Nationalsozialistische Umbenennung Hamburger Straßen: Die Hallerstraße

Ingeborg Grolle

Quellenbeschreibung

Das Foto stammt aus dem Hamburger Anzeiger vom 1.11.1938 und zeigt einen nicht mehr ganz jungen Mann in Arbeitskleidung und Schirmmütze, der das gerade abgenommene Schild mit der Aufschrift „Hallerstrasse“ unter den linken Arm geklemmt hat. Er betrachtet das von ihm soeben angebrachte neue Schild „Ostmarkstraße“ und die darunter befindliche ebenfalls neue Kennzeichnung des Straßenabschnitts der Häuser Nr. 78 – 72. An dieser Stelle zweigte bisher der „Hallerplatz“ ab, dessen Häuser jetzt zum Grindelhof gerechnet wurden.
Der Fotograf mit Namen „Frege“ war nicht mehr zu ermitteln. Die Qualität der Aufnahme ist unzulänglich. Jedoch veranschaulicht der abgebildete Vorgang beispielhaft für viele andere, wie nach dem Willen der nationalsozialistischen Machthaber jede an Juden erinnernde Spur aus dem Stadtbild Hamburgs verschwinden sollte. Eine Aufnahme derselben Szene, von der anderen Seite her fotografiert, war Teil der Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg“ im Museum für hamburgische Geschichte (1991). Die Interpretation beruht auf Akten des Hamburger Staatsarchivs.
  • Ingeborg Grolle

Umbenennung von Straßennamen


Die nationalsozialistische Propaganda machte sich die symbolische Wirkung von Straßennamen zunutze. Schon 1933 wurde der Hamburger Rathausmarkt in Adolf Hitler-Platz umbenannt, die Bebel-Allee in Adolf-Hitler-Straße. Die Straßenschilder mit Namen von politischen Gegnern wurden durch solche ersetzt, die Helden der nationalsozialistischen Bewegung ehrten. Auch nach Juden benannte Straßen sollten umgewidmet werden. Dazu gehörten die Straße sowie der Platz und die U-Bahn-Station, die den Namen „Haller“ trugen. Sie hießen nach Nicolaus Ferdinand Haller (1805–1876). Der aus einer jüdischen Familie stammende, christlich getaufte Haller war 1844 als erster Hamburger jüdischer Herkunft in den Senat und später zum Bürgermeister gewählt worden. Obwohl bürgerlich christlich akkulturiert, blieb sich Ferdinand Haller zeitlebens seiner jüdischen Wurzeln bewusst. Als 1868 eine neue wichtige Hamburger Straße nach ihm benannt wurde, konnte er darin eine persönliche Anerkennung durch die Stadt Hamburg und eine Krönung seines Lebenswerkes sehen.

Bedeutung der Hallerstraße


In der sogenannten Gründerzeit Ende des 19. Jahrhunderts gewann die Stadt Hamburg wertvolles Bauland durch die Umnutzung der ehemaligen Ländereien des Klosters Harvestehude. In die dort entstehenden Villen und geräumigen Etagenhäuser zogen viele Juden, die dank der Verfassung von 1860 Freizügigkeit genossen und so die Enge ihrer jüdischen Quartiere in der Innenstadt verlassen konnten. Die Hallerstraße bildete die südliche Grenze zwischen dem vornehmen Viertel Harvestehude und dem volkstümlich jüdisch geprägten Grindel. Bei der Hausnummer Hallerstraße 72, die im Foto zu sehen ist, zweigten die etwa 15 Häuser des Hallerplatzes ab, im Westen kreuzte die Hallerstraße die zum Dammtor führende Rothenbaumchaussee. An dieser Stelle entstand 1926 an der Linie 1 der neue U-Bahnhof Hallerstraße. So symbolisierte der Name „Haller“ in Hamburg einen städtischen Schnittpunkt für Verkehr und Kommunikation. Das Gewicht dieses Namens wurde noch verstärkt durch die hervorragende Bedeutung des Sohnes von Ferdinand, des Architekten Martin Haller, der maßgeblich beteiligt war am Bau des neuen Rathauses, der Musikhalle und vieler vornehmer Villen. Nach ihm wurde 1929 der Martin-Haller-Ring am Rande der Jarrestadt benannt. Die Eliminierung des Namens „Haller“ und sein Ersatz durch „Ostmark“, wie Österreich seit dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich im März 1938 genannt wurde, war so spektakulär, dass die Presse sogar mit einem Foto davon Kenntnis gab.

Auflistung und Diskussion jüdischer Straßennamen


In den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft standen in Bezug auf die Straßennamen politische Interessen im Vordergrund. Viele Namen „alter Kämpfer“ wurden auf Straßenschildern geehrt. Dagegen mahnte der Reichsminister des Inneren am 4.4.1934 zur „bescheidenen Zurückhaltung“. Im Jahr des Röhm-Putsches erging reichsweit ein Verbot, in Zukunft noch Lebenden einen Straßennamen zu widmen. Von einer generellen Regelung sei im Augenblick abzusehen, entschied auch der Hamburger Senat. Das galt zunächst ebenso für jüdische Straßennamen. Dann aber stimulierte das 1935 erlassene „Reichsbürgergesetz Gesetz, welches am 15.9.1935 von den Nationalsozialisten verabschiedet wurde und welches den Juden sämtliche politischen Rechte nahm.“ mit der akribischen Definition, wer Jude, „Mischling ersten“ oder „zweiten Grades“ oder „Geltungsjude“ sei, das „Rassebewusstsein“ der „Volksgenossen“. Aufmerksame Parteimitglieder monierten, dass noch zu viele jüdische Namen im öffentlichen Raum Hamburgs präsent seien. Daraufhin erstellte das Hamburger Staatsamt im Mai 1936 einen ausführlichen Bericht über den Stand der jüdischen Straßennamen. In wenigen Fällen waren bereits Umbenennungen erfolgt, so zum Beispiel von Börne- in Josef -Kleinstraße, von Wolffsonsweg in Lützowstraße. Viele nach Juden benannte Straßen trugen ihre Namen aber noch. Unter den über zwanzig aufgelisteten Namen waren neben Felix Mendelssohn, Gabriel Rießer, Heinrich Hertz und Heinrich Heine auch die von Ferdinand und von Martin Haller. Bei der Diskussion um ihre Umbenennung wurde die Frage erhoben, ob denn von den notierten Namen auch solche geändert werden müssten, die gar nicht ohne weiteres als jüdisch erkenntlich seien, wie etwa Juliusweg, Hinrichsenstraße  Hinrichsen war ein jüdisches Senatsmitglied; die Straße wurde 1938 in Brucknerstraße umbenannt und heißt seit 1945 wieder Hinrichsenstraße oder Hallerstraße?

Bereinigung der Straßennamen in Groß-Hamburg


Die Frage der Straßenbenennungen gewann an Dringlichkeit mit dem von der Reichsregierung zum 1.4.1937 erlassenen Groß-Hamburg-Gesetz, das die Städte Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg und große Landgebiete der Hansestadt Hamburg eingliederte. Damit ergab sich die Aufgabe, die vielen Doppelungen von Straßennamen zu beseitigen und ihre Schreibweise zu vereinheitlichen. Auch sollte „diese Gelegenheit benutzt werden, um jüdische und politisch anstößige Straßennamen zu beseitigen“  StaHH 131-4/1934 A77 Bd.II, Besprechung am Montag. 6. Dez. 1937 im Rathaus.. Am 6.12.1937 fand im Rathaus eine Besprechung aller zuständigen Stellen statt. Vertreten waren die Baubehörde, das Statistische Landesamt, das Staatsarchiv, die Landherrenschaft, der Landkreis Harburg und das Hamburgische Staatsamt. Das Vermessungsamt präsentierte eine Liste gleichbenannter Straßen, das Archiv stellte eine Liste „jüdischer und marxistischer Straßennamen“  StaHH 131-4/1934 A77 Bd.II, Besprechung am Montag. 6. Dez.1937 im Rathaus. zusammen. Danach waren mindestens 1613 Namen im neugeschaffenen Groß-Hamburg zu ändern. Anhaltspunkte für neue Namen boten Städte aus den abgetretenen Gebieten, Pioniere in den einstigen Kolonien, Reichsdeutsche im Ausland und besonders niederdeutsche Namen. Einen umfassenden Bericht über die Umbenennung von Straßen in der „Hansestadt Hamburg“ (statt zuvor „Freie und Hansestadt“) legte die Bauverwaltung im Juni 1938 vor. Nach einer umständlichen Aufzählung folgte die Bemerkung: „Wenn daneben schon jetzt eine Hermann-Göring-Straße geschaffen werden soll, so bietet sich die Gelegenheit bei etwaiger Umbenennung der Hallerstraße und der betreffenden Haltestelle.“  StaHH 131-4/1934 A 77 Bd II, Gemeindeverwaltung, Bauverwaltung Bericht btr. Umbenennung von Straßennamen vom 29.6.1938. Ein früherer, vom Ingenieurwesen an den Reichsstatthalter eingereichter Vorschlag für die Benennung der Hallerstraße lautete auf Wilhelm Gustloff, den „dienstältesten Landesgruppenleiter der Auslandsorganisation der NSDAP, der von feiger Mörderhand fiel“  StaHH 131-1II 2677 Hamburgisches Staatsamt Abt. 1 A 1, 26.11.1936. . Die Empfehlung für den Martin-Haller-Ring lautete auf Hans Schemm, Gründer und Leiter des Gau „Bayrische Ostmark“. Schemms Tod 1935 durch einen Flugzeugabsturz wurde von den Nationalsozialisten verklärt, Schulen und Straßen erhielten seinen Namen.

Der Name Ostmark


Das NS-Prinzip der Einteilung des Reichsgebiets in Gaue wurde auch beim „Anschluss“ Österreichs im März 1938 angewandt. Der Name „Österreich“ verschwand von der nationalsozialistischen Landkarte. Es gab nur noch die „Ostmark“. Im Namen schwingt die nationalsozialistische Schutz- und Trutzhaltung an der deutschen Ostgrenze mit. Als bei der Neubenennung der Hallerstraße der Archivdirektor und Historiker Heinrich Reincke für „Wien“ plädierte, musste er sich überzeugen lassen, dass der Name „Ostmark“ den gegenwärtigen Hochgefühlen über die „Wiedervereinigung“ Deutschlands mit Österreich besser entsprach. Der Name „Haller“ wurde in Hamburgs öffentlichem Raum gelöscht. Nicht so leicht verzichtete der Hamburgische Reichsstatthalter auf den Namen des hochberühmten Physikers Heinrich Hertz. Er bat den Reichsminister des Inneren Wilhelm Frick, den Straßennamen dieses „Halbjuden“ beibehalten zu dürfen. Die Antwort Fricks war ein striktes Gebot, „alle jüdischen Straßennamen unverzüglich zu ändern und mir die vollzogene Umbenennung spätestens 1. Nov. 1938 zu berichten.“  StaHH 131-4/1934 A77 Bd.II., Erlass des Reichsinnenministers vom 27.7.1938; Ders. an den Reichsstatthalter Hamburg am 18.9.1938. Am 13.10.1938 konnte Obersenatsrat Dr. Lindemann als Ergebnis einer Besprechung mit allen in Frage kommenden Dienststellen die zum 1. November verbindlich festgelegte Umbenennung jüdischer Straßennamen in Hamburg melden. Alle neuen Namen wurden im Öffentlichen Anzeiger, Beiblatt zum HamburgischenVerordnungsblatt vom 15.10.1938 veröffentlicht. Dem Zeitpunkt Ende Oktober ist die auf dem Foto zu sehende Montage der Straßenschilder zuzuordnen Der Hamburger Anzeiger veröffentlichte das entsprechende Bild am 1. November. Die Hallerstraße und die U-Bahn Haltestelle erhielten endgültig den neuen Namen Ostmarkstraße, der Hallerplatz kam zum Grindelhof, der Martin-Haller-Ring hieß nun Hans-Schemm-Platz. Es dauerte allerdings mehr als ein Jahr, bis das entsprechend geänderte Hamburger Adressbuch erschien. 1939 ist noch die Hallerstraße verzeichnet, erst 1940 findet sich darin die Ostmarkstraße.

Die Rück-Umbenennung


Am 3.5.1945 wurde Hamburg kampflos den britischen Truppen übergeben. Die sofort installierte Militärregierung entließ die meisten Spitzenbeamten und ernannte am 15. Mai den unbelasteten Kaufmann Rudolf Petersen zum Bürgermeister. Am Tag darauf ordnete Petersen an, dass sofort die nach Mitgliedern der NSDAP benannten Straßennamen beseitigt und die früheren Benennungen wieder eingeführt werden sollten. Die entsprechenden Straßenschilder müssten in den nächsten Tagen „in den noch bewohnten Straßen“  StaHH 131-1 II/2673, Anordnung vom 16.5.1945. angebracht werden. Am 18. Juni wurden nach Vorschlag von Senatssyndikus Dr. Lindemann Straßen rück-umbenannt, die Leipzigerstraße in Heinrich Hertz-Straße, die Ostmarkstraße in Hallerstraße, die Schlieffenstraße in Henry Budge-Straße und noch einige andere. Auch der Hallerplatz erstand nach einiger Diskussion wieder wie früher, ebenso der Martin-Haller-Ring. Die nationalsozialistischen Interims-Bezeichnungen wurden nirgends mehr erwähnt.

Auswahlbibliografie


Galerie Morgenland (Hrsg.), „Wo Wurzeln waren…“ Juden in Hamburg-Eimsbüttel 1933 bis 1935, Hamburg.1993 (Redaktion Beate Meyer u.a.). Darin enthalten ist ein Exkurs von Sybille Baumbach zu Straßen- und Krankenhausumbenennungen, S. 86–88.
Staatsarchiv Hamburg Senatskanzlei, Präsidialabteilung 131-4/1934 A77 Band I und Band II; Straßenbenennungen 131-1, 377/2673 bis 377/2678; 378/2680.

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Zur Autorin

Ingeborg Grolle, Dr. phil., *1931, arbeitete beim Südwestdeutschen Rundfunk, sowie an Veröffentlichungen zur Sozialgeschichte Hamburgs. Forschungsschwerpunkt: Biografien, Frauen- und Sozialgeschichte.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Ingeborg Grolle, Nationalsozialistische Umbenennung Hamburger Straßen: Die Hallerstraße, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-150.de.v1> [20.11.2024].

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