[…]
W: in, in der Firma, in der ich arbeitete,
und der Krieg ging weiter und
ging dem Ende langsam zu, und immer wieder die Fragen: „Kurt,
when are you going home?“ Kam von einzelnen natürlich auch.
K: Also sie, sie fragten also, wann, wann kehren Sie zurück?
W: Überhaupt nicht, keine Gehässigkeit, gar nicht. Und auch wieder, das muss
ich hier betonen, das muss man einfach sagen, besonders die Frauen haben sich sehr
gut verhalten.
K: Mh.
W: Die Arbeiterinnen. Das ist ganz erstaunlich.
K: Mh.
W: Ich will da auch nicht verallgemeinern.
K: Mh.
W: Um Himmels Willen nicht, dass alle gleich waren. Aber eine eh, nur das
Beispiel als ich zurückkehrte: ...
K: Mh.
W: Männer oft: „When are you going home?“
Das müssen wir als Beispiel bringen. Und ich hab’ mich entschlossen, schon im Jahre
1946 wieder zurückzukehren.
K: Wann?
W: Im November hatten die, also ich konnte ja
nur zurückkehren, wenn das Schiff fuhr und die Bereitschaft war von England aus, mich
zurückzulassen.
K: Ah.
W: Und das war Carl-Heinz Rebstock, der
mich gebeten hat, und eh, dass ich zurückkehren möchte, er hatte überlebt. Und es
waren Verbindungen von uns aus auch schon, ich war im Freien Deutschen Kulturbund
organisiert, ...
K: Mh.
W: ... und da waren schon Verbindungen, Deutsche wieder eh, eh,
Flüchtlinge wieder nach Deutschland zu bringen.
Warum? Um zu helfen.
K: War es einer der ersten Möglichkeiten zurückzukehren?
W: Für mich war es die erste Möglichkeit. Es waren vielleicht die ersten,
die zurückkehrten, mögen vielleicht vier, fünf Monate vorher.
K: Mh.
W: Vorher nicht.
K: Mh.
W: Es war eine gewisse Hemmung, ...
K: Mh.
W: ... uns zurück zu lassen, weil eh, bei uns waren ’ne ganze Reihe
Kommunisten dabei.
K: Mh.
W: Und die eh, das Misstrauen der englischen
Besatzungsbehörde, solche Leute zurück zu lassen, war eben da.
K: Mh.
W: Nicht, das ist uns völlig klar. Aber es ist dann durch die Anträge von
Freunden, ist es dann geschehen, nä.
K: Mh. Also Sie wollten, sie wollten grade beschreiben, ich hab’ Sie
unterbrochen, es tut mir leid, eh, die Frauen, wie reagierten die Frauen, als Sie weggingen?
[…]
Rausgekürzt: Über die Arbeit in der Drahtweberei
(Wire Weavery), wo auch viele Frauen gearbeitet haben.
W: Ja. Also eh, die haben dann zu mir gesagt, als sie hörten, dass ich mich
im, im, ich hab’ mich ja sehr früh gemeldet, Anfang Sep-, Anfang eh, Anfang 46 habe ich mich, ...
K: Mh.
W: ... 45 habe ich mich schon gemeldet, Anfang
46, glaube ich, und da, als sie das
hörten, haben die gesagt, haben die mit mir geschimpft. Haben dann gesagt: „Hör mal
zu, du bist ja wahnsinnig. Du hast ’ne Frau, du hast ein
Kind, du kannst doch in die Zu-, weißt du, was für Zustände
da drüben sind? Du kannst da doch nicht hingehen. Das darfst du nicht machen.“ Alle
Frauen.
K: Mh.
W: Und eine ganze Reihe von Männern: „Kurt, when are
you going home?“
K: Mh, mh. FW: Na, es war der Arbeitsplatz, nicht.
K: Ja, ja ja.
W: Ist interessant, nicht.
K: Mh.
W: Bei den Frauen spielt diese persönliche, dieses Einfühlungsvermögen in
...
K: Mh.
W: ... Familiensorgen …
K: Die Männer haben Sie als Konkurrenten auch empfunden.
W: Ja. Aber die Frauen nicht.
K: Mh.
W: Ist interessant, nicht. Keine einzige Frau. Die haben also mich gradezu
überfallen. Und dann, also ich sie wieder besuchte nach 10 Jahren, das war so
wunderbar. Bin ich wieder, habe ich eine sentimental
journey gemacht. Da war ich dann schon im Schuldienst.
K: Mh.
W: Konnte ich das. Und das war dann auch so merkwürdig: Die Männer waren
viel zurückhaltender und so. Ich sag’ nichts gegen sie, sie waren auch nett und so.
Die Frauen, die haben da angefangen, (lacht
leicht) ein Theater aufzuführen, nicht. Ich sag’ immer so (W. in
gehobener Stimmung): „Blody Kurt“ und
dann haben sie da so, nicht. Also das werde ich nie vergessen, nicht.
K: Mh.
W: Also das waren solche Freundschaft, nicht. Darum würde ich sagen, ich bin
England
unheimlich dankbar, ...
K: Mh.
W: ... für das, was sie für mich getan haben.
K: Mh.
W: Also mich gerettet und meine Familie auch.
[…] Rausgekürzt: Über
die berufliche Tätigkeit in England
W: Das einzige, was ich politisch noch sagen will, wir waren organisiert mit
Flüchtlingen ...
K: Mh.
W: ... zusammen im Freien
Deutschen Kulturbund, der also ...
K: Was muss ich darunter verstehen?
W: Ja, also das sind Menschen, die eh, die Widerstand, im Grunde den
Gedanken des Widerstandes, der in Deutschland geführt war,
eh, im Ausland fortsetzt zugunsten der deutschen Antifaschisten und nie die
Verbindung zum deutschen Antifaschismus abbrechen wollte, und je näher das Ende
Hitlers herankam, die Bereitschaft vorbereitete, zu möglichst früher Zeit wieder
nach Deutschland zu
Antifaschisten zurück-, es waren ausgesprochene Antifaschisten, zurückzugehen, um in
Deutschland
antifaschistisch wirken zu können.
Ausschnitt 4a,
08:14-16:04, Dauer: 07:58
K: Jetzt gestatten Sie mir eine Frage: Es ist ja ungewöhnlich als Jude
zurückzukehren.
W: Ja.
K: Was waren Ihre Triebkräfte?
W: Das war meine ...
K: Mh.
W: ... eigentlich eine Verpflichtung gewachsen. Eh, die rührte wohl doch
schon aus der Zeit, wo ich mich entschlossen hatte, in den Widerstand zu gehen. Das
war ’ne Kontinuität.
K: Mh.
W: Also, dann kam dahin dazu, also jetzt an Ort und Stelle zusammen: Nie
wieder. Wenn ich schon überlebt hab’, zusammen, gemeinsam so arbeiten, dass die nie
wieder ’ne Chance haben.
K: Mh.
W: Optimistisch. Sehr optimistisch.
K: Mh, mh.
K: Und eh, das Gefühl jetzt als, als Jude zurückzukehren, wo eh, ...
W: Ja.
K: ein Großteil ...
W: Ja.
K: ... der deutschen Juden halt ...
W: Ja, ja.
K: ... ermordet worden ist.
W: Weil ich, ich dachte, sehen Sie, Sie erinnern vielleicht meine Aussage in
dem Taxi.
K: Mh. Ja, ich weiß.
W: Da ist eine gemein- ... Ich bin ein sehr überzeugter Jude, was die
Geschichte anbelangt. Des Jüdischen. Und ich sah mich verpflichtet als Jude, an Ort
und Stelle, hier an Ort und Stelle mitzuarbeiten, dass die nie wieder eine Chance
kriegen.
K: Mh.
W: Und dass das eh, weil ich glaubte, durch meine Verbindungen, die ich
hatte, schon aus dem Widerstand und der Emigration und wieder neu, dass ich sagte,
dass es auch für uns notwendig ist, einzelne, die überlebt haben, wenn sie in diese
Freundes- und diese Gruppe, diese Kampfgruppe eingesperrt ... Ich will da mal ruhig
sagen Kampfgruppe. Nicht mit Waffen. Eine Kampfgruppe gegen den Faschismus.
K: Mh.
W: Hier.
K: Mh.
W: An Ort und Stelle. Und auch gegen die Reaktion.
K: Mh.
W: Auch gegen die Reaktion. Und die Reaktion war da.
K: Inwiefern?
W: Kam sehr schnell, ma- ...
K: Inwiefern?
W: ... massiv heraus.
K: Inwiefern? Wir sind jetzt Juni ’46, Sie
kommen zurück.
W: Ja. Zunächst alles bestens. Wir sitzen zusammen, wir treffen uns mit
Sozialdemokraten, jungen, und so weiter, nicht. Ich bin damals in der Partei.
K: In der KPD?
W: In der KPD. Und eh, ...
K: Wo haben Sie dann gewohnt hier in Hamburg-Eppendorf?
W: Wo habe ich gewohnt? In Flottbek hab’ ich ein
Quartier bekommen, weil ich Verwandte, meine Frau hatte Verwandte da, nä.
K: Mh.
W: Und eh, ich hatte auch die Hoffnung damals, dass wir so, wie ich das
sagte, von dem Kreisauer
Kreis bis zu den Kommunisten eine demokratisch, sozial ausgerichtete,
die Front, die das nie wieder hochkommen lässt, für ewig nicht. Und ich hatte die
Verpflichtung gesehen als Überlebender. Ich k-, konnte einfach
nicht, ich hatte das Gefühl, ich konnte da in England nicht bleiben,
während die andern zurückgehen eh, die Freunde, und hier mitarbeiten und ... Ist mir
sehr, sehr schwergefallen. Das muss ich sagen. Die haben mich gefragt: „Na, Wolf,
freust du dich nicht“, haben die Freunde gefragt, „daß du jetzt zurück nach
Deutschland
gehst?“
K: Mh.
W: Wissen Sie, was ich geantwortet hab’? „Ich k-, gehe nach Deutschland zurück, als ob
ich in den antifaschistischen Kampf wie in Spanien stehe. Ist für mich
eine Art Spanien.“
So, so unten war ich.
K: Mh.
W: Mit keinem Moment der Freude. Überhaupt nicht! Keinerlei Beziehung. Nur
meine antifaschistischen Freunde. Und die hab’ ich natürlich auch hier sehr schnell
gefunden, nä.
K: Mh. Wer waren das, diese Männer oder Frauen …
W: Das waren ...
K: ... dieser ersten Stunden?
W: ... überlebende Widerstandskämpfer.
K: Mh.
W: Sofort. Vor allen Dingen der Verfolgten des Naziregimes. Komitee
ehemaliger politischer Gefangener.
K: Mh.
W: Die mich sofort also, hab’ ich eine Zeitlang an der Jüdischen Gemeinde gearbeitet.
K: Mh. Apropos, Sie haben ja Ihren, bei der Jüdischen Gemeinde gearbeitet.
Sind Ihnen da Schicksale begegnet, und haben Sie Geschichten dann auch erzählt
bekommen?
W: Ich habe nur noch zu tun gehabt mit Menschen, die von ihren christlichen
Frauen gerettet wurden. Alle andern waren vernichtet.
K: Mh. Also Sie haben ...
W: Nur, in der Jüdischen
Gemeinde haben nur Leute mitgearbeitet, ...
K: Mh.
W: ... die dadurch am Leben, dass sie christliche Frauen hatten. Nur solche.
Ich habe keinen wieder getroffen, wo eine jüdische Ehe war.
K: Mh. Also Sie haben auch keine ehemalige KZ-Opfer dann, also kaum ... FW: Mh.
K: Kann ich kaum glauben. Es gab ja ... FW: Mh, ja, ja.
W: Doch es sind einige zurückgekommen, die überlebt haben. Zum Beispiel
Dr. Löffler, der hier
im Senat sehr hohe Stellung
hatte. Der in, in Theresienstadt, ja, der in Theresienstadt war.
K: Mh.
W: Von da zurückgekommen ist. Ja, wir haben ja, haben ja einige wenige
überlebt.
K: Mh. Ich mein’, haben Sie da dann auch karitative Dienste geleistet, oder
die kamen ja hochtraumatisiert zurück zum Teil?
W: Ja, natürlich. Eh, wir haben, haben da zusammen gewirkt, und es war ’ne
ganz schwierige Situation. Ich hab’ erst gearbeitet bei dem Komitee ehemaliger politischer
Gefangener, und dann bin ich, weil der Leiter der
Jüdischen Gemeinde mich
von früher, von der Jugendbewegung kannte, bat er
mich, ob ich ihm, bei ihm mit arbeiten würde, und dann habe ich das gemacht.
K: Wer, wer damals der Leiter?
W: Goldstein hieß
er, nä.
K: Mh.
W: ’ne Zeitlang, und dann hab’ ich angefangen, zu studieren, nä.
K: Mh. Mh.
W: Das war für mich auch das richtigste. Konnte ich wieder, konnte sofort
rein.
K: Mh.
W: Ich hatte mein Abiturzeugnis ...
K: Ja.
W: ... von ’33 in der Tasche.
K: Mh.
W: Haben mich sofort angenommen. Und dann begann es eigentlich aufwärts zu
gehen. Man kam mit jungen Leuten zusammen, mit vernünftigen, die nie wieder ...
„Ohne mich“, war die Bewegung da.
K: Mh.
W: Das war sehr sch-, schnell, also den Krieg so satt und ...
K: Mh.
W: ... dadurch ... Das war ’ne günstige Situation für mich, nä.
K: Mh.
W: Also ich muss sagen, hab’ ich dir auch erzählt, ich habe in Deutschland unter
Antisemitismus wenig zu leiden gehabt.
K: Mh.
W: Im Nachkriegsdeutschland.
K: Mh. Und es war für Sie auch kein Problem, also eh, das psychisch jetzt zu
verarbeiten? Das sind: Ich bin einer der wenigen Überlebenden.
Und ich bin jetzt in Hamburg.
W: Das war [unleserliches Material], ich bin da krank geworden natürlich.
K: Ja, ich wollt’ [unleserliches Material] ...
W: Das hängt damit zusammen.
K: Sie müssen wissen, ob ...
W: Ist klar, nicht. Also die ... [unleserliches Material]
W: Ja ja, ...
W: die Ärztin dann in, ...
W: ... die Ärztin in Bergen-Belsen, wo die, wo
ich hin zur Pflege kam, die hat gesagt: „Bei Ihnen ist das psychosomatisch.“
K: Mh.
W: Also, dass man dann anfälliger wird und so. Sicherlich.
K: Mh.
W: Also es war sehr problematisch.
K: Also es war ’46 / ’47
oder später?
W: Ja, war ’46. Ich bin ’46 zurückgekommen.
K: Mh. ’47 im Herbst mit Studium begonnen, und
’48 wurde ich, ’47 im H-,
Winter wurde ich schwer krank.
K: Mh.
W: Und da kam ich dann mit Hilfe der jüdischen Organisation nach Bergen-Belsen, wo
SS-Ärzte pflegen mussten, nicht, also Schwerkranke.
K: Mh.
W: Da kam ich natürlich mit Opfern, nur mit Opfern zusammen.
K: Mh.
W: Nä. Wie ich da noch in Bergen-Belsen, ich habe
noch versucht zu vermeiden die Stellen, wo, war am Rande, wo die f-, Sie wissen in
Bergen-Belsen
gibt es grauenhafte Stellen, ...
K: Mh.
W: ... wo die Menschen gefunden wurden, ...
K: Mh.
W: ... als die Engländer das Gebiet besetzten, nicht.
K: Mh.
W: Was sich da abgespielt hat. Die letzten Läger, nicht.
K: Mh.
W: Da haben Sie gehört davon?
K: Jaja.
W: All die Dinge hab’ ich miterlebt. Und, aber ich bereu’ es überhaupt
nicht. Es war schwierig, aber ich hab’ ja so, ich muss ja so dankbar sein, dass ich,
ich mein’, ich hab’ Ihnen ja mein Schicksal geschildert, so dankbar sein, wie ich
davongekommen bin. Und wenn ich ’ne Verpflichtung im Jahre 1934 spürte, etwas gegen die Nazis zu tun, ...
K: Mh.
W: ... dann muss ich doch weiterführen.
K: Mh.
W: Nicht nur gegen die Nazis, sondern vielleicht auch im positiven Sinne.
K: Mh. Mh.
[…]
Kurt van der Walde wurde am 20.1.1915 in Posen geboren, wuchs jedoch mehrheitlich in Hamburg-Eppendorf auf, wo sein Vater im Metallhandel tätig war. Kurt van der Walde absolvierte nach seinem Abitur am Heinrich-Hertz-Realgymnasium eine kaufmännische Lehre in einer Textilfirma. In seiner Freizeit war er in diversen linken (nicht-zionistischen) Jugendgruppierungen aktiv, unter anderem in der sozialistischen Revolutionären Jugendbewegung. 1936 wurde er verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Nachdem er 1938 aus der Haft entlassen wurde, emigrierte er nach England, wo er in Manchester im industriellen Sektor (etwa einer Drahtweberei) arbeitete. Er heiratete eine Exil-Hamburgerin und bekam mit ihr eine Tochter. Im November 1946 kehrte Kurt van der Walde nach Hamburg zurück, weil er sich politisch gegen reaktionäre Tendenzen im Nachkriegsdeutschland engagierten wollte. Er gehörte dem Freien Deutschen Kulturbund, später – bis zu deren Verbot 1956 – der Kommunistischen Partei an. Zudem war er im Komitee ehemaliger politischer Gefangener und in der Jüdischen Gemeinde aktiv und engagierte sich als Zeitzeuge für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Beruflich war er – nach einem Studium der Geschichte und Englisch – als Lehrer tätig. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete er erneut. 2003 verstarb Kurt van der Walde in Hamburg-Eppendorf.
Interview mit Kurt van der Walde, geführt von Alfons Kenkmann, am 9. und 30.5.1994, FZH / WdE 251., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-272> [21.11.2024].