Bei der hier vorliegenden Quelle handelt es sich um einen zweiseitigen Auszug aus dem Protokollbuch (Pinkas) der jüdischen Gemeinde in Frankfurt an der Oder mit Einträgen aus den Jahren 1767 und 1771. Das Protokollbuch dokumentiert die Aktivitäten der Gemeinde zwischen 1754 und 1793. Inhaltlich geht es in den meisten Einträgen, wie auch den ausgewählten, um die finanziellen Belange der Gemeinde – Steuern, Pachtverträge, den Verkauf von Synagogenplätzen, die Aufnahme von Darlehen – aber auch um Heiratsverträge, Gemeindewahlen, Vormundschafts- und Nachlassangelegenheiten sowie Angelegenheiten der Beerdigungsbruderschaft. Trotz der Kürze der ausgewählten Einträge thematisieren sie mehrere zentrale Themen der jüdischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Neben der stetig wachsenden Abgabenlast verweist der gewählte Auszug auf überregionale und wirtschaftliche Verbindungen zwischen den Gemeinden in Frankfurt an der Oder und Hamburg.
Das Protokollbuch ist in ein altes Hypothekenbuch, wahrscheinlich städtischer Herkunft, gebunden, wie sich auf dem rückseitigen Einband noch erkennen lässt. Es umfasst circa 173 Doppelseiten, jedes Blatt ist mit hebräischen Seitenzahlen versehen. Die Einträge sind von verschiedenen Händen fast durchgehend in hebräischen Buchstaben verfasst, wobei es sich meist, wie auch in dem hier gewählten Auszug, um Deutsch in hebräischen Buchstaben, durchsetzt mit hebräischen Begriffen und Wendungen, handelt. Manchmal ergänzen spätere Hinzufügungen frühere Einträge auf derselben Seite. Nur auf zwei Seiten (Rückseiten von Blatt 53 und 68) finden sich kurze Abschriften in Fraktur aus den Jahren 1781 und 1783.
Der Pinkas ist Teil der R. Ahron (Armand) Kaminka Collection der Maimonides Library in der Bait Ariella Bibliothek in Tel Aviv. Der Rabbiner Ahron Kaminka (1866-1950) stammte ursprünglich aus Berdichev, studierte in Berlin und Paris, bevor er 1893 ordiniert wurde und seine erste Stelle als Rabbiner in Frankfurt an der Oder antrat. Aus irgendeinem Grund muss er den alten Pinkas mitgenommen haben als er die Gemeinde verlies und brachte ihn offenbar mit nach Palästina als er 1938 vor den Nationalsozialisten dorthin floh. Daneben muss mindestens ein zweiter Pinkas der Gemeinde existiert haben, da ein solcher immer wieder im vorliegenden Protokollbuch erwähnt wird.
Im Zuge der brandenburgisch-preußischen Ansiedlungspolitik entstand nach 1671 auch in Frankfurt an der Oder wieder eine jüdische Gemeinde, in der sich zuerst aus Wien vertriebene Juden niederließen. Die Gemeinde wuchs schnell, 1718 wurden weitere 40 Familien zugelassen. Mit dem Revidierten Generalprivilegium und Reglement von 1750 wurden die Rechte der Frankfurter und aller preußischen Juden deutlich eingeschränkt. Dazu gehörte die Schaffung von sechs Kategorien, von denen nur Generalprivilegierte, die es in Frankfurt nicht gab, und „ordentliche Schutzjuden“ volle Ansiedlungsrechte erhielten. Vor allem die Vorgabe, die eigenen Ansiedlungsprivilegien an nur ein Kind weitergeben zu dürfen, stellte viele Familien vor große Probleme und zwang viele zum Verlassen der Stadt. Dazu kam der Versuch der preußischen Regierung vor allem nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges die jüdischen Gemeinden immer stärker fiskalisch zu belasten. Neben den steigenden Schutzgeldern fielen Abgaben für Reisen, den Erwerb von Grundbesitz und bei anderen Gelegenheiten an. Ebenso zog die preußische Regierung die jüdischen Gemeinden zur Finanzierung von Manufakturunternehmungen, die die Produktion von Konsumgütern in Preußen steigern sollten, heran. Diese Belastung wird aus dem Eintrag im Statutenbuch klar ersichtlich. Die Notwendigkeit einen Kredit aufzunehmen, wird mit dem erzwungenen Erwerb von Anteilen an einer Blonden- und Beuteltuchfabrik begründet. Bei Blonden handelt es sich um eine Art geklöppelte Spitzen; Beuteltuch ist ein grobes, wollenes Gewebe, das etwa zum Durchsieben von Mehl, aber auch zum Nähen von Vorlagen für Tücher benutzt wird. Nachdem der Vorschlag der Berliner Gemeindeältesten von 1766, in pommerschen Städten Webstühle und die entsprechende Industrie einzurichten, gescheitert war, wurde die preußische Judenschaft verpflichtet, eine Spitzen- und eine Beuteltuchfabrik einzurichten. Darüber hinaus mussten sie die Templinsche Strumpf- und Mützenfabrik übernehmen, die den Niedergang der preußischen Strumpfindustrie stoppen sollte. Als Gegenleistung sollte die Ansetzung eines zweiten Kindes bei Schutzjuden möglich werden. Für die jüdischen Gemeinden blieb diese Unternehmung eine hohe finanzielle Bürde ohne großen wirtschaftlichen Erfolg.
Gleichzeitig wird klar, dass diese Kosten gemeinschaftlich von den preußischen Gemeinden aufgebracht und dann auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden mussten. Der preußische Staat überlies die Verteilung der Kosten den jüdischen Gemeinden, mit der tatsächlich relativ finanzstarken Berliner Gemeinde im Zentrum. Gleichzeitig begann einige Jahre nach Ende des Siebenjährigen Krieges der langsame wirtschaftliche Niedergang der jüdischen Gemeinde in Frankfurt an der Oder, der das Aufbringen der geforderten Mittel immer weiter erschwerte. Daraufhin griff die Gemeinde auf familiäre und wirtschaftliche Netzwerke außerhalb Preußens zurück. Hamburg nahm dabei als Finanzplatz eine zentrale Rolle ein. Bereits seit dem späten 16. Jahrhundert hatten sich in der Stadt zuerst sephardische und dann aschkenasische Juden niedergelassen. Letztere ließen sich auch in Altona und Wandsbek unter der Herrschaft der dänischen Krone nieder, ab 1671 formten die aschkenasischen Juden der drei Städte eine Gemeinde. Trotz Anfeindungen und rechtlicher Einschränkungen war die wirtschaftliche Tätigkeit zumindest der wohlhabenderen jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner sowie ihre Netzwerke gefragt.
Eine zentrale Rolle im Zustandekommen des Darlehens kam hier der Familie Schlesinger zu, die zu einer der wirtschaftlich führenden und in der Gemeindeleitung aktiven Familien gehörte. Im Dokument selbst, wie in den meisten innerjüdischen Dokumenten wird, mit einer Ausnahme, nur der Name Katz (Abkürzung für Cohen Tzadek) angegeben, in den nichtjüdischen Dokumenten findet sich der Familienname Schlesinger. Moses Jacob Schlesinger (1683-1757), ein Textil- und Seidenhändler, hatte sich 1718 in Frankfurt an der Oder niedergelassen. Zwei seiner Söhne, Pincus Moses Schlesinger (1711-1795, im Dokument Pinchas Cohen) und Marcus Moses Schlesinger (1719-1783, im Dokument Moriah Katz / Cohen) waren als Wechselhändler und Kaufleute in Frankfurt aktiv. Sie besaßen jeweils ein Haus an einer der Hauptstraßen der Stadt, beschäftigten Dienstboten und -mägde und waren als Vorsteher der Gemeinde aktiv. Der dritte Bruder Jacob Moses Schlesinger (gestorben 1791, im Dokument Yaakov Katz) war in Hamburg als Kaufmann und Bankier erfolgreich und fungiert hier als Kreditgeber. Er gehörte seit den 1760er-Jahren der Hamburger Gemeindeführung an. Alle drei pflegten weitreichende Handelsverbindungen, die sich von London und Amsterdam im Westen, über Hamburg, Leipzig, Danzig und Königsberg, bis nach Warschau im Osten erstreckten. Nach dem Tod von Marcus Moses Schlesinger gingen zwei seiner Söhne eine Geschäftspartnerschaft mit ihrem Onkel in Hamburg ein. Die drei Brüder und zumindest einige der Söhne trafen außerdem regelmäßig auf den Leipziger Messen zusammen. Einer der Söhne, Herz Marcus Schlesinger (1744-1824), später als Arzt aktiv, verbrachte nach 1764 einige Jahre in Hamburg, wo er, wahrscheinlich unter der Aufsicht seines Onkels, sein Jeschiwa Studium fortsetzte. Sein Cousin, Isaac Jacob Schlesinger kam 1780 nach Frankfurt, wo er nach einem Medizinstudium in Padua sein Doktorat in Medizin erhielt. Der Austausch der Familienmitglieder zwischen Hamburg und Frankfurt an der Oder umfasste also sowohl den ökonomischen und familiären Bereich, besonders die Ausbildung von Familienmitgliedern, als auch enge Kontakte zwischen den Gemeindevorstehern. Die privaten Verbindungen erklären hier das Zustandekommen des Darlehens, dass auch durch Marcus Moses Schlesinger übergeben wurde.
Auch wenn wir nicht genau wissen, wann und warum Jacob Moses Schlesinger nach Hamburg zog, so war die Wahl der Stadt sicher nicht zufällig. Hamburg war einer der zentralen Orte, über den regelmäßig Kredite arrangiert und Wechsel gezogen wurden, die Stadt diente als Verbindung zwischen Frankfurt an der Oder und Amsterdam, das noch weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein zentral für die Vergabe von Krediten in ganz Europa war und gleichzeitig eines der wichtigsten Zentren für den Handel mit Wechseln darstellte. Wechsel dienten seit ihrer Entstehung im spätmittelalterlichen Italien dazu, die Zahlung zum Beispiel auf Messen zu erleichtern, da kein Bargeld mitgeführt werden musste. Gleichzeitig waren sie auch ein Instrument um Kredite zu gewähren. Die Einführung des Indossaments, also der Möglichkeit der Weitergabe eines Wechsels über schriftliche Übertragungsvermerke auf dessen Rückseite, das sich im Laufe des 17. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas durchsetzte (in Preußen erst 1724), erlaubte die Weitergabe von Wechseln über weite geographische Strecken und politische Grenzen hinweg mit einer relativ hohen rechtlichen Sicherheit. Hamburg spielte dabei eine zentrale Rolle. Viele der Wechsel, die die verschiedenen Mitglieder der Familie Schlesinger in Frankfurt oder Leipzig ausstellten, wurden über Hamburg auf Amsterdam gezogen.
Bei dem hier von der jüdischen Gemeinde in Frankfurt an der Oder ausgestellten Wechsel handelte es sich allerdings um einen Solawechsel, d.h. dass nur ein Exemplar des Wechsels ausgestellt wurde. Er wurde nicht gezogen, sondern im Prinzip wie ein Schuldschein gehandelt, ein Prima und Secunda Wechsel, also Kopien des Originals, waren nicht notwendig. Die Frankfurter Gemeinde haftete gemeinsam – in solidum – für diesen Wechsel. Der Eintrag ins Statutenbuch legte außerdem bereits fest, wie das Geld für die Rückzahlung und die Zinsen von vier Prozent aufgebracht werden sollten: mit einer Abgabe aller steuerzahlenden Gemeindemitglieder entsprechend der Kopfsteuer und einer eventuell höheren Summe je nach Vermögen der Gemeindemitglieder. Der erste Beschluss über die Aufnahme eines Kredits wurde offenbar unter Zuziehung der erweiterten Gemeindeleitung verfasst, da sich darunter 38 Unterschriften finden. Zur engeren Gemeindeführung kam hier das Quorum der 32, das zu wichtigen Entscheidungen hinzugezogen wurden. Datiert wurden die Einträge nach dem jüdischen Kalender.
Auch die Ausstellung des Wechsels bedurfte offenbar einiger Abstimmung. Jacob Moses Schlesinger war nicht bereit, den über vier Jahre ausgestellten Wechsel über 2.200 Reichstaler in Louis d’Or, eine französische Goldmünze, anzunehmen, da der Wert der Münzen zunehmend verfiel. Deswegen erhielt er letztendlich einen Wechsel über 5.000 Mark banco, eine auf Silber basierende Rechenwährung der 1619 gegründeten Hamburger Bank. Diese ausschließlich für den Giroverkehr vorgesehene Rechenwährung garantierte durch ihren stabilen Wert eine höhere Sicherheit.
Bereits nach zwei Jahren, also 1769, zahlte die Gemeinde Jacob Moses Schlesinger die Summe von 2.700 Mark banco zurück und stellte für die verbleibenden 2.300 Mark banco einen neuen Wechsel über zwei Jahre aus. Die Wechsel dienten hier als reines Kreditinstrument. Als dieser 1771 fällig wurde, musste die Gemeinde jedoch erneut einen Wechsel über zwei Jahre ausstellen, was nicht ungewöhnlich war. Allerdings dokumentiert die Teilrückzahlung auch die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Parallel zum Darlehen von Jacob Moses Schlesinger nahm die Gemeinde ein weiteres Darlehen über 3.200 Mark banco von dem Hamburger jüdischen Kaufmann Herz Rintel auf, das ebenfalls durch Marcus Moses Schlesinger vermittelt wurde. In den 1770er-Jahren begann die Gemeinde jedoch auch Darlehen bei christlichen Kreditgebern aufzunehmen, ein weiterer Hinweis auf die sich verschlechternde finanzielle Situation.
Insgesamt zeigt der kurze Ausschnitt aus dem Protokollbuch die zentrale Bedeutung überregionaler Kredit- und Wechselgeschäfte, hier zwischen einer jüdischen Gemeinde in Preußen und Hamburg. Während viele Wechsel, sowohl für Handels- als auch Kreditgeschäfte, nach Amsterdam gezogen wurden, kam Hamburg mit der Hamburger Bank, die 1619 nach Vorbild der Amsterdamer Wechselbank gegründet worden war, eine zentrale Rolle in Geldgeschäften zu. Damit übernahmen jüdische Kaufleute in Hamburg eine wichtige Vermittlerrolle für Kredite und den Warenhandel. Beim Zustandekommen solcher Wechselgeschäfte spielten wie in diesem Fall Familiennetzwerke oft eine wichtige Rolle.
Cornelia Aust ist Referentin der Geschäftsführung am Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Sie ist Historikerin für die jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts in Mittel- und Ostmitteleuropa. Ihre Arbeitsfelder liegen im Bereich der jüdischen Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. 2018 erschien ihr Buch The Jewish Economic Elite: Making Modern Europe.
Cornelia Aust, Schwierige Finanzen: Auszug aus dem Pinkas (Protokollbuch) der jüdischen Gemeinde Frankfurt an der Oder 1767/ 1771, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 14.06.2024. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-287.de.v1> [21.12.2024].