Am 9.12.1603 beschwerte sich die Hamburger Bürgerschaft gegenüber dem Rat, dass sich unter den Portugiesen in der Hansestadt auch Juden befänden. Die Bürger erkennen in ihrer Beschwerde zwar den wirtschaftlichen Nutzen der portugiesischen Kaufleute für die Stadt an, verlangen aber die Ausweisung all der Portugiesen, die sich lediglich als Christen ausgeben und insgeheim die jüdische Religion praktizieren. Die Bürgerschaft wurde in ihrer Ablehnung von Juden in der Hansestadt durch die lutherisch-orthodoxe Geistlichkeit unterstützt. Der Rat hatte hingegen das Ziel, den lukrativen Handel mit der Iberischen Halbinsel zu stärken. Dabei wollte er von den Kontakten der Portugiesen profitieren – unabhängig davon, ob diese katholisch oder jüdisch waren. Die Situation der portugiesischen Juden in Hamburg änderte sich so im 17. Jahrhundert mehrfach und war davon abhängig, welche Seite sich in der jeweiligen Auseinandersetzung durchsetzen konnte. Die Beschwerde aus dem Jahr 1603 ist die erste offizielle Erwähnung einer jüdischen Präsenz im Protokoll der Hamburger Obrigkeiten. Sie ist im Protokoll des Konvents zwischen Bürgerschaft und Rat überliefert, das sich heute im Hamburger Staatsarchiv befindet.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kamen erste Gerüchte auf, nach denen sich unter den etwa 100 Portugiesen in Hamburg auch Juden befänden. Während es bei diesen Gerüchten um bereits verstorbene Einzelpersonen ging, äußert die Bürgerschaft in ihrer Beschwerde die Vermutung, dass die Anzahl der Juden unter den Portugiesen größer sei als bisher angenommen. Bereits im Jahr 1583 war die Bitte des Isaak von Salzuffen um eine Niederlassungserlaubnis für seine und einige weitere jüdische Familien abgelehnt worden und auch 20 Jahre später war die Bürgerschaft offensichtlich nicht bereit, Juden in der Stadt zu dulden. Für die lutherisch-orthodoxe Geistlichkeit Hamburgs waren die Portugiesen als Katholiken ohnehin unerwünscht. Die Lutheraner, die einen großen Einfluss auf die Bürgerschaft sowie die Bevölkerung Hamburgs im Allgemeinen ausübten, strebten die Glaubenseinheit innerhalb der Stadt an. Diese wurde durch die Präsenz Andersgläubiger gestört. Obwohl sich alle religiösen Minderheiten gegen den Widerstand der Lutheraner durchsetzen mussten, um ihre kontinuierliche Präsenz in der Hansestadt zu sichern, gab es durchaus Abstufungen in ihrer Behandlung durch die Hamburger Obrigkeiten: Die Katholiken wurden nur wegen des politischen Schutzes der Freien Reichsstadt durch den katholischen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geduldet, während die Calvinisten aufgrund ihres politischen Schutzes durch die Vereinigten Niederlande und England sowie ihrer ökonomischen Bedeutung für die Stadt umfassende Privilegien hatten.
Nur wenige Nachfahren der zwangskonvertierten Sefarden kamen indes mit der Absicht nach Hamburg, dort als Juden zu leben. Vielmehr waren die anhaltende Diskriminierung der sogenannten Neuchristen sowie ihre Verfolgung durch die Inquisition die hauptsächlichen Gründe zur Migration. Auch die Obrigkeiten in Hamburg, das verdeutlicht die Quelle, waren über die prekäre Lage der Neuchristen auf der Iberischen Halbinsel informiert. Der Großteil der in der Hansestadt lebenden portugiesischen Juden wandte sich erst vom katholischen Glauben ab, nachdem erste Strukturen jüdischen Lebens geschaffen worden waren. Dennoch setzte sich im allgemeinen Sprachgebrauch Hamburgs eine Gleichsetzung der Begriffe Portugiese und portugiesischer Jude durch. Noch bevor ihr Status offiziell geklärt wurde, hatte sich also die Wahrnehmung aller Portugiesen als Juden in der Hamburger Bevölkerung bereits etabliert.
Wie die Bürgerschaft in ihrer Beschwerde eingangs beschreibt, vermehrten sich die Gerüchte um die Iberer innerhalb weniger Jahre so sehr, dass sie im Jahr 1603 bereits allgegenwärtig waren. Daher forderten die Bürger den Rat auf, alle jüdischen Portugiesen aus der Stadt zu verweisen. Der Rat wich einer Diskussion dieser Forderung in den folgenden Jahren wiederholt aus. Im Jahr 1605 verlangte die Bürgerschaft schließlich nur noch eine Sonderabgabe von den portugiesischen Juden. Auf dieser Grundlage kam es zu ersten Verhandlungen zwischen dem Rat und der Bürgerschaft, um die Höhe der Abgabe festzulegen.
Rat und Bürgerschaft verfolgten unterschiedliche Strategien bei der Ansiedlung fremder Kaufleute. Der Rat, der selbst kaufmännisch geprägt war, hoffte auf indirekte Vorteile für die Stadt durch ihren Aufstieg zu einem florierenden Handelszentrum. Aus diesem Grund wollten die Ratsmitglieder Beeinträchtigungen für den Fernhandel und die -händler so weit wie möglich vermeiden. Im Gegensatz dazu wollten die Bürger durch Steuererhebungen auf direktem Wege von der Präsenz fremder Kaufleute profitieren, die so „ etwaß ansehnliches contribuiren“ sollten, wie es in der Quelle heißt. Durch die Verpflichtung zu hohen Abgaben würde sich darüber hinaus die wirtschaftliche Konkurrenz verringern, die diese Fremden in den Augen der Bürgerschaft für die Zünfte vor Ort darstellten. Daher verlangten die Bürger in den ersten Verhandlungen 1606 neben einer jährlich zu entrichtenden Sonderzahlung an die Stadt auch eine Steuer auf den gesamten portugiesischen Handel.
Gegen diese Forderung protestierten die Portugiesen, die eine ähnlich vorteilhafte Vereinbarung wie den Niederlassungskontrakt der niederländischen Calvinisten anstrebten. Sie kündigten an, im Fall einer solchen Abgabe die Hansestadt geschlossen zu verlassen. Diese Drohung gewann dadurch an Gewicht, dass sie erfolgreich mit zahlreichen Konkurrenten Hamburgs wie Altona, Emden und Stade über rechtliche sowie wirtschaftliche Voraussetzungen zur Niederlassung verhandelt hatten. Die angedrohten negativen Konsequenzen für Hamburger Kaufleute auf der Iberischen Halbinsel erscheinen in Anbetracht der Privilegien der Hamburger in Portugal, die dort erst 1607 vertraglich festgehalten wurden, allerdings eher unwahrscheinlich. Der Rat versuchte, in den Verhandlungen zwischen Bürgerschaft und Portugiesen zu vermitteln. Im Jahr 1610 forderten die Bürger gewisse Bedingungen für eine vertraglich vereinbarte Duldung von Juden in der Stadt: Das Abkommen sollte nur für die zum damaligen Zeitpunkt anwesenden portugiesischen Juden gelten und jederzeit einseitig – also nur für die Hamburger Obrigkeiten – kündbar sein. Darüber hinaus verlangten die Bürger vom Rat, Gutachten über die Frage einzuholen, ob es grundsätzlich möglich sei, dass Juden in einer lutherischen Stadt wie Hamburg leben könnten. Auf der Suche nach einem Kompromiss schickte der Rat daher Anfragen an prominente theologische Fakultäten im Heiligen Römischen Reich. Dabei überging er zunächst die geistlichen Autoritäten Hamburgs aufgrund ihrer judenfeindlichen Haltung, was diese als einen Affront auffassten.
Die Auswahl der theologischen Fakultäten, die der Rat um ein Gutachten bat, war über jede Kritik erhaben. An allen drei Institutionen – den Universitäten Jena und Frankfurt / Oder sowie der Akademie Gießen – wirkten bedeutende zeitgenössische Größen der lutherischen Orthodoxie. Die Einschätzung der Hamburger Geistlichkeit erfragte der Rat aufgrund ihrer bekannten ablehnenden Haltung jedoch erst, als das erste externe Gutachten vorlag. Ihre Antwort fiel wie erwartet negativ aus: Aus Sicht der Hamburger Lutheraner gefährdete die Anwesenheit von als Gotteslästerer dargestellten Juden die Stadt. Sie argumentierten, dass dadurch die moralisch-religiöse Integrität und das Seelenheil der Hamburger bedroht sei, die Stadt darüber hinaus aber auch göttliche Strafen zu fürchten habe.
Alle drei externen Gutachten urteilten allerdings, dass es prinzipiell möglich sei, die portugiesischen Juden in Hamburg zu dulden. Sie stimmten in der grundsätzlichen Frage also dem Rat zu. Durch die Gutachten der theologischen Fakultäten konnte der Rat die Meinung der Hamburger Geistlichkeit übergehen und die religiösen Einwände der Bürgerschaft entkräften. Dennoch gab es weiterhin wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu klären. Durch die Haltung der Lutheraner war überdies die Grundlage für eine judenfeindliche Stimmung in der Stadt geschaffen. Die Prediger vertraten ihre Ansichten nämlich nicht nur auf der offiziellen Ebene der Politik, sondern auch von der Kanzel herab und übten so einen erheblichen Einfluss auf die Bevölkerung der Stadt aus.
Am 19.2.1612 einigten sich die Bürgerschaft, der Rat sowie die portugiesischen Juden auf einen Niederlassungskontrakt. Dies war die erste, rechtlich festgehaltene Erlaubnis einer jüdischen Präsenz in der Stadt – keine zehn Jahre, nachdem diese 1603 zum ersten Mal in einem offiziellen Schriftstück festgehalten wurde. Zu diesem Zeitpunkt lebten bereits weit über 100 portugiesische Juden in Hamburg. Der Kontrakt ist einerseits von ökonomischen Privilegien geprägt, andererseits aber auch von religiösen Einschränkungen. Die jährliche Sonderabgabe fiel mit einer Summe in Höhe von 1.000 Mark zwar höher aus, als von den Portugiesen angeboten, war aber im Vergleich zu den meisten anderen Orten im Heiligen Römischen Reich immer noch niedrig. Auch sonst gab es nur wenige wirtschaftliche Einschränkungen. Demgegenüber stand, dass den portugiesischen Juden keine eigene Gerichtsbarkeit in religiösen Fragen zugestanden und die Ausübung der jüdischen Religion in Hamburg insgesamt untersagt wurde. Darunter fiel nicht nur ein Verbot von Gottesdiensten, auch Beschneidungen, Hochzeiten und Bestattungen waren nicht erlaubt. Durch die Einrichtung einiger privater Betstuben in Häusern portugiesisch-jüdischer Familien sowie diverser im Geheimen durchgeführter Zeremonien wurden solche Verbote allerdings de facto umgangen. Außerdem hatten die portugiesischen Juden im benachbarten Altona die Möglichkeit, ihre Religion legal auszuüben. Viele weitere Forderungen der Bürgerschaft oder auch der Geistlichkeit, etwa die Anstellung christlicher Lehrer für die Portugiesen oder deren Verpflichtung zum Besuch lutherischer Gottesdienste, wurden nicht aufgenommen. Die Bürgerschaft konnte sich hingegen mit ihrer Forderung durchsetzen, dass sie eine jährliche Möglichkeit besaß, den Niederlassungskontrakt zu kündigen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Hamburger Obrigkeiten, die Portugiesen vor etwaigen Anfeindungen und Ausschreitungen zu schützen.
Obwohl die rechtliche Situation der portugiesischen Juden in Hamburg mit dem Niederlassungskontrakt von 1612 vorläufig geklärt war, blieb ihre Lage angespannt. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Bürgern und den Lutheranern. In den Verhandlungen um die Niederlassungskontrakte der Jahre 1617, 1623 und 1650 wurden Veränderungen hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Portugiesen jeweils intensiv diskutiert. Die Quelle stellt einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung jüdischen Lebens in Hamburg dar. Sie brachte das offene Geheimnis einer jüdischen Präsenz in der Stadt auf die offizielle Ebene der Politik. Erst dadurch konnte die Frage nach einer Duldung von Juden im lutherisch-orthodoxen Hamburg diskutiert und zumindest zeitweise rechtlich bindend entschieden werden. Diese Debatte sollte die Hansestadt das gesamte 17. Jahrhundert hindurch prägen.
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Christian Küker, B.A., studiert derzeit den Master Global History an der Universität Heidelberg.
Christian Küker, Vom Gerücht zum Kontrakt: Die Beschwerde der Bürgerschaft über portugiesische Juden vom 9. Dezember 1603, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 15.07.2019. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-258.de.v1> [09.10.2024].