Dieser Schmähtext gegen den jüdischen Arzt Simon Lefmans aus dem Jahr 1733 ist gleichermaßen eine Quelle für den Einzug von Juden in die deutsche Medizin als auch für den antisemitischen Widerstand, der sich dagegen regte. Bei dem Text handelt es sich um eine stark tendenziöse Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit des jüdischen Arztes Simon Lefmans (abweichende Schreibweisen: Lafmans, Leffmann, Leefmann ). Dieser hatte seit etwa 1700 in Hamburg als Arzt gewirkt und 1733 seine Dissertation „De Variolis“ [Über die Pocken] in Hamburg bei dem Buchdrucker Conrad König neu drucken lassen. In dem Artikel, dessen Autor unbekannt ist, wird die Veröffentlichung vordergründig im Sinne einer Rezension besprochen, zielt aber eigentlich auf Lefmans' Demontage aufgrund seiner jüdischen Herkunft ab.
Die „Niedersächsischen Nachrichten von Gelehrten neuen Sachen“ wurden in Hamburg herausgegeben und standen in der Tradition früher Gelehrtenzeitschriften. Die Zeitschrift erschien nur in den Jahren 1729 (bis 1731 unter dem Namen „Niedersächsische neue Zeitungen“) bis 1736 und folgte dem Beispiel anderer Rezensionsschriften wie der „Neuen Zeitschrift für Gelehrte Sachen“. Sie berichtete vierzehntägig zu allen Wissenschaftsbereichen mit einem Schwerpunkt auf dem Hamburger gelehrten Leben.
Der Text nennt zunächst einige biografische Daten des Arztes Simon Lefmans: Seine Disputation aus dem Jahr 1685 in Utrecht wird aufgeführt und er wird als „Jude, von Essen“ S. 737. eingeführt. Diese Angaben lassen sich bestätigen und ausführen: Lefmans, dessen Geburtsdatum unbekannt ist, hatte sich im Juni 1675 in Duisburg als Medizinstudent eingeschrieben und war damit der erste jüdische Student in Duisburg. Vgl. in der Datenbank zur Duisburger Universitätsmatrikel 1652-1818, https://www.uni-due.de/ub/archiv/universitaetsmatrikel.shtml (letzter Zugriff: März 2016). Auch der Quellentext erwähnt seine Zeit in Duisburg und gibt „Barbeck“ als seinen Lehrer an. Dabei handelt es sich um Friedrich Gottfried Barbeck S. 738, Professor der Medizin in Duisburg seit 1671 und überzeugter Anhänger der Naturphilosophie René Descartes.
In Simon Lefmans’ Biografie spiegeln sich deutlich die Veränderungen in der medizinischen Landschaft im 17. Jahrhundert: Er gilt als der erste aschkenasische Arzt in Hamburg und einer der ersten jüdischen Ärzte überhaupt, die an einer deutschen Universität Medizin studiert hatten.
Sehr langsam öffneten sich deutsche Universitäten für Juden. Zuvor konnten sie nur in Südeuropa oder an niederländischen Universitäten Medizin studieren. Als erster Jude in den Niederlanden wurde übrigens 1624 ein Hamburger Arzt in Kaneter promoviert, der Sefarde Benedict de Castro. 1652 wurde der erste Jude in Heidelberg promoviert. Es waren zumeist die philosophischen und eben die medizinischen Fakultäten, an denen sie sich einschreiben durften. Es sollte aber noch ein weiteres Jahrhundert dauern, bis Juden an allen deutschen Hochschulen promovieren durften.
Auch Lefmans entschied sich für eine Promotion in den Niederlanden. Er kehrte jedoch zunächst nach Abschluss seines Studiums aus Duisburg zu seinem Vater Levi Lefmans nach Essen zurück, wo dieser als Laiendoktor tätig war, und arbeitete mit ihm zusammen. Gleichzeitig wurde Simon Lefmans für sechs Jahre der Leibarzt von Bernhardine Sophia, der Essener Fürstäbtissin. Akademisch ausgebildete Ärzte stellten im 18. Jahrhundert noch eine Seltenheit dar und sie stiegen zu Behandlern der weltlichen und kirchlichen Eliten auf. Lefmans ging spätestens 1683 nach Utrecht und promovierte dort 1685 bei dem Theologen und Arzt Melchior Leydecker mit der Inaugural-Dissertation „De variolis“ [Über die Pocken]. Vermutlich um 1693 ließ sich Lefmans schließlich als „Medicus Practicus“ in Hamburg nieder.
In welchem Geist die Rezension seiner Arbeit verfasst ist, lässt schon der Registereintrag im Anhang der Niedersächsischen Nachrichten erahnen: „eines Juden Doktors alberne Disputation“ heißt es dort als Ankündigung. Der Text setzt dann alles daran, Simon Lefmans zu verunglimpfen. Die Argumentation folgt eng den zeitgenössischen antisemitischen Stereotypen und Legenden wie der Ritualmordlegende, wonach Juden angeblich das Blut von christlichen Kindern unter anderem auch für medizinische Zwecke benötigten. Lefmans wird vorgeworfen, gefährliche Geheimnisse zu haben und Informationen zu vertuschen. Es heißt, er verklausuliere „cabalistische Heimlichkeiten“ S. 738 in der hebräischen Einleitung seiner Dissertation, um sie vor den christlichen Kollegen zu verstecken. Auch im Resümee kommt der Autor zu dem Schluss, „[…] daß in dieser Disputation noch allerhand jüdische Geheimnisse stecken, die Doctor Lefmans auf Medicinische Weise vorgetragen.“ S. 745 Der Vorwurf des Autors heißt also, der Arzt hätte geheimes, gefährliches Wissen.
Immer wieder ist in dem Text von Lefmans abwertend als „jüdische[r] Arzt“ und „Juden-Doctor“ die Rede. Er wird beschuldigt, bei Rezepturen zu pfuschen, eine grundlegende Überheblichkeit an den Tag zu legen sowie die Absicht zu besitzen, seinen christlichen Patienten insgeheim schaden zu wollen. So heißt es: „Man soll, nach des Juden-Doctors heilsamen Rath den Pferde-Koth in Bier kochen und täglich davon trincken. […] Vielleicht hat Doctor Lefmans dergleichen Medicin aus einer besondern Absicht vorgeschlagen. Wir erinnern uns […] gelesen zu haben, daß die Juden glauben, wenn sie einst im Paradiese Rosen-Wasser trincken werden, die Gojim ausser demselben mit Pferde-Urin vorlieb nehmen müssen.“ S. 743
Der Autor bleibt in seinen Vorwürfen im Ungefähren, auf Quellen verweist er nicht. Gerüchte verstärkt und verbreitet er, wie die Äußerung zur jüdischen Vorstellung zum Leben nach dem Tod. Dass der Verfasser seine Quellen nicht nennt und es bei vagen Andeutungen wie „wir erinnern uns […] gelesen zu haben“ belässt, deutet daraufhin, dass er auf tradierte Stereotype und Klischees zurückgreifen konnte, die weder belegt noch näher erläutert werden mussten. Gerüchte über jüdische Ärzte hielten sich über Jahrhunderte und wurden im 20. Jahrhundert auch von den Nationalsozialisten wieder benutzt und verbreitet. So hieß es später, jüdische Frauenärzte wären sexuell übergriffig gegenüber ihren Patientinnen oder würden Impfungen bewusst verunreinigen. Diese Gerüchte mündeten in entsprechend diskriminierenden Bestimmungen nach 1933.
Seit jüdische Ärzte in Deutschland präsent waren, wurden sie auch zum Ziel antisemitischer Angriffe und Gegenstand polemischer Schriften. Ärzte und Theologen kritisierten und beschuldigten Juden im Allgemeinen und jüdische Ärzteim Besonderen sowohl in medizinischen als auch in moralischen Schriften. Stereotyp wurden jüdische Ärzte meist als unehrlich, heimlichtuerisch, böswillig und schlecht ausgebildet dargestellt. Auch der unbekannte Autor kommt zu dem Schluss: „Juden können nicht rechtschaffene Medicos abgeben, noch mit guten Gewissen von Christen gebraucht werden.“ S. 746 In den 1630er- und 1640er-Jahren waren kurz hintereinander drei Schriften als direkte Antwort auf die neue Konkurrenz erschienen, die daraus entstanden war, dass sich sefardische Ärzte erfolgreich in Hamburg niedergelassen hatten: Das waren 1632 und 1636 die polemischen Schriften der Hamburger Ärzte Jacob Martini und Joachim Curtius sowie die Schmähschrift „Judaismus oder Judenthumb“ (1644) von Johannes Müller, Senior an der Petrikirche in Hamburg. Angelehnt an die verbreitete Schrift des Arztes Ludwik von Hörnigks „Der Judenarzt“ von 1631 polemisierte Martinis „Apella Medicater Bullatus oder Der Judenarzt“ vehement gegen sefardische Mediziner.
Im Falle von Simon Lefmans sind auch die Reaktionen auf den Schmähtext überliefert. In der Ausgabe der Niedersächsischen Nachrichten vom 3.12.1733 heißt es, es hätten sich verschiedene „nicht geringe Christen“ gemeldet und sich gegen die Kritik an Lefmans gewandt mit der Begründung, dass „ein Juden-Doctor doch auch ein guter Arzt bey einem Christen seyn könne“. Um denjenigen die Augen zu öffnen, die Lefmans in Schutz nähmen, sei es daher nötig, die erwähnte antisemitische Schrift Apella medicater Bullatus von Jacob Martini neu aufzulegen, denn man müsse „die jüdischen Aerzte von Grund aus kennen, und begreiffen lernen“, um zu verstehen, „daß es eine schwere Gewissens-Sache für einen Christen sey, einem Juden und geschwornen Christen-Feinde seine Gesundheit anzuvertrauen“. Niedersächsische Nachrichten von neuen Gelehrten Sachen vom 3. Dezember 1733, Bd. XCV, S. 825f. Und tatsächlich erschien die über hundert Jahre alte Polemik noch im selben Jahr mit einem neuen Vorwort gegen „Pfuscher“, das sich direkt gegen Lefmans richtete. Über Lefmans weiteres Leben und Wirken in Hamburg ist bislang nichts bekannt, ebenso wenig sein Todesdatum.
Der Text in den Niedersächsischen Nachrichten dokumentiert eindrücklich zum einen die große Sichtbarkeit, die akademisch ausgebildete Ärzte in der Zeit genossen, und gleichzeitig welche feindlichen Reaktionen die jüdischen Ärzte in Hamburg und darüber hinaus auslösten.
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Anna Villiez-Kupisch, Dr. phil., geb. 1974, ist Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule in Hamburg. Zu ihren Forschungsinteressen zählen: Medizingeschichte in Kolonialzeit und Nationalsozialismus, Wissenschaftsgeschichte, Provenienzforschung und die Entstehungsgeschichte anatomischer, ethnologischer und anthropologischer Sammlungen.
Anna von Villiez, Der aschkenasische Arzt Simon Lefmans. Jüdische Mediziner und antisemitischer Widerstand, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 27.09.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-155.de.v1> [21.12.2024].