Die Schwarz-Weiß-Fotografie zeigt die Fassade des Verwaltungsgebäudes der Jüdischen Gemeinde in Hamburg (JGH) in der Rothenbaumchaussee 38. Eine unbekannte Person hat das Bild schräg aus dem Vorgarten aufgenommen, sodass auch das linke Nachbarhaus zu sehen ist. Im Zentrum des Bildes weht eine etwa zwei Meter lange Israelflagge an einer Fahnenstange, die von einem Balkon im zweiten Obergeschoss des Gebäudes in Richtung Straße ragt. Der Widmung auf der Rückseite des Fotos zufolge wurde es am 14.5.1949 aufgenommen, dem ersten Jahrestag der Staatsgründung Israels.
Der erste Vorsitzende der 1945 gegründeten Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Harry Goldstein, schickte das Bild an Carl Heinz Rosner, der 1929 in Hamburg geboren wurde und nach der Flucht seiner Eltern vorübergehend unter der Vormundschaft Goldsteins gestanden hatte. Rosner hatte das Konzentrationslager Buchenwald überlebt, wohin er im Juni 1944 deportiert worden war, und war nach dem Krieg nach Schweden und 1948 nach Israel emigriert. Heute lebt er in den USA. Das Foto ist Teil seiner Dokumentensammlung, die im Archiv des United States Holocaust Memorial Museum liegt.
Das repräsentative Haus an der Rothenbaumchaussee war zum Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos erst seit Kurzem wieder im Besitz der Gemeinde, besaß aber eine längere Geschichte als Ort jüdischen Lebens. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg (DIG) hatte es 1916 gekauft und als zentralen Verwaltungssitz eingerichtet. In den folgenden Jahren lag hier das weltliche Zentrum der Gemeinde, unter deren Dach der jüdische Ritus in mehreren Kultusverbänden gepflegt wurde. In den Räumen des Gemeindehauses befanden sich die Büros des Vorstands, hier tagte das Repräsentatenkollegium und hier befand sich, in einem feuerfesten Raum im Keller, das Gemeindearchiv.
Der Novemberpogrom 1938 beendete diese Nutzung schlagartig; das Haus wurde von Angehörigen der SA oder SS demoliert, durch die Gestapo beschlagnahmt und versiegelt. Eine Rückkehr der Gemeindeverwaltung sah diese nicht vor. Stattdessen wollte das „Judenreferat“ der Hamburger Gestapo, das seit 1937 allein für die Überwachung der Gemeinde zuständig war, seinen eigenen Dienstsitz hierhin verlegen. Mit der Inbesitznahme des Gebäudes und der Verdrängung der Gemeindeverwaltung hatte die Gestapo bereits symbolisch die Macht über die jüdische Bevölkerung Hamburgs übernommen. In den folgenden Wochen zerschlug sie deren Strukturen: Sie beendete die Selbstverwaltung der Gemeinde, löste ihre Organe auf und beschlagnahmte das Archiv. Von nun an stand der bisherige Syndikus Dr. Max Plaut allen jüdischen Organisationen in Hamburg vor und war dem „Judenreferat“ gegenüber für die Umsetzung der immer strengeren Vorschriften für die jüdische Bevölkerung verantwortlich.
Im September 1939 gelang es der Gestapo, das seit dem Pogrom ungenutzte Gebäude auch rechtskräftig zu erwerben. Der Einzug erfolgte nach umfassenden Renovierungsarbeiten, die auch infolge des Pogroms nötig geworden waren, im Sommer 1941. Im bisherigen Büro des Gemeindevorsitzenden residierte nun der berüchtigte „Judenreferent“ Claus Göttsche. Das „Judenreferat“ stellte die zentrale Instanz in der Repression und polizeilichen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung Hamburgs dar. Zudem organisierte es seit Oktober 1941 die Durchführung der Deportationen hamburgischer Jüdinnen und Juden in die Ghettos und im Juli 1942 in das Konzentrationslager Auschwitz. Der ehemalige Verwaltungssitz der jüdischen Gemeinde war zur Organisationsstätte ihrer eigenen Vernichtung geworden.
Nach dem Abschluss der größeren Deportationen im Sommer 1943 verlor das „Judenreferat“ innerhalb der Gestapoleitstelle Hamburg an Bedeutung und musste den repräsentativen Dienstsitz an der Rothenbaumchaussee dem „Ausländerreferat“ der Gestapo überlassen, das für die Überwachung der ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Stadtgebiet zuständig war, deren Zahl zwischen 1939 und 1945 etwa 400.000 betrug. Dem Baustoffmangel der Kriegszeit zum Trotz wurden in dieser Zeit drei Gefangenenzellen im Keller des Hauses eingebaut, in denen die Beamten des Referats ihre Opfer verhörten und folterten.
Bereits wenige Tage nach der Befreiung Hamburgs nahmen jüdische Überlebende das leerstehende Haus wieder in Besitz und organisierten von dort aus die Verpflegung und Unterbringung von Bedürftigen wie KZ-Rückkehrerinnen und -Rückkehrern aus dem DP-Camp Bergen – unter ihnen auch Carl Heinz Rosner. Am 18.9.1945 fand in der Rothenbaumchaussee 38 eine Versammlung von 72 Personen statt, die die Jüdische Gemeinde in Hamburg (JGH) gründeten. Seitdem fungierte das Haus, das bei den Bombardierungen Hamburgs kaum beschädigt worden war, wieder als Gemeindezentrum. Die erneute Nutzung bedeutete auch eine erneute Umdeutung des Ortes, wie Goldstein rückblickend feststellte: „Nur intensivste Arbeit ließ uns vergessen, wie viel bittere Tränen in diesem Gebäude seit dem 9. November 1938 geflossen waren.“ Bericht Harry Goldsteins über den Neuaufbau der Jüdischen Gemeinde, Juni 1951, abgedruckt in: Uwe Lohalm (Hrsg.), „Schließlich ist es meine Heimat...“. Harry Goldstein und die Jüdische Gemeinde in Hamburg in persönlichen Dokumenten und Fotos, Hamburg 2002, S. 60-63, hier S. 61. Dabei ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Gemeinde das Haus wieder in Besitz nahm, durchaus bemerkenswert, denn tatsächlich blieb die Frage nach der rechtmäßigen Eigentümerschaft noch jahrelang gänzlich ungeklärt. Strenggenommen, so räumte Goldstein ein, kam daher die Benutzung durch die Gemeinde eher einer Hausbesetzung gleich, bei der sie sich allerdings auf die Rückendeckung der britischen Militärregierung verlassen konnte: Ansprüche der Hamburger Behörden, die das Haus anderweitig nutzen oder sogar Miete von der Gemeinde verlangen wollten, wurden so erfolgreich abgewehrt. Dass sie sich nicht nur moralisch, sondern auch juristisch im Recht befand, stand für die Gemeinde außer Frage. Die baldige Rückerstattung galt ihr als reine Formalität. Vor diesem Hintergrund verkörpert das Bild die Aktivität und das Selbstbewusstsein der jungen Gemeinde, die unmittelbar an die jüdische Tradition dieses Ortes anknüpfte, den Neuanfang wagte und sich dabei nicht scheute, öffentlich Präsenz zu zeigen.
Erst unmittelbar vor der Aufnahme des Fotos, am 12.5.1949, hatte die britische Militärregierung ein Gesetz erlassen, auf dessen Grundlage von den Nationalsozialisten enteignetes Eigentum zurückerstattet werden konnte. Die Gemeinde meldete ihren Anspruch umgehend an. Tatsächlich sollte sich der Prozess der Rückerstattung allerdings als weitaus komplizierter herausstellen als gedacht. Im Gegensatz zur großen Masse der Rückerstattungsverfahren kreisten die Auseinandersetzungen im Falle des Gemeindeeigentums dabei weniger um die Frage, ob ein Anspruch auf Restitution bestand. In den meisten Fällen stand außer Frage, dass es sich bei den Verkäufen unter nationalsozialistischer Herrschaft um unrechtmäßige Enteignungen gehandelt hatte. Strittig war vielmehr, wer einen Anspruch darauf hatte, dieses Vermögen zurückzufordern. In Hamburg etwa sah sich die Jüdische Gemeinde Hamburg nicht nur in der Tradition der DIG, sondern verstand sich auch juristisch als deren Nachfolgerin (und damit als Erbin). Die britische Militärregierung hatte der Jüdischen Gemeinde zwar seit 1946 eine „Funktionsnachfolge“ zugestanden und hatte sie im Oktober 1948 auch als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt, als eindeutige Rechtsnachfolgerin der Vorkriegsgemeinde galt sie jedoch zunächst nicht.
Zum handfesten Problem wurde diese juristische Unsicherheit in der Auseinandersetzung mit den sogenannten „jüdischen Nachfolgeorganisationen“, die ab 1948 von amerikanischen und internationalen jüdischen Organisationen in allen westlichen Besatzungszonen gegründet wurden. Diese Treuhandstellen hatten zur Aufgabe, geraubtes Eigentum jüdischer Personen zurückzufordern, die ermordet worden waren und keine Erbinnen oder Erben hinterlassen hatten. Das übliche Vorgehen, demnach erbenloses Vermögen an den Staat überging, schien aus moralischen Gründen ausgeschlossen, hätte es doch bedeutet, dass die Bundesrepublik indirekt von der Auslöschung jüdischen Lebens durch den NS-Staat profitiert hätte. Zusätzlich beanspruchten die Nachfolgeorganisationen allerdings auch den alleinigen Zugriff auf das frühere Eigentum jüdischer Organisationen und Gemeinden, deren Rechtsnachfolge wie in Hamburg oft nicht anerkannt war. In Fall der Rothenbaumchaussee 38 wurde der Restitutionsantrag der Jüdischen Gemeinde Hamburg schlicht nicht weiterbearbeitet; stattdessen verhandelte die Stadt Hamburg stellvertretend für die Gestapo als früherer Eigentümerin mit der JTC über die Rückerstattung.
Im Zusammenhang der Restitution war die JTC allerdings vielmehr Konkurrent als Verbündeter der neugegründeten deutschen Gemeinden. Um einen juristischen Konflikt handelte es sich dabei nur an der Oberfläche. Stattdessen war die Restitutionsdebatte ein bedeutender Schauplatz für den zentralen innerjüdischen Konflikt der Nachkriegszeit: Sollten Jüdinnen und Juden wieder im „Land der Täter“ heimisch werden, obwohl mit dem Staat Israel eine sichere Heimstätte für das jüdische Volk bestand? Dass Nachkriegsgemeinden wie jene in Hamburg an ihre lange Tradition anknüpfen und das Wagnis des Wiederaufbaus eingehen wollten, stieß bei den jüdischen Vertretungen im Ausland auf Unverständnis und Ablehnung. So unterstrich der Jüdische Weltkongress auf seiner ersten Nachkriegstagung 1948 in einer Resolution den Willen des jüdischen Volkes, „sich nie wieder auf der blutbefleckten Erde Deutschlands niederzulassen“. World Jewish Congress: Resolutions Adopted by the Second Plenary Assembly of the World Jewish Congress, Montreux, Switzerland, June 27th–July 6th 1948, London 1948, S. 7, zitiert nach Jay Howard Geller: Jews in Post-Holocaust Germany. 1945–1953, Cambridge 2005, S. 62. Die aus dem Ausland finanzierten Nachfolgeorganisationen fühlten sich dieser Politik verpflichtet und sprachen den neuen Gemeinden den Anspruch auf das frühere Gemeindeeigentum kategorisch ab. Der rechtmäßige Erbe dieses Vermögens sei vielmehr das jüdische Volk als Kollektiv. Für die Praxis bedeutete das: Die JTC forderte die in der NS-Zeit enteigneten Grundstücke zwar in großen Umfang zurück, bemühte sich anschließend jedoch primär um ihre Veräußerung, um mit den Erlösen den Aufbau in Israel zu finanzieren. In vielen Fällen – so etwa bei der Bornplatzsynagoge – verzichtete sie sogar auf eine Rückerstattung gegen Zahlung einer Entschädigung.
Für die Hamburger Gemeinde war es folglich mehr Bedrohung als Beruhigung, als die JTC 1953 die Rothenbaumchaussee 38 zugesprochen bekam, musste sie doch nun damit rechnen, erneut aus ihrem Gemeindehaus vertrieben zu werden. Dabei war es für die junge Gemeinde von existenzieller Bedeutung: als wirtschaftliches Kapital, als Versammlungsort und Arbeitsstätte, in psychologischer und sozialer Hinsicht als stadträumlicher Bezugspunkt und als Symbol der eigenen Tradition, Verortung und Zugehörigkeit. Schließlich entschied die JTC, den Gemeinden jenes Eigentum zur Verfügung zu überlassen, das für die aktive Ausübung ihrer Arbeit unabdingbar war. Da die Jüdische Gemeinde Hamburg in diesem Fall ihren Bedarf durch die langjährige Nutzung unter Beweis gestellt hatte, bekam sie das Haus so tatsächlich zurückerstattet, wenngleich die Verhandlungen hierüber sich noch bis 1960 hinziehen sollten. Mit der Einsetzung als Eigentümerin ergab sich für die Gemeinde die Möglichkeit zur Vermietung des Gebäudes, von der sie umgehend Gebrauch machte. Seit 1960 ist sie nicht mehr in der Rothenbaumchaussee 38 ansässig.
Zum Entstehungszeitpunkt des Fotos hatten die komplexen und dynamischen Konflikte um die Rückerstattung kaum begonnen, der grundsätzliche Konflikt zwischen Israel und den neuen Gemeinden der Diaspora war jedoch bereits offen zutage getreten. Durch die sichtbare Mitfreude und Anerkennung für die israelische Staatsgründung verdeutlicht das Bild zwar, dass sich häufig auch jene Jüdinnen und Juden, die sich für den Neuanfang in Deutschland entschieden, Israel eng verbunden fühlten. Den neugegründeten deutschen Gemeinden selbst blieben Verständnis und Anerkennung von israelischer Seite allerdings noch lange verwehrt.
Die bewegte Nutzungshistorie zwischen Gemeindeverwaltung und Gestapo macht das Haus zu einem bedeutsamen Ort jüdischer Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Exemplarisch ist die Geschichte des Gebäudes allerdings im Hinblick auf den Umgang mit dem Grundeigentum jüdischer Gemeinden, das diese im „Dritten Reich“ verloren hatten. Nach 1945 bildeten die Verhandlungen um Rückerstattung und Verteilung dieses Vermögens einen zentralen Schauplatz der Konflikte um den Neubeginn jüdischen Lebens in Deutschland.
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Hendrik Althoff, M. A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg und forscht derzeit zum Umgang mit dem Grundeigentum jüdischer Gemeinden in Nationalsozialismus und Nachkriegszeit.
Hendrik Althoff, Umgang mit jüdischem Grundeigentum, Rothenbaumchaussee 38, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 13.12.2021. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-285.de.v1> [21.12.2024].