[…]
D: Ja, und dann kamen nachher dann die fünf, glaube ich, fünf, äh, diese,
äh, Soldatenwagen kamen nachher und haben uns, im September war das bin
ich wieder zurückgekommen, ne, September war das. Wieder zurückgekommen
mit Wagen. Da sind meine Oma, meine beiden Tanten
und ich. Wir waren in einem Waggon, in einem, äh,
äh, Überfallkommandowagen, und meine Tante und
meine Mutter, die sind einen Tag vorher schon
Zuhaus gewesen. Und da war dann Marie-Luisen-Straße war da so ne große, da ist doch so ne Schule, da sind wir angekommen
auf’n Sonntagmorgen.
A: Mhm
D: Ja. Und dann wurden wir verteilt, und dann kam mein Großvater und hat uns nach Hause gebracht. Mein Opa hatte sich ja scheiden lassen müssen von meiner
Oma, sonst wär sie nach Auschwitz gekommen, und,
ja. Aber wir sind alle erst mal, äh, alle sechs erst mal unterm Tisch geschlafen,
die Nacht von Sonntag auf Montag. Und am Montag ging es dann so weiter, dass wir
dann irgendwo uns mal, äh, und das, das ist ja, dass wir irgendwo unterkamen, weil
wir ja keine Wohnung hatten. Das dauerte auch bald, glaube ich, ‘n Monat da, da denn
haben wir von der jüdischen
Gemeinde dann die Kielortallee, das Haus bekommen.
A: Mh. Mh.
D: Da waren ja SS-Mann. Und da haben sie die Möbel, da waren noch mehrere
Juden, die auch dahinkamen in die Kielort-, ähm, Kielortallee. Und, äh, die haben dann
die Möbel aus den, ähm, Zimmern rausgeschmissen von oben. Hehe. Ins, wie heißt eben
auf die, auf die Erde. Aber draußen war das, ne, schon. Wir hatten ja so ‘n U-Haus,
und da haben sie einfach die Möbel rausgeschmissen von den SS-Leuten, ne. Und
äh, dann sind die Juden eingezogen. Mehrere aber, ne.
A: Mhm.
D: Das war nachher ‘n richtiges, so‘n, Halb-, wo die Halbjuden sind.
A: Mhm.
D: Ja. Und da unten war noch die Synagoge,
erste Etage und unten Parterre. Das war früher ein, ein jüdisches Altersheim.
A: Mhm.
D: Also, Alterswohnheim so wollen mal sagen, ne. Die haben ihre Wohnungen
gehabt, aber es war so für ältere Leute, ne. Früher vorm, vorm Krieg.
A: Mhm.
D: Ja und dann, weiß ich nicht…
A: Da haben Sie dann ja auch ganz schön lange gewohnt, ne, in der, in der
Kielortallee.
D: Ja, da hab ich von ’45 bis ’78.
A: Mh.
D: Bis 1978 hab ich da gewohnt. ’78 bin ich hier reingezogen. Die jüdischen Gemeinde hat ja die
Häuser verkauft. […] Rausgekürzt: Tapewechsel
A: Als Sie dann wieder in Hamburg waren, haben Sie
überlegt, äh, aus Deutschland wegzugehen?
D: Nee. Überhaupt nicht. Da war ich erst 17.
A: Mhm.
D: Im 18. Jahr, äh, Alter. Überhaupt nicht. Wir waren froh, dass wir wieder
da waren.
A: Mhm.
D: Wir haben ja alle immer zusammengelebt. Auch meine Mutter und meine Tanten, die haben all, wir haben alle immer
zusammengear-äh, zusammen in einer Wohnung gelebt.
A: Mhm.
D: Alle. Bis wir nachher uns dann getrennt haben, nicht, meine Mutter hat dann mit meiner Tante dann in der Alsterchaussee gewohnt und mit meinen Schwestern, und ich war dann
bei meinen Großeltern. […] Rausgekürzt: Über die Kindheit in Hamburg, die Verfolgung
als Jüdin, das Leben in Theresienstadt
D: Ja. Aber wir waren froh, dass wir wieder zu Hause waren.
A: Ja. Mh, das glaube ich.
D: Die erste Nacht haben wir alle unterm Bett, unterm Tisch geschlafen. Wir
waren dann, mein Großvater, ja, wir waren da mit
sechs Mann, oh. Er hatte ja nur ein Zimmer gehabt.
A: Mhm.
D: Er hat nachher durch Polizeigewalt hat er, haben sie ihm auch, äh, die
Leute, die, bei denen er als Untermieter gewohnt hat, die mussten noch ein Zimmer
abgeben.
A: Mhm.
D: Die wollten das ja nicht.
A: Mhm.
D: Aber mussten sie.
A: Ja.
D: Nicht, und die hatten noch ne Katze, da musste die Toilettentür auch
immer aufbleiben. Das merk ich jetzt erst. Ich hab ja meine Toilettentür ja auch
immer auf, ne. Aber die ist richtig auf die Toilette gegangen.
A: Auf die, auf die richtige?
D: Richtig auf die richtige Toilette ist die gegangen.
A: Klasse!
D: Ja. Das also, das hat mich auch gewundert, ne.
A: Mhm.
D: Aber die mussten nachher, ...
A: Mhm.
D: … mussten die ihr bestes, ähm, Zimmer abgeben und da haben wir dann zwei
Zimmer gehabt.
A: Mh. Das war wahrscheinlich ganz anders wieder zurück in Hamburg zu sein und auf
einmal ohne Stern rumlaufen zu können und hinzugehen, wohin…
D: Ja. Ja. Ja.
A: …man wollte.
D: Ja. Das war erst, zuerst ganz komisch. Frei, hab ich alles wiedererkannt.
Ich denk, du kommst wieder zurück. Das war irgendwie also, äh, ich weiß selber
nicht, was ich da gedacht hab. Wie ich da mit Frau Guth dann nachher zur Karolinenstraße
gegangen bin zu meinem Heim, in den Laufgraben, da waren wir ja überall. Da war ich überall mit Frau
Guth. Ich hab gedacht, das gibt’s doch gar
nicht, dass du hier wieder kommst. Ich hab in Theresienstadt nun schon
manchmal gedacht, das geht mir nachts immer alles durch den Kopf: Wie kommst du hier
überhaupt wieder raus? Ja, müssen wir hier ewig bleiben? Das ist so, waren so meine
Gedanken immer. Man macht sich ja auch Gedanken, oder nicht?
A: Ja, klar.
D: Das ist doch ganz normal.
A: Das ist normal.
D: Und dann wie wir da mit fünf, äh, Autos da wieder nach Hause kamen.
[…]
Ruth Dräger, geb. Geistlich, kam 1928 in Hamburg zur Welt und wuchs zunächst im jüdischen Mädchenwaisenhaus Paulinenstift am Laufgraben auf. Nachdem die Talmud-Tora-Schule 1941 geschlossen wurde, musste sie im Alter von 13 Jahren Zwangsarbeit in einer Pulverfabrik leisten. 1943 wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester sowie einer Tante nach Theresienstadt deportiert. Alle vier überlebten und kehrten im August 1945 nach Hamburg zurück, wo sie fortan lebten. In dem Interview mit der Werkstatt der Erinnerung aus dem Jahr 2007 erzählt sie von ihren Eindrücken und Erfahrungen bei ihrer Rückkehr nach Hamburg. Weitere Interviews aus der Werkstatt der Erinnerung finden sich hier.
Interview mit Ruth Dräger, geb. Geistlich, geführt von Linde Apel, am 13.9.2007 [in Aszügen]., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-268> [21.11.2024].