Ruben Maleachis Besuch der Synagoge der portugiesischen Sefarden in Hamburg und die sefardisch-aschkenasischen Beziehungen im Hamburg des frühen 20. Jahrhunderts

Constanze Kolbe

Quellenbeschreibung

Über zwei Jahre hin­weg, von 1978 bis 1980, ver­öf­fent­lich­te der in Is­ra­el le­ben­de Ruben Ma­leachi seine Ein­drü­cke von meh­re­ren Syn­ago­gen aus der Vor­kriegs­zeit sowie von ver­schie­de­nen Bräu­chen der jü­di­schen Ge­mein­den in Ham­burg in deut­scher Spra­che in den Mit­tei­lun­gen des Ver­ban­des ehe­ma­li­ger Bres­lau­er und Schle­si­er in Is­ra­el. Seine Be­schrei­bun­gen, die er in den spä­ten 1950er-​Jahren ver­fass­te, bie­ten Ein­bli­cke in das jü­di­sche re­li­giö­se Leben Ham­burgs und ins­be­son­de­re in eine der kleins­ten und am we­nigs­ten be­kann­ten Syn­ago­gen der Stadt.

Die Zei­tung, bei der er seine Be­schrei­bun­gen ein­reich­te, sah sich als Nach­fol­ge­rin des Bres­lau­er Jü­di­schen Ge­mein­de­blatts und der Jü­di­schen Zei­tung für Ost­deutsch­land in der Nach­kriegs­zeit und fun­gier­te als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­um der schle­si­schen und deutsch­spra­chi­gen Juden in der Dia­spo­ra. Die The­men der auf Deutsch er­schei­nen­den Zei­tung be­zo­gen sich nicht aus­schließ­lich auf Schle­si­en, son­dern schlos­sen auch an­de­re deutsch­spra­chi­ge Ge­mein­den wie Ham­burg ein. Ma­leachi ver­öf­fent­lich­te le­dig­lich die­sen einen his­to­ri­schen Be­richt und wird an­sons­ten nur ein wei­te­res Mal im Zu­sam­men­hang mit einer Spen­de an die Zei­tung er­wähnt. Viel ist nicht über Ma­leachi be­kannt. Zum Ent­ste­hungs­zeit­punkt des Be­richts, der in drei Tei­len ver­öf­fent­licht wurde, lebte er in Je­ru­sa­lem, seine Ein­drü­cke hatte er ver­mut­lich wäh­rend sei­ner Zeit als Teen­ager in Ham­burg in der Zeit vor dem Zwei­ten Welt­krieg zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts ge­won­nen. Un­klar ist, ob er ur­sprüng­lich aus Ham­burg stamm­te oder aus einer an­de­ren Stadt zu­ge­zo­gen war. Ob­wohl es sich in ers­ter Linie um re­tro­spek­ti­ve Auf­zeich­nun­gen sei­ner per­sön­li­chen Ein­drü­cke han­delt, ver­mit­teln seine Be­schrei­bun­gen einen Ein­blick in den All­tag se­far­disch-asch­ke­na­si­scher Be­zie­hun­gen im Deutsch­land des 20. Jahr­hun­derts und bie­ten damit eine nütz­li­che Ge­gen­erzäh­lung zur asch­ke­na­si­schen Nar­ra­ti­ven der se­far­di­schen Ge­schich­te im mit­tel­al­ter­li­chen Spa­ni­en.

  • Constanze Kolbe

Maleachis Beschreibung der sefardischen Synagoge


Ruben Ma­leachi be­schreibt um­fas­send seine Be­su­che in den meis­ten Syn­ago­gen Ham­burgs. Der Be­such der portugiesisch-​se­far­di­schen Syn­ago­ge stellt je­doch einen der Hö­he­punk­te in sei­nen Er­in­ne­run­gen dar. Diese Syn­ago­ge be­fand sich in der Mar­cus­stra­ße und wurde seit Mitte des 19. Jahr­hun­derts ge­nutzt. Der Tem­pel stell­te das ri­tu­el­le Zen­trum der portugiesisch-​se­far­di­schen Ge­mein­de dar, deren Mit­glie­der im 17. Jahr­hun­dert nach Ham­burg ein­ge­wan­dert waren. Die re­li­giö­sen Tra­di­tio­nen der Ham­bur­ger Ge­mein­de äh­nel­ten denen der Ge­mein­den in Ams­ter­dam, da die rab­bi­ni­schen Ge­lehr­ten und Kan­to­ren ge­wöhn­lich aus Ams­ter­dam kamen. Die por­tu­gie­si­schen Juden stell­ten die erste jü­di­sche Ge­mein­schaft in Ham­burg dar, wäh­rend die asch­ke­na­si­schen Juden erst spä­ter in der Stadt ein­tra­fen. Viele der por­tu­gie­si­schen Juden be­tä­tig­ten sich im Han­del, als Kauf­leu­te, sowie in der Ha­fen­wirt­schaft der Han­se­stadt. Wäh­rend viele por­tu­gie­si­sche Juden der frü­hen Neu­zeit be­kann­te Kauf­leu­te, Ver­si­che­rungs­mak­ler und Dia­man­ten­händ­ler ge­we­sen waren, so war ihre Zahl bis zum frü­hen 19. Jahr­hun­dert durch Ab­wan­de­rung be­reits er­heb­lich ge­schrumpft, bis le­dig­lich etwa 200 Per­so­nen übrig waren, von denen viele nur über be­schei­de­ne fi­nan­zi­el­le Mit­tel ver­füg­ten.

Unterschiede zwischen aschkenasischen und sefardischen Juden hinsichtlich Kleidung, Sprache und Synagogenarchitektur


Ein Motiv in Ma­leachis Be­schrei­bun­gen ist die „An­ders­ar­tig­keit“ der por­tu­gie­si­schen Juden ge­gen­über den nicht ibe­ri­schen, asch­ke­na­si­schen Juden in Ham­burg. In­so­fern spie­geln seine Be­schrei­bun­gen die asch­ke­na­si­sche Sicht auf die se­far­di­schen Juden wider, wel­che von Un­wis­sen sowie einer Sehn­sucht nach Exo­tik ge­prägt war. Im All­tag blie­ben die Le­bens­be­rei­che die­ser bei­den Ge­mein­schaf­ten weit­ge­hend ge­trennt.

In sei­nem Be­richt über den Be­such der por­tu­gie­si­schen Syn­ago­ge zu An­fang des 20. Jahr­hun­derts be­schreibt Ma­leachi seine Er­fah­rung als einen „Aus­flug ins Exo­ti­sche“. Nicht nur die Klei­dung, auch die Ri­tua­le un­ter­schie­den sich er­heb­lich von dem, was er aus den asch­ke­na­si­schen Syn­ago­gen der Stadt kann­te. So be­tont er die An­ders­ar­tig­keit der Klei­dung der jü­di­schen Ge­mein­de­vor­ste­her wie auch die der die In­nen­ein­rich­tung der Syn­ago­ge.

„Die Sitz­plät­ze der Beter waren kreis­för­mig an­ge­ord­net. Nicht dass der Blick nach Osten ge­rich­tet war, son­dern die Beter saßen um den Al­me­nor herum, das Ge­sicht stets auf den in der Mitte des Got­tes­hau­ses ste­hen­den Vor­be­ter ge­rich­tet. Nur am Ein­gang war eine Bank er­rich­tet, wo die Beter den Blick zur Hei­li­gen Lade rich­te­ten. [] Der Cha­san und der Scha­masch tru­gen statt des Ba­retts Drei­mas­ter Huete, dazu einen Frack, Knie­ho­sen und Weiße Strümp­fe, wäh­rend die Füße mit schwar­zen Halb­schu­hen ver­se­hen waren. Das alles gab dem Gan­zen ein echt mit­tel­al­ter­li­ches Aus­se­hen, das viel­fach an die be­kann­ten Rem­brandt­bil­der er­in­ner­te.“ (S. 46)


Ob­wohl seine Be­ob­ach­tun­gen aus dem frü­hen 20. Jahr­hun­dert stam­men, ruft die von Ma­leachi be­schrie­be­ne Szene „mit­tel­al­ter­li­che“ Kon­no­ta­tio­nen her­vor; so­wohl Klei­dung als auch der Stil der jü­di­schen Ge­mein­de­vor­ste­her hoben sich deut­lich ab von dem der stark ak­kul­tu­rier­ten deutsch­spra­chi­gen asch­ke­na­si­schen Ge­mein­den, den er of­fen­sicht­lich ge­wohnt war. Die por­tu­gie­si­schen Juden schei­nen der Ver­gan­gen­heit zu ent­stam­men: ihre äu­ße­re Er­schei­nung wird als einem Rem­brandt-Bild gleich be­schrie­ben. Die Ge­mein­de als sol­che er­scheint in sei­nem Be­richt zudem als ein Ana­chro­nis­mus in ihrem ur­ba­nen Um­feld, in dem viele ak­kul­tu­rier­te Juden von den nicht­jü­di­schen Stadt­be­woh­nern kaum zu un­ter­schei­den waren. Zwar han­delt es sich nicht um eine of­fen­kun­dig ne­ga­ti­ve Be­schrei­bung, doch ent­steht der Ein­druck, dass die por­tu­gie­si­schen Juden „rück­stän­dig“ waren.

Das Verhältnis zwischen aschkenasischen und sefardischen Juden


Der Un­ter­schied zwi­schen Se­far­den und Asch­ke­na­sen ließ sich be­reits an der Na­mens­ge­bung der Ge­mein­den er­ken­nen. Ma­leachi be­rich­tet, dass die asch­ke­na­si­schen Juden sich „Deutsch-​Israelitische Ge­mein­de“ oder „Deutsch-​Israelitischer Syn­ago­gen­ver­band“ nann­ten. Deutsch wurde hier nicht im pa­trio­ti­schen Sinn ge­braucht, son­dern viel­mehr um die ei­ge­ne An­ders­ar­tig­keit ge­gen­über den Juden por­tu­gie­si­schen Ur­sprungs zu mar­kie­ren. In­ter­es­san­ter­wei­se ge­schah dies zu einem Zeit­punkt, als auch die por­tu­gie­si­schen Juden lang­sam vom Ge­brauch der por­tu­gie­si­schen zur deut­schen Spra­che über­gin­gen. Dabei han­del­te es sich je­doch nicht um das von den Asch­ke­na­sen ge­spro­che­ne Hoch­deutsch, son­dern um Platt­deutsch. In­so­fern wurde die por­tu­gie­si­sche Ge­mein­de trotz ihrer schritt­wei­sen Ak­kul­tu­ra­ti­on in den deutsch­spra­chi­gen kul­tu­rel­len Kon­text von den Asch­ke­na­sen noch immer als „an­ders­ar­tig“ be­trach­tet. In die­sem Fall be­stand ihre An­ders­ar­tig­keit nicht darin, dass sie eine völ­lig an­de­re Spra­che be­nutz­ten, son­dern einen an­de­ren deut­schen Dia­lekt.

Un­ge­ach­tet der Un­ter­schie­de gab es auch An­läs­se, zu denen die Asch­ke­na­sen und Se­far­den zu­sam­men kamen. An be­stimm­ten Fei­er­ta­gen wie dem Sim­chat Tora­fest, so Ma­leachi, be­such­te „die asch­ke­na­si­sche Ju­gend [die] Por­tu­gie­sen für we­nigs­tens eine halbe Stun­de, und nie­mand scheu­te den drei­vier­tel­stün­di­gen Weg“. Ob die­ser Be­such von der por­tu­gie­si­schen Ge­mein­de er­wi­dert wurde, ist nicht über­lie­fert, doch zu­min­dest war dies einer der we­ni­gen An­läs­se, an dem beide Ge­mein­den zu­sam­men­tra­fen.

Eheschließungen


Ab­ge­se­hen von die­sem Bei­spiel einer ge­mein­de­über­grei­fen­den Feier be­to­nen Ma­leachis Er­in­ne­run­gen die Tren­nung zwi­schen den Ham­bur­ger asch­ke­na­si­schen und se­far­di­schen Juden in den ver­schie­de­nen Le­bens­be­rei­chen. So soll­ten bei­spiels­wei­se keine Ehen zwi­schen se­far­di­schen und asch­ke­na­si­schen Juden ge­schlos­sen wer­den, ob­wohl sich dies im Ver­lauf des 19. Jahr­hun­derts zu­neh­mend än­der­te. Auch nach dem Tod blieb die Tren­nung durch den Ort der Fried­hö­fe sicht­bar. So hat­ten die por­tu­gie­si­schen Juden ihre ei­ge­ne, se­pa­ra­te Grab­stät­te in Ohls­dorf.

Die Faszination des Sefardischen


Die von Ma­leachi be­schrie­be­nen Ge­mein­de­be­zie­hun­gen stel­len eine nütz­li­che Ge­gen­erzäh­lung zu dem dar, wofür kürz­lich der Be­griff der „Fas­zi­na­ti­on des Se­far­di­schen“ [Al­lu­re of the Se­phar­dic] ge­prägt wurde. Die neue­re For­schung hat ge­zeigt, in­wie­fern das mit­tel­al­ter­li­che Spa­ni­en den (asch­ke­na­si­schen) jü­di­schen Re­form­ge­mein­den im 19. Jahr­hun­dert als Be­zugs­punkt für Ima­gi­na­ti­on und In­spi­ra­ti­on dien­te. Jü­di­sche Ge­mein­den in Deutsch­land, Österreich-​Ungarn und Ita­li­en be­dien­ten sich in ihrer Syn­ago­gen­ar­chi­tek­tur, lit­ur­gi­schen Spra­che und der Li­te­ra­tur mit­tel­al­ter­li­cher spa­ni­scher Mo­ti­ve. Das mit­tel­al­ter­li­che Spa­ni­en wurde als ein ar­che­ty­pi­sches Mo­dell ver­stan­den, wel­ches den jü­di­schen Ge­mein­den des spä­ten 18. und des 19. Jahr­hun­derts als Be­zugs­punkt dien­te. Am deut­lichs­ten sicht­bar wurde dies daran, wie (re­for­mier­te) Juden nun ihre Syn­ago­gen bau­ten, wie bei­spiels­wei­se die Neue Damm­tor Syn­ago­ge in Ham­burg, wel­che im neomau­ri­schen Stil er­baut wurde. An­statt den Zweck des Ge­bäu­des zu ver­ber­gen, wur­den ab dem frü­hen 19. Jahr­hun­dert auf­fäl­li­ge, her­vor­ste­chen­den Bau­ten er­rich­tet, von denen viele in neomau­ri­schem und neo­klas­si­zis­ti­schem Stil ge­hal­ten waren. Nicht nur Ägyp­ten und die grie­chi­sche An­ti­ke, son­dern auch mau­ri­sche Bau­sti­le des mit­tel­al­ter­li­chen Spa­ni­ens sowie die in­di­sche Mogul-​Architektur mit ihrem Reich­tum an De­ko­ra­ti­on in­spi­rier­ten diese eklek­ti­sche neue Form der Ar­chi­tek­tur. Ei­ni­ges deu­tet dar­auf hin, dass eine äl­te­re por­tu­gie­si­sche Syn­ago­ge in der Ham­bur­ger Mar­cus­stra­ße ei­ni­ge mau­ri­sche de­ko­ra­ti­ve Ge­mäl­de ent­hielt, ins­ge­samt aber wurde diese ar­chi­tek­to­ni­sche und sti­lis­ti­sche Be­we­gung haupt­säch­lich von asch­ke­na­si­schen Juden vor­an­ge­trie­ben, deren Zahl weit­aus grö­ßer war.

Die­ser Ar­chi­tek­tur­stil war kein rein jü­di­sches Phä­no­men, son­dern war auch unter Chris­ten ver­brei­tet. Wäh­rend der neomau­ri­sche Stil im christ­li­chen Kon­text mit dem ein­her­ging, was als „Ori­en­ta­lis­mus“ be­schrie­ben wird, be­dien­ten die Juden sich die­ses Stils aus ver­schie­de­nen Grün­den. So konn­ten sie damit zei­gen, dass sie auf glei­cher Ebene wie die (christ­li­chen) ar­chi­tek­to­ni­schen Ent­wick­lun­gen stan­den und auf In­te­gra­ti­on in die Mehr­heits­ge­sell­schaft drän­gen. Gleich­zei­tig gab die Be­to­nung einer neomau­ri­schen, mit­tel­al­ter­li­chen ibe­ri­schen Ar­chi­tek­tur den Juden einen sym­bo­li­schen Be­zugs­punkt, wel­chen sie als das „gol­de­ne Zeit­al­ter“ jüdisch-​christlichen Zu­sam­men­le­bens de­fi­nier­ten. Nach die­sem Ver­ständ­nis galt die mit­tel­al­ter­li­che ibe­ri­sche Ge­schich­te als eine Epo­che, in der Mus­li­me, Chris­ten und Juden re­la­tiv fried­lich auf der ibe­ri­schen Halb­in­sel zu­sam­men­leb­ten (con­vi­ven­cia). Für Juden im Deutsch­land des 19. Jahr­hun­derts dien­te diese mit­tel­al­ter­li­che Ge­schich­te als eine Art Vor­bild, das sie für ihre Zeit an­streb­ten.

Die Wie­der­ent­de­ckung der mit­tel­al­ter­li­chen ibe­ri­schen Ge­schich­te war auch in Ham­burg prä­sent. So be­rich­tet Ma­leachi bei­spiels­wei­se, dass bis zum Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts in der Neuen Damm­tor Syn­ago­ge, einer Ham­bur­ger Re­form­syn­ago­ge, die „se­far­di­sche Aus­spra­che des He­bräi­schen ein­ge­führt wor­den war“. Zudem waren meh­re­re se­far­di­sche jü­di­sche Ge­bets­ri­ten, wie das An­he­ben der Tora­rol­len vor dem Gebet, in asch­ke­na­si­schen Syn­ago­gen ein­ge­führt wor­den.

Ma­leachis Be­schrei­bun­gen zei­gen, dass die „Fas­zi­na­ti­on des Se­far­di­schen“ auf einer Glo­ri­fi­zie­rung der mit­tel­al­ter­li­chen jü­di­schen Ge­schich­te be­ruh­te, die wenig mit den tat­säch­li­chen zeit­ge­nös­si­schen Be­zie­hun­gen zwi­schen Asch­ke­na­sen und Se­far­den in Deutsch­land zu tun hatte. Ma­leachi nahm die por­tu­gie­si­schen Juden in Ham­burg als „exo­tisch“ wahr, sei es in ihrer Klei­dung oder ihren Bräu­chen. Sie wur­den als rück­stän­di­ge Ge­mein­schaft be­trach­tet, die Fort­schrit­te zu ma­chen hatte, ähn­lich der Vor­stel­lung von den „Ost­ju­den“, wel­che unter den as­si­mi­lier­ten Eli­ten in den mit­tel­eu­ro­päi­schen Groß­städ­ten be­stand. Trotz ihres se­far­di­schen Ur­sprungs wurde die zeit­ge­nös­si­sche por­tu­gie­si­sche jü­di­sche Ge­mein­de kei­nes­wegs als Quel­le der In­spi­ra­ti­on und Imi­ta­ti­on an­ge­se­hen. Viel­mehr be­weist die Exo­ti­sie­rung und teil­wei­se Ori­en­ta­li­sie­rung der zeit­ge­nös­si­schen se­far­di­schen Ge­mein­de, dass sie als ku­rio­se At­trak­ti­on galt, die je­doch wenig mit der als glor­reich emp­fun­de­nen Ge­schich­te des mit­tel­al­ter­li­chen Spa­ni­en zu tun hatte.

Ma­leachis Syn­ago­gen­be­such und seine Be­schrei­bun­gen wei­sen damit auf ei­ni­ge be­deu­ten­de The­men der jü­di­schen Ge­schich­te des 19. Jahr­hun­derts hin. Wäh­rend die mit­tel­al­ter­li­che Ge­schich­te der Se­far­den glo­ri­fi­ziert und nach­ge­ahmt wurde, hatte die­ser Trend wenig mit der Rea­li­tät der zeit­ge­nös­si­schen asch­ke­na­sisch-se­far­di­schen Be­zie­hun­gen zu tun. Es han­del­te sich viel­mehr um einen Topos, aus dem jü­di­sche Re­form­ge­mein­den In­spi­ra­ti­on schöpf­ten. Tat­säch­li­che Kon­tak­te zu se­far­di­schen Ge­mein­den waren da­ge­gen sel­ten, und größ­ten­teils leb­ten asch­ke­na­si­sche und se­far­di­sche Juden in ge­trenn­ten Räu­men.

Auswahlbibliografie


Ruben Maleachi, Die Synagogen von Hamburg, in: Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel e.V., 46-47 (Mai 1980), S. 41-44.
Saskia Rohde, Die Synagogen der Sephardim von Hamburg, in: Michael Studemund-Halévy (Hrsg.), Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. Bd. 1, Romanistik in Geschichte und Gegenwart 29, Hamburg 1994, S. 141-152.
Michael Studemund-Halévy, Hamburg: Jerusalem of the North, in: Transversal 14 (2013) 2, S. 7-10.
Michael Studemund-Halévy, Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. Bd. 2, Hamburg 1997.
Michael Studemund-Halévy, Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit. Bd. 1, Romanistik in Geschichte und Gegenwart 29, Hamburg 1994.
Hiltrud Wallenborn, 'Portugiesische Nation' und 'Hochdeutsche Juden'. Die Hamburger Sefardische Gemeinde und die Ansiedlung von Aschkenasischen Juden im Hamburger Raum, in: Menora 8 (1997), S. 121-149.

Die­ser Text un­ter­liegt den Be­din­gun­gen der Crea­ti­ve Com­mons Na­mens­nen­nung - Nicht kom­mer­zi­ell - Keine Be­ar­bei­tun­gen 4.0 In­ter­na­tio­nal Li­zenz. Unter Na­mens­nen­nung gemäß der Zi­ta­ti­ons­emp­feh­lung darf er in un­ver­än­der­ter Form für nicht-​kommerzielle Zwe­cke nach­ge­nutzt wer­den.

Zur Autorin

Constanze Kolbe, Dr, ist Hazel D. Cole Postdoctoral Fellow in Jewish Studies an der University of Washington. 2017 wurde sie an der Indiana University, Bloomington, mit der Dissertation „Crossing Regions, Nations, Empires. The Jews of Corfu and the Making of a Jewish Adriatic, 1797-1914“ promoviert. Zur Zeit arbeitet sie an einem Buchprojekt zum Handel mit Etrog-Früchten in der Adria im 19. Jahrhundert.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Constanze Kolbe, Ruben Maleachis Besuch der Synagoge der portugiesischen Sefarden in Hamburg und die sefardisch-aschkenasischen Beziehungen im Hamburg des frühen 20. Jahrhunderts (übersetzt von Insa Kummer), in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 12.06.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-236.de.v1> [22.04.2025].

Dieser Text unterliegt den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Namensnennung gemäß der Zitationsempfehlung darf er in unveränderter Form für nicht-kommerzielle Zwecke nachgenutzt werden.