Die „Provisorische Verordnung“ markiert eine bedeutende Etappe der jüdischen Emanzipation in der hamburgischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Schon zu Beginn des Jahrhunderts hatten die Hamburger Juden vorübergehend die Erfahrung machen können, was die Aufhebung der Benachteiligungen bedeutet: Während der Besetzung der Stadt durch napoleonische Truppen hatten sie im Zeitraum von Dezember 1810 bis Mai 1814 erstmals ihre vollständige bürgerliche und politische Gleichstellung erlangt. Nach dem Abzug der Franzosen setzte der Rat 1814 umgehend das „Judenreglement“ von 1710 wieder in Kraft. Der Kampf um die Gleichstellung wurde in Hamburg verstärkt seit den 1830er-Jahren geführt, vor allem von Repräsentanten der jüdischen Reformbewegung wie Gabriel Riesser und Anton Rée sowie von liberalen politischen Kräften, die eine Trennung von Staat und Kirche forderten. Zugleich wurde die Stadt in den Jahren des Vormärz wiederholt zum Schauplatz antijüdischer Pogrome. Nach dem Großen Brand von 1842 stellten die Aufhebung der Beschränkungen beim Erwerb von Grundeigentum und das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes erste Teilerfolge der Emanzipationsbestrebungen dar.
Der entscheidende Impuls für die weitere Entwicklung ging sodann von den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/49 aus. Auch in Hamburg brachen im März 1848 Unruhen aus. Die Auseinandersetzungen um eine Demokratisierung der noch immer auf dem Hauptrezess von 1712 beruhenden politischen Ordnung führten am 14.12.1848 zur Bildung einer verfassunggebenden Versammlung, der Konstituante. Für die Judenemanzipation wurden die Weichen jedoch auch außerhalb Hamburgs gestellt: Am 27.12.1848 verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung das „Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“. In Artikel 5, Paragraph 16 wurde die Gleichberechtigung der Konfessionen festgelegt: „Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.“
Die Hamburger „Provisorische Verordnung“ vom 21.2.1849 wurde durch den Paragraphen 16 der „Grundrechte“ veranlasst und nimmt ausdrücklich auf ihn Bezug. Die „Grundrechte“ traten am 17.1.1849 in Kraft. Da das dazu gehörige „Einführungs-Gesetz“ vorsah, dass Paragraph 16 gemeinsam mit einigen anderen Bestimmungen ohne weitere gesetzgeberische Bestimmungen überall gelten sollte, bestätigten Rat und Bürgerschaft mit der „Provisorischen Verordnung“ zum einen die Vorgabe aus Frankfurt, zum anderen legten sie konkrete Modalitäten der praktischen Umsetzung fest. So enthält die Verordnung nicht nur die zentrale Bestimmung, dass fortan auch die jüdischen Einwohner Hamburgs das Bürgerrecht Recht der Selbstverwaltung; Voraussetzungen für die Erlangung des Bürgerrechts waren frei vererbbarer Grundbesitz, das Leisten eines Bürgereides und die Zahlung eines Bürgergeldes; Adlige waren davon ausgeschlossenen; bis 1814 war es Angehörigen der lutherischen Kirche vorbehalten [nach: Helmut Stubbe-da Luz, Bürgerrecht, in: Franklin Kopitzsch / Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 1998, S. 92f.], das Landbürgerrecht Bürgerrecht der Bewohner des Hamburgischen Landgebiets; es schloss Gewerbetätigkeiten in der Stadt und politische Mitbestimmung aus [nach: Sebastian Husen, Landgebiet, in: Franklin Kopitzsch / Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 1998, S. 296.] und das Schutzbürgerrecht Wenn das Bürgerrecht aus materiellen Gründen nicht erworben werden konnte, gewährte das Schutzbürgerrecht u.a. die Aufnahme von Arbeit und das Eheschließungsrecht, aber keine politischen Rechte [nach: Helmut Stubbe-da Luz, Schutzverwandte, in: Franklin Kopitzsch/Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 1998, S. 429.] erwerben können (Artikel 1), sondern geht darüber hinaus auf die nun notwendige Annahme fester Vor- und Familiennamen (Artikel 2) und die Form der Eidesleistung (Artikel 3) ein. Die folgenden beiden Artikel verfügen die mit der rechtlichen Gleichstellung verbundene Beseitigung wirtschaftlicher Benachteiligungen: Durch die Aufhebung von Paragraph 17 der „Revidirten Makler-Ordnung“ von 1824 wird das Vorrecht christlicher Makler bei Auktionen abgeschafft, zugleich soll die von Rat und Bürgerschaft am 25.5.1840 beschlossene Beschränkung der Anzahl jüdischer Notarien nicht länger gelten (Artikel 4); das „General-Reglement der Aemter und Brüderschaften“ wird dahingehend modifiziert, dass fortan Juden in den Hamburger Handwerksämtern als Lehrlinge und Gesellen zugelassen sind (Artikel 5). Der letzte Artikel der Vorordnung verfügt schließlich, dass das Verhältnis eines Hamburger Juden zu seiner Gemeinde durch den Erwerb des Bürgerrechts Recht der Selbstverwaltung; Voraussetzungen für die Erlangung des Bürgerrechts waren frei vererbbarer Grundbesitz, das Leisten eines Bürgereides und die Zahlung eines Bürgergeldes; Adlige waren davon ausgeschlossenen; bis 1814 war es Angehörigen der lutherischen Kirche vorbehalten [nach: Helmut Stubbe-da Luz, Bürgerrecht, in: Franklin Kopitzsch / Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 1998, S. 92f.] vor allem im Hinblick auf zu leistende Abgaben unangetastet bleiben soll (Artikel 6). Noch im Jahr 1849 wurden 397 Juden zu Hamburger Bürgern. Verwehrt blieb ihnen freilich die zur vollständigen bürgerlichen Gleichberechtigung gehörende Wahlfähigkeit für die Bürgerlichen Kollegien. Zudem zeigte sich in der Praxis, dass die Ämter der Schneider und der Schuhmacher sich aus Furcht vor Konkurrenz noch bis 1855/56 dagegen sträubten, Juden aufzunehmen. „Provisorisch“ war die Verordnung vom 21.2.1849 insofern, als eine vollständige Umsetzung der Gleichstellung nur durch eine im Zuge einer Verfassungsänderung zu realisierende Einschränkung der Verbindung von Kirche und Staat zu erreichen sein würde.
Die von der Nationalversammlung beschlossenen „Grundrechte“ wurden in die Reichsverfassung vom 28.3.1849 übernommen. In Hamburg bestätigte die Konstituante mit den Artikeln 29, 31 und 33 des am 11.7.1849 verabschiedeten, dem Prinzip der Volkssouveränität verpflichteten Verfassungsentwurfs die Gleichberechtigung der Juden. Nach der Auflösung der von Frankfurt nach Stuttgart verlegten Nationalversammlung am 18.6.1849 und der Niederlage der Revolution wurde am 13.6.1850 auch die Hamburger Konstituante aufgelöst. Doch obwohl der Bundestag die „Grundrechte“ 1851 liquidierte, konnten die mit der „Provisorischen Ordnung“ vom 21.2.1849 verbundenen Fortschritte nicht rückgängig gemacht werden, da sie auf verfassungsgemäße Weise beschlossen worden waren. Die fortdauernden Auseinandersetzungen um eine Modernisierung der politischen Ordnung Hamburgs mündeten schließlich in die neue Verfassung von 1860, die in Artikel 110 den Hamburger Juden ihre Gleichstellung dauerhaft sicherte.
Die „Provisorische Verordnung“ vom 21.2.1849 verdeutlicht, wie stark der Emanzipationsprozess von übergeordneten Faktoren abhängig war: auf lokaler Ebene von den Auseinandersetzungen um eine Demokratisierung der hamburgischen Verfassung, die im Verfassungsentwurf der Konstituante ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten, auf überregionaler Ebene von den Initiativen der Frankfurter Nationalversammlung.
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Dirk Brietzke, Dr. phil., geb. 1964, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Sozial- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Bürgertumsforschung des 18. und 19. Jahrhunderts, Geschichte des Armenwesens, Geschichtstheorie, Hamburgische und norddeutsche Regionalgeschichte.
Dirk Brietzke, Der Beschluss von Rat und Bürgerschaft zur Gleichstellung der Hamburger Juden vom 21.2.1849, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 24.03.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-11.de.v1> [20.11.2024].