Von Hamburg nach Jerusalem und (nicht) zurück – Ehemalige Hamburger in Israel und ihre Vereine

Jana Matthies,

Quellenbeschreibung

Im Oktober 1984 erreichte ein Brief aus Jerusalem die Hamburger Stadtverwaltung: Seine vier Unterzeichner informierten darüber, dass sie den Verein ehemaliger jüdischer Bürger Hamburgs gegründet hatten, um gemeinsam aktiv an der geplanten Ausstellung über die jüdische Geschichte der Stadt mitwirken zu können. Sie meldeten sich aus Israel zu Wort, wohin sie 50 Jahre zuvor vor den Nationalsozialisten geflüchtet waren. Sie waren nicht die einzigen, die sich zu einem Ehemaligen-Verein (auch Landsmannschaft genannt) zusammenschlossen. Allerdings stellten die Hamburger eine Besonderheit dar, denn bis zur Fusion 1992 bestand eine zweite Gruppe – der Verein ehemaliger Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel mit Sitz in Tel Aviv . Der überlieferte umfangreiche Nachlass zu den Vereinen ermöglicht die Rekonstruktion ihrer Arbeit. Aufbewahrt werden diese Aufzeichnungen und Dokumente im Archiv des Leo Baeck Instituts Jerusalem , mit dem die Protagonisten eng verbunden waren und wo auch das Gründungsschreiben zu finden ist.

  • Jana Matthies

Organisationsstrukturen und Tätigkeiten des Vereins


Mit ihrem Brief wollten „die Unterzeichneten [] mitteilen, dass sie den obigen Verein ehemaliger juedischer Mitbuerger Hamburgs gegruendet haben“. Er ist ausgesprochen förmlich in einem altmodisch wirkenden Deutsch verfasst. Die Unterzeichner waren Naftali Bar-Giora Bamberger , Daniel Cohen , Baruch Zwi Ophir und Zeev Gotthold ( 1917 – 2009 ), die alle aus Hamburg stammten und zu dieser Zeit in Israel lebten. Sie waren bereits zuvor in Kontakt mit ihrer ehemaligen Heimatstadt getreten und betonten das auch im Schreiben, so etwa durch den Hinweis auf die Anfrage der Kulturbehörde , sich „persoenlich zur Verfuegung zu stellen“. Dies ist auch als Vergewisserung der eigenen Sprecherposition gegenüber der Hamburger Verwaltung zu lesen. Anders als es der Brief impliziert, war der Verein nur schwach institutionalisiert. Baruch Zwi Ophir bekleidete das Amt des ersten Vorsitzenden , Naftali Bar-Giora Bamberger war sein engster Mitstreiter. Den Posten des zweiten Vorsitzenden übernahm formal Abraham Seligmann ( 1915 - 2004 ), der jedoch im Brief nicht erscheint. Dass sich der Verein explizit als ein erinnerungspolitischer Akteur gründete, unterschied ihn signifikant von anderen deutschsprachigen Ehemaligen-Vereinen in Israel : Diese konstituierten sich seit den 1960er-Jahren im Umfeld der politischen Annäherung beider Länder. Insgesamt gab es 18 Vereine, die wiederum im Dachverband Centra zusammengeschlossen waren. Sie waren Anliegen der ersten Generation von deutschsprachigen Einwanderern , dienten dem Bewahren von Erinnerungen an zerstörte Lebenswelten ebenso wie der Pflege von Traditionen und Sprache und fungierten als Begegnungs- und Erinnerungsräume. Daneben bestanden weitere Organisationen deutschsprachiger Israelis, wie der 1932 gegründete Hilfs- und Beratungsverein Hitachduth Olej Germania (heute: Irgun Merkas Europa ). In diese Netzwerke fügte sich der Jerusalemer Verein, wie Ophir und die anderen ihn erdachten, nicht ein, was aber auch gar nicht vorgesehen war. Schließlich gab es bereits den Verein ehemaliger Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel mit Sitz in Tel Aviv , dessen Hauptaugenmerk auf der Betreuung der Mitglieder vor Ort lag. Er richtete Veranstaltungen aus, organisierte Treffpunkte und Ausflüge und wurde von Jonny Kern ( 1922 ¬– 1995 ) geleitet. Zunächst existierten also zwei Vereine ehemaliger Hamburger. Sie sprachen denselben Personenkreis an und waren einander (möglicherweise schon aus Hamburg ) bekannt, blieben aber zunächst räumlich, organisatorisch und inhaltlich getrennt. Während sich die Jerusalemer Gruppe in Hamburg engagierte, wirkte der Tel Aviver Verein in Israel . Dies blieb bis zum 1.1.1992 so, als sich beide Vereine nach zweijähriger Diskussion und diversen Konflikten unter dem Namen und Vorsitzenden der Tel Aviver Gruppe zusammenschlossen. 1995 übernahm Abraham Seligmann , vormals zweiter Vorsitzender der Jerusalemer Gruppe, den fusionierten Verein, der fortan drei Tätigkeitsfelder in Israel hatte: die Herausgabe eines zweisprachigen Rundbriefs, die Organisation von Veranstaltungen, Treffen und Ausflügen sowie der Empfang von Gästen aus Hamburg . Erschwert wurde die Arbeit durch das kleine Budget – zwischen 1995 und 1999 erhielt der Zusammenschluss deswegen eine jährliche Zuwendung von der Stadt Hamburg – und die sinkende Zahl der Mitglieder . 2007 stellte er schließlich seine Arbeit ein.

Aus Hamburg nach Palästina und in Israel


Dass sich die Vereine ehemaliger Hamburger in Israel überhaupt konstituierten und als solche agierten, ist angesichts der Erfahrungen ihrer Protagonisten und Mitglieder nicht selbstverständlich. Sie hatten die Verfolgung, die Vertreibung aus der Stadt , die Ermordung von Angehörigen und teils die Gefangenschaft in Lagern erlebt. Drei der Gründer des Jerusalemer Vereins – Bar Giora Bamberger , Cohen und Ophir – zählten zu den etwa 1.500 der 20.000 jüdischen Einwohnern Hamburgs, die zwischen 1933 und 1941 vor der nationalsozialistischen Verfolgung auf unterschiedlichsten Wegen in das damals britische Mandatsgebiet Palästina flüchten konnten. Ihnen gemein war, dass sie in Hamburg in religiösen Familien aufgewachsen waren, mit dem Zionismus sympathisierten und als Jugendliche oder junge Erwachsene vor Kriegsbeginn ausreisen konnten. Ihre in Hamburg verbliebenen Angehörigen wurden in der Shoah ermordet. Später arbeiteten alle drei als Historiker an verschiedenen Universitäten, Forschungsinstituten und Archiven. Gotthold , der vierte Unterzeichner , war Rabbiner und wanderte 1951 nach Israel ein, nachdem er in den 1930er-Jahren in die USA geflüchtet war. Gemeinsam riefen sie die Jerusalemer Gruppe ins Leben, als sie alle im Ruhestand waren. In erinnerungspolitischen Debatten in Hamburg intervenierten sie in einer doppelten Rolle als vormals Verfolgte und als Wissenschaftler und forderten ein, kollektiv als ehemalige Hamburger gehört zu werden.

Ambivalente Blicke auf die alte Heimat


Der Stadt ihrer Kindheit und Jugend standen sie ambivalent gegenüber, was sich zuvorderst im gewählten Vereinsnamen widerspiegelt. Auf den ersten Blick irritiert die Anordnung der Attribute „ehemaliger jüdischer“, da sie sich keineswegs von ihrem Jüdischsein, das im Gegenteil eine große Bedeutung für sie hatte, abgrenzen wollten. Davon abgesehen macht der Name vor allem deutlich, dass sie einmal Hamburger – und „Buerger“ bzw. „Mitbuerger“ im rechtlichen und moralischen Sinne – waren und nun nicht mehr sind, sie sich aber trotzdem der Stadt als „Ehemalige“ verbunden fühlten. Sie implizierten damit eine engere und exklusive Verbundenheit mit Hamburg als diejenigen, die im Tel Aviver Verein organisiert waren, sich ausschließlich „ehemalige Hamburger“ nannten und zugleich Bremer und Lübecker berücksichtigten. Tatsächlich war ihnen allen gemein, dass sie eigene Erinnerungen, familiäre Wurzeln, die Sprache ebenso wie die Verfolgungserfahrungen in der NS-Zeit mit Hamburg verbanden. In Israel lebten sie in einer Gesellschaft, die in großen Teilen Deutschland als Land der Täter und alles, was damit verbunden war, bis in die 1980er-Jahre verachtete. Die deutsche Sprache war dementsprechend im öffentlichen Raum nicht erwünscht. In diesem Geflecht entwickelten ehemalige Hamburger und andere jüdische Israelis aus Deutschland ebenso komplexe wie individuelle Selbstverständnisse und Heimatkonstruktionen zwischen Bewahrung und Anpassung. All dies wirkte wiederum zurück auf ihre Arbeit im Verein und letztlich seiner Gründung selbst. Ihr vorangegangen war, dass Ophir und seine Mitstreiter bereits vielfältige Kontakte nach Hamburg geknüpft und die Stadt teilweise auch schon wieder besucht hatten. Naftali Bar-Giora Bamberger beschrieb dies 1990 in einem Interview wie folgt: „Bis zum heutigen Tag gehe ich wie ein Schlafwandler durch die Stadt , Erinnerungen und Bilder kommen ständig zurück, die Gegend, meine Familie. [] Irgendwann entschlossen wir uns, etwas zu unternehmen.“  Quellenangabe So oder so ähnlich erging es wohl auch seinen Kollegen und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern , auf die der Brief abschließend hinweist. Wer und wie viele das waren, ist nicht bekannt, da die „erste vorlaeufige> Liste“ von Unterstützern im Anhang nicht überliefert ist. Es ist aber zu bedenken, dass sich letztlich nur eine Minderheit der in Israel lebenden ehemaligen Hamburger in den Vereinen engagierte oder ihnen beitrat. Beides war Ausdruck einer gewissen Nähe zu Hamburg , die viele nicht mehr hatten und angesichts ihrer Erlebnisse auch nicht wünschten.

Musealisierung der jüdischen Geschichte Hamburgs


Dem Jerusalemer Verein und den Unterzeichnern ging es primär darum, „an den Beratungen und Vorbereitungen fuer das Konzept der vorgesehenen Ausstellung mitbeteiligt zu sein“. Laut dem ersten Entwurf, den sie mitverfassten, sollte wie damals üblich eine Beitrags- und Verlustgeschichte gezeigt werden, die nichtjüdische Besucher und Besucherinnen über das Judentum informieren und der Hamburger Opfer der Shoah gedenken sollte. In einer Zeit, als der Nationalsozialismus und die Shoah präsent waren wie selten zuvor und in der Bundesrepublik mehrere Museen und Ausstellungen zur jüdischen Geschichte ihre Türen öffneten, sollte dieses Kapitel nun also auch in Hamburg als Teil der Stadtgeschichte öffentlich sichtbar werden. Federführend war das Museum für Hamburgische Geschichte ), das die Ausstellung entwickelte und letztlich auch unter seinem Dach zeigte. Unterstützend tätig war die Kulturbehörde . Die Protagonisten des neu formierten Jerusalemer Vereins waren von Beginn an aktiv in den Vorbereitungsprozess eingebunden, in dem sie als Ideengeber , Rechercheure und kritische Beobachter auftraten. Auch in anderen, parallel geführten erinnerungspolitischen Debatten meldeten sie sich zu Wort. Allerdings sahen sie insbesondere in einer solchen Ausstellung, wie sie in ihrem Gründungsbrief schrieben, eine „besondere und jetzt aktuell gewordene Aufgabe“. Das galt nicht nur für die Stadtgesellschaft, sondern auch für sie persönlich. Umso mehr wurde die Realisierung für sie zu einer Herzensangelegenheit. Während der Vorbereitungen waren die Protagonisten des Jerusalemer Vereins im Austausch mit der Kulturbehörde und immer wieder in Diskussionsrunden anwesend. Vor allem Naftali Bar-Giora Bamberger brachte sich ein. Er war es auch, der im Depot des Altonaer Museums den beschädigten Chanukka-Leuchter der dortigen Synagoge fand, der zum zentralen Motiv der Ausstellung werden sollte. Erste Zwischenergebnisse waren 1986 / 1987 in der Ausstellung „Ehemals in Hamburg zu Hause. Jüdisches Leben am Grindel “ zu sehen. Die Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg “ wurde schließlich am 25. Oktober 1991 im Beisein von Ophir , der zugleich die Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg erhielt, sowie von Bar-Giora Bamberger und 35 weiteren Mitgliedern des Jerusalemer Vereins im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet. Dies verdeutlicht ihre prominente und engagierte Rolle, die sie im Laufe des Prozesses spielten. Das war durchaus im Sinne der Stadt, wie ein fünf Jahre später erstelltes Memorandum der Kulturbehörde zeigt. Darin heißt es: Der„ Verein ehemaliger jüdischer Bürger in Hamburg betrachtet die Realisierung der Ausstellung als Erfolg seiner kontinuierlichen Bemühungen.“  Quellenangabe Er habe zudem weitere Schritte wie den Verleih und die Übersetzung vorgeschlagen. Letztlich folgt daraus für die Behörde : „ Hamburg kann daran nur ein Interesse haben.“  Quellenangabe Die Ausstellung war bis März 1992 zu sehen. Im Anschluss stellte sich die Frage, ob und in welcher Form sie weiter gezeigt werden sollte. Der neu fusionierte Verein strebte zuerst einen Verleih nach Tel Aviv , dann die Einrichtung eines separaten Jüdischen Museums an, was beides nicht umgesetzt wurde. Stattdessen einigten sich alle Beteiligten darauf, eine ständige Abteilung zur jüdischen Geschichte im Museum für Hamburgische Geschichte / Hamburg Museum einzurichten. Unter dem Namen „Juden in Hamburg “ wurde sie dort von 1997 bis zur modernisierungsbedingten Schließung des Hauses 2023 gezeigt.

Fazit


Mit diesem Kompromiss kehrten wenige Jahre später alle beteiligten Akteure gewissermaßen wieder an den Anfang zurück, als das Ausstellungsvorhaben der Gründungsanlass des Jerusalemer Vereins war. Die Realisierung einer solchen Ausstellung verfolgten die Protagonisten der Gruppe mit großem Engagement und letztlich mit Erfolg. Dafür schlossen sie sich eigens als gesonderter Verein zusammen. Der Brief, mit dem sie die Hamburger Verwaltung darüber informierten, wirft ein Schlaglicht auf einen zentralen Moment der Geschichte der Vereine ehemaliger Hamburger und im Besonderen auf die Arbeit der Jerusalemer Gruppe als translokaler Erinnerungsakteur in Hamburg – der Stadt , aus der sie ein halbes Jahrhundert zuvor flüchten mussten.

Auswahlbibliografie


Ulrich Bauche (Hrsg.), Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte vom 8. November 1991 bis 29. März 1992, Hamburg 1991.
Katharina Hoba, Generation im Übergang. Beheimatungsprozesse deutscher Juden in Israel, Köln u. a. 2017.
Ingo Loose, Alte Heimat in der neuen. Der Verband ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e. V. und seine Mitteilungen von 1958 bis heute, in: Maximilian Eiden (Hrsg.), Von Schlesien nach Israel. Juden aus einer deutschen Provinz zwischen Verfolgung und Neuanfang. Eine Veröffentlichung des Schlesischen Museums zu Görlitz, Görlitz 2010, S. 46-64.
Jana Matthies, Im Zwiespalt der Erinnerungen – Die Vereine ehemaliger Hamburger in Israel, in: Aschkenas 33 (2023) 2, S. 381-405.

Zu den Autoren

Jana Matthies, M. A., ist seit Januar 2024 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) im Projekt „Blind Spot – Die Erinnerung an den Holocaust in der Ukraine in der deutsch-jüdischen Erinnerungskultur“. Zuvor war sie an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (FZH) tätig. Ihr Studium der Geschichte und Politikwissenschaft hat sie mit einer Masterarbeit zum Thema „Ehemalige Hamburger in Israel. Protagonisten – Organisation – Kontakte“ abgeschlossen.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Jana Matthies, , Von Hamburg nach Jerusalem und (nicht) zurück – Ehemalige Hamburger in Israel und ihre Vereine, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte. <https://schluesseldokumente.net/beitrag/jgo:article-298> [14.05.2025].