Interview mit Esther Bauer (B) vom 20.11.1998, Interviewer: Jens Michelsen (M), Minute 00:09 bis 3:53

    M Jens Michelsen: Wir haben ein Interview mit Frau Bauer gemacht, Beate Meyer hat das Interview
    gemacht, 1993
    B  Esther Bauer: ja
    M: war das und jetzt sind Sie wieder in Hamburg zu Besuch. Sie waren in der
    Zwischenzeit ein paar Mal hier und haben gesagt, Sie wären doch gerne bereit noch
    einmal zu erzählen. Was war Ihre Motivation, dass Sie uns noch mal berichten wollen?
    B: Also (lacht leicht), mein Mann  Werner Bauer war furchtbar eifersüchtig.
    M: mhm
    B: Und was ich nicht erzählte war, dass ich in Theresienstadt geheiratet habe.
    M: Ah ja?
    B: Und zwar, ich traf den jungen Mann  Hanuš (Honza) Leiner (1914–1945?) wurde 1941 aus seinem Geburtsort Prag nach Theresienstadt deportiert. Laut Esther Bauer war er in Theresienstadt als Koch tätig. Am 28.9.1944 wurde er nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dieser Transport umfasste 2.488 Personen, 2.015 überlebten nicht. am ersten Tag, als wir nach Theresienstadt
    einmarschierten. Er war Koch und war Tscheche, und sprach natürlich kein Wort
    Deutsch, und ich kein Wort Tschechisch. Und wir wurden auf so ’n Boden von einer
    Kaserne ehm (.) getan
    M: When you got problems just drop into English, it’s no problem
    B: Ja, we/we had to walk up to the attic – also der/der Boden von dieser Kaserne,
    furchtbar schmutzig, keine Wände. Wir waren vielleicht tausend Menschen aus
    Hamburg und Männer, Frauen, Kinder zusammen, keine Betten, nichts zum Hinsetzen,
    nur der Boden. Und wie wir also an dieser Küche vorbeigingen sah ich, wie dieser junge
    Mann  Hanuš Leiner mich anguckte. Und als Mädchen weiß man, der kommt mir nach (lacht leicht).
    Und das hat er auch gemacht. Und natürlich konnte ich nicht mit ihm sprechen, denn wir
    hatten nicht die gleiche Sprache. Und dann brauchten wir immer jemand anders, der
    uns das übersetzt hat. Und mit dem war ich dann monatelang befreundet. Ich lernte
    dann Tschechisch und er hat mir viel geholfen. Er hat mir immer ein bisschen mehr
    Essen gegeben, auch meiner Mutter Marie Jonas, geb. Levinsohn. Und sein Bruder war Tischler. An und für sich war
    er Architekt, aber in Theresienstadt wurde er wieder Tischler. Und hat uns Betten
    gemacht und wir waren fünf oder sechs Frauen, mit meiner Mutter Marie Jonas, geb. Levinsohn zusammen, in einem
    Zimmer. Und so brauchten wir nicht mehr in der Kaserne zu wohnen. Das war natürlich
    später schon. Und dann im Oktober ’44 heirateten wir. Und zwar wurde uns gesagt, man
    muss diese Ehe wiederholen nach dem – also wenn – nach der Befreiung sollte eine
    stattfinden, dass es nur im Getto gültig war und nicht/nicht an – auf der outside. Und
    nach drei Tagen (räuspern), wie ja immer dieser Terror war, wurden Leute
    weggeschickt, und auch mein Mann  Hanuš Leiner. Man sagte, da würde ein neues Getto aufgebaut
    werden in/in der Nähe von Dresden. Und so nach ein paar Wochen oder nach einer
    Woche, hieß es, die Frauen von diesen Männern können ihren Männern nachgehen.
    Und da ich erst drei Tage verheiratet war, natürlich bin ich gegangen. Und ich bin wohl
    eine der wenigen, die freiwillig nach Auschwitz gegangen ist. Denn wir haben nie
    Dresden gesehen. Mein Mann  Hanuš Leiner auch nicht. Was ich später hörte, er kam nach Auschwitz
    und hat es nicht überlebt. Und ich landete auch in Auschwitz natürlich (tiefes Einatmen).
    Von da, ich glaube, das hatte ich schon vorher erzählt, wurde ich ausgesucht für einen
    Transport nach Freiberg in Sachsen. Da haben wir Flugzeuge gebaut.

    Quellenbeschreibung

    Bei der hier präsentierten Quelle handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem lebensgeschichtlichen Interview mit Esther Bauer, das am 20.11.1998 von Jens Michelsen für die Werkstatt der Erinnerung (WdE), dem Oral History Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, geführt wurde. Es ist das zweite von fünf Interviews mit Esther Bauer, die in der WdE archiviert werden. Das Interview fand auf Initiative von Esther Bauer während ihres Aufenthaltes in Hamburg anlässlich der Benennung der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule nach ihrem Vater Alberto Jonas am 9.11.1998 statt. Die Aufzeichnung des gesamten Interviews (Audiokassette, digitalisiert) hat eine Länge von 120 Minuten und liegt in guter Tonqualität vor. Die Audioaufnahme wurde verschriftlicht. Das von Esther Bauer korrigierte Transkript umfasst 31 Seiten. Audioaufnahme und Transkript sowie weitere Interviews, persönliche Dokumente und Fotos von Esther Bauer werden in der Werkstatt der Erinnerung unter der Signatur FZH/WdE 112 archiviert.
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    Empfohlene Zitation

    Interview mit Esther Bauer (B) vom 20.11.1998, Interviewer: Jens Michelsen (M), Minute 00:09 bis 3:53, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-3.de.v1> [21.11.2024].