Gerade Brüche und Zäsuren stellen einen interessanten Untersuchungsgegenstand dar, da sie Einblick in die von ihnen unterbrochenen soziale Strukturen bieten. Die Nachricht über die Ankunft des Messias in den Jahren 1665–66, die von der Memoirenschreiberin Glikl von Hameln erzählt wurde, stellt solch einen Augenblick in der Geschichte der Hamburger Juden dar. In Buch III ihrer Erinnerungen berichtet Glikl davon, wie die Hochstimmung in Verzagtheit umschlug, als kurze Zeit nachdem die verheißungsvollen Nachrichten über die bevorstehende Erlösung der Juden in Nordeuropa eintrafen, diese von dem Übertritt des Erlösers zum Islam in Konstantinopel zerstört wurden. Glikls Bericht von der sabbatianischen Bewegung Messianische jüdische Bewegung, die von Schabbtai Zvi gegründet wurde in Hamburg ist aufschlussreich als lebendiges Portrait der Aufbruchsstimmung, von der die Juden dieser Stadt erfasst wurden, als die Nachricht erstmalig eintraf. Er ermöglicht, nachzuvollziehen wie sich Nachrichten zwischen entfernten Gemeinden verbreiteten — besonders zwischen den „Entrepôts“ Umschlaghäfen der sefardischen Diaspora auf der italienischen Halbinsel, im Osmanischen Reich und in Nordwesteuropa — und gibt Aufschluss über die Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen jüdischen Gruppierungen in der Stadt Hamburg.
Glikl von Hameln, Memoiren, 1691-1719 [Auszug] (übersetzt von Barbara Schmidt-Runkel), veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-165.de.v1> [21.12.2024].