Aufruf für einen jüdischen Ehrenfriedhof in Ohlsdorf

Ina Lorenz

Quellenbeschreibung

Der Spendenaufruf zur Errichtung eines Ehrenfriedhofs auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel (Ohlsdorf) für die Kriegsgefallenen vom Februar 1921 fand eine breite Unterstützung der Gemeindeinstitutionen und der drei Kultusverbände. Es unterzeichneten einzelne Persönlichkeiten des Vorstandes, des Repräsentanten-Kollegiums, der Kommission für das Begräbniswesen, des Vaterländischen Bundes jüdischer Frontsoldaten, die Chargierten der studentischen Verbindungen K.C. Saxonia und V.J.St. Kadima, sowie Oberrabbiner Spitzer vom Synagogenverband, die Rabbiner Leimdörfer und Sonderling des Tempelverbandes und Mitglieder des Delegierten-Kollegiums des Synagogenverbandes, Vorstandsmitglieder des Tempel-Verbandes und der Neuen Dammtor-Synagoge. Außerdem unterstützten den Aufruf Frau Emilie Bing, Frau Sonja Franck und Frau Minna Magnus – alle drei religiös-liberal.
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Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und die Hamburger Ortsgruppe „Vaterländischer Bund jüdischer Frontsoldaten


Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) besaß zeitweise bis zu 55.000 Mitglieder und war damit nach dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens die mitgliederstärkste jüdische Organisation der Weimarer Republik. Der im Dezember 1918 gegründete „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ verweigerte den jüdischen Frontkämpfern die Mitgliedschaft. Der Verband jüdischer Frontsoldaten gründete sich daraufhin im Februar 1919 auf Initiative von Dr. Leo Löwenstein bewusst auch als Abwehrverein gegen den Antisemitismus. Die Bildung der Hamburger Ortsgruppe, die stets ihren ursprünglichen Namen Vaterländischer Bund jüdischer Frontsoldaten beibehielt, ist auf das Frühjahr 1919 zu datieren. Der gewählte Name ist zugleich Programm: Nach ihrer Satzung sah die Ortsgruppe die Grundlage ihrer Arbeit in dem „Zusammenschluss aller in Groß-Hamburg ansässigen jüdischen Frontsoldaten des ehemaligen deutschen Heeres ohne Unterschied der politischen oder religiösen Richtung zur gemeinsamen Abwehr aller judengegnerischen Angriffe“ Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, AHW 794, Bl. 124-130; abgedr. Ina Lorenz/Jörg Berkemann, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39, Göttingen 2016, Bd. V - Dokumente, S. 9-12, hier S. 9.. Mitglied konnte jeder Hamburger jüdische Kriegsteilnehmer werden, der zur kämpfenden Truppe gehörte und in der Gefahrenzone Dienst getan hatte. Im Ersten Weltkrieg kämpften etwa 85.000 deutsche Juden an der Front, nach anderen Angaben rund 80.000, von ihnen fielen etwa 12.000. Im Herbst 1918 behaupteten völkische Gruppierungen, aufgrund von „Drückebergerei“ und innerer Zersetzung in der Heimat trügen die Juden die Hauptschuld an der deutschen Niederlage. Die in den ersten Jahren nach der Gründung der Ortsgruppe noch offene Frage nach der Zahl der gefallenen jüdischen Hamburger konnte erst 1929 hinreichend genau beantwortet werden. Der damalige Vorsitzende der Hamburger Ortsgruppe, Rechtsanwalt Dr. Siegfried Urias, ermittelte die Zahl von 457 Gefallenen. Eine vollständige Namensliste der Hamburger jüdischen Gefallenen wurde 1932 im „Gefallenengedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten (Hrsg.), Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914–1918. Ein Gedenkbuch, Berlin 1932. hergestellt.

Die Hamburger Ortsgruppe des RjF mit ihrem tatkräftigen Vorsitzenden, Rechtsanwalt Siegfried Urias, gewann innerhalb der Hamburger Juden offenbar rasch ein erhebliches Ansehen. Das mochte sie im Februar 1921 ermuntert haben, für die Errichtung eines Ehrenfriedhofes mit Denkmalanlage um Spenden zu bitten. Der Aufruf zeigt die breite Unterstützung von meinungsbildenden jüdischen Institutionen.

Spendenaufruf für die Denkmalanlage


Den Spendenaufruf verfasste ein Werbeausschuss, dem 20 Personen angehörten, darunter in der Gemeinde bekannte Funktionsträger der Gemeinde selbst und der drei Kultusverbände, außerdem die drei Rabbiner. Der Inhalt des Aufrufs war schlicht gehalten. Die bereits bestehende gemeinsame Ruhestätte der Gefallenen sollte mit einem Krieger-Ehrenfriedhof ihre endgültige Gestaltung erhalten. Der Vaterländische Bund hoffte allerdings bei reichlichem Spendenaufkommen darüber hinaus notleidende Kriegs-Hinterbliebene unterstützen zu können. Der Aufruf der Ortsgruppe betonte die Soldatenehre und spiegelte ein ausgesprochen deutsch-nationales Judentum wider. Der Patriotismus der kriegsteilnehmenden Juden wurde ebenso betont wie ihre Opferbereitschaft. Auch die übrigen Hamburger Juden sollten sich angesprochen fühlen. Bereits ein Jahr nach dem Spendenaufruf konnte 1922 die Errichtung des Ehrenfriedhofs für die jüdischen Gefallenen auf dem Friedhof Ilandkoppel (Ohlsdorf) verwirklicht werden. Damit war Hamburg deutschlandweit die erste jüdische Großgemeinde, die ihre Kriegstoten nicht nur mit einem Gräber-Ehrenfeld, sondern auch mit einer großen Denkmalanlage ehrte. Berlin folgte 1927, weitere Gemeinden erst in den 1930er-Jahren.

Die Gedenkfeiern und andere Aktivitäten


Im Leben der Hamburger jüdischen Gemeinde blieb der Vaterländische Bund stets präsent. Im Verlauf der 1920er-Jahre gelang es der Ortsgruppe auf dem Ehrenfriedhof eindrucksvolle Gedenkfeiern zu gestalten. Diese Totenehrungen blieben jedoch keine innerjüdischen Veranstaltungen, vielmehr nahmen auch staatliche Repräsentanten und nichtjüdische Traditionsverbände in größerer Zahl an den Feierlichkeiten teil. Der äußere Rahmen der Feier gestaltete sich so bedeutsam, dass beispielsweise 1925 der Bürgermeister der Stadt, Carl Wilhelm Petersen, und 1929 Staatsrat Dr. Leo Lippmann als Vertreter des Senates anwesend waren. In den späteren 1920er-Jahren wurde es üblich, dass die Rabbiner des Tempelverbandes und der Neuen Dammtor-Synagoge an den Gedenkfeiern teilnahmen. Noch im Februar 1933 überreichte der Bund das Gefallenengedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten mit einer gesonderten Liste der Hamburger jüdischen Gefallenen in einer feierlichen Gedenkstunde dem Hamburger Senat. Am 9.9.1933 gab es ein Zusammentreffen mit 575 ehemaligen Frontsoldaten aus dem norddeutschen Raum; eine weitere Veranstaltung, mehrere Wochen später, erreichte mehr als 700 Teilnehmer. Zur Volksabstimmung am 12.11.1933 über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund rief der RjF dazu auf, mit „Ja“ zu stimmen. „In altsoldatischer Disziplin stehen wir mit unserem deutschen Vaterland bis zum Letzten“ Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg, 9. Jg., Nr. 8/9 vom 9. November 1933, S. 1., hieß es in einem im Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde veröffentlichten Aufruf des RjF. Im Dezember 1933 organisierte die Hamburger Ortsgruppe eine Kundgebung von etwa 2.000 Teilnehmern. Wiederum wurde die Forderung erhoben, „als Bestandteil der deutschen Nation zu gelten, mit allen Pflichten, aber auch mit allen Rechten“. Der zur Staatsdoktrin erhobene Antisemitismus des NS-Staates ließ auch innerjüdisch den RjF über einen verbandspolitischen Kurswechsel nachdenken. Der Beginn der rechtlichen und sozialen Gettoisierung war bereits 1933 nicht mehr zu übersehen. So musste der RjF erkennen, dass die von ihm verfolgte Politik, eine wohlwollende Duldung des NS-Regimes zu erlangen, gescheitert war. Erst nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ im September 1935 begann auch die Hamburger Ortsgruppe von ihrer strikten Ablehnung jeder Emigration abzurücken und sprach sich seit 1936 offen für die Auswanderung aus. Der RjF forderte nun eine „religiöse“ Rückbesinnung, sein früheres striktes Abrücken vom Zionismus gab er zunehmend auf.

Das Ende der Gedenkfeiern


Noch im Frühjahr 1935 gab es auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs eine öffentliche Gedächtnisfeier unter freiem Himmel mit etwa 1.000 Teilnehmern, eine entsprechende Gedenkstunde fand auf dem jüdischen Friedhof in Harburg statt. Ähnliche Veranstaltungen waren ab 1936 nicht mehr möglich. Bei den „Heldengedenktagen“ des NS-Regimes blieb für ein Gedenken an die gefallenen Juden kein Raum. Die Hamburger Juden ehrten nun ihre Gefallenen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, im März 1937 in den beiden großen Synagogen in religiöser Form und am 31.10.1937 in der Begräbnishalle auf dem Friedhof Ilandkoppel, mit einer anschließenden Ehrung auf dem Ehrenfriedhof. Nach dem Novemberpogrom löste sich Ende 1938 der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten selbst auf. Ein Großteil seiner Mitglieder war da bereits aus Deutschland emigriert.

Auswahlbibliografie


Ina Lorenz, Die Juden in Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik. Eine Dokumentation, Bd. 2, Hamburg 1987, S. 1137–1159.
Ulrich Dunker, Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1919–1938, Düsseldorf 1977.
Siegfried Urias, Die Hamburger Juden im Kriege 1914–1918. Eine statistische Abhandlung. Festschrift des Vaterländischen Bundes jüdischer Frontsoldaten in Hamburg aus Anlass seines 10jährigen Bestehens 1919–1929, Hamburg 1929.

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Zur Autorin

Ina Lorenz (1940), Prof. Dr. phil. habil., bis 2005 stellvertretende Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden und Professorin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die deutsch-jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts besonders im norddeutschen Raum; Quelleneditionen zu den jüdischen Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbek vom 17. bis zum 20. Jahrhundert sowie Sozial- und Gemeindegeschichte der Juden mit Schwerpunkt NS-Zeit in Hamburg. Auch: http://mitglieder.gegj.de/lorenz-prof-em-dr-ina/

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Ina Lorenz, Aufruf für einen jüdischen Ehrenfriedhof in Ohlsdorf, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 27.02.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-45.de.v1> [20.11.2024].

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