Rund um die Alster, rund um die Welt – Die Gebrüder Wolf im Exil Shanghai

Xin Tong

Quellenbeschreibung

Nach dem No­vem­ber­po­grom 1938 spitz­te sich die Lage für die jü­di­sche Be­völ­ke­rung zu und die große Mehr­heit der Ham­bur­ger Juden ver­ließ ihre Hei­mat­stadt. James Iwan Wolf (1893–1981), Sohn von Leo­pold Wolf und Mit­glied der be­rühm­ten Ge­brü­der Wolf, war einer der etwa 500 bis 700 Ham­bur­ger jü­di­schen Emi­gran­ten, die nach Shang­hai flüch­te­ten. Nach der Ghet­toi­sie­rung des Stadt­teils Hong­kew 1943 wurde James Iwan Wolfs Aus­weis am 2.6.1944 von der Be­hör­de für staa­ten­lo­se Flücht­lin­ge Shang­hai aus­ge­stellt – der ja­pa­ni­schen Mi­li­tär­be­hör­de, die spe­zi­ell für die Über­wa­chung und Kon­trol­le der ins­ge­samt 20.000 bis 30.000 jü­di­schen Flücht­lin­ge aus Eu­ro­pa zu­stän­dig war. Der Aus­weis wurde auf Ja­pa­nisch, Chi­ne­sisch, Eng­lisch und Deutsch ver­fasst und ver­weist in sei­ner Mehr­spra­chig­keit auf die un­ter­schied­li­chen Ein­fluss­sphä­ren der in­ter­na­tio­na­len Mäch­te in der Ha­fen­stadt Shang­hai. Ob­wohl James Iwan mit sei­nem Bru­der Donat Wolf (1902–1984) ge­mein­sam als Büh­nen­künst­ler wie­der unter dem Namen Ge­brü­der Wolf in Shang­hai auf­trat, macht der Aus­weis deut­lich, dass er sei­nen Le­bens­un­ter­halt mit der Re­pa­ra­tur von Schreib­ma­schi­nen ver­dien­te. Der Pas­sier­schein wurde mo­nat­lich ver­län­gert und ent­hält ge­naue An­ga­ben, zu wel­chen Zei­ten, das ab­ge­rie­gel­te Vier­tel Hong­kew ver­las­sen und be­stimm­te Stadt­tei­le be­tre­ten wer­den durf­ten. James Iwan Wolf war somit immer wie­der aufs Neue der Will­kür der ja­pa­ni­schen Ver­wal­tungs­be­am­ten wie Ku­bo­ta und Ghoya aus­ge­lie­fert, die über die Ver­län­ge­rung ent­schie­den.

  • Xin Tong

Die Hamburger Gebrüder Wolf


James Iwan Wolf, auf den der Pas­sier­schein aus dem Ghet­to Hong­kew aus­ge­stellt wurde, war Sohn einer jü­di­schen Volks­sän­ger­fa­mi­lie und wurde 1893 in Ham­burg ge­bo­ren. Der bür­ger­li­che Name der Wolf-​Familie lau­te­te bis 1924 Isaac; be­dingt durch den zu­neh­men­den An­ti­se­mi­tis­mus über­nah­men alle Mit­glie­der nach dem Hit­ler­putsch im No­vem­ber 1923 den 1895 ge­wähl­ten Künst­ler­na­men Wolf. Sein Vater Leo­pold Wolf, seine Onkel Lud­wig Wolf und James Wolf tra­ten seit 1895 als Wolf-​Trio auf der Ham­bur­ger Bühne auf, spä­ter – nach dem Rück­zug von James Wolf im Jahr 1906 – als Wolf-​Duo bzw. Ge­brü­der Wolf. Die Ge­brü­der Wolf nann­ten sich „Ge­sangs­hu­mo­ris­ten“ und wur­den mit ihrer Ver­kör­pe­rung der Ham­bur­ger Ha­fen­ar­bei­ter be­son­ders er­folg­reich. Sie dreh­ten auch Filme und mach­ten sich einen in­ter­na­tio­na­len Namen bei zahl­rei­chen Tour­ne­en durch Deutsch­land und Eu­ro­pa. Neben ihrem sen­sa­tio­nel­len Er­folg in der Revue „Rund um die Als­ter“ lan­de­ten sie Hits wie „Een echt Ham­bor­ger Jung!“ und „Snu­ten un Poten“. Zudem schrie­ben und kom­po­nier­ten die Ge­brü­der Wolf das bis heute be­kann­te Ham­bur­ger Volks­lied „An der Eck steiht’n Jung mit’n Tü­del­band“.

James Iwan Wolf war ge­lern­ter Schreib­ma­schi­nen­me­cha­ni­ker. Mit­hil­fe sei­ner Be­rufs­aus­bil­dung konn­te er spä­ter sein Exis­tenz­mi­ni­mum im Exil si­chern, wor­auf die An­ga­be zu sei­ner Tä­tig­keit auf dem vor­lie­gen­den Aus­weis ver­weist. Erst nach dem Tod von Leo­pold Wolf 1926 fing James Iwan an, der eben­falls mu­si­ka­lisch be­gabt war, die Rolle sei­nes Va­ters im Ge­sangs­duo zu über­neh­men. An der Seite sei­nes On­kels Lud­wig Wolf trat James Iwan auf die Bühne, um das Re­per­toire der Ge­brü­der Wolf wei­ter vor­zu­tra­gen.

Verfolgung in der NS-Zeit


„Nur Deutsch will ich sein, Deutsch, wie der Vater Rhein“ – einer der Schlach­ten­ge­sän­ge der Ge­brü­der Wolf lässt sich als Selbst­aus­kunft der Wolfs im Hin­blick auf ihre per­sön­li­che Iden­ti­tät be­grei­fen. Nach der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten 1933 be­grenz­te je­doch das Be­rufs­ver­bot die Auf­tritts­mög­lich­kei­ten der Ge­brü­der Wolf. Am ers­ten „Bun­ten Abend“ vom Jü­di­schen Kul­tur­bund nah­men die Ge­brü­der Wolf noch teil, aber ihr Auf­tritt in der Revue „Heute be­son­ders zu emp­feh­len“ wurde von der Ge­sta­po un­ter­bun­den, da ihr Er­ken­nungs­schla­ger „Snu­ten un Poten“ als zu ham­bur­gisch für ein jü­di­sches Ge­sangs­duo ein­ge­stuft wurde. Das Lied­gut der Ge­brü­der Wolf galt als so­ge­nann­tes „deut­sches Volks­gut“ und wurde in die „Volks­ge­mein­schaft“ in­kor­po­riert. Doch pa­ra­do­xer­wei­se wur­den sie wegen ihrer jü­di­schen Her­kunft aus der „Volks­ge­mein­schaft“ aus­ge­grenzt. Bei einer Ver­an­stal­tung der jü­di­schen Künst­ler­grup­pe im De­zem­ber 1937 in Ham­burg waren die Ge­brü­der Wolf wohl letzt­ma­lig auf einer deut­schen Bühne zu sehen.

Wäh­rend des No­vem­ber­po­groms 1938 wurde James Iwan Wolf ver­haf­tet und in das KZ Sach­sen­hau­sen de­por­tiert. Von dort wur­den die jü­di­schen Häft­lin­ge nur dann ent­las­sen, wenn sie nach­wei­sen konn­ten, dass sie Deutsch­land dau­er­haft ver­las­sen woll­ten. Mit­hil­fe der Be­mü­hun­gen sei­ner Fa­mi­lie er­reich­te James Iwan die Ent­las­sung aus dem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Am 26.6.1939 ver­ließ er sein Hei­mat­land zu­sam­men mit sei­nem Bru­der Donat Wolf auf einem Pas­sa­gier­schiff in Rich­tung Asien.

Zuflucht in Shanghai


Shang­hai stand be­reits seit Mitte des 19. Jahr­hun­derts unter dem Ein­fluss ver­schie­de­ner in­ter­na­tio­na­ler Mäch­te, was sich auch im Stadt­bild wi­der­spie­gel­te. So gab es neben den im Pas­sier­schein ge­nann­ten Stadt­tei­len – das von Eng­län­dern und Ame­ri­ka­nern kon­trol­lier­te so­ge­nann­te In­ter­na­tio­nal Sett­le­ment (1863–1941) und die so­ge­nann­te Fran­zö­si­sche Kon­zes­si­on (1849–1943) – noch den chi­ne­sisch re­gier­ten Teil und seit 1937 die ja­pa­ni­sche Be­sat­zungs­zo­ne. Mit dem Aus­bruch des Pa­zi­fik­krie­ges 1941 nah­men die Ja­pa­ner schließ­lich die ge­sam­te Stadt ein.

Die exo­ti­sche Me­tro­po­le Shang­hai war an­ge­sichts die­ser po­li­ti­schen Tur­bu­len­zen kei­nes­falls die op­ti­ma­le Wahl für die jü­di­schen Aus­wan­de­rer. Die meis­ten Ham­bur­ger Jü­din­nen und Juden, die über aus­rei­chend fi­nan­zi­el­le Mit­tel sowie Kon­tak­te ver­füg­ten und sich recht­zei­tig mit Aus­wan­de­rungs­plä­nen be­schäf­tigt hat­ten, gin­gen in die USA, Groß­bri­tan­ni­en und nach Frank­reich. Als die Po­grom­nacht zum Aus­lö­ser der Mas­sen­aus­wan­de­rung der Juden wurde, be­gan­nen zahl­rei­che west­li­che Län­der je­doch die Auf­nah­men zu quo­tie­ren und ihre Gren­zen für mit­tel­lo­se oder ver­arm­te jü­di­sche Flücht­lin­ge zu schlie­ßen. Shang­hai stell­te daher eine Aus­nah­me dar. Bis zum Ok­to­ber 1939 war die Stadt der ein­zi­ge freie Hafen, der ohne Visum und Ein­rei­se­ge­neh­mi­gung be­tre­ten wer­den konn­te. Zwi­schen No­vem­ber 1939 und Ende des Jah­res 1941 konn­ten die­je­ni­gen jü­di­schen Flücht­lin­ge aus Eu­ro­pa ein­rei­sen, die über eine Ge­neh­mi­gung des „Shang­hai Mu­ni­ci­pal Coun­cil“ ver­füg­ten – des re­gie­ren­den Ko­mi­tees vom In­ter­na­tio­nal Sett­le­ment. So blieb Shang­hai bis zur völ­li­gen ja­pa­ni­schen Be­sat­zung 1941 einer der letz­ten Zu­fluchts­or­te für Flüch­ten­de ohne Visa für an­de­re Län­der.

James Iwan Wolf war nach sei­ner Ent­las­sung aus dem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger im De­zem­ber 1938 ge­zwun­gen, mög­lichst schnell aus dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ham­burg nach Shang­hai zu emi­grie­ren. Er und seine Fa­mi­lie ge­lang­ten auf un­ter­schied­li­chen Flucht­we­gen nach Shang­hai. James Iwan und sein Bru­der reis­ten im Juni 1939 über den See­weg durch den Su­ez­ka­nal und über Bang­kok. Die Frau und Toch­ter von James fuh­ren 1940 mit der trans­si­bi­ri­schen Ei­sen­bahn von Mos­kau bis Wla­di­wos­tok und dann wei­ter mit dem Schiff.

Die meis­ten der in den 1930er-​Jahren und bis 1941 in Shang­hai ein­tref­fen­den ins­ge­samt etwa 20.000 bis 30.000 Flücht­lin­ge stamm­ten aus Deutsch­land und Ös­ter­reich. Dar­un­ter fan­den etwa 500 bis 700 Ham­bur­ger Jü­din­nen und Juden in Shang­hai Zu­flucht. Die­je­ni­gen Flücht­lin­ge, die Ver­wand­te in Shang­hai hat­ten, konn­ten dank ihrer Be­zie­hun­gen Un­ter­künf­te in bes­se­ren Ge­gen­den wie dem In­ter­na­tio­nal Sett­le­ment oder der Fran­zö­si­schen Kon­zes­si­on fin­den. Die Ver­sor­gung der meis­ten mit­tel­lo­sen jü­di­schen Flücht­lin­ge wurde durch die vor Ort exis­tie­ren­den jü­di­schen Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen or­ga­ni­siert. Für sol­che Flücht­lin­ge war das Leben ex­trem schwie­rig. Zum einen waren die trau­ma­ti­schen Er­fah­run­gen wie De­por­ta­tio­nen und ins­be­son­de­re die Er­leb­nis­se in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern in Nazi-Deutsch­land noch frisch in ihrem Ge­dächt­nis. Zum an­de­ren sahen sie sich nun mit einer frem­den Kul­tur kon­fron­tiert, dem sub­tro­pi­schen Klima sowie den schlech­ten Wohn- und Le­bens­be­din­gun­gen in Shang­hai aus­ge­setzt. Viele führ­ten ein Leben am Rande des Exis­tenz­mi­ni­mums.

Auf der Bühne des Exils


James Iwan Wolf und seine Fa­mi­lie ge­hör­ten zu den Flücht­lin­gen, die auf die Un­ter­stüt­zung der Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen an­ge­wie­sen waren. Sie zogen zu­nächst in eine der Flücht­lings­un­ter­künf­te im zer­stör­ten Stadt­teil Hong­kew, der sich in der ja­pa­ni­schen Be­sat­zungs­zo­ne be­fand. James Iwan er­öff­ne­te dort eine Re­pa­ra­tur­werk­statt für Schreib­ma­schi­nen und ver­such­te wie viele an­de­re Flücht­lin­ge ein Stück „Hei­mat“ in der frem­den Um­ge­bung zu er­hal­ten. In sei­ner Un­ter­kunft er­in­ner­ten Fotos an der Wand an das frü­he­re Leben und an die Fa­mi­lie in Ham­burg. Zudem lie­ßen er und sein Bru­der Donat ge­mein­sam die Ge­brü­der Wolf wie­der­auf­le­ben und tra­ten im Eas­tern Thea­t­re sowie in zahl­rei­chen Be­helfs­hei­men für jü­di­sche Flücht­lin­ge als Ham­bur­ger Ha­fen­ar­bei­ter auf. Donat Wolf er­in­ner­te sich spä­ter: „Neben an­de­rem gin­gen James und ich auf die Bühne, so wie sei­ner­zeit unser Vater und Onkel. [] am 21. Ok­to­ber 1939 hatte ich mei­nen ers­ten öf­fent­li­chen Büh­nen­auf­tritt. Es lief gut und die Men­schen moch­ten of­fen­bar, was wir ihnen dar­bo­ten.“ Die Auf­trit­te, die Re­so­nanz ins­be­son­de­re unter den Ham­bur­ger Exi­lan­ten fan­den, hal­fen James Iwan und Donat ihre fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on zu ver­bes­sern: „Den zwei­ten Ver­dienst bekam ich durch das Auf­tre­ten mit mei­nem Bru­der als Ori­gi­nal Ge­brü­der Wolf. Dort lern­te ich einen alten an­säs­si­gen Ham­bur­ger ken­nen, der extra wegen un­se­res Auf­tre­tens nach Hong­kong ge­meint ist ver­mut­lich Hong­kew ge­kom­men war.“

Die Fort­set­zung der künst­le­ri­schen Tra­di­ti­on der Ge­brü­der Wolf im Exil bil­de­te einen wich­ti­gen Be­stand­teil des Mu­sik­le­bens der deutsch­spra­chi­gen Flücht­lin­ge in Shang­hai. Die Ge­brü­der Wolf ste­hen damit bei­spiel­haft für das viel­fäl­ti­ge kul­tu­rel­le Leben der Shang­hai-​Exilanten. Neben vie­len Exil­zei­tun­gen und -​publikationen ent­stan­den zahl­rei­che Thea­ter­stü­cke, Opern und Kon­zer­te. Auch Tanz­aben­de oder Vor­le­sun­gen wur­den von jü­di­schen Künst­lern ver­an­stal­tet. Trotz wid­ri­ger äu­ße­rer Um­stän­de trug das geis­ti­ge und künst­le­ri­sche Leben der jü­di­schen Flücht­lin­ge in Shang­hai dazu bei, ihren Wil­len zum Aus­har­ren und die Aus­sicht zum Über­le­ben zu be­stär­ken.

Einrichtung des Ghettos


Das Kul­tur­le­ben der Flücht­lin­ge wurde ge­walt­sam be­en­det als die Ja­pa­ner nach dem An­griff auf Pearl Har­bor am 7.12.1941 die Stadt be­setz­ten. Die Ver­bin­dung der jü­di­schen Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen in die USA wurde durch das Kriegs­ge­sche­hen un­ter­bro­chen, womit auch die Un­ter­stüt­zungs­ar­beit zum Er­lie­gen kam. Die Lage der Flücht­lin­ge wurde da­durch wei­ter ver­schärft, dass der SS-​Oberst Josef Mei­sin­ger aus Tokio 1942 nach Shang­hai kam und ver­such­te, dort eine här­te­re Po­li­tik ge­gen­über jü­di­schen Flücht­lin­gen durch­zu­set­zen. Auf­grund der stra­te­gi­schen In­ter­es­sen und der am­bi­va­len­ten Po­li­tik der ja­pa­ni­schen Mi­li­tär­au­to­ri­tät ge­gen­über den Juden wur­den die Ver­nich­tungs­plä­ne in Shang­hai zwar nicht rea­li­siert, unter dem Druck der deut­schen Seite pro­kla­mier­te die ja­pa­ni­sche Mi­li­tär­be­hör­de je­doch am 18.2.1943 einen „aus­ge­wie­se­nen Be­zirk“ in Hong­kew, in den alle „staa­ten­lo­sen Flücht­lin­ge“ um­ge­sie­delt wer­den soll­ten. Ob­wohl die Ja­pa­ner For­mu­lie­run­gen wie „Juden“ und „Ghet­to“ ver­mie­den und die Maß­nah­me mit „mi­li­tä­ri­schen Not­wen­dig­kei­ten“ recht­fer­tig­ten, ging es dabei um die Ghet­toi­sie­rung der jü­di­schen Flücht­lin­ge – so wie James Iwan Wolf, der längst sein Bür­ger­recht und sei­nen Pass ein­ge­büßt hatte. Sein Sta­tus als „staa­ten­lo­ser Flücht­ling“ wurde auf dem hier vor­lie­gen­den Aus­weis ins­be­son­de­re durch den Titel, die An­ga­be zur Per­son sowie den Namen der Aus­stel­lungs­be­hör­de ak­zen­tu­iert.

Etwa die Hälf­te der Flücht­lin­ge, die zuvor nicht im zu­ge­wie­se­nen Ge­biet ge­wohnt hat­ten, ver­lor durch den Umzug in den Sperr­be­zirk wie­der­um ihre be­ruf­li­che und wirt­schaft­li­che Exis­tenz­grund­la­ge. Wie auch die An­ga­be zur An­schrift auf dem Aus­weis zeigt, wur­den James Iwan und seine Fa­mi­lie ge­zwun­gen, in eine Un­ter­kunft in der Anguo Stra­ße um­zu­zie­hen, die sich im Sperr­be­zirk be­fand. Dort wohn­ten sie mit den alt­ein­ge­ses­se­nen chi­ne­si­schen Ein­woh­nern auf engs­tem Raum zu­sam­men. In Hong­kew waren die jü­di­schen Flücht­lin­ge ka­ta­stro­pha­len öko­no­mi­schen sowie sa­ni­tä­ren und hy­gie­ni­schen Be­din­gun­gen aus­ge­setzt. Einem Be­richt des Roten Kreu­zes 1943 zu­fol­ge be­fan­den sich dort min­des­tens 6.000 jü­di­sche Flücht­lin­ge kurz vor dem Ver­hun­gern. Zudem un­ter­stan­den die Flücht­lin­ge der di­rek­ten Über­wa­chung und Kon­trol­le der ja­pa­ni­schen Mi­li­tär­be­hör­de, wie auch der Pas­sier­schein zeigt. Nur die­je­ni­gen, die wie Wolf wegen ihrer Be­schäf­ti­gung au­ßer­halb der Ghet­to­gren­zen einen Pas­sier­schein be­ka­men, durf­ten zu vor­ge­schrie­be­nen Zei­ten das Ghet­to ver­las­sen. Der Aus­weis von James Iwan zeigt, dass der Pas­sier­schein am 2.6.1944 von Ku­bo­ta, dem ja­pa­ni­schen Be­am­ten der Be­hör­de für staa­ten­lo­se Flücht­lin­ge Shang­hai, aus­ge­stellt wurde. Da die jü­di­schen Flücht­lin­ge aus ver­schie­de­nen eu­ro­päi­schen Län­dern stamm­ten und in einem chi­ne­si­schen Sperr­be­zirk unter ja­pa­ni­scher Kon­trol­le wohn­ten, wurde der Pas­sier­schein in meh­re­ren Spra­chen ver­fasst. Zur Ver­län­ge­rung der Pas­sier­schei­ne muss­ten die Flücht­lin­ge unter er­nied­ri­gen­den Um­stän­den stun­den­lang Schlan­ge ste­hen. Sie wur­den häu­fig vom ja­pa­ni­schen Ver­wal­tungs­be­am­ten Ghoya, der für die Ver­län­ge­rung der Pas­sier­schei­ne zu­stän­dig war und sich „König der Juden“ nann­te, schi­ka­niert und miss­han­delt. Auch auf James Iwans Aus­weis fin­det sich mehr­fach der Stem­pel von Ghoya.

Überleben in Hongkew


Wäh­rend der schwie­ri­gen Jahre in Hong­kew ver­such­te James Iwan Wolf mit­hil­fe der Ar­beits­stel­le als Schreib­ma­schine­me­cha­ni­ker seine Exis­tenz zu si­chern. Donat Wolf gab Chi­ne­sen Englisch-​ und Deutsch­un­ter­richt und knüpf­te mit sei­nen chi­ne­si­schen Schü­lern Freund­schaf­ten. Die Ge­brü­der Wolf über­leb­ten auch die ame­ri­ka­ni­schen Luft­an­grif­fe, die am 17.7.1945 ihr Ziel ver­fehl­ten und 250 Tote sowie zahl­rei­che Ver­letz­te unter Chi­ne­sen wie Flücht­lin­gen for­der­ten.

Nach der Ka­pi­tu­la­ti­on der Ja­pa­ner am 15.8.1945 ging die Zeit der ja­pa­ni­schen Be­sat­zung zu Ende und das Ghet­to Hong­kew wurde bis zum 3. Sep­tem­ber auf­ge­löst. Erst nach der Be­frei­ung der Stadt er­reich­ten die Flücht­lin­ge In­for­ma­tio­nen über die Ver­nich­tungs­la­ger in Eu­ro­pa. Die Ge­brü­der Wolf muss­ten er­fah­ren, dass viele ihre Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge, wie ihr Onkel James Wolf sowie Do­nats Frau und Sohn, in Ver­nich­tungs­la­gern er­mor­det wor­den waren. Ob­wohl der Onkel Lud­wig Wolf in Ham­burg über­lebt hatte, war es für James Iwan und Donat un­vor­stell­bar, wie­der in die Hei­mat zu­rück­zu­keh­ren. Wie die meis­ten Flücht­lin­ge ver­lie­ßen sie im Jahr 1947 Shang­hai und emi­grier­ten in die USA.

Fazit


Der Aus­weis von James Iwan Wolf deu­tet auf den Über­le­bens­kampf im Shang­hai­er Exil hin, das ge­prägt war von der all­täg­li­chen ja­pa­ni­schen Über­wa­chung und Kon­trol­le. Zudem ver­weist die Mehr­spra­chig­keit des Pas­sier­scheins auf die viel­schich­ti­gen Be­zie­hun­gen zwi­schen Nazi-Deutsch­land, China, Japan und den USA sowie die kom­ple­xen In­ter­es­sen die­ser Mäch­te. Mit ihrem be­son­de­ren Sta­tus stellt die Ha­fen­stadt Shang­hai, die einst der größ­te jü­di­sche Exil­ort in Fern­ost war, eine ei­gen­tüm­li­che Epi­so­de im Ka­pi­tel der Mi­gra­ti­ons­ge­schich­te Ham­bur­ger Jü­din­nen und Juden dar.

Auswahlbibliografie


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Zur Autorin

Xin Tong, M. A., ist Stipendiatin und Kollegiatin des Graduiertenkollegs „Vergegenwärtigungen: Repräsentationen der Shoah in komparatistischer Perspektive“ an der Universität Hamburg. Sie schreibt derzeit ihre Dissertation zum Thema „Transmedia Remembering: Fallstudie des Shanghaier Exils (1933-1949) in deutschen und chinesischen Medien seit 1989“. Zu ihren Forschungsinteressen zählen: Mediale Erinnerungskulturen und Gedächtnisforschung, Exil-Erinnerung, Mediengeschichte, Theorie des dokumentarischen Films und Mediologie.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Xin Tong, Rund um die Alster, rund um die Welt – Die Gebrüder Wolf im Exil Shanghai, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 25.06.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-245.de.v1> [09.06.2025].

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