[…]
B: Na ja, und dann haben wir uns-. Em- wir waren ja mit der Politik
überhaupt nie zufrieden, und mein Mann wollte raus aus Israel, weil er nicht mehr
in den Krieg ziehen wollte. Das gab ja keine-, es gi-, es gab ja keine
Kriegsdienstverweigerung in Israel. Und da haben wir gesagt, na gut, dann gehen wir nach
Deutschland,
nicht? Wo also-, nachdem wir gehört haben, dass also jetzt ganz anders ist in
Deutschland, es
gibt keinen Antisemitismus
mehr, es gibt keine Dings-, was natürlich gar nicht gestimmt hat, ja? Aber wir haben
das damals geglaubt, nicht? Und dann sind wir 1960
hierhergekommen, mit den beiden Kindern nach Hamburg.
A: Und Ihr Mann war Sabre Sabre oder
Sabra ist ein Begriff für eine jüdische Person die in Israel geboren ist, in
Abgrenzung zu den zugewanderten oder in der Diaspora lebenden jüdischen
Personen., oder?
B: Ja. Mein Mann, mein Mann ist in, in Israel geboren, ja? Kommt
aus einer sehr, sehr armen Familie, musste als Kind schon arbeiten-
A: Mhm.
B: Ja? Also der hatte auch ein schweres Leben.
A: Mhm.
B: Nicht? Na ja, und dann sind wir hierhergekommen und haben uns so
einigermaßen arrangiert, nicht? Und erst später habe ich dann em-. Also ich habe-,
eine ganze Weile haben wir so ziemlich isoliert gelebt. Vielleicht waren wir in der
jüdischen Gemeinde ein
bisschen-, haben Freunde gehabt in der jüdischen Gemeinde, äh haben dann irgendeine Arbeit gemacht, die uns
gar nicht zugesagt haben-, hat, weil wir-, äh, wir wurden dann-, also wir haben uns
selbständig gemacht, wir waren-, haben eine Wäscherei aufgemacht. Und das war also
eine sehr, sehr schw-, sehr (betont)
schwere Arbeit. Na ja, und mein Mann, der hat dann im Laufe der Zeit dann eine, eine
äh eine Umschulung gemacht, ja? Der hat ja vom ersten Moment an hat er gearbeitet
hier, ja? Damals war das ja noch ganz leicht, Arbeit zu bekommen, weil das war eine
große, große-, äh also eine Frage nach-, also eine Anfrage, ja? oder eine Nachfrage
nach Leuten, die arbeiten können, nicht? Und er hat dann irgendwie gearbeitet bei
einer ähm Firma, ich glaub’, warte mal, wie hieß die? Westphal, glaube ich. Nee, Westphal?
Nee. Westphal, das war wieder was anderes. Nein,
nein, das war nicht Westphal. Aber das war
irgendeine, eine Firma, die also mit Edeka zusammengearbeitet hat, ja? Also ein Fuhrunternehmen war das,
nicht? Und er hat dann als Fahrer hat er dort gearbeitet und
hat also Lebensmittel ausgetragen oder so, nicht? Das war auch eine ziemlich schwere
Arbeit. Und dann haben wir uns selbständig gemacht, äh, mit dieser Wäscherei. Und
das hat mir auch-, also das war sehr, sehr schwer für mich. Und äh da, da, da hatten
wir einen Arzt, der war unser Hausarzt,
das war der Doktor Lucas, ja? Und der war sehr,
sehr nett und sehr gut. Und der hat immer zu mir gesagt, also Sie müssen doch
unbedingt also, äh, beantragen, dass Sie eine Wiedergutmachung bekommen. Ich habe
gar nicht daran gedacht, eine Wiedergutmachung zu kriegen, ja? weil ich gesagt habe,
na ja, ich bin ja einigermaßen gesund. Der sagte zu mir, nee, Sie sind überhaupt
nicht gesund, Sie müssen das und das und das machen und so. Ja, und er hat mir dann
also ein Attest und, äh, geschrieben und wollte (betont) unbedingt, dass ich mich äh, dass ich also ein,
äh, beantrage, Wiedergutmachung. Na ja, und das habe ich dann nachher auch gemacht.
Und das habe ich ja nur dem zu verdanken. Und später nach vielen, vielen Jahren habe
ich erst erfahren, dass dieser Doktor Lucu-,
Lucas ein Arzt in
Auschwitz war,
ja? Das wusste ich nicht. Darum war der auch so. Der hat so gut Bescheid gewusst mit
Auschwitz, ja?
Und so, nicht? Und ich hatte keine Ahnung, dass der also wirklich ein
Arzt war. Aber (betont) aber er wurde, er hatte Zeugen in
Auschwitz, und
bei diesem Ärzteprozess, der, der, der ja da stattgefunden hat in Nürnberg, ja? Da wurde er
freigesprochen, weil er s-, äh, er hatte jüdische Zeugen, die, äh, bezeugt haben,
dass er also ein sehr guter Arzt war und dass er niemandem was
zuleide getan hat. Na ja, das war ja schon etwas, nicht? Aber dass ich ausgerechnet
zu so einem Arzt komme, nicht? Das war (lachend)-. Ich war (betont) wie vor den Kopf geschlagen!
A: Und das war Zufall, also?
B: Zufall, ja. In Altona, Doktor Lukas, nicht? Ich
hab’ das erst später erfahren, äh, durch die VVN, ja? Weil die haben-, die wussten ganz genau, welche Leute waren in
Auschwitz, wer-,
was für Leh-, was für Ärzte waren in Auschwitz und so weiter.
Ich hatte mich gar nicht damit befasst, nicht? Aber es war schon ein Schock für
mich! Nicht? Ich bin aber dann nachher nicht aus diesem Grunde von ihm weggegangen.
Ich war ja schon, äh, weg von ihm, als ich das erfahren hab’. […]
Gekürzt: Kurzer Exkurs über medizinische
Behandlung
B: Ja, und so bin ich dann in, äh, hier in Hamburg gelandet, ja? Und
das kam auch nur durch eine, durch eine befreundete Familie, die wir aus Israel kannten und die
hierher nach Hamburg
gekommen sind, die uns immer geschrieben haben, kommt doch hierher, das ist so
wunderbar hier, und Hamburg ist so ne schöne Stadt, und die Leute sind so nett und so
weiter. Na ja, und dann sind wir hier kleben geblieben, nicht? Und ich habe ja mit
meiner politischen Arbeit erst viel später angefangen, ja? Und zwar als ich diese
Boutique hatte dann nachher, nicht? Da kamen so Leute zu mir. Und die
haben mich immer gefragt, wo kommen Sie denn her, ja? Weil ich bin, ich sehe ja
nicht besonders deutsch aus, ja? Oder arisch, wie sie es damals nannten. Äh, sie
haben dann mich gefragt, wo kommst du denn her? Und da habe ich gesagt, ich komme
aus, also ich bin hier aus Deutschland. Ich bin in Deutschland geboren, aber
ich bin ausgewandert nach Palästina. Und ich war, aber vorher war ich in Auschwitz und in Ravensbrück. Na ja, und
dann kamen so Leute, die aus der VVN waren, und die haben mich dann gebeten, ich soll doch mal meine Geschichte
erzählen. Und so fing das alles an, nicht? Nachher habe ich angefangen zu singen und
äh, und hab’ gedacht, ich kann ja diese, also mein, mein musikalisches Talent kann
ich ja dazu benutzen, äh, um die Leute aufzuklären, ja? Ich kann meine Geschichte
erzählen, aber ich kann auch Lieder singen, die aus den Ghettos und aus, die, die
aus den Konzentrationslagern stammen, ja? Und, und so ist das dann geblieben, nicht?
Und da habe ich, das habe ich dann benutzt, nicht? Meine Musikalität, um dann wieder
anzufangen zu singen und, und das also für eine bestimmte, für eine bestimmte Sache,
äh, zu benutzen. […]
Gekürzt: Ausführung über politisches Engagement,
Tapewechsel
A: Wie hast du die Atmosphäre empfunden, als du hier nach Hamburg gekommen bist? Und
wie war das für dich hier überhaupt, hier anzukommen?
B: Also am Anfang war das ganz schlimm, ja? In dem Moment, in dem ich über
die deutsche Grenze gegangen bin und ich habe
deutsche Soldaten gesehen, ich habe deutsche, ähm, deutsche
Polizisten gesehen, also irgendwelche Leute in Uniform,
habe ich (betont) so eine, ein
schlechtes Gewissen bekommen, dass ich gedacht hab’, mein Gott!, was hast du deinen
Kindern und deinem Mann jetzt angetan, dass ihr, dass wir wieder also jetzt hier in
Deutschland
gelandet sind! Das war ja eigentlich so, ich wollte ja aus Israel gar nicht weg, ja?
Weil ich schon die Vermutung hatte, nicht? Dass es mir sehr an die Substanz gehen
würde, wenn ich wieder zurückkomme, nicht? Weil ich hatte ja nun wirklich (betont) auch Vorurteile, ja? Weil ich
gedacht habe, na ja, also alle können sich ja nicht so auf, so schlagartig geändert
haben, ja? Da sind bestimmt irgendwelche Leute, die Nazis geblieben sind. Also ich
war ganz entsetzt, als ich da, als ich ankam! Und ich war (betont) furchtbar fertig. Und dann bin ich nach
Hamburg, also
als wir dann nach Hamburg gekommen sind, und ich musste ja diese ganzen, äh, diese,
die ganzen Behördenangelegenheiten, das musste ja ich alles machen, weil Nissim konnte nicht deutsch sprechen, ja? Also blieb mir
nichts anderes übrig. Ich musste das machen. Also bis ich dann meinen Pass gekriegt
habe, bis ich meine, äh, deutsche Nationalität, die habe ich ja nie verloren, ja?
Äh, aber bis, bis sich das umgewandelt hat in Personalausweis, ja? Das hat eine Zeit
lang gedauert, beziehungsweise also das habe ich natürlich sofort bekommen, ja, weil
gar kein Zweifel daran war. Und, äh, aber die Art, wie die, wie diese, diese,
Bürokraten da, wie sie einen behandelt haben, das hat mir,
das war schon wieder genug für mich, nicht? Und ich habe immer solche Zustände
bekommen, wenn ich in eine Behörde gehen musste, ganz rote Flecken und was weiß ich!
War unheimlich aufgeregt und hab’. Also, das geht mir übrigens bis heute so, dass
ich also, irgendwie ist das meine Krankheit geblieben, ja? Das ist zurückgeblieben
von damals, ja, dass ich (betont) immer
Angst habe vor irgendwelchen Behörden, obwohl ich gar keinen Grund dazu habe, ja?
Aber das liegt so in mir drin, nicht? Also das ist schon, äh, eine, eine unheimliche
Umstellung gewesen, von Israel wieder zurückzukommen nach, nach Deutschland, nicht? Und ich
m…, ich würde sagen, also am Anfang haben wir wirklich sehr zurück, äh so, äh, wir
haben nicht, wir haben einfach, äh, uns nicht beteiligt, ja? […]
Gekürzt: kurze Passage über zurückgezogenes
Leben
B: … also ich bin, ich bin wieder in Deutschland gelandet, ja,
also, ich meine jetzt seelisch gelandet, weil ich eben Leute kennengelernt habe, die
meiner Meinung waren, die auch, äh, gekämpft haben gegen Hitler, ja? Das waren so die
Leute in der VVN, in der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes. Und, und, und (betont) da habe ich mich dann aufgehalten, ja? Als ich,
bevor ich da war, ja, bevor ich in dieser, in diese Kreise gekommen bin, habe ich
mich (betont) überhaupt nicht politisch
betätigt, nicht? Aber es hat mir irgendwie gefehlt, nicht? […]
Esther Bejarano, geb. Loewy, kam am 15.12.1924 in Saarlouis zur Welt. Sie wuchs in Saarbrücken und Ulm auf, wo ihr Vater Kantor der jüdischen Gemeinde war. Aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung flüchteten drei ihrer Geschwister in die USA, nach Palästina sowie in die Niederlande. Esther Bejarano wollte Deutschland ebenfalls verlassen und ging in Brandenburg auf Hachschara, das heißt, sie bereitete sich auf die Emigration nach Palästina vor. Ab 1941 musste sie Zwangsarbeit leisten und wurde am 20.4.1943 nach Auschwitz – von dort aus nach einem halben Jahr weiter nach Ravensbrück – deportiert. Im Gegensatz zu ihren Eltern und der Schwester, die in die Niederlande geflüchtet war, überlebte sie. Nach ihrer Befreiung emigrierte sie nach Palästina, wo sie als Sängerin und Musiklehrerin tätig war. 1960 kehrte sie mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Deutschland zurück und zog nach Hamburg. Sie war als Sängerin tätig und engagierte sich im Auschwitz-Komiteee. Am 10.7.2021 starb Esther Bejarano in Hamburg.
Interview mit Esther Bejarano, geführt von Linde Apel am 4.3.2003, FZH/WdE 744., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-271> [31.10.2024].