Recht und Politik

Uffa Jensen
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Zusammenfassung


Die politischen Aktivitäten von Juden waren in der frühen Neuzeit noch ganz auf den innerjüdischen Bereich beschränkt. In der frühneuzeitlichen Dreigemeinde, bestehend aus Altona, Hamburg und Wandsbek, existierten autonome Gemeindestrukturen. Erst in der Moderne eröffneten sich für Juden zunehmend Möglichkeiten der Partizipation am allgemeinen politischen Leben. In der Phase der Aufklärung und im 19. Jahrhundert war dabei das Hauptziel die rechtliche Gleichstellung, für die Juden in der politischen Arena stritten und sich damit zugleich als Gruppe zunehmend für politische Prozesse zu interessieren begannen. Insbesondere die Revolution von 1848 ließ dieses Interesse weiter anwachsen. Der Grundrechtskatalog des Frankfurter Paulskirchenparlaments, der unter anderem einen Artikel über die rechtliche Gleichstellung unabhängig von der Konfession enthielt, bewirkte eine Veränderung. Die Hamburger „Provisorische Verordnung“ bestätigte diesen Artikel, aber die volle rechtliche Gleichberechtigung erhielten die Juden erst durch die Verfassung von 1860. In diesen Jahrzehnten begannen Juden, sich in den unterschiedlichsten Parteien des gesamten politischen Spektrums – mit Ausnahme der radikalen und oft antisemitischen Rechten – zu engagieren. Gleichwohl konzentrierten sich die meisten jüdischen Wähler wie auch die jüdischen Politiker zunächst auf den Liberalismus und ab dem 20. Jahrhundert vermehrt auf die Sozialdemokratie. Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik saßen Juden im Reichstag und in den Parlamenten der Einzelstaaten, so auch in der Hamburger Bürgerschaft. Während die rechtliche Gleichberechtigung in diesen Epochen unangetastet geblieben war, nahm das nationalsozialistische Regime die Emanzipation wieder zurück und entrechtete die deutschen Juden. Ende der 1930er-Jahre begannen die Nationalsozialisten mit der Vertreibung und während des Zweiten Weltkrieges mit der Ermordung der deutschen wie der europäischen Juden. Nach 1945 bauten überlebende deutsche sowie osteuropäische Juden die jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder auf. In Hamburg konnte wieder eine jüdische Gemeinde entstehen, deren Mitglieder die gleichen politischen Rechte wie alle deutschen Staatsbürger besaßen und bis heute besitzen.

Der Rechtsstatus von Juden im frühneuzeitlichen Altona und Wandsbek


Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts erreichten sefardische Juden als Kaufleute und Ärzte Hamburg. Etwa zur gleichen Zeit kamen die ersten aschkenasischen Juden in die Reichsstadt, von denen einige auch in Altona und Wandsbek, beides von Hamburg unabhängige Gebiete, lebten. Durch die zunehmende politische Autonomie der frühneuzeitlichen Staaten unterstanden die Juden nicht mehr, wie im Spätmittelalter als sogenannte Kammerknechte, der reichsweiten Zentralgewalt, sondern den Einzelstaaten. Das Verhältnis der Juden zum jeweiligen Herrscher basierte aber weiterhin auf Sonderregelungen, den sogenannten Privilegien. Im Austausch für die Zahlung von Schutzgeld erhielten Juden das Recht, sich in einem bestimmten Gebiet anzusiedeln und dort Handel zu treiben. In Altona wurde ein solches Privileg zuerst vom Grafen von Holstein-Schauenburg und ab 1641 von der dänischen Krone verliehen; in Wandsbek 1637 vom dortigen Gutsherrn.

Mit dem Altonaer Generalprivileg von 1641 wurde den Juden mit der Zahlung eines relativ hohen Schutzgeldes weitgehende Rechte eingeräumt: Sie durften eine Synagoge und einen Friedhof unterhalten sowie Gottesdienste und Beerdigungen nach ihrem Ritus durchführen. Auch waren ihnen der Handel und das Zinsgeschäft erlaubt. Bei der Ansiedlung weiterer Juden erhielten sie ein Mitspracherecht und konnten Grundbesitz erwerben. Zudem war der jüdischen Gemeinde Altonas eine weitgehende Selbstverwaltung zugesichert. Für kleinere Straftaten wurde ihnen eine eigene Gerichtsbarkeit mit einem Rabbinatsgericht zugestanden, welches ab 1731 für alle Juden in Holstein und Schleswig zuständig war. Altona besaß damit im 18. Jahrhundert in rechtlicher Hinsicht eine der vorteilhaftesten Regelungen für Juden – wie auch für andere religiöse Minderheiten – im deutschsprachigen Raum. Der Antrieb für diese Politik ist nicht zuletzt in finanziellen Interessen der Obrigkeit zu sehen.

Auch das Wandsbeker Schutzprivileg war vergleichsweise günstig, erlaubte es doch die volle Religionsausübung gegen relativ geringe Schutzgeldzahlungen.


Porträt des Königs Christian IV von Dänemark
Quelle: Wikimedia Commons, Urheber: unbekannt, vermutlich gemeinfrei.


Der Rechtsstatus der Hamburger Juden während der frühen Neuzeit


Für die Juden Hamburgs galt ab 1710 ein kaiserliches Reglement, mit dem die dort ansässigen aschkenasischen und sefardischen Juden gleichbehandelt wurden. Zwar wurde ihnen im Austausch für das formale Bleibe- und Wohnrecht kein Schutzgeld auferlegt. Allerdings durften sie ihren Gottesdienst nur in Privathäusern, nicht in einer Synagoge abhalten. Grundbesitz war ihnen nicht erlaubt, wie ihnen auch die Zünfte verschlossen blieben, was ihre Wirtschaftstätigkeit auf den Handel und das Kreditwesen einschränkte. Die Judenpolitik Hamburgs orientierte sich damals – wie auch später – relativ pragmatisch an den Wirtschafts- und Finanzinteressen einer Handelsmetropole. Sie war im Vergleich zu vielen anderen deutschen Staaten im 17. Jahrhundert vorteilhaft, wenn sie auch hinter den Regelungen in Altona oder Wandsbek zurückblieb. Vermutlich deshalb behielten nicht wenige Juden ihre Rechte in Altona oder Wandsbek, selbst wenn sie sich in Hamburg ansiedelten: Dort bildeten diese Juden rechtlich eigenständige sogenannte Filialgemeinden, sodass sich der Rechtsstatus der in Hamburg lebenden Juden teilweise deutlich unterschied. Da es zwischen diesen einzelnen Gemeinden immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten kam, wurde 1671 aus Altona, Hamburg und Wandsbek der Dreigemeinden-Verbund „AHW“ gebildet, an deren Spitze der Altonaer Oberrabbiner stand.

Die politischen Strukturen der frühneuzeitlichen jüdischen Gemeinden


Die politischen Strukturen in den frühneuzeitlichen Gemeinden waren in der Regel durch eine Kooperation von weltlichen und religiösen Eliten gekennzeichnet. In den Gemeinden lag die religiöse Führung in den Händen von Rabbinern, die halachische, das heißt religiös verbindliche Entscheidungen, fällten. Die weltlichen Gemeindevorsteher (Parnassim) waren in der Regel für die Organisation des Gemeindelebens zuständig, sie führten alle Verhandlungen mit der jeweiligen Obrigkeit und trieben die Steuern ein, das heißt, sie legten die von den christlichen Herrschern üblicherweise verlangten Schutzgeldzahlungen auf ihre Schützlinge um. In Hamburg wählten die Oberhäupter der reicheren Familien sieben Wahlmänner, die wiederum zusammenkamen, um den Gemeindevorsteher zu wählen.

Diskussionen über bürgerliche Gleichstellung und Emanzipation um 1800


Mit dem Zeitalter der Aufklärung veränderten sich die Debatten über die Rolle der Juden in der Gesellschaft. Die Forderung nach einer rechtlichen Gleichstellung der Juden erhob bereits 1781 der Aufklärer und preußische Staatsbeamte Christian Wilhelm Dohm. In seiner einflussreichen Schrift Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden beschrieb er die Juden als eine religiöse Gemeinschaft, deren negative Charakterzüge das Ergebnis der jahrhundertelangen Ausgrenzung durch die christliche Mehrheitsgesellschaft seien. Dohm band die rechtliche und politische Gleichstellung der Juden an ihre gesellschaftliche Nützlichkeit und ihre bürgerliche Verbesserung. In dieser Logik, die in den deutschen Staaten immer einflussreicher werden sollte, hatte der Staat Juden zunächst zu erziehen und sie erst dann schrittweise gleichzustellen. Im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ bestanden gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch 324 weltliche und kirchliche Einzelstaaten, die jeweils unterschiedliche Judenordnungen erlassen hatten. Nach der Eroberung durch die napoleonischen Truppen wurde Hamburg formell zu einem Teil des französischen Königreiches. Damit galt dort – nicht aber in Altona und Wandsbek – das französische Emanzipationsgesetz von 1791, sodass die Juden mit einem Schlag die vollen bürgerlichen und politischen Rechte erhielten. Während der französischen Verwaltung wurde zudem 1812 der Dreigemeinden-Verbund durch den Separationsakt aufgelöst. Dieser sollte auch nach dem Ende der Franzosenzeit nicht wieder ins Leben gerufen werden. Damit unterlagen die Hamburger Juden nicht mehr der Kontrolle des Altonaer Oberrabbinats und konnten so die dortigen Schutzgeldzahlungen einsparen. Die Filialgemeinden der Altonaer und Wandsbeker Juden auf dem Territorium der Hansestadt sowie die dortigen aschkenasischen und sefardischen Gemeinden gingen in einer Gesamtgemeinde auf, die ab 1821 offiziell Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg hieß.


Porträt von Christian Conrad Wilhelm von Dohm, Karl Christian Kehrer, 1795
Quelle: Gleimhaus Halberstadt, Wikimedia Commons, Urheber: unbekannt, gemeinfrei.


Haskala


Viele Ideen der Aufklärung wirkten auch auf jüdische Intellektuelle anziehend, sodass im Laufe des 18. Jahrhundertseine jüdische Aufklärungsbewegung entstand: die sogenannte Haskala, die sich im späten 18. Jahrhundert politisierte. Die rechtliche Gleichstellung der Juden wurde auch von ihren Vertretern gefordert, etwa von dem berühmten Berliner Philosophen Moses Mendelssohn. In Hamburg, obwohl es zu Beginn des 19. Jahrhunderts die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland beheimatete, waren solche Diskussionen weniger ausgeprägt, vor allem weil dort die überkonfessionellen Kontakte zwischen einer jüdischen Oberschicht und einer großbürgerlichen Elite seltener waren als in Berlin. Trotzdem gab es auch hier Wortmeldungen. In Altona veröffentlichte der aufgeklärte Jude Nafthalie Herz Wessely eine Replik auf Dohm unter dem Namen seines christlichen Freundes Johann Christoph Unzer.

Die Rücknahme der rechtlichen Verbesserungen im Zeitalter der Restauration


Mit dem Ende der französischen Herrschaft begann überall in den deutschen Staaten ein Zeitalter der Restauration, in dem viele vorübergehend erreichten rechtlichen Verbesserungen wieder zurückgenommen wurden. Dies galt auch für die Rechtslage der Juden: Bereits auf dem Wiener Kongress 1814 / 15 konnte keine einheitliche emanzipatorische Regelung für die Juden aller deutschen Staaten erreicht werden. Die in den von Frankreich besetzten Gebieten geltende Judengesetzgebung wurde aufgehoben und jede weitere Regelung den einzelnen Staaten des neuen Deutschen Bundes überlassen. In Hamburg traten damit wieder die rechtlichen Bestimmungen von 1710 in Kraft – allerdings ohne Rückkehr zum Dreigemeinden-Verbund. Somit galt in Hamburg plötzlich eine überholte Judenordnung. Auch das Meinungsklima hatte sich verändert; in der Restaurationsphase nach 1815 organisierten sich in vielen deutschen Staaten die Gegner der Juden. Es kam zu hitzigen Debatten über die sogenannte „Judenfrage“, die sich an einem Artikel des Berliner Geschichtsprofessor Friedrich Rühs entzündeten. Auch gegen derartige Vorwürfe begannen sich nun jüdische Intellektuelle zu wehren. So sah der jüdische Schriftsteller Saul Ascher hinter den Bestrebungen Rühs’ und anderer eine „Germanomanie“ am Werk, bei der die Juden lediglich als Instrument behandelt würden, um aus dem zerstrittenen deutschen Volk eine vereinte Nation zu kreieren. Kurze Zeit später sollte es zu ersten Gewaltausbrüchen gegen Juden kommen: Die sogenannten „Hep-Hep“-Unruhen begannen im Sommer 1819 in Würzburg und verursachten eine Welle von Aufständen in vielen deutschen Städten, unter anderem auch in Hamburg. In der Hansestadt kam es 1830 und 1835 erneut zu Unruhen, die besonders von traditionellen Gruppen wie den Zunfthandwerkern und Kleinhändlern getragen wurden, aber auch in der lutherischen Geistlichkeit Unterstützung fanden.

Die Emanzipationsdebatten im Vormärz


Vor allem die fortbestehenden politischen Benachteiligungen der wirtschaftlich zunehmend erfolgreichen und sozial aufstrebenden jüdischen Bevölkerung ließ die Emanzipationsdebatten im Vormärz wieder aufflammen. Eine wachsende Zahl deutscher Juden begann sich für Politik zu interessieren, was sich unter anderem in ihren Beiträgen zu den über 2.000 Veröffentlichungen zur „Judenfrage“ widerspiegelte, die seit Rühs Intervention bis 1848 erschienen. Einzelne Juden wie auch ganze Gemeinden verfassten Petitionen und Denkschriften, um eine judenfreundliche Politik zu verlangen. In Hamburg diskutierte der Senat der Stadt wiederholt die Frage der Gleichberechtigung, regelmäßig angeregt durch Bittschriften der jüdischen Gemeinde. Die Juden betonten darin stets die nachteiligen Auswirkungen der Rechtslage für ihre wirtschaftliche Tätigkeit in der Handelsmetropole – ein Argument, das dem Senat durchaus einleuchtete. In diese Periode fiel auch die Gründung jüdischer Zeitungen wie der Allgemeinen Zeitung des Judentums (1837). Der Hamburger Jude und liberale Politiker Gabriel Riesser gab ab 1832 die allerdings kurzlebige Zeitschrift „Der Jude“ heraus, auf deren Seiten er die jüdischen Ansprüche auf eine rechtliche Gleichstellung formulierte. Riesser war es auch, der die Öffentlichkeitswirksamkeit von Publikationen zu nutzen wusste, um Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu entwickeln. Bereits 1831 hatte Riesser mit der Schrift Über die Stellung der Bekenner des Mosaischen Glaubens in Deutschland Stellung bezogen. Seine Denkschrift über die bürgerlichen Verhältnisse der Hamburger Israeliten, die er 1834 zugleich als Bittgesuch an den Hamburger Senat verfasst hatte, war noch bedeutsamer. Riesser überführte die Debatte aus dem Hamburger in einen nationalen Kontext. Es ging ihm darum, in liberaler Überzeugung die „die volle rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen ohne Unterschied des Glaubens“ Gabriel Riesser: Ueber die Stellung der Bekenner des Mosaischen Glaubens in Deutschland. An die Deutschen aller Confessionen, Altona 1931. zu fordern. Dennoch blieb der Erfolg von den Bedingungen vor Ort abhängig: Während der Hamburger Senat mit der Einrichtung einer Kommission Entgegenkommen signalisierte, organisierten sich nur ein Jahr später die Judengegner, es kam zu schweren Krawallen und der Vorstoß geriet ins Stocken. Erst nach der verheerenden Brandkatastrophe von 1842 sollte es in Hamburg wieder zu einem neuen Reformvorschlag kommen, in dessen Rahmen eine Senatskommission auch die Verleihung bürgerlicher Rechte an die Juden empfahl, allerdings erneut erfolglos.


Porträt von Gabriel Riesser, veröffentlicht in „Die Gartenlaube“, 1863.
Quelle: Wikimedia Commons, Urheber: unbekannt, gemeinfrei.


Die Politisierung vor und während der Revolution von 1848


Ein umfassenderes politisches Interesse existierte bis in die 1840er-Jahre allerdings nur bei einer Minderheit der deutschen Juden. Im Vormärz war ein Großteil der Juden in religiöser Hinsicht noch orthodox-konservativ und vermutlich politisch eher desinteressiert oder loyal gegenüber dem jeweiligen Herrscherhaus eingestellt. Die religiös reformorientierten Kräfte vertraten in der Regel einen gemäßigten Liberalismus, während das radikal-demokratische Lager nur für eine Minderheit unter den deutschen Juden attraktiv erschien. Der aufkommende Liberalismus und die Debatten über eine Konstitutionalisierung des politischen Systems änderten dies erst allmählich.

Aktive jüdische Politiker waren in den deutschen Staaten eine Seltenheit, auch diejenigen jüdischer Herkunft mitgerechnet, die aus verschiedensten Gründen – etwa dem Ziel einer politischen Karriere – zum Christentum konvertiert waren. Allzu oft wurden Konvertiten gerade in politischen Debatten weiterhin als Juden identifiziert. Es ist daher sinnvoll, diese Personen bei einer Beschreibung der Politisierung der Juden nicht außen vorzulassen.

Im gesamten Vormärz engagierten sich geschätzte 300 Juden auf lokalpolitischer Ebene, so zum Beispiel in Hamburg neben den Juristen Gabriel Riesser und Isaac Wolffson der Sekretär der jüdischen Gemeinde Moses M. Haarbleicher, der Pädagoge Anton Rée sowie in Altona der Bankier Pius Warburg. Auf überregionaler und nationaler Ebene kamen vielleicht noch 110 Juden und weitere 50 Christen jüdischer Herkunft hinzu. Angesichts einer jüdischen Gesamtbevölkerung von 270.000 (1820) beziehungsweise fast 400.000 (1848) war dies zwar keine große Zahl, verwies aber doch auf ein gestiegenes Interesse an Politik.

Die Revolution von 1848 verstärkte dieses Interesse weiter. Schließlich fand eine der zentralen Forderungen der Revolutionäre – die rechtliche und politische Gleichstellung aller Staatsbürger unabhängig von ihrer Religion – die Unterstützung vieler Juden. Zudem nahmen mindestens 130 Juden an den bewaffneten Auseinandersetzungen in Berlin, Wien, Frankfurt am Main, Baden, Sachsen etc. teil. Im Frankfurter Vorparlament, das sich als Konsequenz der Revolution bildete, saßen sechs Juden und sechs Christen jüdischer Herkunft. An der Wahl zur Nationalversammlung durften Juden teilnehmen, sodass schließlich sieben Juden und zehn Christen jüdischer Herkunft im Paulskirchenparlament Platz nahmen. Der zum Christentum konvertierte Eduard Simson und Gabriel Riesser wurden Präsident beziehungsweise Vizepräsident des Parlaments. Der oft geäußerte Vorwurf, Juden und Politiker jüdischer Herkunft seien nur im liberalen oder linken politischen Lager zu finden gewesen, ist bemerkenswert, da sie sich in nahezu allen politischen Lagern engagierten: von den konservativen Rechten bis zu den demokratischen Linken.

Der Kampf für Gleichberechtigung während der Revolution von 1848


Riesser blieb einer der wichtigsten Vorkämpfer für die jüdische Gleichberechtigung. Als Abgeordneter des Herzogtums Lauenburg im Paulskirchenparlament trat er vehement dafür ein, dass in den Grundrechtskatalog schließlich Artikel 5 zur Gleichberechtigung der Konfessionen aufgenommen wurde. Die Grundrechte wurden 1849 Teil der Reichsverfassung. Als im gleichen Jahr die Frankfurter Nationalversammlung aufgelöst wurde und die Revolution scheiterte, wurde der Grundrechtskatalog für ungültig erklärt. Allerdings übernahm Hamburg den Artikel 5 in eine „Provisorische Verordnung“, womit die Juden Hamburgs schließlich die gleichen Rechte wie alle nicht lutherischen Bürger erhielten. Das passive Wahlrecht und die Mitgliedschaft in manchen Zünften blieben ihnen allerdings faktisch weiterhin verwehrt. Für die meisten anderen deutschen Juden begann mit dem Ende der Revolution eine neuerliche Phase der rechtlichen Beschränkungen. Trotz der Rückschläge war jedoch eine Rückkehr zum rechtlosen Zustand selbst für die beharrlichsten Judengegner undenkbar geworden und die Frage der Judenemanzipation damit entschieden.

In Hamburg war es nach der Revolution unmöglich, die rechtlichen Fortschritte der „Provisorischen Verordnung“ rückgängig zu machen. Mit der neuen Hamburger Verfassung von 1860 erhielten die Juden die vollen staatsbürgerlichen Rechte. Die Juden Altonas und Wandsbeks – und alle Juden des Herzogtums Holstein – erlangten diesen Status 1863 durch ein entsprechendes Gesetz des dänischen Königs Friedrich VII. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 erhielten die (männlichen) Juden zudem das Wahlrecht für die Länderparlamente wie für den Reichstag, wobei sich die Wahlrechtsformen unterschieden.

Die rechtlichen Veränderungen der jüdischen Gemeindestruktur


Die Hamburger Verfassungsreform von 1860 sollte sich auch auf die innerjüdischen Angelegenheiten, mithin auf die rechtliche Verfasstheit der jüdischen Gemeinde auswirken. Schon der absolutistische Staat hatte an vielen Orten Deutschlands versucht, die autonomen Strukturen der jüdischen Gemeinden zu beseitigen. Zu entscheidenden Eingriffen kam es jedoch erst mit der Emanzipationsgesetzgebung. So kann die jüdische Emanzipationsgeschichte auch als Verfallsgeschichte verstanden werden, da die zum Teil umfassende jüdische Gemeindeautonomie im modernen Staatswesen abgeschafft wurde.

Ein Überbleibsel dieser Autonomie war Mitte des 19. Jahrhunderts das – nicht nur für Juden geltende – Parochialprinzip, das heißt der Zwang, einer anerkannten Glaubensgemeinschaft am Wohnort anzugehören. Die damit verbundene faktische Vormundschaft der Gemeinde ließ sich angesichts der Emanzipationsgesetzgebung des 19. Jahrhunderts und der damit verbundenen Trennung von Staat und Kirche nicht mehr rechtfertigen. Gleichwohl bedrohte die Aufgabe dieses Prinzips den Vertretungsanspruch der jüdischen Gemeinden und gerade strengreligiöse Kräfte befürchteten, dass dies die vollständige Auflösung der Gemeinden und sogar die Abkehr vieler Juden von jeder Form jüdischer Identität herbeiführen würde. Hinzu kam in Hamburg wie an vielen anderen Orten, dass seit Beginn des 19. Jahrhunderts unterschiedliche religiöse Lager innerhalb der jüdischen Gemeinden entstanden waren. In diesen Kontext schien auch die in Hamburg lange diskutierte Zivilehe den Zusammenhalt der Juden zu bedrohen. Seit 1861 konnten nun auch staatliche Behörden ohne Rücksicht auf die Konfession der Eheleute Ehen schließen, sodass auch Mischehen möglich waren.

Das „Hamburger System“


Die Hamburger Juden entwickelten nach dem Ende des Parochialprinzips das „Hamburger System“. Mit einem Gesetz von 1864 beendete der Hamburger Senat die Zwangsmitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde. Zudem wurde die Gemeinde unmissverständlich aufgefordert, eine neue Gemeindeordnung zu entwerfen, was angesichts der Differenzen zwischen Reformern und Orthodoxen zu langwierigen und zähen Verhandlungen führte. Erst 1867 konnten die Statuten der Hamburger Deutsch-Israelitischen Gemeinde verabschiedet werden, die als das „Hamburger System“ bekannt wurden.

Dieser Schritt stellte einen in Deutschland ungewöhnlichen Kompromiss dar, der die andernorts oft vollzogene Aufspaltung in zwei oder mehrere jüdische Gemeinden verhinderte. Die Hamburger Statuten sahen die Bildung von zwei selbständigen Kultusverbänden – einem orthodoxen und einem reformorientierten – unter dem Dach der einheitlichen Gemeinde vor. 1894 sollte ein dritter Verband von konservativen Juden hinzutreten. Eine genaue Aufgabenteilung wurde entwickelt: Die jüdische Gesamtgemeinde war für das Schul- und Erziehungs-, das Wohlfahrts- und das Begräbniswesen zuständig. Die Kultusverbände erhielten hingegen vollständige Autonomie in religiösen Fragen zugebilligt. Jedes Mitglied der jüdischen Gemeinde konnte sich frei einen Kultusverband auswählen, wobei theoretisch eine Mitgliedschaft in einem Kultusverband keine Mitgliedschaft in der Gemeinde voraussetzte. Auch war nun ein jüdischer Atheist denkbar, der nur Mitglied der jüdischen Gemeinde, nicht aber eines Kultusverbandes war. Mit dem „Hamburger System“ besaß eine einmalige innerjüdische Toleranzverfassung bis zur erzwungenen Auflösung durch den NS-Staat im Jahr 1938 Gültigkeit.

Juden in der Politik während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik


Nach der Revolution 1848 waren Juden vereinzelt in den Parlamenten der deutschen Einzelstaaten vertreten. So befanden sich 1859 in der ersten gewählten Bürgerschaft Hamburgs zehn Juden unter den 192 Abgeordneten. In den folgenden Legislaturperioden saßen stets Juden in der Bürgerschaft. Dabei half ihnen das Hamburger Wahlrecht, das – ähnlich wie in Preußen – wohlhabende und bürgerliche Wähler begünstigte, während es die Arbeiterschaft und die Unterschicht benachteiligte. Da Juden zunehmend in die bürgerlichen Mittelschichten aufstiegen, war ihre Chance auf eine parlamentarische Repräsentanz größer. 1861 wurde Isaac Wolffson zum Präsidenten der Bürgerschaft gewählt und war damit der erste jüdische Präsident eines deutschen Landesparlaments. So präsent Juden in der gewählten Bürgerschaft waren, so wenig findet man sie allerdings vor 1918 in den Reihen des Hamburger Senats. Erst in der Weimarer Republik wurden mit Louis Gruenwaldt für die Sozialdemokratie und Carl Cohn für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Juden Senatoren.

Über das gesamte Kaiserreich von 1871 bis 1918 blieben die politischen Orientierungen der Juden weitgehend stabil. Der größte Anteil der Juden ließ sich dem liberalen Lager zuordnen, wobei im Verlaufe des Kaiserreiches eine Wählerwanderung vom National- zum Linksliberalismus zu beobachten ist. Hingegen war das konservative Lager nur für wenige Juden wählbar, weil sie die dort propagierte Idee des christlichen Staates ablehnten und das Lager häufig dem Antisemitismus zuneigte. Gleiches gilt für das katholische Zentrum. Eine größere Gruppe neigte der Sozialdemokratie zu, die auch eine zunehmende Zahl von aktiven jüdischen Politikern in ihren Reihen aufwies. Allerdings stieß die Sozialdemokratie in den verbürgerlichten Kreisen des deutschen Judentums während des Kaiserreiches noch auf teilweise heftige Ablehnung.

Auch im deutschen Reichstag nahmen jüdische Politiker seit dem Kaiserreich eine zum Teil herausgehobene Stellung ein, die in der Regel auf den Bänken der Links- wie der Nationalliberalen Parteien Platz nahmen. Im späteren Kaiserreich verschoben sich unter jüdischen Politikern die Schwerpunkte weg vom Liberalismus und hin zur Sozialdemokratie – eine Tendenz, die bis in die Weimarer Republik anhalten sollte und die unter der jüdischen Wählerschaft zwar langsamer ablief, aber ebenfalls zu finden ist.

Bereits während des Ersten Weltkriegs übernahmen Juden aus Wirtschaftskreisen hohe Funktionen in der Reichsregierung, allen voran Walther Rathenau, der eine herausragende Stellung in der Organisation der Kriegswirtschaft bekleidete. Aber auch der Hamburger Reeder Albert Ballin half als Leiter der Zentral-Einkaufsgesellschaft, die Versorgung der Zivilgesellschaft aufrecht zu erhalten. In der Revolutionsphase 1918 / 19 waren jüdische Politiker in der deutschen Politik kurzzeitig sehr sichtbar, da nach dem Ende des Kaiserreichs vor allem linksliberale, sozialdemokratische und radikallinke Kräfte um die Macht rangen, unter denen Juden prozentual stärker vertreten waren. Wichtige und einflussreiche jüdische Politiker dieser Phase waren zum Beispiel Otto Landsberg und Hugo Haase für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) beziehungsweise die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), Hugo Preuß für die Deutsche Demokratische Partei (DDP), aber auch die Kommunistin Rosa Luxemburg sowie die Anarchisten Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.

Obwohl wegen der Aktivitäten einzelner jüdischer Aktivisten der Eindruck vorherrschen konnte, dass Juden in der neuen Demokratie den linken oder gar den radikalen Kräften zuneigten, war dies nicht der Fall: Die Mehrheit der jüdischen Wählerschaft verblieb im (links-)liberalen Lager. Allenfalls lässt sich eine gewachsene und weiter ansteigende Akzeptanz der Sozialdemokratie konstatieren. Dies hing aber auch mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust des politischen Liberalismus in der weiteren Entwicklung der Weimarer Republik zusammen, sodass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) eine wichtige Alternative darstellte.

Auch bei den jüdischen Politikerbiografien lässt sich Vergleichbares konstatieren: kein radikaler Bruch, sondern eine Fortentwicklung der im Kaiserreich bestehenden Tendenzen. Während Juden in den meisten politischen Parteien – außer bei der radikalen Rechten und der NSDAP – aktiv waren, engagierte sich der große Teil im Liberalismus, vor allem im Linksliberalismus der DDP. So zählten 1919 zu den 75 DDP-Abgeordneten auch fünf Juden. In den folgenden Jahren stieg der prozentuale Anteil der jüdischen Abgeordneten stets weiter an, aber mit dem Bedeutungsverlust der DDP sank die Gesamtzahl ab, bis 1932 noch ein Jude von nur vier DDP-Abgeordneten im Reichstag saß.

Der Kampf gegen Diskriminierungen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik


1871 war die rechtliche Gleichstellung der deutschen Juden endgültig erreicht. Der Widerstand dagegen sollte jedoch nur wenige Jahre nach der Reichseinigung wieder aufflammen, als es zu einer neuen antisemitischen Bewegung kam. Der Kampf, mit dem sich Juden gegen solche Umtriebe wehrten, besaß auch eine rechtliche Dimension: So strengte seit der Wende zum 20. Jahrhundert der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) jedes Jahr über 100 Gerichtsverfahren gegen antisemitische Vergehen an. Auch beobachtete der CV die Tagespresse und andere Veröffentlichungen, um gegebenenfalls gegen verunglimpfende Publikationen ein Strafverfahren einleiten zu können. Allerdings waren die Erfolgsaussichten dieser Verfahren allzu oft gering; in der Regel wies die Staatsanwaltschaft die Anträge ab.

Die Weimarer Republik kannte ebenfalls keine rechtliche Diskriminierung von Minderheiten. Der Artikel 136 der Weimarer Reichsverfassung gewährte allen Staatsbürgern unabhängig von ihrer Religion gleiche Rechte und Pflichten. De jure durften auch keine Beschränkungen mehr existieren; de facto gefährdete aber der allgegenwärtige Antisemitismus, der durch die politische Polarisierung als Folge des Ersten Weltkrieges – und durchaus anders als im Kaiserreich – zunehmend gewalttätiger wurde, die gleichberechtigte Position der Juden in der Gesellschaft. In Teilen der Bürokratie war weiterhin eine strukturelle Benachteiligung von Juden etwa bei der Ämtervergabe zu beobachten, die allerdings nicht der Rechtsnorm entsprach, sondern durch informelle Prozesse abgesichert wurde.

Eine gewichtige rechtliche Neuerung in der Weimarer Republik war das fortschrittliche Wahlrecht, das Frauen ab dem 20. Lebensjahr die Stimmabgabe erlaubte. In den jüdischen Gemeinden brachen dadurch sehr kontrovers geführte Debatten über das aktiven – und in einigen Fällen sogar eines passiven – Gemeindewahlrecht für Jüdinnen aus. In Hamburg war Frauen – wie Kindern – im Kaiserreich noch die bloße Mitgliedschaft in der Gemeinde oder den Kultusverbänden verwehrt gewesen. Mit der Gemeindewahl 1930 erhielten die Hamburger Jüdinnen schließlich das aktive und vor allem das passive Wahlrecht. Drei der 21 Sitze im Repräsentanten-Kolloquium erhielten Frauen: Anni Bauer, Phoebe Caro und Dr. Lilli Meyer-Wedell.

Die innerjüdische Gemeinde-, Verbands- und Vereinspolitik


In den jüdischen Institutionen manifestierte sich der Trend zur Politisierung und Demokratisierung. Zunächst hatte sich seit der Spätphase des Kaiserreiches ein reiches jüdisches Vereins- und Verbandsleben entwickelt, zum Teil weil Juden wegen des zunehmenden gesellschaftlichen Antisemitismus nicht am allgemeinen Vereinsleben teilnehmen konnten. 1893 wurde der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) gegründet: die wichtigste politische Interessenvertretung des mehrheitlich liberal orientierten deutschen Judentums. 1897 erhielt der politische Zionismus mit der Zionistischen Vereinigung für Deutschland eine wirksame Stimme, insbesondere auf der Ebene der jüdischen Gemeinden. Hinzu kamen noch weitere Verbände wie der philanthropische Hilfsverein der deutschen Juden (1901) oder der Jüdische Frauenbund (1904) als Teil der deutschen Frauenbewegung. In der Weimarer Republik, genauer 1919, entstand der Veteranenverein, der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, der sich insbesondere gegen antisemitische – und falsche – Vorwürfe zur Wehr setzte, Juden hätten sich im Ersten Weltkrieg dem Einsatz an der Front entzogen. Nationalistisch orientiert war hingegen der 1921 gegründete, kleine Verband nationaldeutscher Juden. Im jüdischen Vereinswesen Hamburgs schlugen sich viele dieser Entwicklungen nieder: So hatte sich 1898 eine zionistische Ortsgruppe gebildet, der ab 1901 eine Ortsgruppe des CV – oft in ideologischer Gegnerschaft – gegenüberstand. 1919 wurde zudem der Vaterländische Bund jüdischer Frontsoldaten, die Hamburger Ortsgruppe des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten, ins Leben gerufen.

Das sich pluralisierende Vereinsleben der deutschen Juden spiegelte sich auch in der jüdischen Gemeindepolitik wider, sodass sich die jüdische „Innenpolitik“ während der Weimarer Republik in verschiedene Parteien und Lager aufspaltete. Es kam nunmehr auf der Gemeindeebene zu echten Wahlkämpfen – eine Entwicklung, die nicht wenige jüdische Zeitgenossen kritisierten, weil der politische Kampf die Einheit des deutschen Judentums zu bedrohen schien. Allerdings führte die Politisierung der Gemeindearbeit dazu, dass die Wahlbeteiligung an den Gemeindewahlen im Laufe der Republik an vielen Orten anstieg.

Die Rücknahme der Emanzipation im nationalsozialistischen Deutschland


Bereits mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933, das alle Beamten jüdischer Herkunft aus ihren Stellungen drängen sollte, hatte das nationalsozialistische Regime das erste Sondergesetz geschaffen und die rechtliche Gleichstellung der Juden faktisch beseitigt. Die Rücknahme der Emanzipationsgesetzgebung vollendeten die Nürnberger Gesetze, die im September 1935 auf dem Reichsparteitag erlassen wurden. Sie zielten darauf, den deutschen Juden ihre vollgültige Staatsbürgerschaft abzuerkennen und sie damit auch rechtlich aus dem deutschen Staatsvolk auszugrenzen. Bereits 1933 konnte deutschen Juden bei „Illoyalität“ die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen sowie die Naturalisierung eingebürgerter Juden wieder zurückgenommen werden. Die Entrechtung der Juden war ein komplexer Prozess, der mehrere Jahre brauchte; schließlich kam es nicht nur darauf an, das geltende Recht zu verändern, sondern auch die alltäglichen Formen der gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Leben zu zerstören. Ab Sommer 1933 wurden Juden zum Beispiel aus Berufsverbänden, Bürger- und Sportvereinen Hamburgs ausgeschlossen. Einige öffentliche Einrichtungen wie Badeanstalten durften von Juden nicht mehr genutzt werden. Nichtjuden, die weiterhin Kontakt zu Juden hielten, wurden als „Judenfreunde“ denunziert. Hier wirkten sich nicht zuletzt die „Nürnberger Gesetze“ aus, da sie solche Beziehungen unter den generellen Verdacht der „Rassenschande“ stellten.

Die Juden wehrten sich gegen diese Entwicklung. So dokumentierte etwa die Denkschrift Zur gegenwärtigen Lage der Juden, die im Januar 1934 von der Reichsvertretung der deutschen Juden an die Reichsregierung geschickt wurde, die vielfältigen Diskriminierungen der jüdischen Bevölkerung. Auch im Alltag war die Hoffnung auf Schutz durch die Behörden noch nicht verschwunden: Regelmäßig zeigten Juden die von ihnen erlittenen Gewalttaten und Beleidigungen bei der Polizei an, jedoch fast immer vergeblich.

Juden wurden zudem systematisch aus dem politischen Bereich und der politischen Öffentlichkeit gedrängt, sodass sie – wie seit der Abschaffung der autonomen Gemeindestrukturen zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr – auf die innerjüdische Politiksphäre zurückgeworfen wurden. Durch die Notwendigkeit, sich gegenüber dem feindlichen Regime zu organisieren, wurde bereits im September 1933 die Reichsvertretung der deutschen Juden als Dachverband der Großgemeinden, der jüdischen Landesverbände und der wichtigsten Vereine ins Leben gerufen. In der modernen Geschichte der deutschen Judenheit war damit unter dem Druck der Diskriminierung zum ersten Mal eine effektive Dachorganisation auf nationaler Ebene entstanden. Das Führungsgremium der Reichsvertretung wurde nicht gewählt, sondern von den wichtigsten jüdischen Organisationen und Gemeinden ernannt. Leo Baeck wurde ihr Präsident.

Die Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik


1938 kam es im gesamten Reich zu neuen rechtlichen Einschränkungen für Juden. Im April 1938 mussten sie ihr Privatvermögen anmelden, wodurch das Regime die bereits voranschreitende Arisierungspolitik ausweiten konnte, die unzählige Unternehmen ihren jüdischen Eigentümern entriss. Am 9. und 10.11.1938 organisierte das Regime ein landesweites Pogrom, das heute als Novemberpogrom bekannt ist.

Auch die organisatorischen Strukturen der Hamburger Juden wurden nun Ziel der Verfolgungspolitik. Bereits 1937 hatten die jüdischen Gemeinden von Altona, Hamburg und Wandsbek in Folge des Groß-Hamburg-Gesetzes unter dem neuen Namen „Jüdischer Religionsverband Hamburg“ fusionieren müssen. Mit diesem Groß-Hamburg-Gesetz wurden Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg eingemeindet und das Staatsgebiet Hamburgs erheblich erweitert. Ab dem 1.4.1938 verloren alle jüdischen Gemeinden Deutschlands den Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts, was sie finanziell schlechter stellte. In Hamburg musste die Gesamtgemeinde als Verein bürgerlichen Rechts weitergeführt werden. Die Gemeinde war nunmehr der Gestapo direkt unterstellt. Einige Monate später wurden die Kultusverbände aufgelöst und die Gemeinde faktisch als Ortsverband in die neugeschaffene Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert. Im August 1942 hörte der Jüdische Religionsverband Hamburg auch formell auf zu existieren, die Reichsvereinigung wurde im Juni 1943 aufgelöst. Organisatorisch und rechtlich hatte damit das deutsche Judentum aufgehört zu existieren. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1.9.1939 und vor allem mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 begann die systematische Ermordung der bereits vollkommen rechtlos gewordenen Juden.

Der Wiederaufbau jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland


Nach dem Krieg sammelten sich viele der jüdischen Überlebenden in Lagern für Displaced Persons, die zu Kristallisationspunkten für ein neues jüdisches Leben wurden. Gleichzeitig versuchten deutsche Juden, die den Krieg im Untergrund oder in Mischehen überlebt hatten, in den Städten und Kommunen wieder ein Gemeindeleben zu organisieren. Im Juli 1945 begannen auch entsprechende Vorbereitungen in Hamburg, nachdem etwa 80 Juden an einem neuen Gemeindeleben Interesse bekundet hatten. Am 18.9.1945 konstituierte sich die neue Jüdische Gemeinde Hamburgs mit einem Vorstand und einen Monat später mit einer neuen Satzung. Die Hamburger Gemeinde wurde Mitglied des neugegründeten Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie beantragte beim Hamburger Senat die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, was 1948 auch gewährt wurde. Damit gelang es, die rechtliche Kontinuität zur Vorkriegsgemeinde zu verdeutlichen, die den gleichen rechtlichen Status besessen hatte. Außerdem konnte sie als Rechtsnachfolgerin der 1943 zerstörten Hamburger jüdischen Gemeinde Ansprüche auf Rückerstattung und Wiedergutmachung erheben, deren Verwirklichung eine der wichtigsten und kompliziertesten rechtlichen Aufgaben der Nachkriegszeit für die jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland darstellte. Hierzu gehört auch die Diskussion um eine Wiedereinbürgerung der infolge der nationalsozialistischen Gesetzgebung ausgebürgerten Juden. Das Grundgesetz legte fest, dass jeder, dem zwischen 1933 und 1945 die Staatsangehörigkeit entzogen worden war, renaturalisiert werden konnte. Mit Militärregierungs- und Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom September 1945 wurden die nationalsozialistischen Gesetze wie das Reichsbürgergesetz Gesetz, welches am 15.9.1935 von den Nationalsozialisten verabschiedet wurde und welches den Juden sämtliche politischen Rechte nahm. und seine Durchführungsverordnungen aufgehoben und die ausgebürgerte Juden konnten wieder als Deutsche gelten.

Im Juni 1947 entstand die Arbeitsgemeinschaft jüdischer Gemeinden in Deutschland als erste Kooperation der Gemeinden auf überregionaler Ebene. Am 19.7.1950 erfolgte die Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland, teilweise auf US-amerikanischen Druck, aber auch durch den bundesdeutschen Wunsch nach einer jüdischen Interessenvertretung. Spätestens mit der Schaffung der wichtigsten politischen Institution der Juden war zugleich das Signal verbunden, dass sie ein Leben in der Bundesrepublik anstrebten, auch wenn diese Frage angesichts der Gräueltaten, die das nationalsozialistische Deutschland an den europäischen Juden verübt hatte, noch lange Zeit im In- und Ausland umstritten bleiben sollte. Der Zentralrat propagierte eine strikte Politik der Einheitsgemeinde, mit der die unterschiedlichen Gruppen und ihre verschiedenen religiösen, kulturellen, sprachlichen und politischen Interessen zusammengeführt werden sollten. Gerade weil die Anzahl der Juden in der frühen Bundesrepublik so klein war und sie aus wenigen deutschen und mehrheitlich osteuropäischen Juden zusammengesetzt war, mussten die erheblichen Zentrifugalkräfte entschärft werden.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts veränderte sich die Gemeindestruktur der Hamburger Juden erneut. Neben der offizielle Einheitsgemeinde, die weitgehend dem orthodoxen Ritus folgt, traten zwei Vereine mit einer anderen religiösen Orientierung: ab 2004 die Liberale Gemeinde e. V. und ab 2009 die Kehilat Beit Shira – Jüdische Masorti Gemeinde Hamburg e. V., welche die konservative Richtung der jüdischen Religionsausübung vertritt. Mit der jüdischen Gemeinde schloss der Hamburger Senat 2007 einen Staatsvertrag ab, der – ähnlich zu den Vereinbarungen mit den christlichen Kirchen – die gegenseitigen Rechte und Pflichten festschreibt. Der jüdischen Gemeinde wurde erlaubt, jüdischen Religionsunterricht zu ermöglichen, eigene Bildungseinrichtungen und Friedhöfe zu unterhalten sowie eine Kultussteuer von ihren Mitgliedern zu erheben. Die Stadt Hamburg sagte der Gemeinde eine staatliche Förderung von jährlich 850.000 Euro zu.

Jüdische Politikerinnen und Politiker nach 1945


An vielen Orten nahmen Juden am allgemeinen politischen Leben der frühen Bundesrepublik teil. Beispielsweise fungierte Walter Auerbach als sozialdemokratischer Staatssekretär in Niedersachsen. Josef Neuberger bekleidete das Amt des Justizministers in Nordrhein-Westfalen. In den 1950er- und 1960er-Jahren saßen Jakob Altmaier, Peter Blachstein und Jeanette Wolff im Deutschen Bundestag – alle für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Siegmund Weltlinger zog 1959 für die Christlich-Demokratische Union (CDU) in das Berliner Abgeordnetenhaus ein. Eine besondere Stellung nahm die politische Karriere Herbert Weichmanns in Hamburg ein. Weichmanns politische Laufbahn hatte bereits in der Weimarer Republik begonnen. Nach seiner Remigration aus den USA in die Bundesrepublik 1948 wirkte er zunächst unter anderem als Finanzsenator und saß von 1961 bis 1974 in der Hamburger Bürgerschaft. Von 1965 bis 1971 war er Erster Bürgermeister der Hansestadt. Als 1969 ein Nachfolger für Bundespräsident Heinrich Lübke gefunden werden musste, wurde Weichmann das Amt angetragen, der diese Ehre allerdings ablehnte. Er soll unter anderem befürchtet haben, dass die Bundesbürger keinen Juden als Bundespräsidenten akzeptieren würden. Eine Selbstverständlichkeit war die politische Karriere eines Juden in der BRD keineswegs.

Auwahlbibliografie


Institut für die Geschichte der Deutschen Juden (Hrsg.), Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Göttingen 2006, online unter http://www.dasjuedischehamburg.de/.
Peter Freimark/Arno Herzig (Hrsg.), Die Hamburger Juden in der Emanzipationsphase (1780–1870), Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 15, Hamburg 1989.
Peter Freimark/Franklin Kopitzsch (Hrsg.), Spuren der Vergangenheit sichtbar machen. Beiträge zur Geschichte der Juden in Hamburg, Hamburg 1991.
Uffa Jensen, Recht und Politik, Perspektiven deutsch-jüdischer Geschichte, Paderborn 2014.
Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik. Eine Dokumentation, 2 Bde., Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 13, Hamburg 1987.
Ina Lorenz (Hrsg.), Zerstörte Geschichte. Vierhundert Jahre jüdisches Leben in Hamburg, Hamburg 2005.

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Zum Autor

Uffa Jensen (Themen: Recht und Politik / Wirtschaft und Berufsstruktur), Prof. Dr. phil., hat seit 2018 eine Heisenberg-Forschungsprofessur der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Zentrum für Antisemitismusforschung, wo er auch stellvertretender Direktor ist. Zu seinen Forschungsinteressen zählen: Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, transnationale Geschichte, Geschichte der Psychoanalyse, moderne jüdische Geschichte und Geschichte des Antisemitismus.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Uffa Jensen, Recht und Politik, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-222.de.v1> [21.11.2024].

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