[…]
I: Und dann erzählen Sie doch nochmal, wie Sie nach Peru gekommen sind.
M: Weil mein Bruder da war.
I: Ja.
M: Da wollte ich nach zehn Jahren mal meine Brüder wiedersehen. Denn der aus
England war
inzwischen auch das ewige Kühemelken bei Mrs Mc
Donald oder so müde geworden. Haha. Hat auch immer…
I: Ja.
M: Und ist nach Peru gegangen.
I: Und dann sind…
M: Haben uns alle wiedergesehen.
I: Sind Sie alle drei dort geblieben?
M: Ja. Und wir haben gedacht, wir würden immer da bleiben.
I: Ja.
M: Mein Bruder hatte, der dort war, hatte
ja geheiratet und hatte Kinder.
I: Mhm.
M: Und ich war als Tante sehr brauchbar.
I: Mhm.
M: Die Mutter wollte ja auch mal
ausspannen. Und, ähm… Da hatten wir das schöne Zentrum mit diesem schönen Garten,
woraus wir gut mit Gemüse gefüttert wurden. Und… Wir haben die Kinder heranwachsen
gesehen. […] Unterbrechung im Original (Besuch des Bruders, Tonband wird abgestellt).
I: Ja… Und wären Sie ohne den Leuchtenden Pfad auf die Idee gekommen zurückzugehen?
M: Nein.
I: Sie wären dageblieben?
M: Jawohl.
I: Aha… Ja. Wann fing das an mit dem Terror?
M: Ach, ungefähr zehn Jahre mindestens.
I: Mhm.
M: Schon in den achtziger
Jahren.
I: Wie lange sind Sie jetzt wieder hier?
M: Drei Jahre.
I: Ach, drei Jahre erst.
M: Mhm.
I: Mhm. Also, das heißt Sie haben das doch eine ganz schön lange Zeit
ausgehalten und...?
M: Ja. […] Kurzer Exkurs über weitere Jobs in der Textilbranche in Peru
I: Was hat denn den Ausschlag gegeben zurückzugehen? Ich mein‘ wenn Sie…
M: Daß mein Bruder überfallen und
verkloppt, ver… ver… ver… verprügelt wurde.
I: Achso. Ja.
M: Der, der eben reinkam.
I: Ja.
M: Dem haben sie das Schlüsselbein gebrochen und so’n Blödsinn.
I: Und Ihr anderer Bruder ist aber dort
geblieben?
M: Ja. Der hat noch… Erstens hatten wir das große… oder hatte er das große
Grundstück, wo das Haus, was Sie gesehen haben...
I: Mhm. […] Tür
öffnet sich von selber und Franziska Mayer steht auf, um sie zu
schließen.
M: Und im Moment will niemand und kann niemand, äh, Geld, anlegen oder
größere Güter, äh, erwerben.
I: Mhm.
M: Zum Beispiel die Farm, äh, wo jetzt das Waisenhaus ist - Sie haben das
Bild gesehen, wo auf dem Heuboden der Webstuhl steht…
I: Ja.
M: Ähm. Was hab ich gesagt? Das konnte nur zu einem Drittel des, äh,
erklärten Preises verkauft werden.
I: Also das heißt Ihr anderer Bruder wäre
auch mitgekommen, wenn er, also...
M: Nicht mitgekommen. Wir sind unabhängig voneinander. Seine Frau würde bestimmt nicht im Altersheim wohnen. Das,
also selbst, wenn ich… Aber ich wollte... Mein Bruder ist sehr ähm, orthodox geworden, der, der hier eben reinkam.
Und der wollte ins jüdische Altersheim.
I: Mhm.
M: Und ich hätte auch nicht mit, äh, - damals war ich 75 - hätte ich auch
nicht irgendwo Geld verdienen können, um uns beide zu unterhalten und den Hausstand
zu führen. Ich mußte ins Altersheim.
I: Ja.
M: Und, ähm…
I: Ist es Ihnen schwergefallen, nach Hamburg zurückzukommen?
M: Och Gott… Ich hab nun schon im Waisenhaus gelebt und im Kleiderha… lager
gearbeitet, und im Krankenhaus gearbeitet und, haha, all diese Dinge gemacht. Also
gut, kann man Alt… Altersheim auch mal probieren, no? So, so in dem Stil.
I: Ja.
M: Hehe.
I: Hehe.
I: Ja…Und Sie haben dann auch gleich hier was bekommen?
M: Was heißt…?
I: Also…
M: Mein zweiter Bruder ist nach Hamburg gefahren, mein… der
Bruder, der eben hier war. Wir woll’n mal sagen
Reinhard, ne? Reinhard hat durch… hat immer die Allgemeine gelesen, und da hat
er ‘nen Artikel gefunden von Arie Goral. Und dann
hat er an Arie Goral
geschrieben, gibt es nicht ‚n Altersheim.
I: Mhm.
M: Und da hat Arie Goral wieder
geschrieben, ja, das gibt es. Hehe. Und daraufhin ist mein Bruder Wilhelm, der da das…
I: Der andere.
M: …Geschäft hatte, der ist hergereist und hat sich das mal angeguckt, und
hat zwei Zimmer gemietet. Telefon im
Hintergrund
I: Ah ja.
M: Ganz einfach.
I: So war das. Ja…
M: So war das.
I: Wann sind Sie denn das erste Mal nach Hamburg zurückgekommen,
nach‘m Krieg, oder waren Sie
die ganze Zeit nicht da?
M: Ich war niemals da, nie wieder zurückgekommen. Weder von Neufundland, noch von
Amerika, noch
von Peru. […] Ton im Original
ausgefallen (Tonstörung rausgekürzt).
M: Ja.
I: 1989...
M: ... wiedergekommen.
I: Wiedergekommen?
M: Ja. ’38 bis ’89…
I: Das ist ja eine lange Zeit, da hat sich die Stadt ja auch sehr
verändert.
M: Na, weiß Gott. Vor allen Dingen sieht man keine Trümmer mehr, man sieht
aber lauter neue Häuser, die nach dem Krieg gebaut sind. Telefon im Hintergrund
M: Nun hör mal auf!
I: Ja hier ja auch, nech? Dieses Haus. Also…
M: Ja, na eben!
I: Ja.
M: Die ganze jüdische Gemeinde ist ja erst nach dem Krieg...
I: Ja. Haben Sie denn hier in Hamburg überhaupt noch
jemanden wiedergetroffen, den Sie kannten?
M: Ja! Ich hab zwei Klassentage.
I: Mhm
M: Hehe. Einmal von Firgau und einmal von
Curschmannstraße.
I: Aha.
M: Abitursklasse. Erstens! Also Schulbekannte.
I: Mhm.
M: Und zweitens hatten wir noch eine Cousine von dem
Wohlwill-Clan.
I: Ja.
M: Die hat christlich geheiratet und hat also mit genauer Not überlebt.
Stand schon auf der Liste, wie der Krieg aufhörte.
I: Mhm.
M: Aber… So, also… Und… Die hat, äh, einen Brandis geheiratet, dessen Söhne
- der Thomas Brandis, der
Geiger, und der, ähm, ein Rechtsanwalt, ein Arzt und noch irgendwas-, vier Söhne,
und die haben alle noch und noch Kinder. Also Verwandte fehlen nicht.
I: Mhm, ja.
M: Nur die wohnen dann in Süddeutschland… oder so. Aber in Hamburg gab‘s auch ‘n
bisschen…
I: Und sie hatten keine unguten Gefühle, hier wieder zurückzukommen? Telefon im Hintergrund
M: Also direkt Antisemitismus persönlich hab‘ ich eigentlich nie erlebt.
I: Mhm.
M: Außer in der Zeit, ähm, steht da auch alles ziemlich gut, in der Zeit vor
der Auswanderung ne, weil eben all diese Lieder gesungen wurden und all so
Geschichten ne, also…
I: Ja… […]
Franziska Mayer wurde am 4.7.1914 in eine Hamburger Kaufmannsfamilie geboren. Sie besuchte das Firgau-Lyzeum in der Sierichstraße und absolvierte danach eine Lehre zur Weberin. 1938 gelang ihr die Flucht nach Peru, wo bereits einer ihrer Brüder lebte und wohin später auch ihr zweiter Bruder auswanderte. Ihre Eltern wurden deportiert und ermordet. In Peru arbeitete Franziska Mayer in der Textilbranche und lebte gemeinsam mit ihren Brüdern und deren Familien. Aufgrund des bewaffneten Kampfes der Guerillaorganisation „Leuchtender Pfad“ kehrte sie 1989, im Alter von 75 Jahren, nach Hamburg zurück. Sie zog ins jüdische Altersheim, wo sie 1994 verstarb. Zwei Jahre vor ihrem Tod gab sie der Werkstatt der Erinnerung ein Interview, in dem sie auch über ihre Remigration sprach. Weitere Interviews aus der Werkstatt der Erinnerung finden sich hier.
Interview mit Franziska Mayer, geführt von Beate Meyer, am 14.12.1992 [in Auszügen]., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-267> [30.12.2024].