Dann nehmen Sie mal Ihre, ja?
    D: „und…“ Weiß ich auch nicht, was ich da geschrieben hab… Hehe.
    M: „gebracht und verschollen sind.“
    D: Wissen sie auch nicht, wahrscheinlich, ja…
    M: Dazwischen kommt noch ein Wort, ja.
    D: „und laut Bericht“, so was.
    M: Ach, laut Bericht! Ja.
    D: Ja: „im Osten verschollen sind“
    M: Ah ja. Das sind ja… ist ja wirklich ganz, ganz viel aus Ihrer Familie. Und Sie wissen nicht, wo, wo sie umgebracht wurden?
    D: Doch, meine Mutter, ich hab so 'n Ding da gekriegt!
    M: Hmh.
    D: Äh, die soll nach Minsk gekommen sein. Und die anderen waren in Theresienstadt.
    M: Ah ja.
    [] Gekürzt: Gespräch über Mädchennamen der Mutter und Geschichte von Verwandten
    M: Ja, und jetzt schreiben Sie: „Das erfuhr ich aber erst“, also von dem Tod…
    D: Ja.
    M: …Ihrer Verwandten? „das erfuhr ich aber erst einige Jahre später.“ Ja, hier! „Da ich im Jahr, Juli 1942 durch das Rote Kreuz Post von allen bekam. Da war Berlin judenrein.“ Ja, wie man sagte, ja. „Mein…“ Ah ja. „Meine beiden anderen Brüder verheiratet, aber ohne Kinder, sind denn dann in Amerika gestorben. So bin ich als Jüngste allein geblieben.“ Ja, ja. „Hamburg, den 30.8.1999. Elsa Davidsohn.“
    D: Genau zwei Jahre, nicht?
    M: Ja, fast genau zwei Jahre. Ja…
    D: Wie die Zeit vergeht…
    M: Ja, vergeht… Das haben sie auch…
    D: Das hab ich doch so hingeschmiert!
    M: Haben Sie so aufgeschrieben, ja?
    D: Ich glaube keine Viertel-, halbe Stunde hat es gedauert.
    M: Ja, ja. Ja, man… Deshalb ist’s ganz gut, wenn man doch noch ein bisschen da nachfragt. Darf ich das mal mitnehmen und kopieren? Das wär sehr nett, denn…
    D: Ja.
    M: Jetzt haben wir zwar den zweiten Teil auf Band gesprochen, aber…
    D: Heh!
    M: ähm, das ähm, ist dann doch besser, wenn man die schriftliche Vorlage hat. Ja, das, ja… Ja, jetzt leben Sie schon 43 Jahre wieder in Hamburg?
    D: Ja.
    M: Ja. Haben Sie sich denn in Hamburg wohl gefühlt eigentlich relativ bald? Oder dauert das lange?
    D: Na Gott, zuerst hab ich in die… wär', nach Berlin wäre ich nicht mehr gegangen.
    M: Warum?
    D: Weil ich in jedem 'nen Nazi gesehen hätte, der meine Wohnung kaputt geschlagen hat.
    M: Ja…
    D: Und sie wollte nach Hamburg. Von Anfang an hat sie gesagt, sie geht nach Hamburg. Und wir haben eine sehr schöne Wohnung gekriegt, von einer Cousine, die ist nach Amerika gegangen. Und hab mich ganz wohl gefühlt. Zuerst war es sehr schwer.
    M: Ja?
    D: Ich hab in jedem 'nen Nazi gesehen.
    M: Ja?
    D: Senta nicht so, aber ich, ja
    M: Ja. Nach allem, was Sie erlebt haben, ne? Ja…
    D: Aber man hat sich zügig gewöhnt. Die Leute waren immer alle so nett zu mir, ne? Hehe.
    M: War doch ne… ganz nett dann, die Leute, ja?
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    Quellenbeschreibung

    Elsa Davidsohn wurde als Elsa Coper am 8.7.1903 in Berlin geboren. Die Eltern führten ein Konfektionsgeschäft, in dem Elsa Coper nach ihrer Schneiderinnenlehre ebenfalls tätig war und das sie nach dem Tod ihres Vaters 1929 übernahm. 1930 heiratete sie und führte einige Jahre später gemeinsam mit ihrem Ehemann ein größeres Bekleidungsunternehmen in Berlin-Friedrichshain. Nachdem das Geschäft 1938 in der Pogromnacht zerstört wurde, floh ihr Ehemann, der besonders gefährdet war, nach England, Elsa Davidsohn gelang mit dem letzten Auswanderungstransport nach Palästina im Oktober 1939 die Flucht, wo sie 1945 ihren Ehemann wieder traf. Nach dessen Tod, 1958, kehrte sie gemeinsam mit ihrer Freundin Senta Levy nach Deutschland zurück, die Wahl fiel auf Hamburg, die Geburtsstadt von Levy. Dort verstarb Elsa Davidsohn am 13.4.2006 im Alter von 102 Jahren. Das Interview gab sie im Jahr 2001. Weitere Interviews aus der Werkstatt der Erinnerung finden sich hier

    Empfohlene Zitation

    Interview mit Elsa Davidsohn, geführt von Jens Michelsen am 24.7.2001 [in Auszügen], FZH/WdE 433., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-262> [21.11.2024].