Am Ort erinnern. Die sefardische Synagoge in der Altonaer Bäckerstraße

Alexandra Klei

Quellenbeschreibung

Die Ge­schich­te der Syn­ago­ge der por­tu­gie­si­sche Ge­mein­de Neve Shalom und ihrer Zer­stö­rung 1940 in Hamburg-​Altona lässt sich vor dem Hin­ter­grund, dass nur we­ni­ge Schrift-​ und Bild­quel­len exis­tie­ren, nur bruch­stück­haft re­kon­stru­ie­ren. Sie wurde 1771 in einem Hin­ter­hof in der da­ma­li­gen Bä­cker­stra­ße (heute: Ho­he­schul­stra­ße) ein­ge­weiht und ab 1887 von der Hoch­deut­schen Israeliten-​Gemeinde wei­ter ge­nutzt. Heute ist das ge­sam­te Areal mit Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern über­baut; ein Ge­denk­zei­chen gibt es nicht. Neben Fe­der­zeich­nun­gen aus dem Jahr 1916 Ver­öf­fent­licht als schwarze-​weiße Fe­der­zeich­nung in: Syn­ago­ge Bä­cker­stra­ße, in: In­sti­tut für die Ge­schich­te der deut­schen Juden (Hrsg.), Das Jü­di­sche Ham­burg. Ein his­to­ri­sches Nach­schla­ge­werk, on­line: https://www.das­ju­e­discheham­burg.de/bil­der/synagoge-​bäckerstraße (21.10.2020). und 1917 Ver­öf­fent­licht als grau-​braun-teilkolorierte Fe­der­zeich­nung in: Syn­ago­ge der portugiesisch-​israelitischen Ge­mein­de in Al­to­na (Bä­cker­stra­ße), in: Mu­se­ums­ver­band Schleswig-​Holstein und Ham­burg e. V. Mu­se­en Nord (Hrsg.), Samm­lun­gen ver­net­zen – Kul­tur si­chern, on­line:http://www.museen-​sh.de/Ob­jekt/DE-​MUS-058811/lido/1919-140 (21.10.2020). von Lud­wig Schwarz, einem un­da­tier­ten Öl­ge­mäl­de von Mar­tin Peter Georg Fed­der­sen, die je­weils die West­fas­sa­de mit dem Ein­gang als Fron­tal­an­sicht in der Hof­si­tua­ti­on zei­gen und ei­ni­gen we­ni­gen Fo­to­gra­fien exis­tiert noch die vor­ma­li­ge Be­krö­nung des Ein­gangs­por­tals, die dem Mu­se­um Al­to­na über­ge­ben wurde: eine plas­ti­sche Krone über dem Mo­no­gramm des dä­ni­schen Kö­nigs Chris­ti­an VII. Er hatte den Bau der Syn­ago­ge 1770 ge­stat­tet. Das 3D-​Modell be­ruht auf For­schun­gen, die an der Bet Tfila For­schungs­stel­le für jü­di­sche Ar­chi­tek­tur in Eu­ro­pa an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Braun­schweig durch­ge­führt wur­den und mit denen eine Re­kon­struk­ti­on so­wohl des Ge­bäu­des als auch sei­ner In­nen­ge­stal­tung mög­lich wur­den. Ein aus Holz an­ge­fer­tig­tes Mo­dell im Maß­stab 1:50 bil­de­te die Grund­la­ge für die Er­stel­lung die­ser Si­mu­la­ti­on. Mit ihr wird das Ge­bäu­de als vir­tu­el­le Re­kon­struk­ti­on nicht nur do­ku­men­tiert, son­dern auch für den Be­trach­ten­den in der Ge­gen­wart er­fahr­bar.

  • Alexandra Klei

Eine sefardische Synagoge in Altona


Nach 1700 be­gan­nen se­far­di­sche Jü­din­nen und Juden, sich dau­er­haft in Al­to­na an­zu­sie­deln. 1770 leb­ten knapp 20 Fa­mi­li­en hier. In die­sem Jahr ge­stat­te­te der dä­ni­sche König Chris­ti­an VII ihrer Ge­mein­de Neve Shalom den Bau einer Syn­ago­ge und be­frei­te sie für die­ses Ge­bäu­de und für das Haus des Syn­ago­gen­die­ners zudem von allen Ab­ga­ben. Die Ge­mein­de konn­te ihren Neu­bau be­reits im dar­auf­fol­gen­den Jahr, am 6.9.1771, in der da­ma­li­gen Bä­cker­stra­ße 12-14 (heute Ho­he­schul­stra­ße) auf einem Hin­ter­hof ein­wei­hen. Ein Ar­chi­tekt oder Bau­meis­ter des Ge­bäu­des ist nicht be­kannt. Die wohl­ha­ben­de und in Al­to­na an­säs­si­ge Kauf­manns­fa­mi­lie Mus­sa­phia Fi­dal­go soll das Vor­ha­ben fi­nan­zi­ell un­ter­stützt haben. Es ent­stand ein Fach­werk­haus auf einer recht­ecki­gen Grund­flä­che, die 12,20 m lang und 7,35 m breit war. Mitte der 1830er-​Jahre sowie 1859 gab es grö­ße­re Umbau-​ und Sa­nie­rungs­ar­bei­ten. Bei ers­te­ren wurde das Ge­fach – die ge­mau­er­ten Flä­chen zwi­schen der Holz­rah­men­kon­struk­ti­on – ver­putzt. Der Un­ter­schied zwi­schen die­sen bei­den Ele­men­ten ist an der Sei­ten­fas­sa­de des Mo­dells deut­lich zu er­ken­nen. Da­ne­ben wurde die West­fas­sa­de mit dem Ein­gang um­ge­stal­tet. Es ent­stand vor­ge­la­gert eine neue Wand mit vier Pi­las­tern – in die Wand ein­ge­mau­er­te Teil­säu­len – , die sie nun glie­der­ten und dem Ge­bäu­de an die­ser Seite eine spät­klas­si­zis­ti­sche Er­schei­nung gaben. Im Mo­dell ist der Bruch zwi­schen die­ser Fas­sa­de und der sich an­schlie­ßen­den Sei­ten­au­ßen­wand deut­lich ab­zu­le­sen. Des Wei­te­ren un­ter­schei­det sie sich deut­lich von der Sei­ten­wand, die nach wie vor die Fach­werk­struk­tur wie­der­gibt. Die zum Hof aus­ge­rich­te­te Seite zeigt da­ge­gen eine drei­ach­si­ge Fas­sa­de, die mit­tig den um zwei Stu­fen er­höh­ten Ein­gang auf­nimmt. Er wurde zu­sätz­lich durch eine im Mo­dell nicht ent­hal­te­ne he­bräi­sche In­schrift und die Jah­res­zahl 5531 (1771) sowie das ge­nann­te Kö­nigs­mo­no­gramm von Chris­ti­an VII mar­kiert. Dar­über lie­gend be­to­nen zwei Rund­bo­gen­fens­ter die Ein­gangs­tür: Im ers­ten Ober­ge­schoss ist es hoch und in sich ge­staf­felt, im Gie­bel flach und schlicht. Dem Mo­dell zu­fol­ge be­fan­den sich links und rechts eben­falls Fens­ter: Je­weils als Paare aus­ge­bil­det, waren sie im Erd­ge­schoss recht­eckig mit im Ab­schluss bo­gen­för­mi­gen Schei­ben und im Ober­ge­schoss als Rund­bo­gen ge­stal­tet. Hier waren sie auf der Höhe der Ober­kan­te des Fuß­bo­dens der Frau­en­em­po­re an­ge­bracht. Den Ab­schluss der Fas­sa­de bil­de­te ein Drei­ecks­gie­bel, hin­ter dem sich ein nied­ri­ge­res Sat­tel­dach ver­barg. Damit han­del­te es sich ins­ge­samt zwar nicht um eine aus­ge­spro­chen präch­ti­ge, aber doch um eine re­prä­sen­ta­ti­ve Fas­sa­de, deren An­sicht al­ler­dings auf­grund des Stand­or­tes des Ge­bäu­des le­dig­lich den un­mit­tel­ba­ren An­woh­ne­rin­nen und An­woh­nern sowie den Ge­mein­de­mit­glie­dern vor­be­hal­ten war.

Der In­nen­raum soll nach der Ein­wei­hung mit neun gro­ßen Kron­leuch­tern aus­ge­stat­tet ge­we­sen sein. Die Decke war als ein fla­ches Ton­nen­ge­wöl­be aus­ge­bil­det. Im Zuge der oben er­wähn­ten Sa­nie­rungs­ar­bei­ten wur­den ver­mut­lich 1859 auch die In­nen­wän­de neu aus­ge­malt. Auf einer drei­sei­tig um­lau­fen­den, von vier Stüt­zen ge­tra­ge­nen ver­git­ter­ten Em­po­re be­fan­den sich Plät­ze für die Frau­en. Der Auf­gang war über ein im Osten an­ge­ord­ne­tes Trep­pen­haus mög­lich, das über einen ei­ge­nen Ein­gang ver­füg­te. Zudem könn­te es auf die­ser Seite eine ein­zel­ne Fens­ter­öff­nung als Rund­bo­gen ge­ge­ben haben, die sich ober­halb des Tho­ra­schrei­nes be­fand. Zwi­schen ihm und der Bima (dem To­ra­le­se­pult), die in der Nähe des Ein­gangs im Wes­ten stand, blieb ein frei­er Platz; ein Kenn­zei­chen se­far­di­scher Syn­ago­gen. Ein zwei­tes fand sich mit der An­ord­nung der Plät­ze für die Män­ner, die ent­lang der Längs­wän­de er­folg­te. Das Mo­bi­li­ar soll ver­schie­de­nen An­ga­ben zu­fol­ge Spät­ba­rock und auf­wän­dig ge­stal­tet ge­we­sen sein.

1882 muss­te die por­tu­gie­si­sche Ge­mein­de das Ge­bäu­de auf­ge­ben, da sie nicht mehr ge­nü­gend Mit­glie­der hatte, um re­gel­mä­ßig zehn er­wach­se­ne Män­ner für die Durch­füh­rung des Got­tes­diens­tes zu­sam­men­zu­be­kom­men. Sie ver­kauf­te es an die 1611 ge­grün­de­te Hoch­deut­sche Israeliten-​Gemeinde. Diese nahm im In­ne­ren Ver­än­de­run­gen in der An­ord­nung der Bima und der Sitz­plät­ze vor, um den Raum dem asch­ke­na­si­schen Ritus an­zu­pas­sen und ihn ab 1887 als Win­ter­syn­ago­ge zu nut­zen. Der klei­ne­re In­nen­raum war ver­mut­lich ein­fa­cher zu hei­zen als der Bet­raum ihrer ei­gent­li­chen Syn­ago­ge, die sich seit 1684 in der da­ma­li­gen Klei­nen Pa­pa­go­y­en­stra­ße / Brei­ten­stra­ße be­fand. Die se­far­di­sche Ge­mein­de löste sich 1887 for­mal auf.

Ob und wenn ja in wel­chem Um­fang die Syn­ago­ge in der Bä­cker­stra­ße am 9. und 10.11.1938 im In­ne­ren zer­stört wurde, lässt sich nicht sagen. Ver­mut­lich ver­zich­te­ten die An­grei­fer auf­grund der Lage in einem Hin­ter­hof dar­auf, das Ge­bäu­de an­zu­zün­den. Es blieb er­hal­ten und muss­te 1940 an die Stadt ver­kauft wer­den, die es im glei­chen Jahr ab­rei­ßen ließ.

Sefardische Synagogen – ein Vergleich zwischen Altona und Hamburg


Die Blü­te­zeit portugiesisch-​jüdischer Ge­mein­den in Al­to­na und Ham­burg lässt sich auf die Zeit zwi­schen 1660 und 1780 fest­le­gen; mehr als 100 Jahre, in denen sie sich unter an­de­rem als Kauf­leu­te er­folg­reich eta­blie­ren konn­ten. In Al­to­na be­sa­ßen be­reits die sich erst­mals ver­ein­zelt 1619 / 20 an­sie­deln­den se­far­di­schen Fa­mi­li­en Re­li­gi­ons­frei­heit; zu­nächst noch unter dem Gra­fen von Holstein-​Schauenburg, dann ab 1640 auch unter dä­ni­scher Herr­schaft. Die par­al­lel exis­tie­ren­de asch­ke­na­si­sche Hoch­deut­sche Israelitische-​Gemeinde konn­te ver­mut­lich be­reits in der ers­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts eine Syn­ago­ge in der Müh­len­stra­ße ein­rich­ten, die mög­li­cher­wei­se auch von den se­far­di­schen Juden mit­ge­nutzt wurde.

Die Si­tua­ti­on für se­far­di­sche Jü­din­nen und Juden war in Ham­burg im Ver­gleich zu Al­to­na schwie­ri­ger: Um 1612 leb­ten hier rund 150 von ihnen, die sich in drei Ge­mein­den or­ga­ni­sier­ten und drei ver­schie­de­ne Be­träu­me hat­ten; al­le­samt in Pri­vat­woh­nun­gen un­ter­ge­bracht. 1652 schlos­sen sie sich zur Ge­samt­ge­mein­de Bet Is­ra­el zu­sam­men und nutz­ten ge­mein­sam den Bet­raum in der Woh­nung von Ro­dri­go Pires Bran­dao am Dreck­wall (Alter Wall) – eine Stra­ße, die par­al­lel zum Als­ter­fleet in der Ham­bur­ger In­nen­stadt ver­läuft. Der Bau einer Syn­ago­ge blieb ihnen im 17. und 18. Jahr­hun­dert ver­wehrt und konn­te erst An­fang der 1830er-​Jahre rea­li­siert wer­den. Das 1834 ein­ge­weih­te Ge­bäu­de lag eben­falls auf einem Hin­ter­hof, in der Nr. 50 des Alten Wall, nur we­ni­ge Meter von ihrem frü­he­ren Bet­raum ent­fernt, des­sen Ge­bäu­de und Grund­stück we­ni­ge Jahre zuvor zwangs­ver­kauft wor­den war. Die Syn­ago­ge, über die nur we­ni­ge An­ga­ben über­lie­fert sind, wurde be­reits im Mai 1842 beim gro­ßen Brand, der meh­re­re Stra­ßen um­fass­te, zer­stört. An­schlie­ßend nutz­te die Ge­mein­de Be­träu­me in un­ter­schied­li­chen Häu­sern, bis sie am 6.9.1855 ihren Neu­bau in der Mar­cus­stra­ße, in Nach­bar­schaft eines be­reits be­stehen­den jü­di­schen Wai­sen­hau­ses, ein­wei­hen konn­te. Auch diese Syn­ago­ge wurde wie­der in einem Hin­ter­hof ein­ge­rich­tet und war von der Stra­ße aus kaum sicht­bar. Ihr In­ne­res soll über eine be­ein­dru­cken­de ori­en­ta­li­sche / mau­ri­sche Aus­ma­lung unter an­de­rem mit flo­ra­len Mo­ti­ven und or­na­men­ta­len Mus­tern sowie über eine aus­ge­spro­chen gute Akus­tik ver­fügt haben. Das Ge­bäu­de nahm zudem, an­ders als die por­tu­gie­si­sche Syn­ago­ge in Al­to­na, das bi­po­la­re se­far­di­sche Raum­sche­ma in sei­ner Ar­chi­tek­tur be­reits auf: Es ent­stan­den zwei Raum­tei­le über je einer qua­dra­ti­schen Grund­flä­che, die sich in ihrer Größe ge­ring­fü­gig un­ter­schie­den. Der west­li­che, klei­ne­re, nahm die zen­tral ste­hen­de Bima, das Ge­stühl für die Män­ner ent­lang der Sei­ten­wän­de sowie die Frau­en­em­po­re auf. Der öst­li­che Raum­teil war über­dacht von einer far­bi­gen Glas­kup­pel und nahm eben­falls Sitz­rei­hen ent­lang der Wände, sowie zwei Rei­hen in der Längs­ach­se auf. Le­dig­lich im Ein­gangs­be­reich habe sich einen Bank be­fun­den, von der aus man den Blick di­rekt auf den Aron Ha­ko­desch (To­ra­schrein) rich­ten konn­te. Die Syn­ago­ge war, nach­dem die por­tu­gie­si­sche Ge­mein­de in Al­to­na ihr Ge­bäu­de ver­kauft hatte, das ein­zi­ge se­far­di­sche Got­tes­haus in Deutsch­land. Es muss­te 1935 auf­ge­ge­ben wer­den und wurde bis Ende 1939 an die Deutsch-​Israelitische Ge­mein­de ver­mie­tet, an­schlie­ßend zwangs­ver­kauft und in den 1940er-​Jahren zer­stört. Dabei ist nicht mit letz­ter Si­cher­heit zu sagen, ob es ab­ge­bro­chen oder in­fol­ge von Bom­ben­an­grif­fen zer­stört wurde. Die por­tu­gie­si­sche Ge­mein­de rich­te­te noch bis 1939 ein se­far­di­sches Zen­trum in einer Pri­vat­vil­la in der In­no­cen­tia­stra­ße 37 ein; das Ge­bäu­de dien­te an­schlie­ßend als so­ge­nann­tes Ju­den­haus. Es ist nach wie vor er­hal­ten und wird zu Wohn­zwe­cken ge­nutzt.

Trotz der un­ter­schied­li­chen recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen und dem zeit­li­chen Ab­stand von fast 80 Jah­ren, die zwi­schen den Ein­wei­hun­gen der Syn­ago­ge Bä­cker­stra­ße und der Syn­ago­ge Mar­cus­stra­ße lie­gen, ist auf­fäl­lig, dass beide in einer Hin­ter­hof­si­tua­ti­on ent­stan­den. Das ist ei­ner­seits nicht un­ge­wöhn­lich, son­dern traf auf viele Neu­bau­ten zu, die bis 1933 in Deutsch­land ent­stan­den. Dies lag bis zur Gleich­stel­lung zum einen an den recht­li­chen Re­strik­tio­nen, soll­te aber zudem Schutz vor an­ti­se­mi­ti­schen An­grif­fen bie­ten. Oft nah­men die an den Stra­ßen ge­le­ge­nen Ge­bäu­de an­de­re Funk­tio­nen des Ge­mein­de­le­bens und sei­ner Ver­wal­tung auf. Da die Auf­merk­sam­keit und For­schung al­ler­dings vor allem auf den Syn­ago­gen selbst liegt, ist in der Wahr­neh­mung oft un­ter­re­prä­sen­tiert, wel­che Nut­zun­gen die Ge­mein­den in der un­mit­tel­ba­ren Nähe ihrer Syn­ago­gen in wel­chen Ge­bäu­den an­sie­del­ten. Oft blie­ben diese Ge­mein­de­häu­ser auch lange nach 1945 noch er­hal­ten und wur­den in an­de­re Funk­tio­nen über­führt. Ins­ge­samt sorg­te eine sol­che bau­li­che Struk­tur für eine ge­rin­ge­re Sicht­bar­keit jü­di­scher Exis­tenz im städ­ti­schen Raum und blieb auch eine Lö­sung, nach­dem mit zu­neh­men­der As­si­mi­la­ti­on die Syn­ago­gen­bau­ten präch­ti­ger, auf­fäl­li­ger und prä­sen­ter in der Öf­fent­lich­keit wur­den. Eines der be­kann­tes­ten Bei­spie­le hier­für ist die auf einem Hin­ter­hof 1904 ein­ge­weih­te Syn­ago­ge Ry­ke­stra­ße im Ber­li­ner Stadt­teil Prenz­lau­er Berg, die 1904 ein­ge­weiht wurde und heute 1.200 Plät­ze auf­nimmt. Als erste Syn­ago­ge in Ham­burg, die von der Stra­ße aus ein­seh­bar war, ent­stand zwi­schen 1857 und 1859 die Syn­ago­ge Kohl­hö­fen der asch­ke­na­si­schen Ge­mein­de; Vor­gän­ger­bau der 1906 ein­ge­weih­ten Born­platz­syn­ago­ge.

Rekonstruktionen und Modelle


Mehr als 1.400 Syn­ago­gen und Be­träu­me wur­den bei den so­ge­nann­ten No­vem­ber­po­gro­men 1938 in Deutsch­land und Ös­ter­reich von einem an­ti­se­mi­ti­schen Mob, dar­un­ter unter an­de­rem zahl­rei­che SA-​Angehörige, ge­plün­dert und teil­wei­se oder voll­stän­dig zer­stört. Manch­mal wur­den die Area­le un­mit­tel­bar an­schlie­ßend ge­räumt, manch­mal blie­ben die Rui­nen bis in die 1950er-​Jahre im Stadt­bild prä­sent. An vie­len an­de­ren Orten be­son­ders im länd­li­chen Raum blie­ben Syn­ago­gen aber auch er­hal­ten. Sie wur­den um­ge­nutzt und dabei oft um­ge­baut. Mitte der 1980er-​Jahre ge­rie­ten sie wie­der stär­ker in den Fokus der Öf­fent­lich­keit; neben zahl­rei­chen Pu­bli­ka­tio­nen er­hiel­ten die Bau­ten bzw. ihre Über­res­te oft neue Funk­tio­nen als Lern­or­te, Mu­se­en und / oder Denk­ma­le und damit auch eine ver­än­der­te Sicht­bar­keit im dörf­li­chen oder städ­ti­schen Raum. An­ders als bei der blo­ßen An­brin­gung eine Gedenk-​ oder In­for­ma­ti­ons­ta­fel er­mög­licht die An­schau­ung eines tat­säch­li­chen Ge­bäu­des Aus­sa­gen zur Größe, zur Auf­tei­lung und An­ord­nung von In­nen­räu­men sowie zu Be­zie­hun­gen in die Nach­bar­schaft. Gleich­wohl bleibt mit der voll­stän­di­gen Zer­stö­rung der gro­ßen Syn­ago­gen in den meis­ten Städ­ten der Ver­lust eines his­to­ri­schen jü­di­schen Erbes be­stehen und ist in ei­ni­gen von ihnen bis heute als tat­säch­li­che Leer­stel­le im öf­fent­li­chen Raum sicht­bar. Mitte der 1990er-​Jahre be­gann eine neue Form der An­nä­he­rung: Das Fach­ge­biet Di­gi­ta­les Ge­stal­ten an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Darm­stadt re­kon­stru­ier­te von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zer­stör­te Syn­ago­gen vir­tu­ell. Damit soll­te zum einen der Ver­lust sicht­bar ge­macht, aber auch ein re­prä­sen­ta­ti­ver Über­blick zur zer­stör­ten syn­ago­ga­len Ar­chi­tek­tur ver­mit­telt wer­den. Mit Hilfe der Re­kon­struk­tio­nen wurde es mög­lich, einer Öf­fent­lich­keit räum­li­che Ein­drü­cke so­wohl der Ge­bäu­de selbst als auch ihrer städ­te­bau­li­chen Prä­senz zu ver­mit­teln. Das Pro­jekt kon­zen­triert sich bis­lang vor allem auf zer­stör­te Syn­ago­gen in grö­ße­ren Städ­ten. Per­spek­ti­visch sol­len im Rah­men der Er­zeu­gung einer Vir­tu­al Rea­li­ty die zer­stör­ten Ge­bäu­de zudem auch „be­geh­bar“ ge­macht wer­den.

Für eine Syn­ago­ge wie die in der Bä­cker­stra­ße in Ham­burg be­deu­ten Ver­fah­ren zur Er­zeu­gung von 3D-​Modellen und vir­tu­el­len Re­kon­struk­tio­nen Mög­lich­kei­ten, neue Zu­gän­ge zur Ge­schich­te zu ver­mit­teln, indem ein Ge­bäu­de sicht­bar ge­macht wird, das vor Ort keine Spu­ren hin­ter­las­sen hat und daher nicht in die städ­ti­sche Er­in­ne­rungs­land­schaft in­te­griert ist. In den Mo­del­len sind die noch ver­füg­ba­ren In­for­ma­tio­nen ver­sam­melt und in ein Bild über­setzt, das er­wei­ter­te Vor­stel­lun­gen vom Raum in sei­nen Pro­por­tio­nen, An­ord­nun­gen und Ge­stal­tun­gen zu­lässt. Dabei las­sen all diese Ver­fah­ren gleich­zei­tig kei­nen Zwei­fel dar­über auf­kom­men, dass der im­mense Ver­lust und die Bru­ta­li­tät einer ver­such­ten Aus­lö­schung Leer­räu­me auch im städ­ti­schen Raum hin­ter­las­sen haben. An­ders als bei Re­kon­struk­tio­nen der Ar­chi­tek­tur selbst bleibt das Me­di­um in 3D- Mo­del­len prä­sent. Wäh­rend ar­chi­tek­to­ni­sche Re­kon­struk­tio­nen bei dem Be­trach­ten­den den Ein­druck einer schein­ba­ren Kon­ti­nui­tät er­zeu­gen kön­nen und damit his­to­ri­sche Brü­che mög­li­cher­wei­se ver­de­cken, ist di­gi­ta­len Re­kon­struk­tio­nen die Leer­stel­le ein­ge­schrie­ben, indem sie ein ab­we­sen­des Ge­bäu­de – in die­sem Fall die his­to­ri­sche Syn­ago­ge in der Bä­cker­stra­ße – vir­tu­ell er­fahr­bar ma­chen (ohne in die städ­te­bau­li­che Land­schaft ein­zu­grei­fen).

Auswahlbibliografie


Oliver Berger / Sven Ahrens, Rekonstruktion der sephardischen Synagoge in der ehemaligen Bäckerstraße in Altona. Studienarbeit am Institut für Bau- und Stadtbaugeschichte, Fachgebiet Baugeschichte der TU Braunschweig, Wintersemester 2004 / 05 (unveröffentlicht).
Marc Grellert, Immaterielle Zeugnisse. Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur, Bielefeld 2007.
Saskia Rohde, Die Synagogen der Sefardim in Hamburg und Altona. Eine Spurensuche, in: Michael Studemund-Halévy (Hrsg.), Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit, Bd. 1 / 2, Romanistik in Geschichte und Gegenwart 29, Hamburg 1994, S. 141–152.
Michael Studemund-Halévy, Im jüdischen Hamburg. Ein Stadtführer von A bis Z, München u.a. 2011.
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Michael Studemund-Halévy / Anna Menny (Hrsg.), Ort und Erinnerung. Ein historischer Streifzug durch das Jüdische Hamburg von 1930, Hamburg 2013.
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Oskar Wolfsberg, Die Drei-Gemeinde. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek, München 1960.

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Zur Autorin

Alexandra Klei studierte Architektur und promovierte am Lehrstuhl Theorie der Architektur an der BTU Cottbus über das Verhältnis von Architektur und Gedächtnis am Beispiel der KZ Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und arbeitet in einem DFG-Forschungsprojekt zum 'Jüdischen Bauen' nach 1945. Zudem forscht sie zur Re-Konstruktion der White City Tel Aviv, zu Erinnerungsorten, den Architekturen der Nachkriegsmoderne sowie zu (Post-)Holocaust Landscapes. Für ihre Publikation Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi Guttmann (Berlin: Neofelis Verlag 2017) erhielt sie im Dezember 2016 den Rosl und Paul Arnsberg-Preis. Alexandra Klei gehört der Fachredaktion Theorie und Geschichte des Antisemitismus/der Shoah bei Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung an und ist zudem Kuratorin und Redakteurin für den werkraum bild und sinn e.V.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Alexandra Klei, Am Ort erinnern. Die sefardische Synagoge in der Altonaer Bäckerstraße, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 18.01.2021. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-274.de.v1> [29.03.2025].

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