Kurt van der Walde zum Zeitpunkt des Interviews, FZH / WdE 251, Alfons Kenkmann |
Ausschnitt 4a,
08:14-16:04, Dauer: 07:58
K: Jetzt gestatten Sie mir eine Frage: Es ist ja ungewöhnlich als Jude
zurückzukehren.
W: Ja.
K: Was waren Ihre Triebkräfte?
W: Das war meine ...
K: Mh.
W: ... eigentlich eine Verpflichtung gewachsen. Eh, die rührte wohl doch
schon aus der Zeit, wo ich mich entschlossen hatte, in den Widerstand zu gehen. Das
war ’ne Kontinuität.
K: Mh.
W: Also, dann kam dahin dazu, also jetzt an Ort und Stelle zusammen: Nie
wieder. Wenn ich schon überlebt hab’, zusammen, gemeinsam so arbeiten, dass die nie
wieder ’ne Chance haben.
K: Mh.
W: Optimistisch. Sehr optimistisch.
K: Mh, mh.
K: Und eh, das Gefühl jetzt als, als Jude zurückzukehren, wo eh, ...
W: Ja.
K: ein Großteil ...
W: Ja.
K: ... der deutschen Juden halt ...
W: Ja, ja.
K: ... ermordet worden ist.
W: Weil ich, ich dachte, sehen Sie, Sie erinnern vielleicht meine Aussage in
dem Taxi.
K: Mh. Ja, ich weiß.
W: Da ist eine gemein- ... Ich bin ein sehr überzeugter Jude, was die
Geschichte anbelangt. Des Jüdischen. Und ich sah mich verpflichtet als Jude, an Ort
und Stelle, hier an Ort und Stelle mitzuarbeiten, dass die nie wieder eine Chance
kriegen.
K: Mh.
W: Und dass das eh, weil ich glaubte, durch meine Verbindungen, die ich
hatte, schon aus dem Widerstand und der Emigration und wieder neu, dass ich sagte,
dass es auch für uns notwendig ist, einzelne, die überlebt haben, wenn sie in diese
Freundes- und diese Gruppe, diese Kampfgruppe eingesperrt ... Ich will da mal ruhig
sagen Kampfgruppe. Nicht mit Waffen. Eine Kampfgruppe gegen den Faschismus.
K: Mh.
W: Hier.
K: Mh.
W: An Ort und Stelle. Und auch gegen die Reaktion.
K: Mh.
W: Auch gegen die Reaktion. Und die Reaktion war da.
K: Inwiefern?
W: Kam sehr schnell, ma- ...
K: Inwiefern?
W: ... massiv heraus.
K: Inwiefern? Wir sind jetzt Juni ’46, Sie
kommen zurück.
W: Ja. Zunächst alles bestens. Wir sitzen zusammen, wir treffen uns mit
Sozialdemokraten, jungen, und so weiter, nicht. Ich bin damals in der Partei.
K: In der KPD?
W: In der KPD. Und eh, ...
K: Wo haben Sie dann gewohnt hier in Hamburg-Eppendorf?
W: Wo habe ich gewohnt? In Flottbek hab’ ich ein
Quartier bekommen, weil ich Verwandte, meine Frau hatte Verwandte da, nä.
K: Mh.
W: Und eh, ich hatte auch die Hoffnung damals, dass wir so, wie ich das
sagte, von dem Kreisauer
Kreis bis zu den Kommunisten eine demokratisch, sozial ausgerichtete,
die Front, die das nie wieder hochkommen lässt, für ewig nicht. Und ich hatte die
Verpflichtung gesehen als Überlebender. Ich k-, konnte einfach
nicht, ich hatte das Gefühl, ich konnte da in England nicht bleiben,
während die andern zurückgehen eh, die Freunde, und hier mitarbeiten und ... Ist mir
sehr, sehr schwergefallen. Das muss ich sagen. Die haben mich gefragt: „Na, Wolf,
freust du dich nicht“, haben die Freunde gefragt, „daß du jetzt zurück nach
Deutschland
gehst?“
K: Mh.
W: Wissen Sie, was ich geantwortet hab’? „Ich k-, gehe nach Deutschland zurück, als ob
ich in den antifaschistischen Kampf wie in Spanien stehe. Ist für mich
eine Art Spanien.“
So, so unten war ich.
K: Mh.
W: Mit keinem Moment der Freude. Überhaupt nicht! Keinerlei Beziehung. Nur
meine antifaschistischen Freunde. Und die hab’ ich natürlich auch hier sehr schnell
gefunden, nä.
K: Mh. Wer waren das, diese Männer oder Frauen …
W: Das waren ...
K: ... dieser ersten Stunden?
W: ... überlebende Widerstandskämpfer.
K: Mh.
W: Sofort. Vor allen Dingen der Verfolgten des Naziregimes. Komitee
ehemaliger politischer Gefangener.
K: Mh.
W: Die mich sofort also, hab’ ich eine Zeitlang an der Jüdischen Gemeinde gearbeitet.
K: Mh. Apropos, Sie haben ja Ihren, bei der Jüdischen Gemeinde gearbeitet.
Sind Ihnen da Schicksale begegnet, und haben Sie Geschichten dann auch erzählt
bekommen?
W: Ich habe nur noch zu tun gehabt mit Menschen, die von ihren christlichen
Frauen gerettet wurden. Alle andern waren vernichtet.
K: Mh. Also Sie haben ...
W: Nur, in der Jüdischen
Gemeinde haben nur Leute mitgearbeitet, ...
K: Mh.
W: ... die dadurch am Leben, dass sie christliche Frauen hatten. Nur solche.
Ich habe keinen wieder getroffen, wo eine jüdische Ehe war.
K: Mh. Also Sie haben auch keine ehemalige KZ-Opfer dann, also kaum ... FW: Mh.
K: Kann ich kaum glauben. Es gab ja ... FW: Mh, ja, ja.
W: Doch es sind einige zurückgekommen, die überlebt haben. Zum Beispiel
Dr. Löffler, der hier
im Senat sehr hohe Stellung
hatte. Der in, in Theresienstadt, ja, der in Theresienstadt war.
K: Mh.
W: Von da zurückgekommen ist. Ja, wir haben ja, haben ja einige wenige
überlebt.
K: Mh. Ich mein’, haben Sie da dann auch karitative Dienste geleistet, oder
die kamen ja hochtraumatisiert zurück zum Teil?
W: Ja, natürlich. Eh, wir haben, haben da zusammen gewirkt, und es war ’ne
ganz schwierige Situation. Ich hab’ erst gearbeitet bei dem Komitee ehemaliger politischer
Gefangener, und dann bin ich, weil der Leiter der
Jüdischen Gemeinde mich
von früher, von der Jugendbewegung kannte, bat er
mich, ob ich ihm, bei ihm mit arbeiten würde, und dann habe ich das gemacht.
K: Wer, wer damals der Leiter?
W: Goldstein hieß
er, nä.
K: Mh.
W: ’ne Zeitlang, und dann hab’ ich angefangen, zu studieren, nä.
K: Mh. Mh.
W: Das war für mich auch das richtigste. Konnte ich wieder, konnte sofort
rein.
K: Mh.
W: Ich hatte mein Abiturzeugnis ...
K: Ja.
W: ... von ’33 in der Tasche.
K: Mh.
W: Haben mich sofort angenommen. Und dann begann es eigentlich aufwärts zu
gehen. Man kam mit jungen Leuten zusammen, mit vernünftigen, die nie wieder ...
„Ohne mich“, war die Bewegung da.
K: Mh.
W: Das war sehr sch-, schnell, also den Krieg so satt und ...
K: Mh.
W: ... dadurch ... Das war ’ne günstige Situation für mich, nä.
K: Mh.
W: Also ich muss sagen, hab’ ich dir auch erzählt, ich habe in Deutschland unter
Antisemitismus wenig zu leiden gehabt.
K: Mh.
W: Im Nachkriegsdeutschland.
K: Mh. Und es war für Sie auch kein Problem, also eh, das psychisch jetzt zu
verarbeiten? Das sind: Ich bin einer der wenigen Überlebenden.
Und ich bin jetzt in Hamburg.
W: Das war [unleserliches Material], ich bin da krank geworden natürlich.
K: Ja, ich wollt’ [unleserliches Material] ...
W: Das hängt damit zusammen.
K: Sie müssen wissen, ob ...
W: Ist klar, nicht. Also die ... [unleserliches Material]
W: Ja ja, ...
W: die Ärztin dann in, ...
W: ... die Ärztin in Bergen-Belsen, wo die, wo
ich hin zur Pflege kam, die hat gesagt: „Bei Ihnen ist das psychosomatisch.“
K: Mh.
W: Also, dass man dann anfälliger wird und so. Sicherlich.
K: Mh.
W: Also es war sehr problematisch.
K: Also es war ’46 / ’47
oder später?
W: Ja, war ’46. Ich bin ’46 zurückgekommen.
K: Mh. ’47 im Herbst mit Studium begonnen, und
’48 wurde ich, ’47 im H-,
Winter wurde ich schwer krank.
K: Mh.
W: Und da kam ich dann mit Hilfe der jüdischen Organisation nach Bergen-Belsen, wo
SS-Ärzte pflegen mussten, nicht, also Schwerkranke.
K: Mh.
W: Da kam ich natürlich mit Opfern, nur mit Opfern zusammen.
K: Mh.
W: Nä. Wie ich da noch in Bergen-Belsen, ich habe
noch versucht zu vermeiden die Stellen, wo, war am Rande, wo die f-, Sie wissen in
Bergen-Belsen
gibt es grauenhafte Stellen, ...
K: Mh.
W: ... wo die Menschen gefunden wurden, ...
K: Mh.
W: ... als die Engländer das Gebiet besetzten, nicht.
K: Mh.
W: Was sich da abgespielt hat. Die letzten Läger, nicht.
K: Mh.
W: Da haben Sie gehört davon?
K: Jaja.
W: All die Dinge hab’ ich miterlebt. Und, aber ich bereu’ es überhaupt
nicht. Es war schwierig, aber ich hab’ ja so, ich muss ja so dankbar sein, dass ich,
ich mein’, ich hab’ Ihnen ja mein Schicksal geschildert, so dankbar sein, wie ich
davongekommen bin. Und wenn ich ’ne Verpflichtung im Jahre 1934 spürte, etwas gegen die Nazis zu tun, ...
K: Mh.
W: ... dann muss ich doch weiterführen.
K: Mh.
W: Nicht nur gegen die Nazis, sondern vielleicht auch im positiven Sinne.
K: Mh. Mh.
[…]
Kurt van der Walde wurde am 20.1.1915 in Posen geboren, wuchs jedoch mehrheitlich in Hamburg-Eppendorf auf, wo sein Vater im Metallhandel tätig war. Kurt van der Walde absolvierte nach seinem Abitur am Heinrich-Hertz-Realgymnasium eine kaufmännische Lehre in einer Textilfirma. In seiner Freizeit war er in diversen linken (nicht-zionistischen) Jugendgruppierungen aktiv, unter anderem in der sozialistischen Revolutionären Jugendbewegung. 1936 wurde er verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Nachdem er 1938 aus der Haft entlassen wurde, emigrierte er nach England, wo er in Manchester im industriellen Sektor (etwa einer Drahtweberei) arbeitete. Er heiratete eine Exil-Hamburgerin und bekam mit ihr eine Tochter. Im November 1946 kehrte Kurt van der Walde nach Hamburg zurück, weil er sich politisch gegen reaktionäre Tendenzen im Nachkriegsdeutschland engagierten wollte. Er gehörte dem Freien Deutschen Kulturbund, später – bis zu deren Verbot 1956 – der Kommunistischen Partei an. Zudem war er im Komitee ehemaliger politischer Gefangener und in der Jüdischen Gemeinde aktiv und engagierte sich als Zeitzeuge für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Beruflich war er – nach einem Studium der Geschichte und Englisch – als Lehrer tätig. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete er erneut. 2003 verstarb Kurt van der Walde in Hamburg-Eppendorf.
Interview mit Kurt van der Walde, geführt von Alfons Kenkmann, am 9. und 30.5.1994, FZH / WdE 251., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-272> [12.07.2025].