M Jens Michelsen: Wir haben ein Interview mit Frau Bauer gemacht, Beate Meyer hat das
Interview
gemacht, 1993
B Esther Bauer:
ja
M: war das und
jetzt sind Sie wieder in Hamburg zu Besuch. Sie waren in der
Zwischenzeit ein paar Mal
hier und haben gesagt, Sie wären doch gerne bereit noch
einmal zu erzählen. Was
war Ihre Motivation, dass Sie uns noch mal berichten wollen?
B: Also (lacht leicht),
mein Mann
Werner Bauer war furchtbar eifersüchtig.
M: mhm
B: Und was ich nicht erzählte war, dass ich in
Theresienstadt
geheiratet habe.
M: Ah ja?
B: Und zwar, ich traf den jungen Mann
Hanuš (Honza)
Leiner (1914–1945?) wurde 1941 aus seinem Geburtsort
Prag nach
Theresienstadt
deportiert. Laut Esther Bauer war er in
Theresienstadt als
Koch tätig. Am 28.9.1944
wurde er nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dieser Transport umfasste 2.488
Personen, 2.015 überlebten nicht. am ersten Tag, als wir nach Theresienstadt
einmarschierten. Er war Koch und war Tscheche, und sprach
natürlich kein Wort
Deutsch, und ich kein Wort Tschechisch. Und wir wurden auf
so ’n Boden von einer
Kaserne ehm (.) getan
M: When you got problems just drop into English, it’s no problem
B: Ja, we/we had to walk up
to the attic – also der/der Boden von dieser Kaserne,
furchtbar
schmutzig, keine Wände. Wir waren vielleicht tausend Menschen aus
Hamburg und Männer,
Frauen, Kinder zusammen, keine Betten, nichts zum Hinsetzen,
nur der Boden. Und
wie wir also an dieser Küche vorbeigingen sah ich, wie dieser junge
Mann
Hanuš Leiner mich anguckte. Und als
Mädchen weiß man, der kommt mir nach (lacht leicht).
Und das hat er auch gemacht. Und natürlich konnte ich nicht mit ihm sprechen, denn
wir
hatten nicht die gleiche Sprache. Und dann brauchten wir immer jemand
anders, der
uns das übersetzt hat. Und mit dem war ich dann monatelang
befreundet. Ich lernte
dann Tschechisch und er hat mir viel geholfen. Er hat
mir immer ein bisschen mehr
Essen gegeben, auch meiner Mutter Marie Jonas, geb. Levinsohn. Und sein Bruder war
Tischler. An und für sich war
er
Architekt, aber in Theresienstadt wurde er wieder
Tischler. Und hat uns Betten
gemacht und wir waren
fünf oder sechs Frauen, mit meiner
Mutter Marie Jonas, geb.
Levinsohn zusammen, in einem
Zimmer. Und so brauchten wir
nicht mehr in der Kaserne zu wohnen. Das war natürlich
später schon. Und dann
im Oktober ’44 heirateten wir. Und zwar wurde uns
gesagt, man
muss diese Ehe wiederholen nach dem – also wenn – nach der
Befreiung sollte eine
stattfinden, dass es nur im Getto gültig war und
nicht/nicht an – auf der outside. Und
nach
drei Tagen (räuspern), wie ja immer dieser Terror war,
wurden Leute
weggeschickt, und auch mein Mann
Hanuš Leiner. Man sagte, da würde ein
neues Getto aufgebaut
werden in/in der Nähe von Dresden. Und so nach ein
paar Wochen oder nach einer
Woche, hieß es, die Frauen von diesen Männern
können ihren Männern nachgehen.
Und da ich erst drei Tage verheiratet war,
natürlich bin ich gegangen. Und ich bin wohl
eine der wenigen, die freiwillig
nach Auschwitz gegangen ist.
Denn wir haben nie
Dresden gesehen.
Mein Mann
Hanuš Leiner auch nicht. Was ich später
hörte, er kam nach Auschwitz
und hat es nicht überlebt. Und ich landete auch in
Auschwitz natürlich (tiefes Einatmen).
Von da, ich glaube, das hatte ich
schon vorher erzählt, wurde ich ausgesucht für einen
Transport nach Freiberg in Sachsen. Da
haben wir Flugzeuge gebaut.
Interview mit Esther Bauer (B) vom 20.11.1998, Interviewer: Jens Michelsen (M), Minute 00:09 bis 3:53, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-3.de.v1> [21.11.2024].