Der Zeitungsartikel widmet sich unter dem Titel „Gespräch mit Arnold Bernstein“ dem Leben und Werk des aus Hamburg stammenden deutsch-jüdischen Reeders. Das Interview führte ein nicht näher zu bestimmender Autor – dessen Kürzel nur mit den Buchstaben A. S. vermerkt ist – für das Sonntagsblatt Staats-Zeitung und Herold, eine deutschsprachige Zeitung mit Hauptsitz in New York City (N. Y.). Der am 24.11.1957 publizierte mehrspaltige Artikel, der ebenfalls ein Bild von Arnold Bernstein enthält, erzählt die Lebensgeschichte des Hamburgers, der in der Zwischenkriegszeit mit seiner Arnold Bernstein Schiffahrtsgesellschaft m.b.H. zu einem der erfolgreichsten Reeder der Weimarer Republik aufgestiegen war. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wurde er seines gesamten Besitzes beraubt und inhaftiert, wobei er nach seiner Haftstrafe von zweieinhalb Jahren noch vor dem Ausbruch des Krieges (1939) in die USA emigrieren konnte. Seine Bemühungen zur Gründung einer US-amerikanischen Reederei unter dem Namen American Banner Lines versinnbildlichen für den Autor des Artikels seinen Willen zum Erfolg und Leben, wie im Untertitel des Artikels deutlich wird: „Einstiger Hamburger Gross-Reeder hat es auch in New York wieder geschafft“. Zwölf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unternahm damit eine US-amerikanisch-deutsche Zeitung einen Versuch, am Beispiel der Lebensgeschichte Bernsteins einen genaueren Blick auf die jüngste deutsche, jüdische sowie US-amerikanische Geschichte zu werfen.
Arnold Bernstein im Spiegel des Sonntagsblatts Staats-Zeitung und Herold 1957
Die schwierige Beziehung zwischen alter und neuer Heimat
Bernstein als erfolgreicher Reeder in der Zwischenkriegszeit
Die Verdrängung Bernsteins aus NS-Deutschland
Der schwierige Neuanfang in den USA
Bernsteins Blick auf das neugegründete Deutschland und die Frage der Rückkehr
Die American Banner Lines: Eine neue Erfolgsgeschichte?
1920 fusionierte das eher republikanisch gesinnte New Yorker Herold Sonntagsblatt mit dem traditionsbewussten Sonntagsblatt der New York Staats-Zeitung. Es entstand das wöchentlich erscheinende Sonntagsblatt Staats-Zeitung und Herold, das den Artikel „Gespräch mit Arnold Bernstein“ abdruckte. Zwar hatte die Zeitung nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung und Einfluss unter den Deutschamerikanern in New York City verloren, aber dennoch gehörte sie zu den auflagenstärksten deutschsprachigen Zeitungen der US-Metropole. So ist es bemerkenswert, dass die Zeitung einen Artikel über den ehemaligen deutsch-jüdischen Reeder Arnold Bernstein veröffentlichte, der aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen nicht nur seine Heimat und seinen Besitz, sondern auch Teile seiner Familie verlor. Denn damit konfrontierte die Zeitung die vorwiegend deutsch-amerikanischen Leser mit einem Teil der deutschen Geschichte, der bisher wenig Raum in der Zeitung eingenommen hatte und sich von den sonstigen Themen, wie zum Beispiel der Steuben-Parade oder dem politischen Geschehen in Deutschland, deutlich abhob. Zugleich stellte der Artikel nicht unbedingt die Verfolgungsgeschichte von Bernstein ins Zentrum der Darstellung, sondern legte den Fokus auf die Erfolgsgeschichte des Hamburger Reeders, was im Untertitel besonders deutlich wird. Damit stellt der Autor nicht so sehr den jüdischen Aspekt des Bernstein’schen Lebens und Emigrationsschicksals heraus, sondern betont die schnelle Integration und den erfolgreichen Aufstieg Bernsteins als „self-made man“ und Teilhaber am amerikanischen Traum.
Der nicht näher zu bestimmende Autor A.S. schwankt zwischen den Erzählsträngen der Verfolgungs- und Erfolgsgeschichte. Die Kernaussage des Artikels steht dabei in der ersten Spalte und wird als Zitat Bernsteins wiedergegeben: „20 Jahre hat es mich gekostet, Hitler zu besiegen. 1937 nahm man mir meine Reederei. 1957 konnten wir die American Banner Lines gründen, und im nächsten Jahre soll die alte Hausflagge als der ersten neuen amerikanischen Passagier-Reederei auf dem Nordatlantik seit vielen Jahren wehen.“ Die Gründung der neuen Reederei American Banner Lines (1957) und die Indienststellung des Flaggschiffs Atlantik auf der Route New York–Zeebrügge nahm die Zeitung zum Anlass, um einen biografischen Rückblick auf Bernsteins Leben zu publizieren. Wie sehr Bernstein und seine Firma trotz der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik Deutschlands noch immer seiner Heimat verhaftet geblieben waren, verdeutlicht der Artikel mit der Beschreibung der geretteten Büro- und Wohnausstattung, die sich im New Yorker Büro wiederfand und jeden Besucher Bernsteins in die Zeit der prächtigen Hamburger Reederei zurück versetzte. Darüber hinaus war es auch die Wiederbenutzung des traditionsreichen Namenskürzels Bernsteins, die sowohl vor dem Krieg, als auch nach dem Krieg das Emblem der Reederei bildete: A. B. Dabei stand das Kürzel vor dem Krieg für die Arnold Bernstein Schiffahrtsgesellschaft m.b.H. Nach dem Krieg hingegen wurden die beiden Buchstaben zum Symbol für die American Banner Lines. Damit wurde einerseits der Bruch deutlich, den Bernstein und seine Reederei erleiden mussten, andererseits aber auch der starke Wille, an die Vergangenheit und Glanzzeit der deutschen Reederei anzuknüpfen.
Trotz der Rückbeziehungen auf das Leben Bernsteins in Deutschland vor 1933 handelt der Artikel diesen Teil der Geschichte nur kurz ab. Er verweist ausschließlich schlagwortartig auf seine schlesischen Wurzeln (geboren in Breslau am 23.1.1888), seinen frühen Umzug nach Hamburg (1909, im Artikel irrtümlich mit 1911 angegeben) sowie seine Verdienste als deutscher Soldat während des Ersten Weltkrieges (er war zum Beispiel Träger des Eisernen Kreuzes, Erster und Zweiter Klasse). Seine frühen Auseinandersetzungen mit dem defizitären Familienbetrieb für Alkohol und Futtermittel, die finanziellen Schwierigkeiten während seiner frühen Hamburger Zeit, die wirkmächtigen Erlebnisse als deutscher und jüdischer Soldat sowie die Hochzeit mit seiner Frau Lilly Kimmelstiel im April / Mai 1919 bleiben dabei unerwähnt.
Vielmehr konzentriert sich der Artikel darauf, Bernstein als den Besitzer „einer der größten Privatreedereien der Welt“ während der Zwischenkriegszeit darzustellen, die durch den Einsatz von neuesten Modellen, wie etwa der sogenannten „-Stein“-Klasse, Maßstäbe im Schiffsmarkt gesetzt hatte. Wie sehr Bernsteins neue Frachtvorgaben, zum Beispiel die Ablehnung der traditionellen Holzkisten als Verpackungsmaterial für Automobile, den Transport aus den USA nach Europa beeinflussten und revolutionierten, tritt aber nur undeutlich im Artikel hervor. Dabei waren es gerade seine innovativen Ideen und Praktiken die ihn und seine Reederei neben der Hamburg-Paket-Aktiengesellschaft (Hapag, Hamburg) und dem Norddeutschen Lloyd (Bremen) zu einem der wichtigsten maritimen Unternehmen Deutschlands werden ließen. Sein Erfolg beruhte unter anderem darauf, dass er bereits frühzeitig geschäftliche wie private Beziehungen in die USA aufgebaut und sich international vernetzt hatte. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und den einsetzenden Bestimmungen des Versailler Vertrages waren es gerade diese Netzwerke, die Bernstein erste Aufträge einbrachten und letztendlich zu einer Zusammenarbeit mit großen Konzernen, wie zum Beispiel Ford führten, die langfristig die Reederei sicherte.
Der Leser erfährt wenig über den wirtschaftlichen Aufstieg der Bernstein’schen Reederei und auch die Zeit der Verfolgung in NS-Deutschland bleibt eher nebulös. Allein der Satz „Arnold Bernstein wurde von den Nazis 2 ½ Jahre lang in Haft gehalten, bis sie seine Schiffe ins Ausland verkauft hatten und er schließlich Deutschland verlassen durfte“ verweist auf die Zeit der Verfolgungen, Ausplünderungen und Vernichtung deutsch-jüdischen Lebens in NS-Deutschland. Lange Zeit hatte sich Bernstein noch als hoch dekorierter Veteran des Ersten Weltkrieges und – seiner Überzeugung nach – deutscher Staatsbürger in der sich immer fester etablierenden NS-Diktatur sichergefühlt. Die immer weitreichenderen Gesetze und Bestimmungen, mittels derer die deutsch-jüdische Bevölkerung schikaniert, ausgebeutet, später verfolgt und vernichtet wurde, verdrängte er.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet die lukrative Bernstein Reederei schnell in den Fokus der NS-Behörden, war diese doch ein hoch profitables Unternehmen und spielte in der Emigration nach Amerika, aber auch nach Palästina eine besondere Rolle (1934 gründete Bernstein die Palestine Shipping Company, 1935 kaufte er die Red Star Line). Bernstein, dem die NS-Behörden offiziell Devisenvergehen vorwarfen, wurde 1937 verhaftet und wie im Artikel erwähnt zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Seine Reederei wurde unter Zwangsverwaltung gestellt und später „arisiert“.
Wie sehr seine Frau mit den sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen Hamburgs während der NS-Diktatur haderte, blendete der Artikel aber aus. Und auch wie sehr er darum kämpfte, seine Kinder und Familie ins Ausland und damit in Sicherheit zu bringen (das erste Kind konnte nach Großbritannien ausreisen, das zweite in die Schweiz) und wie sehr die Haftzeit im Konzentrationslager Fuhlsbüttel (Hamburg) ihn physisch und psychisch an seine Grenzen führte, erwähnte der Autor nicht. Allein die Ausreise Bernsteins und seiner Frau sowie die Ankunft in New York am 1.9.1939, das heißt bei Kriegsausbruch, sind Eckdaten, die der Leser erfährt.
Obwohl der Autor benennt, dass Bernstein keine Besitztümer mitnehmen konnte, bleibt eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den finanziellen Nöten während der Kriegszeit und den ersten Nachkriegsjahre aus. Das Augenmerk des Artikels liegt dagegen auf dem Bild Bernsteins als „self-made man“, der die schwierige Anfangsphase überwand. Damit wird Bernstein unterschwellig zum Symbol für den amerikanischen Traum.
Dabei unterschlägt der Artikel, wie schwierig es für Bernstein war, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges seine Restitutionsansprüche gegen NS-Behörden, aber auch gegen ehemalige Geschäftspartner durchzusetzen und Entschädigungszahlungen für seine unternehmerischen und privaten Verluste zu erhalten. Dafür regte er mehrere Gerichtsverfahren in den USA an, in denen er gegen seine ehemaligen Partner vorging, die mit den NS-Behörden kooperiert hatten und aufgrund des Zwangsverkaufes der Bernstein’schen Reederei zum Beispiel Landerechte und Hafenanlagen in New York übernommen hatten. Darüber hinaus ließ Bernstein auch seine Ansprüche auf seinen enteigneten Besitz in Hamburg durch eine Anwaltskanzlei geltend machen, was ebenfalls zu einem Gerichtsprozess führte. Die komplizierten Verfahren der Rückerstattung sowie die schleppende Abwicklung der deutschen Behörden, die Bernstein frustrierten und desillusionierten, benennt der Artikel ebenso wenig.
Interessanterweise betont der Artikel hingegen den ersten Besuch Bernsteins in Hamburg im Jahr 1950. Während Bernstein in seiner Autobiografie, die er zwischen 1962–64 in seiner US-amerikanischen Heimat niederschrieb und die 2001 posthum veröffentlicht wurde , von einer eher zwiespältigen und emotional schwierigen Annäherung an seine alte Heimat berichtete, betont der Artikel die positiven Begegnungen: mit „Ehren und Freuden“ soll er in Hamburg empfangen worden seien. Nur verklausuliert greift der Autor die Frage nach einer möglichen Rückkehr Bernsteins nach Europa bzw. Hamburg auf: denn im Artikel wird Bedauern darüber geäußert, das die Schiffe nicht mehr Hamburg anlaufen würden. Bernsteins Antwort, dass schon immer die Rheinmündung, das heißt die dortigen Häfen, wie etwa Zeebrügge, sein traditionelles Arbeitsgebiet gewesen seien, kann damit auch als eine versteckte Absage an eine Rückkehr gesehen werden. Zu schwer wogen hier wohl die Erfahrungen des Antisemitismus in Deutschland und der Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen sowie die Erinnerungen an seine ermordeten Familienangehörigen (wie seine Schwester Rose und ihre Tochter Anita). Eine Rückkehr blieb für ihn undenkbar.
Vielmehr lenkte Bernstein die Aufmerksamkeit im Artikel auf seine Mitstreiter im Prozess des Wiederaufbaus seiner Reederei: dabei nannte er Ronald Barnes, seinen Sohn, Roscoe H. Hillenkoetter, Militärattaché an verschiedenen Botschaften, erster Direktor der CIA (1947–1950) sowie Generalinspekteur der US Navy, sowie Robert A. Kilby, die alle drei für die Wiederbegründung der Bernstein’schen Reederei ausschlaggebend waren.
Trotz der Erfolgsgeschichte, die der Zeitungsartikel suggeriert, sollte die Indienststellung der Atlantic durch die American Banner Lines nicht der Beginn einer neuen Reederei-Karriere Bernsteins in den USA sein. Bereits 1959 wurde die Atlantic wieder verkauft und Bernstein zog sich aus der immer schwieriger werdenden Branche der Schifffahrt und damit auch aus der American Banner Lines zurück. Am 6.3.1971 starb Arnold Bernstein im Alter von 83 Jahren in Palm Beach, Florida (USA).
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Björn Siegel, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Seine Forschungsinteressen sind deutsch-jüdische und österreichisch-jüdische Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Migrations- und Wirtschaftsgeschichte.
Björn Siegel, „20 Jahre hat es mich gekostet, Hitler zu besiegen.“ Der Hamburger Reeder Arnold Bernstein in den USA, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 05.06.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-242.de.v1> [05.10.2024].