In insgesamt elf Artikeln wurden unter anderem die folgenden Rechte gewährt: In ihrer Synagoge sollte die Gemeinde Gottesdienst nach jüdischem Ritus halten können, auch auf ihrem Friedhof Begräbnisse nach eigener Gewohnheit veranstalten. Die zur Ausübung ihres Kultus notwendigen Funktionsträger, wie Rabbiner, Vorsänger und Schuldiener, sollten vom Schutzgeld befreit sein, da stillschweigend unterstellt wurde, dass sie keiner gewerblichen Tätigkeit nachgehen konnten. Die gleiche Befreiung sollte für die Kinder der Schutzjuden gelten, auch wenn sie verheiratet waren, solange sie im väterlichen Haushalt verblieben. Die Ausübung des Kauf- und Verkaufsgeschäft sollte ebenso erlaubt sein wie die Schächtung. Für das von ihnen ausgeübte Darlehens- und Pfandgeschäft wurde ihnen ein Zinssatz von wöchentlich 27 Prozent erlaubt, mehr als doppelt soviel wie in der vorhergehenden Zeit. Der Verkauf verfallener Pfänder sollte ihnen nach Jahresfrist unter Einschaltung des Vogtes von Ottensen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein. Weitere Einschränkungen bezogen sich auf Rechtsmängel der Pfandsache. Bedeutsam war aber die Bestimmung, dass die gütliche Schlichtung ohne Hinzuziehung des Ottensener Vogts bei Streitigkeiten mit geringfügigem durch das rabbinische Gericht erlaubt sein sollte. Eine Strafbefugnis stand der Gemeinde in nur geringem Umfang zu, und konnte wohl auch nur durch den Bann als Zuchtmittel ausgeübt werden. Dazu kam eine allgemeine Friedenspflicht (Art. 10), der auch die pünktliche Zahlung des Schutzgelds (jeweils zu Ostern) zugerechnet wurde. Und schließlich wurde die Beherbergung fremder Juden auf die Frist von vierzehn Tagen beschränkt.
Das vorliegende Privileg ist das erste, das König Christian IV. von Dänemark für Altonaer Juden ausstellte. Er war Erbe des in männlicher Linie ausgestorbenen Geschlechts der Grafen von Holstein-Schauenburg. Mit dem Tode Graf Ottos VI. als dem bisherigen Schutzherrn entstand das Bedürfnis, die zuletzt 1622 an die damals 30 jüdischen Familien in Altona erteilten Rechte vom neuen Schutzherrn bestätigen und aktualisieren zu lassen. Also wandte sich die hochdeutsche (aschkenasische) Judenschaft Altonas an den für die Herrschaft Pinneberg nunmehr zuständigen dänischen König, um von ihm eine umfassende Erneuerung ihrer Privilegien zu erhalten. Sie nutzte offensichtlich die Gelegenheit des Herrschaftswechsels, die bisher in Einzelprivilegien unübersichtlich gewordenen Verbriefungen ihrer Rechte systematisieren und soweit als möglich erweitern zu lassen. Ergebnis war ein von ihnen mit den Amtsleuten in Pinneberg ausgehandelter Entwurf, der seinem Wortlaut nach lediglich ältere Rechte bestätigte, in Wirklichkeit aber über diese weit hinaus ging, zumindest eine von den bisherigen Normen abweichende Praxis bestätigte. Allerdings hatten sie dafür nun ein verhältnismäßig hohes jährliches Schutzgeld (fünf Reichstaler) zu entrichten. Betroffen waren davon auch die in Hamburg wohnenden Juden, soweit sie der Altonaer Gemeinde zugerechnet wurden. Zum Zeitpunkt der Schutzerteilung in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts konnten offenbar zehn jüdische Familien in Altona von den Vergünstigungen profitieren. Legt man hier eine Haushaltsgröße von 6 bis 6,5 Personen zugrunde, wie sie in den gleichen Jahren für die Landgrafschaft Hessen hatte ermittelt werden können, so könnte man davon ausgehen, dass mindestens 60 Juden in den Genuss des Privilegs kamen.
Zum Verständnis sei angemerkt, dass die Praxis der Schutzgewährung durch einen Schutz- oder Geleitbrief seit dem späten Mittelalter in allen Territorien, in denen Juden ansässig waren und geduldet wurden, gebräuchlich war. Eine solche Verbriefung erlaubte es Juden unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen ihrem Gewerbe nachzugehen, ohne mit einer Ausweisung rechnen zu müssen – sofern das Schutzgeld pünktlich entrichtet und die auferlegten Verpflichtungen erfüllt wurden. Ein „Generalprivileg“ war in diesem Rahmen nichts anderes als ein für eine Gruppe von Juden geltender Geleitbrief.
Das Altonaer „Generalprivileg“, mit dem erstmals in Altona die bisher meist individuell gewährten Geleitrechte einer Gemeinschaft unabhängig von ihrer Größe erteilt wurden, markiert den Beginn der Verfassungsentwicklung einer bedeutenden jüdischen Gemeinde, der rechtsgeschichtlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Abgesehen davon, dass der Wandel vom Schutzbrief zum Privileg eine schrittweise Angleichung der Rechte einer nichtchristlichen Sondergruppe an diejenigen der christlichen Untertanen bewirkt, wurde damit eine begrenzte autonome Stellung einer jüdischen Gemeinde innerhalb eines Untertanenverbandes anerkannt; sie war damit nicht mehr nur die Summe individueller Schutzrechte unterschiedlichen Umfangs. Es wurde zwar ausdrücklich der – in der gekürzten Fassung des Dokuments nicht wiedergegebene – Vorbehalt gemacht, dass die Privilegierung nur soweit gelten sollte, als sie schon von der gräflichen Regierung gewährt worden war, da dies mangels älterer Dokumente nicht nachgewiesen werden konnte, spielte diese Einschränkung jedoch keine praktische Rolle. Ausdrücklich wurde gesagt, dass die Privilegien gelten sollten, soweit sie von den vorherigen Grafen den Altonaer Juden eingeräumt worden waren, „auch weider nicht“. Mit diesem normativen Kunstgriff konnte sich der König die Rücknahme vorbehalten, musste dann allerdings definitiv nachweisen, dass das strittige Recht vorher nicht bestanden hatte
Rechtshistorisch bedeutsam ist außerdem, dass die Bestimmungen des Privilegs der Gemeinde nicht etwa in einem einseitigen Rechtsakt verliehen wurden. Vielmehr ging ein Aushandlungsprozess zwischen dem Repräsentanten der Herrschaft, wohl dem Vogt zu Ottensen, und Vertretern der Gemeinde voraus. Eine einseitige Rücknahme war somit nicht mehr ohne weiteres möglich, sodass seither eine verhältnismäßig stabile Grundlage für die Verfassung der Gemeinde bestand. Der Geleitschutz, der in der holstein-schauenburgischen Zeit individuell gewährt worden war und deshalb nur individuell gegen die Herrschaft verteidigt werden konnte, war zu einem „staatlich“ garantierten Bestandsschutz für die gesamte Gemeinde geworden. Daraus folgt, dass die jüdische Gemeinde Altonas – ohne als solche bezeichnet zu werden – ab 1641 als juristische Person anerkannt war, die erst jetzt einem einheitlichen Schutzherrn zugeordnet wurde. Am Schutz der Gemeinde konnten ihre Glieder solange partizipieren, als sie das jährliche Schutzgeld zahlten und sich gegenüber dem Schutzherrn ebenso wie gegenüber allen anderen rechtstreu verhielten („geleytlich, schiedlich und friedlich“).
Dies wird auch deutlich in der Übertragung verschiedener korporativer Rechte an die Gemeinde. Das bedeutsamste unter diesen war die Institutionsgarantie für religiöse Rechte, auch wenn man hier noch kaum von Religionsfreiheit sprechen kann. Die jüdische Gemeinde erhielt das Recht auf Synagoge und Friedhof, auf die Ausübung des gottesdienstlichen Ritus und auf Beerdigungen nach halachischem (mosaischem) Recht, dazu auch auf die Beschäftigung der dazu erforderlichen Funktionsträger (Art. 1 und 2). Die Übertragung der Schiedshoheit für geringfügige Streitigkeiten (ohne dass der Streitwert genau festgelegt wurde) sowie einer Züchtigungsbefugnis an die Gemeinde setzte voraus, dass administrative und forensische Befugnisse, also die Kompetenz zu Verwaltungshandeln und zur Rechtsprechung samt Strafbefugnis, bestanden, wenn auch nur in begrenztem Umfang. Obwohl diese im Text nicht ausdrücklich genannt wurden, erforderten die gewährten Privilegien die Existenz eines Gemeindevorstehers und Rabbiners, denen das Recht zur vergleichsweisen Erledigung von innergemeindlichen Streitigkeiten und der Verhängung des jüdischen Banns („cherem“) zukam. Der Umfang der gerichtlichen Befugnisse blieb vorerst unklar und konnte erst in späteren Privilegien nach und nach konkretisiert werden. Ab 1664 sollte klargestellt werden, dass die Jurisdiktion der Gemeinde nur soweit gehen durfte, als mit ihr keine königlichen Interessen tangiert waren. Dies war ein Grundsatz, der in vielen Territorien des Heiligen Römischen Reiches galt und in „Policeyordnungen“ normiert wurde.
Die Konstituierung als weitgehend autonome Korporation schloss auch die Abgrenzung nach außen gegenüber Juden anderer Herrschaften mit ein. Diesen kam als „fremden“ Juden nur noch ein beschränktes Gastrecht zu. Der vormoderne Staat gab mit der Unterscheidung zwischen Untertanen, denen auch die Juden zugerechnet wurden, und Fremden zu erkennen, dass er nur noch für erstere Verantwortung zu übernehmen bereit war. Für letztere galt eine Meldepflicht bei der zuständigen Obrigkeit (dem Vogt von Ottensen), eine Begrenzung des Gastrechts auf vierzehn Tage und ein Verbot von Handel und Gewerbe („Hantierung“). Die bei einem Verstoß zu verhängende „willkürliche“ Strafe war nicht willkürlich in unserem heutigen Verständnis, sondern als eine durch „Verwillkürung“ im Sinne von in „vorheriger Abrede“ vereinbarte Bestrafung zu verstehen. Damit behielt sich die Obrigkeit zwar ein Kontrollrecht vor, um Migrationen steuern zu können, setzte jedoch zugleich auf Kooperation mit der Gemeinde.
Nicht zu übersehen ist aber auch das fiskalische beziehungsweise wirtschaftliche Interesse der Obrigkeit an der Statuierung von Rechten und Pflichten für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Mag die Auferlegung eines Schutzgeldes, dessen Höhe und Fälligkeitsdatum von den herrschaftlichen Beamten festgelegt und einkalkuliert wurde, der üblichen Praxis individueller Geleitbriefe entsprechen, so gehen doch einige Bestimmungen zu Handel und Gewerbe weit darüber hinaus. Normative Beschränkungen von Handel und Gewerbe gibt es vergleichsweise wenige, wenn man davon absieht, dass dem (christlichen) Vogt von Ottensen Kontrollrechte übertragen werden. Sogar die Schächtung nach jüdischem Ritus wurde keinen Beschränkungen unterworfen, und vor allem wurde der „Wucher“ (die Verzinsung von Darlehen) in hohem Maße erlaubt. Dahinter stand offensichtlich das Bestreben, die Kapital- und Kaufkraft der Gemeindeangehörigen zu erhalten und zu stabilisieren. Dies entsprach durchaus dem merkantilistischen Merkantilismus bezeichnet eine Wirtschaftspolitik im absolutistischen Staat des 16. bis 18. Jahrhunderts, wobei dieser in die Wirtschaft eingreift um die Wirtschaftsleistung und Staatseinkünfte durch z.B. Investitionen und Schutzzölle zu erhöhen. Geist der Zeit, mit dem die Obrigkeiten eine Erweiterung ihrer eigenen finanziellen Stärke erhofften. Juden wurden jetzt nicht mehr angesiedelt, um sie ausbeuten zu können, sondern weil sich der Landesfürst einen Nutzen von ihnen versprach.
So kann das Privileg von 1641 als ein entscheidender Schritt zur Konstituierung der Altonaer jüdischen Gemeinde und damit auch der eine Generation später gebildeten Dreigemeinde in Hamburg angesehen werden. Auch wenn es durchaus Einflüsse der Privilegienpraxis des römisch-deutschen Reichs gab (zum Beispiel Frankfurt am Main), wurde der Grundstein zu einer eigenständigen Entwicklung der hochdeutschen Gemeinde in Hamburg gelegt. Für den Landesfürsten spielten jüdische Gemeinden seither eine wichtige Rolle im Prozess der Konstituierung ihres Staates, insofern, als von deren Mitgliedern ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen erwartet wurde.
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J. Friedrich Battenberg, Prof. Dr. jur., geb. 1946, war Leiter des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt und lehrt Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Geschichte der Juden im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Rechts- und Verfassungsgeschichte.
J. Friedrich Battenberg, Das Generalprivileg von 1641. Ein wichtiger Schritt zur Konstitutierung der jüdischen Gemeinde Altona, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-3.de.v1> [21.11.2024].