Helen Rosenau war eine Kunsthistorikerin und Archäologin, die 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Deutschland nach England flüchten musste. Nach ihrer Emigration befand sie sich, wie zahlreiche weitere jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, in einer prekären Situation. In ihren Veröffentlichungen wurde nun erstmals eine deutliche politische Positionierung sichtbar. 1942 schrieb sie den vorliegenden Artikel für die Veröffentlichung „Women under the Swastika“, Frauen unter dem Hakenkreuz, im Rahmen der „Free German League of Culture in Great Britain“, dem Freien deutschen Kulturbund in Großbritannien, einer Organisation von Emigrierten. Der Bund verstand sich als eine überparteiliche Flüchtlingsorganisation, die sich der Vermittlung von deutscher Kultur verschrieben hatte. Dieser Bund stand der KPD nahe. Dennoch erfüllte er für viele, auch nicht kommunistische, Geflüchtete in England eine wichtige Aufgabe. In ihrer Veröffentlichung setzte sich Rosenau mit der Rolle von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland auseinander und skizzierte die Entwicklung eines deutschen Feminismus. Hierbei übertrug sie Friedrich Schleiermachers „Idee zu einem Katechismus für edle Frauen“ von 1798 ins Englische und verglich diese Vorstellungen mit der Realität von Frauen im Nationalsozialismus. Rosenau äußerte die Hoffnung, dass die deutsche feministische Bewegung in Zukunft wieder auferstehen möge.
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurde eine deutliche Veränderung in der Publikationstätigkeit von Helen Rosenau sichtbar. Die bereits 1933 nach England emigrierte Kunsthistorikerin und Archäologin Rosenau veröffentlichte nun neben wissenschaftlichen Abhandlungen auch explizit politische Schriften. Dabei verband sich ihr berufliches Interesse an der sozialen Stellung von Frauen in der Kunst mit historischen Betrachtungen, aus denen sie deutliche Forderungen für ihre Gegenwart und Zukunft ableitete. 1942 veröffentlichte sie den vorliegenden Artikel „Changing Attitudes towards Women“ im Rahmen des Freien deutschen Kulturbundes. In dieser Publikation befasste Rosenau sich mit der Rolle von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland. Der Text bietet einen schlaglichtartigen Einblick in die Situation von Wissenschaftlerinnen im Exil. Als Quelle öffnet er einen Zugang zu Fragen der Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Um den Stellenwert des Artikels im Kontext der Entstehung zu erschließen, folgt zunächst ein Blick auf Helen Rosenaus Biografie.
Die ordentliche Immatrikulation an einer Universität in Deutschland war für Frauen erst ab 1908 reichsweit möglich geworden. Auf dieses Immatrikulationsrecht folgten nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 die staatsbürgerlichen Rechte und 1919 schließlich auch das Habilitationsrecht an Universitäten. Eine akademische Karriere stand Frauen ab diesem Zeitpunkt somit zumindest rechtlich offen. Helen Rosenau, 1900 geboren, studierte ab 1923 Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie in München bei Heinrich Wöllflin, in Berlin bei Adolph Goldschmidt, in Bonn bei Paul Clemen, an der Universität Halle bei Paul Frankl und an der Technischen Hochschule in Berlin. Die letzte Zeit ihres Studiums verbrachte Helen Rosenau in Hamburg, wo sie bei Erwin Panofsky studierte und sich intensiv mit der Architekturgeschichte christlicher Sakralbauten befasste.
Gerade das Fach Kunstgeschichte zog nach Ende des Ersten Weltkrieges junge Frauen an. Viele dieser neuen Studentinnen stammten aus der bildungsbürgerlich orientierten jüdischen Mittelschicht. So lag der Anteil an jüdischen Studentinnen in diesem Fach deutlich über dem Gesamtdurchschnitt der Universitäten. Die von Rosenau gewählte Kombination von Kunstgeschichte und Klassischer Archäologie war bei vielen Studentinnen beliebt.
Im Jahr 1930 promovierte Helen Rosenau an der Universität Hamburg. Sie verfasste eine Arbeit über den Kölner Dom und widmete sich hierbei seiner Baugeschichte und der damit zusammenhängenden historischen Einzigartigkeit der Kirche. Für diese Arbeit führte sie auch archäologische Ausgrabungen durch. So verfasste Rosenau laut Panofsky die erste moderne Baugeschichte des Kölner Domes.
Rosenau wollte ihre wissenschaftliche Karriere nach der Promotion fortsetzen und sich in einem nächsten Schritt bei Martin Wackernagel in Münster habilitieren. Sie ging nach Bremen, um dort durch eine archäologische Untersuchung die Baugeschichte des St. Petri Domes zu erforschen und die Arbeit an ihrer Habilitationsschrift zu beginnen. 1931 führte Rosenau die erste geplante archäologische Untersuchung des Bremer Domes durch. Die Ausgrabungen in Bremen schienen ihr eine Karriere als Kunsthistorikerin und Archäologin zu ermöglichen und waren doch die letzten, die sie vollständig durchführen konnte.
Im Kunsthistorischen Seminar Panofskys herrschte eine offene Atmosphäre. Helen Rosenau bewegte sich in Hamburg in einem akademischen Umfeld, in dem Jüdinnen und Juden häufig vertreten waren. Dies ist jedoch weniger auf eine offen zur Schau getragene positive Selbstidentifikation mit ihrer Religion zurückzuführen, als vielmehr auf die an anderen Universitäten herrschende Ausgrenzung. In anderen Bereichen der Hamburger Universität griff der Antisemitismus ebenfalls zunehmend um sich. Ihm entgegen stand die Offenheit des Kunsthistorischen Seminars. Das Seminar und die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg waren ein regelrechtes Refugium für viele der Studierenden. Als einziger Kunsthistoriker positionierte Erwin Panofsky sich eindeutig gegen nationalistisch und rassentheoretisch argumentierende Wissenschaftler. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor Panofsky seine Stellung. Das universitäre Umfeld, in dem Helen Rosenau ihre wissenschaftliche Ausbildung abgeschlossen hatte, hörte auf zu existieren. Die Personenkreise in denen sie ihre Bekanntschaften gepflegt hatte, drohten zu zerfallen.
Vor dem Hintergrund ihrer 1931 in Bremen erfolgreich durchgeführten Ausgrabung bewilligte die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft 1932 ein Forschungsstipendium. Der Förderungszeitraum war bis zum 31.3.1933 festgelegt worden. Die Arbeiten an der Habilitation kamen gut voran. Rosenau hatte bereits erste Teilergebnisse vorgelegt, als sich die Situation für jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland grundlegend änderte.
Als das Stipendium im März 1933 auslief, stellte Rosenau zunächst einen Antrag auf weitere Förderung. Die Nationalsozialisten installierten jedoch in kürzester Zeit Kontrollmechanismen, um von ihnen unerwünschte Personen aus den Universitäten zu verdrängen. Hierzu zählten neben Gegnern ihrer Ideologie auch die nach NS-Definition „nicht arischen“ Menschen und die mit ihnen Verheirateten. Mit dem Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 war eine wissenschaftliche Karriere für Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr möglich. Seit Ende April 1933 erteilte die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft auch keine Förderzusagen mehr an „nicht-arische“ Personen. Stattdessen ließ sie nun große Teile des Fördergeldes Projekten zukommen, die sich beispielsweise mit Rassen-, Boden- oder Siedlungsforschung befassten und so den nationalsozialistischen Vorstellungen von Wissenschaft entsprachen. Helen Rosenau verließ Deutschland nach diesem erzwungenen Ende ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit noch im Jahr 1933. Sie floh in Richtung England.
Dort stellte Rosenau ein Hilfsgesuch an den Academic Assistance Council (AAC) und brachte eine Fülle von Empfehlungsschreiben an. Eines dieser Schreiben stammte von Fritz Saxl. Ihn kannte Rosenau aus ihrer Zeit in Hamburg. Saxl war es gelungen, durch Kontakt zu Samuel Courtauld die berühmte Bibliothek Warburg einschließlich ihrer Belegschaft aus Hamburg nach London zu transferieren und sie so zu erhalten. Er empfahl, Helen Rosenau zu unterstützen.
In England konnte Rosenau auf die Unterstützung des AAC zählen, der sie auf die Crosby Hall hinwies. Dort bat sie im November 1933 ebenfalls um Hilfe. Eingerichtet wurde diese Anlaufstelle für Wissenschaftlerinnen von der British Federation of University Women, der lokalen Gruppe der International Federation of University Women. Helen Rosenau war bereits vor ihrer Emigration nach England Mitglied der International Federation of University Women gewesen. Diese 1907 gegründete Organisation hatte sich explizit der Förderung von Wissenschaftlerinnen verschrieben und besaß ein großes internationales Netzwerk. Noch im November 1933 konnte Helen Rosenau in die Crosby Hall einziehen.
Für Kunsthistorikerinnen gab es in England allerdings nur begrenzte Arbeitsmöglichkeiten im Kunsthandel oder in Sammlungen. An den Universitäten etablierte sich das Fach erst in den 1950er-Jahren. Erschwerend kam eine weit verbreitete Feindschaft gegenüber den Emigrierten hinzu, die sich auch in akademischen Kreisen zeigte. Auch dort fürchtete man eine Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt. Mit der Bibliothek Warburg blieb Rosenau in Kontakt. Eine dauerhafte Anstellung in England konnte das Netzwerk ihr jedoch nicht vermitteln.
Mitte des Jahres 1934 erhielt sie das Crosby Hall Residential Scholarship der British Federation of University Women und somit eine Förderung für das folgende Jahr und später sogar bis zum Januar 1936. Anders als viele Emigrantinnen, die Arbeit weit außerhalb ihrer eigentlichen Ausbildung annehmen mussten, gelang es Helen Rosenau, weiterhin in der Wissenschaft zu arbeiten. Rosenaus Leben stand damit dem Frauenbild der Nationalsozialisten grundsätzlich entgegen, was sie am Ende ihres Artikels auch anspricht: „[…] the present regime in Germany crushes their independence and considers them primarily as breeding machines for ‘warriors.’”.
Sie bekam die Möglichkeit, ihre 1932 begonnene Arbeit zur Habilitation fortzusetzen und auf englische Kathedralen auszudehnen. Letztendlich konnte ihr Werk 1934 jedoch nur stark gekürzt veröffentlicht werden. Eine Habilitation, wie sie ursprünglich geplant war, erfolgte durch diese Veröffentlichung nicht. Rosenau erwarb einen Ph.D. an der Londoner Universität 1940 und arbeitete anschließend an der London School of Economics unter Karl Mannheim zum Thema der Darstellung der sozialen Stellung von Frauen in der Kunst.
Im vorliegenden Artikel setzte sich Rosenau mit Grundlagen der Frauenbewegung in Deutschland auseinander und vergleicht sie mit der gesellschaftlichen Realität von Frauen im nationalsozialistischen Deutschland. Dabei basiert ihr Artikel auf einer historischen Betrachtung der aufkommenden Forderung nach rechtlicher Gleichstellung von Männern und Frauen am Ende des 18. Jahrhunderts. Durch den Verweis auf Rahel Varnhagen, Dorothea Schlegel und Henriette Hertz gelingt es Rosenau, eine Verbindung zwischen der jüdischen Geschichte in Deutschland und der politischen Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter zu zeichnen. Zentral für ihre Argumentation sind die von Friedrich Schleiermacher veröffentlichten „Ideen zu einem Katechismus für edle Frauen“ von 1798, die Rosenau ins Englische übertragen hatte. Rosenau zeigt, dass schon am Ende des 18. Jahrhunderts die Idee einer geschlechtlichen Gleichberechtigung existierte, die ihrer eigenen Gegenwartserfahrung diametral entgegenstand. Die nationalsozialistischen Deutschen propagierten die Auflösung der Individualität im „Volk“ und die Reduzierung von Frauen auf die Mutterrolle für möglichst zahlreiche Kinder. Eine unabhängige gesellschaftliche Position für Frauen war im Nationalsozialismus nicht vorgesehen. In Rosenaus Beschreibung, dass auch der Zugang zu höherer Bildung für Frauen im nationalsozialistischen Deutschland erschwert werde, zeichnet sich ihre persönliche Erfahrung deutlich ab. Sie verließ nicht nur ihr ursprüngliches Forschungs- und Themenfeld, die Geschichte christlicher Sakralbauten, und wandte sich vermehrt Themen der jüdischen Geschichte und der sozialen Stellung von Frauen zu, sie verließ auch ihre berufliche und persönliche Heimat. Insgesamt scheint ihre eigene Erfahrung ihre Politisierung und die Hinwendung zu Themen der Geschlechtergeschichte deutlich beeinflusst zu haben. In diesem Artikel verband sie beides.
Wie die Bibliothek Warburg in London eine neue Heimat fand, so exportierte auch Rosenau gewissermaßen ihr Wissen in die britische Gesellschaft. In ihrem Artikel zeigt sie einen Aspekt der deutschen und jüdischen Geschichte auf, der durch die damalige Gegenwart nahezu verschüttete wurde. Sie verband ihre Darstellung mit unmittelbaren Forderungen nach einem Wiedererstarken der feministischen Bewegung. Derart politische Schriften Rosenaus sind aus früheren Jahren nicht bekannt.
Helen Rosenau kehrte nicht nach Deutschland zurück. 1947 gelangte sie zu einer kleinen Anstellung an der Londoner Universität. 18 Jahre nach ihrer verhinderten Habilitation fand sie erst 1951 eine dauerhafte Stelle an der Universität in Manchester. Nun lenkte sie ihren Arbeitsschwerpunkt unter anderem auf die Geschichte der Stadtplanung.
Jannik Sachweh ist Historiker mit einem Schwerpunkt in der nordwestdeutschen Regional- und Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitet er für mehrere Gedenkstätten und Museen.
Jannik Sachweh, Helen Rosenau, aufstrebende Kunsthistorikerin und Archäologin, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 20.07.2021. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-281.de.v1> [06.12.2024].