Kontinuitäten der NS-Judenforschung?

Dirk Rupnow

Quellenbeschreibung

Die 1958 im Franz Steiner-Verlag (Wiesbaden) als Band 40 der Beihefte zur Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (herausgegeben von Hermann Aubin) erschienene Studie „Sephardim an der unteren Elbe“ kann wohl als ein zentraler Beitrag zur hamburgisch-jüdischen Geschichte in der frühen Nachkriegszeit gelten. Ihr Autor Hermann Kellenbenz war einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftshistoriker seiner Generation. Er beschäftigte sich in seinem 600 Seiten umfassenden Werk mit der wirtschaftlichen Bedeutung der sefardischen Juden, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus Spanien vertrieben und in Hamburg aufgenommen worden waren. Der Ursprung der Publikation geht allerdings auf die NS-Zeit zurück, als Kellenbenz einen Forschungsauftrag des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ erhalten hatte. Im Vorwort wird dies – für die Zeit wenig überraschend – verschleiert.
  • Dirk Rupnow

Im Vor­wort sei­ner 1958 ver­öf­fent­lich­ten Stu­die „Se­phar­dim an der un­te­ren Elbe“ er­wähnt Her­mann Kel­len­benz, dass seine erste Kon­fron­ta­ti­on mit dem Thema be­reits fast 20 Jahre zu­rück­lie­ge und ihn bei den Vor­ar­bei­ten zu sei­ner Kie­ler Dis­ser­ta­ti­on über die schwe­di­sche Do­mä­ne Holstein-​Gottorf (1938) das „Fremd­ar­ti­ge“ an Ma­nu­el Tei­xei­ra, einem der Prot­ago­nis­ten sei­ner Ar­beit, an­ge­lockt habe. Die Namen aller, die ihm im Laufe der Jahre Hilfe und Rat zu­teil wer­den lie­ßen, zu nen­nen, er­klärt er für un­mög­lich. Ver­schlei­ert wird damit, dass die Ar­beit des im Nach­kriegs­deutsch­land äu­ßerst ein­fluss­rei­chen Wirt­schafts­his­to­ri­kers aus einem mehr­jäh­ri­gen For­schungs­auf­trag des „Reichs­in­sti­tuts für Ge­schich­te des neuen Deutsch­lands“ her­vor­ging. Auf Grund des dar­aus ent­stan­de­nen Tex­tes mit dem Titel „Das Ham­bur­ger Fi­nanz­ju­den­tum und seine Krise“ wurde Kel­len­benz noch Ende No­vem­ber 1944, also kurz vor Ende des Zwei­ten Welt­kriegs, an der Uni­ver­si­tät Würz­burg ha­bi­li­tiert. Die ur­sprüng­li­che Fas­sung ist al­ler­dings eben­so wenig er­hal­ten wie der Ha­bi­li­ta­ti­ons­akt. Ver­mut­lich sind sie bei einem Bom­ben­an­griff auf Würz­burg im März 1945, bei dem auch die Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen wurde, ver­nich­tet wor­den.

Das „Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands


Das vom His­to­ri­ker Wal­ter Frank 1935 ge­grün­de­te „Reichs­in­sti­tut für die Ge­schich­te des neuen Deutsch­lands“ in Ber­lin soll­te zum Zen­trum einer neu ge­stal­te­ten, nationalsozialistisch-​an­ti­se­mi­ti­schen Ge­schichts­wis­sen­schaft wer­den. Mit sei­ner 1936 ge­grün­de­ten, in­ter­dis­zi­pli­när kon­zi­pier­ten „For­schungs­ab­tei­lung Ju­den­fra­ge“ in Mün­chen war es eine der wich­tigs­ten In­sti­tu­tio­nen für die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche „Ju­den­for­schung“, vor allem in ihrer frü­hen Phase. Als „Ju­den­for­schung“ oder „Er­for­schung der Ju­den­fra­ge“ wur­den die geistes-​, kultur-​ und so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen Ar­bei­ten be­zeich­net, die nicht­jü­di­sche Wis­sen­schaft­ler wäh­rend der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft be­trie­ben und sich aus ex­pli­zit an­ti­se­mi­ti­scher Per­spek­ti­ve mit der Ge­schich­te des Ju­den­tums und der so­ge­nann­ten „Ju­den­fra­ge“ be­schäf­tig­ten. Die „Ju­den­for­schung“ ver­such­te sich im „Drit­ten Reich“ mit einer Reihe von In­sti­tu­ten, Ver­öf­fent­li­chungs­or­ga­nen und Ver­an­stal­tun­gen sowie nicht zu­letzt der dis­tink­ten Be­zeich­nung als ei­gen­stän­di­ges For­schungs­feld über die tra­di­tio­nel­len Fach­gren­zen hin­weg zu for­mie­ren und zu eta­blie­ren.

Nationalsozialistische „Judenforschung“


Jen­seits der Ras­sen­kun­de stellt sie den mar­kan­tes­ten Schnitt­punkt von Wis­sen­schaft und an­ti­se­mi­ti­scher Pro­pa­gan­da sowie na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ideo­lo­gie und an­ti­jü­di­scher Po­li­tik in ihrer Pra­xis von der Aus­gren­zung über die Ver­trei­bung bis zum Mas­sen­mord dar. In der NS-​Judenforschung wurde der An­ti­se­mi­tis­mus zum er­kennt­nis­lei­ten­den Prin­zip er­ho­ben, die je­weils be­reits an­ti­se­mi­tisch kon­stru­ier­te „Ju­den­fra­ge“ zum Aus­gangs­punkt des wis­sen­schaft­li­chen In­ter­es­ses und Fokus der For­schungs­tä­tig­keit. Ent­ge­gen der Tra­di­ti­on der deut­schen Ge­schichts­wis­sen­schaft, The­men (deutsch-​) jü­di­scher Ge­schich­te aus­zu­blen­den, wur­den diese wäh­rend der NS-​Zeit durch­aus für er­for­schungs­wür­dig ge­hal­ten. Par­al­lel zur Ver­trei­bung und Er­mor­dung des eu­ro­päi­schen Ju­den­tums fand so eine Aus­ein­an­der­set­zung mit jü­di­scher Ge­schich­te aus nationalsozialistisch-​an­ti­se­mi­ti­scher Per­spek­ti­ve statt – wobei diese Aus­ein­an­der­set­zung of­fen­sicht­lich über die Er­for­der­nis­se der Pro­pa­gan­da zur Recht­fer­ti­gung der an­ti­jü­di­schen deut­schen Po­li­tik auf der einen und der Po­li­tik zu ihrer Im­ple­men­tie­rung auf der an­de­ren Seite hin­aus­ging. Mit der NS-​Judenforschung be­ginnt zwar nicht die wis­sen­schaft­li­che Be­schäf­ti­gung mit jü­di­scher Ge­schich­te in Deutsch­land, doch ge­ra­de sie stellt ihre erste deut­li­che Ver­an­ke­rung in der aka­de­mi­schen Land­schaft dar, die nach 1945 unter an­de­ren po­li­ti­schen Be­din­gun­gen fort­ge­setzt wurde. Die Zwangs­in­te­gra­ti­on jü­di­scher Ge­schich­te in die deut­sche Ge­schich­te wurde von jenen durch­ge­führt, die gleich­zei­tig eine an­ti­jü­di­sche Po­li­tik le­gi­ti­mier­ten und be­trie­ben. Die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung der Er­for­schung jü­di­scher Ge­schich­te fand in Deutsch­land ge­ra­de­zu kom­ple­men­tär zur Ver­trei­bung und Er­mor­dung des deut­schen und eu­ro­päi­schen Ju­den­tums statt.

In­ner­halb kur­zer Zeit kam es im „Drit­ten Reich“ zu einer re­gel­rech­ten Grün­dungs­wel­le von Ein­rich­tun­gen zur „Ju­den­for­schung“. Ver­schie­de­ne Ämter und Ak­teu­re ver­such­ten, ko­ope­rie­rend und kon­kur­rie­rend, diese als his­to­risch fun­dier­ten, trans­dis­zi­pli­när aus­ge­rich­te­ten geistes-​, kultur-​ und so­zi­al­wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­zu­sam­men­hang über die tra­di­tio­nel­len Fach­gren­zen hin­weg zu kon­sti­tu­ie­ren und auf die­sem Feld prä­sent zu sein. Be­reits 1935 wurde in Ber­lin das „In­sti­tut zum Stu­di­um der Ju­den­fra­ge“ ge­grün­det, das ab 1939 als „An­ti­se­mi­ti­sche Ak­ti­on“ und ab 1942 als „An­ti­jü­di­sche Ak­ti­on“ fun­gier­te. Tat­säch­lich han­del­te es sich dabei um eine Ab­tei­lung von Go­eb­bels’ Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um, wobei diese Ver­bin­dung aber zur Wah­rung des An­scheins eines un­ab­hän­gi­gen wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­in­sti­tuts in der Öf­fent­lich­keit ver­deckt ge­hal­ten wurde. 1936 wurde dann in Mün­chen mit der „For­schungs­ab­tei­lung Ju­den­fra­ge“ des „Reichs­in­sti­tuts für Ge­schich­te des neuen Deutsch­lands“ eine der be­deu­tends­ten und pro­duk­tivs­ten Ein­rich­tun­gen der NS-​Judenforschung ge­grün­det. Das in Ber­lin be­hei­ma­te­te Reichs­in­sti­tut soll­te im „Drit­ten Reich“ die „His­to­ri­sche Reichs­kom­mis­si­on“ er­set­zen und war neben dem „Reichs­in­sti­tut für äl­te­re deut­sche Ge­schich­te“ für die Ge­schichts­for­schung über die Neu­zeit, vor allem seit der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on, zu­stän­dig. In Kon­kur­renz zu den Ak­ti­vi­tä­ten an Franks Reichs­in­sti­tut wurde im März 1941 in Frank­furt am Main das „In­sti­tut zur Er­for­schung der Ju­den­fra­ge“ er­öff­net, das be­reits 1939 for­mell ge­grün­det wor­den war. Das In­sti­tut war die erste rea­li­sier­te Au­ßen­stel­le von Ro­sen­bergs für die Zeit nach dem Krieg ge­plan­ter na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Al­ter­na­tiv­uni­ver­si­tät, der „Hohen Schu­le“. In Ei­sen­ach wurde 1939 unter der Lei­tung des pro­tes­tan­ti­schen Theo­lo­gen Wal­ter Grund­mann das „In­sti­tut zur Er­for­schung und Be­sei­ti­gung des jü­di­schen Ein­flus­ses auf das deut­sche kirch­li­che Leben“ ge­grün­det. Auch im Amt VII des Reichs­si­cher­heits­haupt­amts wurde im Zu­sam­men­hang mit si­cher­heits­po­li­zei­li­cher Tä­tig­keit mit wis­sen­schaft­li­chem An­spruch über ras­si­sche und welt­an­schau­li­che Geg­ner und damit unter an­de­rem über Juden ge­forscht („Geg­ner­for­schung“). An ei­ni­gen Uni­ver­si­tä­ten wurde über die Ver­ga­be von Lehr­auf­trä­gen hin­aus die Ein­rich­tung von ent­spre­chen­den Lehr­stüh­len ver­sucht: so in Tü­bin­gen, Wien, Ber­lin und Frank­furt. Die Ha­bi­li­ta­ti­on von Her­mann Kel­len­benz an der Uni­ver­si­tät Würz­burg zeigt al­ler­dings, dass auch an Uni­ver­si­tä­ten ohne sol­che Lehr­stüh­le „Ju­den­for­schung“ durch ein­zel­ne Wis­sen­schaft­ler be­trie­ben wurde.

Die nationalsozialistische Ideologie in Kellenbenz’ Arbeit


Ins­ge­samt haben sich in der 1958 ver­öf­fent­lich­ten Ver­si­on von Kel­len­benz 1944 fer­tig­ge­stell­ter Ar­beit keine auf­fäl­li­gen Re­si­du­en an­ti­se­mi­ti­scher Po­si­tio­nen er­hal­ten, ob­wohl sol­che in zeit­ge­nös­si­schen Pu­bli­ka­tio­nen immer wie­der zu fin­den sind. Al­ler­dings wer­den im Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis der Nach­kriegs­fas­sung noch Ar­bei­ten aus dem Zu­sam­men­hang der NS-​Judenforschung an­ge­führt: Volk­mar Eich­städtsBi­blio­gra­phie zur Ge­schich­te der Ju­den­fra­ge“ (1938) sowie ein Bei­trag von Wil­fried Euler über „Das Ein­drin­gen jü­di­schen Blu­tes in die eng­li­sche Ober­schicht“ aus den „For­schun­gen zur Ju­den­fra­ge“ (Bd. 6, 1941).

In­wie­weit sich ge­ra­de hin­ter Kel­len­benz’ Kri­tik an Wer­ner Som­bart, die­ser habe die Be­deu­tung der Juden für die Ent­ste­hung des mo­der­nen Ka­pi­ta­lis­mus über­be­wer­tet, die zu­nächst un­ver­ein­bar mit Po­si­tio­nen der NS-​Ideologie zu sein scheint, ein an­ti­se­mi­ti­sches Ar­gu­ment ver­birgt, das Juden jeg­li­che schöp­fe­ri­sche Fä­hig­kei­ten ab­zu­spre­chen ver­sucht, kann kaum ab­schlie­ßend be­ant­wor­tet wer­den. Eng an den Quel­len ar­gu­men­tie­rend, dia­gnos­ti­zier­te er eine be­son­de­re Be­deu­tung der Se­far­den für die Mo­der­ni­sie­rung des Ham­bur­ger Por­tu­gal- und Spa­ni­enhan­dels auf­grund ihrer aus­län­di­schen Er­fah­run­gen, eben­so wie bei zu­ge­zo­ge­nen Nie­der­län­dern und Ober­deut­schen, ver­warf aber Som­barts An­nah­me, diese hät­ten den ham­bur­gi­schen Por­tu­gal- und Spa­ni­enhan­del erst be­grün­det und do­mi­niert.

Kellenbenz’ Argumente zur Verteidigung


Dem­entspre­chend em­pört re­agier­te Kel­len­benz auf seine Er­wäh­nung in Hel­mut Hei­bers Buch über Wal­ter Frank und das Reichs­in­sti­tut. Der Mit­ar­bei­ter des Münch­ner In­sti­tuts für Zeit­ge­schich­te war einer der ers­ten, der sich mit den deut­schen His­to­ri­kern in der NS-​Zeit be­schäf­tig­te. In einem Schrei­ben an Theo­dor Schie­der, sei­nem da­ma­li­gen Kol­le­gen an der Uni­ver­si­tät Köln, der zu­sam­men mit Hans Roth­fels Hei­bers Stu­die be­gut­ach­tet und dem In­sti­tut für Zeit­ge­schich­te zur Ver­öf­fent­li­chung emp­foh­len hatte, be­ton­te er unter Hin­weis auf das Gut­ach­ten von Wil­helm Enß­lin für seine Würz­bur­ger Ha­bi­li­ta­ti­on, dass sein „Werk von vorn­her­ein nicht nur auf die Dar­stel­lung der Sozial-​ und Wirt­schafts­ge­schich­te der Se­phar­dim, son­dern eben­so auf die Ein­fü­gung des gan­zen Fra­gen­kom­ple­xes in die po­li­ti­sche Ge­schich­te des 17. Jahr­hun­derts an­ge­legt war“. Tat­säch­lich war Kel­len­benz nie im ei­gent­li­chen Sinne ein Spe­zia­list für jü­di­sche Ge­schich­te, son­dern viel­mehr ein Wirt­schafts­his­to­ri­ker. Den­noch war es of­fen­sicht­lich an­ge­zeigt, den Schwer­punkt der Ar­beit noch nach­träg­lich deut­lich von einem Thema der „Ju­den­for­schung“ hin zur klas­si­schen po­li­ti­schen Ge­schich­te zu ver­schie­ben. Die Exkul­pa­ti­on (Selbst-​)ent­las­tung, Schuld­be­frei­ung aus den ideo­lo­gi­schen Zu­sam­men­hän­gen von Wis­sen­schaft unter na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­din­gun­gen ging be­zeich­nen­der­wei­se in die­sem Fall ein­her mit einer Di­stan­zie­rung vom Feld der jü­di­schen Ge­schich­te über­haupt, womit im­pli­zit ein­ge­stan­den wurde, dass jede Be­schäf­ti­gung mit jü­di­scher Ge­schich­te im „Drit­ten Reich“ po­li­tisch und ideo­lo­gisch ge­prägt war.

Her­mann Kel­len­benz wurde von der Spruch­kam­mer Mün­chen I im Zuge der Weih­nachts­am­nes­tie 1947 ent­las­tet: Trotz sei­ner Par­tei­mit­glied­schaft habe er dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ab­leh­nend ge­gen­über­ge­stan­den, im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Geist habe er sich nicht be­tä­tigt, er wurde viel­mehr als Kri­ti­ker und Feind des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­schätzt. Die Tä­tig­keit als „For­schungs­be­auf­trag­ter des Reichs­in­sti­tuts für Ge­schich­te [!]“ wurde nicht als be­las­tend ge­wer­tet, weil die Ein­rich­tung keine Par­tei­un­ter­neh­mung war. Kel­len­benz hatte sich in sei­ner Er­klä­rung ge­gen­über der Spruch­kam­mer auf eine wirt­schaft­li­che Not­la­ge, ein „stän­di­ges Sich­be­drohtfüh­len von einem staat­li­chen Zwang“, aber auch – seine Selbst­dar­stel­lung als Wis­sen­schaft­ler in­ter­es­sant mo­di­fi­zie­rend – auf Dumm­heit und Un­er­fah­ren­heit her­aus­ge­re­det: „Wol­len Sie doch bit­ten be­rück­sich­ti­gen, daß ich da­mals trotz mei­ner Bü­cher­ge­scheit­heit vom Leben her ge­se­hen mit mei­nen 22 Jah­ren noch dumm und un­er­fah­ren war.“ Er sti­li­sier­te sich zu einem der­je­ni­gen „Klei­nen, denen es immer im Leben schwer geht“. Vor allem das an­ti­se­mi­ti­sche Pro­gramm der Par­tei habe er ab­ge­lehnt, seine Mut­ter habe zudem immer mit Juden ver­kehrt. Seine Ar­bei­ten seien aus­schließ­lich his­to­ri­schen Cha­rak­ters ge­we­sen und „streng wis­sen­schaft­lich“. Als Ab­sicht hin­ter sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift gab er an, das Thema „im Ge­gen­satz zu den da­mals er­schei­nen­den Bü­chern über die Juden streng wis­sen­schaft­lich, nur nach den fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen dar­zu­stel­len“. Aus­drück­lich stell­te er sich zur Mit­ar­beit am Wie­der­auf­bau eines de­mo­kra­ti­schen Deutsch­lands zur Ver­fü­gung.

Kellenbenz’ weiterer Werdegang


Kel­len­benz’ Selbst­dar­stel­lung wurde un­ter­stützt von einer Reihe von ei­des­statt­li­chen Er­klä­run­gen. Diese be­ton­ten wie­der­holt, dass er dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus „in­ner­lich fremd und ab­leh­nend“ ge­gen­über­ge­stan­den und ein Opfer der Um­stän­de ge­we­sen sei, vor allem aber immer nur das Be­rufs­ziel eines „ab­so­lut ob­jek­ti­ven His­to­ri­kers“ ver­folgt habe und von „rein wis­sen­schaft­li­chem Stre­ben“ er­füllt war. Zum Ar­gu­ment wurde auch, dass sich das Reichs­in­sti­tut gegen par­tei­po­li­ti­sche und welt­an­schau­li­che Ein­fluss­nah­me er­weh­ren muss­te. Kel­len­benz konn­te so re­la­tiv un­be­scha­det seine Kar­rie­re fort­set­zen, zu­nächst ab Ende 1947 mit einem Lehr­auf­trag an der Philosophisch-​Theologischen Hoch­schu­le Re­gens­burg, als Pri­vat­do­zent und au­ßer­plan­mä­ßi­ger Pro­fes­sor in Würz­burg, mit Gast­auf­ent­hal­ten an der Har­vard Uni­ver­si­ty und der Pa­ri­ser École Pra­tique des Hau­t­es Études, ab 1957 mit einem Lehr­stuhl an der Hoch­schu­le für Wirtschafts-​ und So­zi­al­wis­sen­schaf­ten in Nürn­berg, von 1960 bis 1970 an der Uni­ver­si­tät Köln und schließ­lich wie­der bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung an der Uni­ver­si­tät Erlangen-​Nürnberg.

Deut­lich ist in jedem Fall, dass die Ge­schich­te der NS-​Judenforschung mit dem Jahr 1945 kei­nes­falls be­en­det war. Auch Kel­len­benz’ Werk kann nicht los­ge­löst von den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Mas­sen­ver­bre­chen be­trach­tet wer­den. Er selbst soll bei Kriegs­en­de in Mün­chen, im Früh­jahr 1945, ta­ge­lang die Akten der „For­schungs­ab­tei­lung Ju­den­fra­ge“ des Reichs­in­sti­tuts ver­brannt haben.

Auswahlbibliografie


Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 13), Stuttgart 1966.
Horst Junginger, Die Verwissenschaftlichung der ‚Judenfrage‘ im Nationalsozialismus, Darmstadt 2011.
Hermann Kellenbenz, Sephardim an der unteren Elbe. Ihre wirtschaftliche und politische Bedeutung vom Ende des 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Beihefte zur Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 40), Wiesbaden 1958.
Dirk Rupnow, Judenforschung im Dritten Reich. Wissenschaft zwischen Politik, Propaganda und Ideologie, Baden-Baden 2011.
Alan E. Steinweis, Studying the Jew. Scholarly Antisemitism in Nazi Germany, Cambridge/Mass. 2006.

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Zum Autor

Dirk Rupnow, Univ.-Prof. Mag. Dr., geb. 1972, ist Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck. Seine Forschungsschwerpunkte sind: österreichische, deutsche und europäische Zeitgeschichte, die NS-Zeit und der Holocaust, jüdische Geschichte, Wissenschaftsgeschichte, Kulturwissenschaften, transnationale Geschichte, Migrationsgeschichte sowie Theorie und Methode der Geschichtswissenschaft.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Dirk Rupnow, Kontinuitäten der NS-Judenforschung?, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-88.de.v1> [01.04.2025].

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