Die Hep-Hep-Unruhen in Hamburg. Ludolf Holsts Schrift „Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den Handelsstädten“

Moshe Zimmermann

Quellenbeschreibung

Ludolf Holst (1756–1825) machte sich in Hamburg seit 1799 einen Namen als Wirtschaftsexperte. Er studierte Theologie und Rechtswissenschaft, war als Privatlehrer tätig und mit der Frauenrechtlerin Amalia Holst verheiratet. Seit 1799 widmete er sich den für Hamburg relevanten Wirtschaftsfragen und veröffentlichte nach dem Ende der französischen Herrschaft hierzu mehrere Abhandlungen. Seine anonym veröffentlichte Schrift „Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den Handelsstädten“ (Leipzig 1818) war ein Meilenstein der judenfeindlichen Argumentation des frühen 19. Jahrhunderts. Kurz nach den Hep-Hep-Ausschreitungen, die auch Hamburg erfasst hatten, erschien seine zweite Publikation „Judenthum in allen dessen Theilen aus einem staatswissenschaftlichen Standpuncte betrachtet“ (Mainz 1821). Holsts Kritik entzündete sich in erster Linie an der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden. Ein Jahrhundert später wurden beide Schriften von Werner Sombart aufgegriffen und als Quelle verwendet. Sombart bezog sich in seinem bekannten Buch „Die Juden in der Wirtschaft“ (Leipzig 1911) direkt auf den „gut unterrichtete[n] Schriftsteller“ Ludolf Holst, und baute ihn in seine These über die Rolle der Juden im Kapitalismus ein.
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Der Beginn und das Ende der Krawalle


Im August 1819 kam es auch in Hamburg zu den sogenannten Hep-Hep-Ausschreitungen. Die Unruhen begannen am 19. August mit Angriffen auf Juden, die sich in den Kaffeehäusern der Stadtmitte aufhielten und breiteten sich in den nächsten Tagen in der ganzen Stadt aus. Die Drahtzieher verteilten handgeschriebene Zettel mit dem Aufruf „Hepp! Hepp Jude verreck“ oder „Hepp! Hepp! Der Jude muß im Dreck [sic]“. Der Senat wusste, dass die Unruhen geplant worden waren und in wirtschaftlicher Konkurrenz und Neid begründet lagen, er betrachtete die Unruhen als Gefahr für das Ansehen der Handelsstadt, und vermutete, dass die Unterschichten sich diesen nur wegen der Hetzaufrufe der Drahtzieher angeschlossen hatten. Als der Senat am 26. August mit dem Schießbefehl gegen Randalierer drohte, flaute die Pogromwelle ab.

Der gesellschaftliche Rückhalt


Im Vergleich zu anderen Städten wie Würzburg oder Frankfurt waren die Unruhen in Hamburg eher unbeträchtlich. Der Grund für die Marginalität dieser Unruhen, die sich gegen Versuche richteten, den Rechtsstatus der Juden zu verbessern und ihnen größere Erwerbsfreiheit zu gewähren, lag in ihrer schmalen sozialen Basis. Diejenigen, die bewusst der Emanzipation beziehungsweise der sozialen Umstrukturierung (meist als „Produktivierung“ bezeichnet) der jüdischen Gesellschaft entgegenstanden, waren eine kleine Minderheit, die im Senat wenig Unterstützung fand, jedoch die von Vorurteilen geprägten Menschen zu mobilisieren und manipulieren wusste.

Holsts Thesen


Ein direkter Zusammenhang zwischen Ludolf Holsts Ausführungen in seinem 1818 erschienenen antijüdischen Buch und den Hep-Hep-Ausschreitungen in Hamburg ist nicht nachweisbar. Der inhaltliche Zusammenhang zwischen beiden ist hingegen eindeutig. Es wird vermutet, dass Holst sein Buch im Auftrag von „interessierter Seite“  Jacob Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700-1933, München 1989, S. 95. aus aktuellem Anlass verfasste. In diesem Buch versuchte Holst auf die Herausforderungen der Moderne zu reagieren, indem er die Erklärung für die aktuellen Wirtschaftsprobleme – erhöhte Preise, Arbeitslosigkeit unter Handwerkern, exzessiver Luxus, moralischer Verderb (Spiel mit Zahlenlotto) et cetera – bei den Juden zu finden suchte. Er hinterfragte die Quellen der wirtschaftlichen Macht der Juden und fand die Antwort in den „Grundsätzen, Maximen, besonders Handelsmaximen der Israeliten“ (S. 224) die nach seiner Meinung besonders für Handelsstädte schädlich seien, vor allem – so Holst – die Umgehung von gesetzlichen Beschränkungen, die Überschwemmung der Märkte mit ausländischen Waren, der Handel mit defizitären Gewichten und der Verkauf mit besonders kleinem Gewinn, um den Geldumlauf durch eine Steigerung der Nachfrage zu beschleunigen. (S. 239 f.) Eingebettet waren diese judenfeindlichen Vorwürfe in allgemeine Aussagen, die für den Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts typisch waren: Juden seien unermesslich reich, Juden hätten sich weder in der Wissenschaft noch in der Kunst ausgezeichnet. Die einzige Kunst, die der Jude angeblich kenne, sei „die Kunst aller Künste: das Geld an sich zu ziehen“ (S. 216). Auch der Vorwurf der fehlenden Loyalität fehlte nicht. Im Gegensatz zum Christen empfinde der Jude keine „Liebe an seinem Vaterlande“, er sehe nur „das Land, wo er die ergiebigste Quelle seines Umtriebens zu finden glaubt […] seines momentanen Aufenthalts für würdig an“ (S. 213 f.).

Alte Vorurteile unter neuen Begebenheiten


Holst vertrat in seiner Argumentation die Interessen der mittleren Kaufmannschaft und der zünftigen Handwerker, war also politisch und wirtschaftlich konservativ eingestellt. Nach der französischen Revolution mit ihrem Einfluss auf die Judenpolitik des Rheinbundes und Preußens (Emanzipationsedikt 1812), aber auch seit Beginn der industriellen Revolution in England reichte jedoch die bloße Wiederholung von altbekannten, hauptsächlich religiösen Argumenten gegen die Gleichberechtigung der Juden nicht mehr aus, die alten Vorurteile konnten aber leicht den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Statt die Ausweitung des Handels auf Kosten des traditionellen Handwerks zu kritisieren, beklagte Holst, dass die Juden das Handwerk ruinierten, und zwar zugunsten des englischen Handels. Holst lenkte den Zorn der benachteiligten Gruppen von der Realität ab. Indem er die Juden zu den Schuldigen erklärte, nahm er eine Aggressionsverschiebung vor. Um seinen Argumenten noch mehr Nachdruck zu verleihen, betonten Holst und auch die Drahtzieher der Unruhen die Nachteile der „jüdischen Handelsmaximen“ für die unteren Klassen.

Die Folgen der Ausschreitungen


Tatsächlich erreichten die Organisatoren der Krawalle in Hamburg ihr unmittelbares Ziel: die Reformversuche und die Reformvorschläge zur Verbesserung der rechtlichen Situation der Juden wurden vereitelt. Die sich im Abstieg befindenden Berufsgruppen konnten somit den Aufstieg von Juden zu gleichberechtigten Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft verzögern, wenn nicht ganz verhindern. Holst gab sich jedoch nicht zufrieden und blieb auch in seiner nach den Hep-Hep-Unruhen verfassten Schrift aus religiösen, moralischen, historischen und wirtschaftlichen Gründen, die er detailliert vortrug, konsequent bei seinem Widerstand gegen die Gewerbefreiheit für Juden. „Die Quellen ihrer Reichthümer“, so hieß seine Devise, sind „Wucher, merkantilischer [sic] Gemeingeist, Handelsmaximen“ Ludolf Holst, Judenthum in allen dessen Theilen aus einem staatswissenschaftlichen Standpuncte betrachtet, Mainz 1821, S. 18..

Holsts zweites Buch


Holst versuchte in seinem zweiten antijüdischen Buch, eine breite, vermeintlich wissenschaftliche Basis für die pauschale Ablehnung der Judenemanzipation anzubieten. Nach den Hep-Hep-Unruhen war bereits klar, dass es nicht um einzelne Orte oder um die Handelsstädte ging, sondern um den ganzen Deutschen Bund und seine Politik gegenüber den Juden. Holst sprach von der deutschen Schifffahrt oder auch von der jüdischen und der deutschen Nation. Damit wiederholte er den Vorwurf, den er in seiner ersten Schrift erhoben hatte, der im 19. und 20. Jahrhundert, dem Zeitalter des Nationalismus betonte fehlende Patriotismus der Juden.

Widerspruch gegen Holst


Holst Vorwürfe, wie auch die Argumente der Gegner der Gleichberechtigung der Juden blieben nicht unwidersprochen. Holst griff diese Erwiderungen auf und versuchte sie zu widerlegen. So attackierte er in seinem 1821 erschienenen Buch „Judenthum in allen dessen Theilen“ mehrere jüdische Gelehrte und Schriftsteller, um so die nicht-jüdischen Leser von seinem Urteil zu überzeugen und die Befürworter der Emanzipation zu diskreditieren. Der Angriff auf die jüdischen Schriftsteller sollte zur besten Abwehrstrategie gegen die Angriffe gegen Holst und andere Reaktionäre seiner Zeit werden.

Der Vorwurf, ein „Revolutionär“ zu sein


Holst und seine Anhänger wollten auch die Unterschichten für ihre Sache mobilisieren. Für die Regierungen der Restaurationszeit nach 1815 stellten Revolutionäre und Agitatoren jedoch die größte Gefahr dar. Somit waren die Krawalle für die Judengegner kontraproduktiv. Nicht nur im Falle Hamburgs vermutete man, dass „der Pöbel“ zu den Unruhen von Interessenten aus dem Mittelstand angestiftet worden war. Auch die Karlsbader Beschlüsse, die während der Hep-Hep-Unruhen diskutiert und schließlich verkündet wurden, richteten sich gegen Elemente des Bürgertums, die man für aufrührerisch hielt – Studenten, Professoren, Turner. Juden, die für die Emanzipation eintraten und von Holst zitiert wurden, versuchten ihre Gegner als Anstifter revolutionärer Unruhen darzustellen, um sie so bei den bestehenden Regierungen zu diskreditieren. Gegen diesen Vorwurf versuchte Holst sich in seiner zweiten Publikation zu verwehren.
Es ist eine Ironie der Geschichte: Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde bekanntlich den Juden vorgeworfen, Revolutionäre, also Widersacher der bestehenden Ordnung zu sein. Wie man in Holst 1821 erschienener Schrift lesen kann, war in der Vormärzzeit den Judengegnern wegen ihrer Unterstützung antijüdischer Ausschreitungen eben dieser Vorwurf gemacht worden.

Auswahlbibliografie


Anette Büttner, Hoffnungen einer Minderheit. Suppliken jüdischer Einwohner an den Hamburger Senat im 19. Jahrhundert, Münster 2003.
Rainer Erb/Werner Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780–1860, Berlin 1989.
Ludolf Holst, Judenthum in allen dessen Theilen aus einem staatswissenschaftlichen Standpuncte betrachtet, Mainz 1821.
Jacob Katz, Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989.
Eleonore Sterling, Er ist wie Du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland (1815 - 1850). München 1956.

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Zum Autor

Moshe Zimmermann, Prof. Dr. phil., geb. 1943, emeritiert, 1986-2012 Leiter des Koebner Zentrums für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Zu seinen Forschungsinteressen zählen: deutsche Sozial- und Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, deutsch-jüdische Geschichte, Geschichte des Antisemitismus, visuelle Geschichte und Sportgeschichte.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Moshe Zimmermann, Die Hep-Hep-Unruhen in Hamburg. Ludolf Holsts Schrift „Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den Handelsstädten“, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 09.03.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-190.de.v1> [21.12.2024].

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