Der Spiegelsaal aus dem Budge-Palais in Hamburg

Silke Reuther

Quellenbeschreibung

Der Spie­gel­saal wurde 1909 in der von Mar­tin Hal­ler 1884 er­bau­ten Villa er­rich­tet. Henry und Emma Budge hat­ten die Villa um 1900 an­ge­kauft und von dem Ham­bur­ger Ar­chi­tek­ten zu einem Pa­lais aus­bau­en las­sen. Den Fest­saal nutz­te das jü­di­sche Ehe­paar für Bälle, Kon­zer­te und Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tun­gen. Der Pa­vil­lon öff­ne­te sich zum Gar­ten durch drei ver­glas­te Flü­gel­tü­ren. Die rück­wär­ti­gen Türen waren ver­spie­gelt, um den Raum op­tisch zu er­wei­tern. Auf diese bau­li­che Be­son­der­heit, die sich an der fran­zö­si­schen Schlos­sar­chi­tek­tur des 17. Jahr­hun­derts ori­en­tier­te, grün­det sich die Be­zeich­nung Spie­gel­saal. Die In­nen­aus­stat­tung wurde auf Wunsch Emma Bud­ges von der Pa­ri­ser De­ko­ra­ti­ons­fir­ma Ala­voi­ne & Cie aus­ge­führt. Die Wand- und De­cken­de­ko­ra­tio­nen sind über­wie­gend im Stil des Klas­si­zis­mus und des Ro­ko­ko ge­stal­tet. In den flo­ra­len De­ko­ra­ti­ons­ele­men­ten und den al­le­go­ri­schen Dar­stel­lun­gen von Jah­res­zei­ten und Musen in den Bo­gen­fel­dern unter der Decke ist auf die Gar­ten­land­schaft Bezug ge­nom­men, die sich vor dem Pa­vil­lon er­streck­te. Der für den His­to­ris­mus cha­rak­te­ris­ti­sche Stilp­lu­ra­lis­mus er­fuhr sei­nen be­son­de­ren Reiz durch die klas­si­sche Stren­ge der Villen-​Architektur in Ver­bin­dung mit einer spie­le­risch an­mu­ten­den In­nen­raum­de­ko­ra­ti­on. Bis 1980 be­fand sich der Spie­gel­saal in der Villa, in der seit 1959 die Staat­li­che Hoch­schu­le für Musik (heute: Hoch­schu­le für Musik und Thea­ter Ham­burg) an­säs­sig ist. Als er einem Er­wei­te­rungs­bau wei­chen muss­te, wurde er in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ham­bur­ger Denk­mal­schutz­amt ins Mu­se­um für Kunst und Ge­wer­be Ham­burg (MKG) über­führt und ist dort seit 1987 im Nord­hof zu sehen.

Die Ge­schich­te des Spie­gel­saals ver­weist, stell­ver­tre­tend für viele Kul­tur­gü­ter und Kunst­ge­gen­stän­de, auf die Ak­kul­tu­ra­ti­on jü­di­scher Fa­mi­li­en, die einen Teil des wohl­ha­ben­den Ham­bur­ger Bür­ger­tums bil­de­ten. Sie ist zu­gleich die Ge­schich­te eines lange wäh­ren­den Kamp­fes um „Wie­der­gut­ma­chung“. Als kul­tur­his­to­ri­sche Quel­le steht der Spie­gel­saal für die groß­bür­ger­li­che Wohn­kul­tur, die die tiefe Ver­an­ke­rung ak­kul­tu­rier­ter Juden in Ham­burgs Kunst-​ und Kul­tur­le­ben ver­an­schau­licht.

  • Silke Reuther

Emma und Henry Budge


Die Bud­ges waren aus Deutsch­land stam­men­de Juden, die in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka ge­lebt hat­ten und seit 1882 neben der deut­schen auch die ame­ri­ka­ni­sche Staats­bür­ger­schaft be­sa­ßen. In den USA war Henry Budge als Ban­kier und im Wert­pa­pier­han­del zu Ver­mö­gen ge­langt. Sie wähl­ten Ham­burg, die Ge­burts­stadt von Emma Budge, zur Al­ters­re­si­denz und lie­ßen sich 1903 dort nie­der. Das Wir­ken der Bud­ges zeich­ne­te sich in Deutsch­land durch Ge­mein­nüt­zig­keit aus, so rie­fen sie in Ham­burg und Frank­furt am Main wohl­tä­ti­ge Stif­tun­gen ins Leben, die im so­zia­len Be­reich en­ga­giert waren. In der Han­se­stadt un­ter­stütz­ten sie vor allem das Mu­se­um für Kunst und Ge­wer­be Ham­burg. Die Mu­se­ums­di­rek­to­ren Jus­tus Brinck­mann und Max Sauer­landt be­rie­ten sie beim Auf­bau ihrer Kunst­samm­lung. Die Bud­ges zeig­ten sich im Ge­gen­zug er­kennt­lich und be­dach­ten das Mu­se­um mit zahl­rei­chen Schen­kun­gen.

Testamentarische Verfügung


Mit dem Tod von Henry Budge trat eine ge­mein­sam mit sei­ner Frau ge­trof­fe­ne Ver­fü­gung in Kraft, die vor­sah, dass die in Deutsch­land zu­sam­men­ge­tra­ge­ne kunst­ge­werb­li­che Samm­lung nach bei­der Tod dem MKG ver­macht wer­den soll­te. 1930 er­wei­ter­te Emma Budge diese Schen­kungs­ab­sicht und legte fest, dass auch die Villa zu ge­mein­nüt­zi­gen Zwe­cken an die Stadt Ham­burg gehen soll­te. In „Per­so­nal­uni­on“ mit dem Mu­se­um für Kunst und Ge­wer­be Ham­burg soll­te im Budge-​Palais eine mu­sea­le Au­ßen­stel­le ent­ste­hen, die das groß­bür­ger­li­che Leben Ham­burgs und das Wir­ken sei­ner Kunst­samm­ler und Mä­ze­ne am Bei­spiel der Bud­ges und ihres Kunst­be­sit­zes ex­em­pla­risch ver­an­schau­lich­te. We­ni­ge Mo­na­te nach der Macht­er­grei­fung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten 1933 wi­der­rief Emma Budge die­ses Tes­ta­ment und setz­te ihre jü­di­schen Ver­wand­ten als Erben ein. Sie be­stimm­te vier eben­falls jü­di­sche Tes­ta­ments­voll­stre­cker, die den Nach­lass in ihrem Sinne und zu­guns­ten der Erben ver­wal­ten soll­ten. Emma Budge ver­lang­te aber eine „Rea­li­sie­rung“ in wür­di­ger Weise und nach bes­ten kauf­män­ni­schen Ab­wä­gun­gen. Jeg­li­chen Nut­zen für Ham­burg schloss sie aus­drück­lich aus.

Die Villa in der NS-Zeit


Nach Emma Bud­ges Tod wurde die Villa ent­ge­gen ihrer Ver­fü­gung und unter bis heute nicht rest­los ge­klär­ten Um­stän­den für RM 305.000 weit unter Wert an die Stadt ver­kauft. Das Pa­lais dien­te als Sitz des Ham­bur­ger Reichs­statt­hal­ters und NSDAP-​Gauleiters Karl Kauf­mann. Die Kunst­samm­lung wurde 1937 bei Paul Grau­pe in Ber­lin ver­stei­gert. Die Kunst­ge­gen­stän­de gin­gen ohne Li­mi­tie­rung, das heißt ohne fest­ge­leg­ten Min­dest­preis, in die Auk­ti­on. Diese Preis­ge­stal­tung ist auf die Not­la­ge der jü­di­schen Erben zu­rück­zu­füh­ren. Sämt­li­che Er­trä­ge aus der Auk­ti­on und dem Haus­ver­kauf wur­den einem Nach­lass­kon­to gut­ge­schrie­ben. Ein in der Schweiz be­find­li­ches Wertpapier-​ und US-​Dollarvermögen von um­ge­rech­net rund 6,8 Mil­lio­nen Reichs­mark wurde unter An­wen­dung von Zwangs­maß­nah­men gegen die Erben nach Deutsch­land trans­fe­riert und eben­falls auf das Nach­lass­kon­to ein­ge­zahlt. Doch die Tes­ta­ments­voll­stre­cker und die Erben hat­ten auf das Geld kei­nen Zu­griff. Aus die­sem Ver­mö­gen be­strit­ten die Erben die immer wie­der neu be­mes­se­nen Steu­er­pflich­ten, die dis­kri­mi­nie­ren­den Son­der­ab­ga­ben, die bei Emi­gra­ti­on fäl­li­ge Reichs­flucht­steu­er und die ab 1938 er­ho­be­ne Ju­den­ver­mö­gens­ab­ga­be. Die mi­ni­ma­len Rest­be­trä­ge, die ei­ni­ge der in Deutsch­land le­ben­den Erben er­hiel­ten, un­ter­la­gen der Si­che­rungs­an­ord­nung und gin­gen auf so­ge­nann­te Sperr­kon­ten. Für die Ver­wen­dung der dort ver­sam­mel­ten Geld­be­trä­ge be­nö­tig­ten die Kon­to­in­ha­ber nach der deut­schen De­vi­sen­ge­setz­ge­bung die Ge­neh­mi­gung des Ober­fi­nanz­prä­si­den­ten. Im Falle der Aus­wan­de­rung konn­te das Geld nur in Sperr­mark ge­tauscht in das Aus­land trans­fe­riert wer­den. 1938 be­trug der Wert der Sperr­mark le­dig­lich 6 Pro­zent des Reichs­mark­wer­tes.

Kampf um „Wiedergutmachung“


Nach Kriegs­en­de gab es für das Budge-​Palais ein Wie­der­gut­ma­chungs­ver­fah­ren, das aber nicht mit einer Wie­der­her­stel­lung der ehe­ma­li­gen Be­sitz­ver­hält­nis­se, son­dern mit einer mi­ni­ma­len Nach­ver­gü­tung en­de­te, die nicht dem Markt­wert ent­sprach. 2011 mach­te die Er­ben­ge­mein­schaft Budge einen Re­sti­tu­ti­ons­an­spruch auf die Villa gel­tend, der auch den Spie­gel­saal be­traf. Die Han­se­stadt Ham­burg und die Ver­tre­ter der Erben ei­nig­ten sich auf die Zah­lung eines so­ge­nann­ten Ab­gel­tungs­be­tra­ges, einer Ent­schä­di­gungs­zah­lung für das Pa­lais, die den im MKG be­find­li­chen Spie­gel­saal sowie ein 1972 vom Mu­se­um er­wor­be­nes Pup­pen­haus mit der Pro­ve­ni­enz Budge ein­schließt. Da die Um­stän­de, unter denen die Samm­lung von Emma Budge 1937 ver­stei­gert wurde, auf eine ver­fol­gungs­be­ding­te Not­la­ge zu­rück­zu­füh­ren sind, hat sich das Mu­se­um für Kunst und Ge­wer­be Ham­burg pro­ak­tiv um einen Aus­gleich be­müht. Be­reits 2002 er­hiel­ten die ein­zi­gen da­mals be­kann­ten Erben für zwei auf der Auk­ti­on an­ge­kauf­te Prunk­ge­fä­ße eine Ent­schä­di­gungs­zah­lung. Auf die­sem Wege wurde dafür Sorge ge­tra­gen, dass diese Kunst­ge­gen­stän­de in der Mu­se­ums­samm­lung ver­blei­ben konn­ten.

Auswahlbibliografie


Anja Heuß, Das Testament der Emma Budge, in: Inka Bertz / Michael Dorrmann (Hrsg.), Raub und Restitution Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Berlin / Frankfurt a. M. 2008, S. 82-90.
Günther Könke, Das Budge-Palais. Geschichte eines jüdischen Hauses. Ein Studie zur Entziehung und Rückerstattung jüdischer Vermögen, 1989 [unveröffentlicht; in der Bibliothek des MKG vorhanden].
Sabine Schulze / Silke Reuther, Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Hamburg 2014.

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Zur Autorin

Silke Reuther, Dr. phil., geb. 1958, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Provenienzforschung am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Hier kuratierte sie 2014 die Ausstellung „Raubkunst. Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg“. Zuvor war sie als freiberufliche Provenienzforscherin tätig und untersuchte in diesem Rahmen u.a. die Herkunft der Kunstsammlung von Philipp F. Reemtsma.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Silke Reuther, Der Spiegelsaal aus dem Budge-Palais in Hamburg, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 28.09.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-149.de.v1> [06.06.2025].

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