Obwohl die aschkenasischen Juden in Altona, Hamburg und Wandsbek unter verschiedenen politischen Autoritäten lebten, da Altona zur Dänischen Krone gehörte, bildeten sie seit 1671 eine Gemeinde, bekannt als Kehillat Ah“u. Die hier gezeigten Paragraphen sind Teil der Statuten der jüdischen Gemeinde Altona aus dem Jahr 1685, mit Zusätzen aus dem Jahr 1726, wobei die hier ausgewählten Paragraphen 176-181, die jedoch in der vorliegenden Version nicht mehr nummeriert sind, unverändert blieben. Die sechs Paragraphen beinhalten Kleidungsvorschriften. Solche Statuten (takkanot) wurden in jüdischen Gemeinden in Protokollbüchern (pinkasim) überliefert. Die hier ausgewählten Statuten sind in zwei Handschriften überliefert. Heinz Mosche Graupe, der die Statuten 1973 ediert und übersetzt hat, bezeichnet diese mit AA (1685) und AB (1726). Für Graupes Edition und Übersetzung wurde die Fassung AA zugrunde gelegt, was hier beibehalten wird. Die Fassung umfasst 204 Paragraphen, die jedoch nicht durchgehend gezählt wurden. Die Altonaer Statuten wurden auf Hebräisch verfasst, mit einzelnen Sätzen und Worten in Westjiddisch. Kleidungsstücke werden häufig mit aus dem Deutschen oder Französischen übernommenen Begriffen bezeichnet. Die Statuten wurden von der Statutenkommission der Gemeinde, die aus Laien bestand, verfasst und von einem Schreiber der Gemeinde, der uns namentlich nicht bekannt ist, niedergeschrieben. Die Statuten gehörten zum Gemeindearchiv, dass ab 1938 dem Hamburger Staatsarchiv übergegeben wurde und so der Vernichtung durch die Nationalsozialisten entging. Dort wird es als „Bestand Jüdische Gemeinden“ geführt, 1959 wurde ein Teil des Materials in die Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem überführt, darunter die hier gezeigten Statuten, die unterdessen über die Israelische Nationalbibliothek auch online zur Verfügung stehen. Außerdem ist das Material verfilmt in Hamburg verfügbar.
Mit der zunehmenden Autonomie jüdischer Gemeinden in der Frühen Neuzeit, die eines der zentralen Merkmale jüdischer Geschichte dieser Epoche in Europa darstellt, entwickelte sich auch das Genre der Gemeindestatuten (takkanot) weiter. Je nach Grad der Gemeindeautonomie konnten diese Statuten entweder vor allem die innergemeindlichen religiösen Angelegenheiten – etwa in Form einer Synagogenordnung, die den Gottesdienst regelte – abdecken oder aber auch weite Bereiche des täglichen Lebens. Dies war vor allem in Osteuropa der Fall, wo neben den Gemeinden ab dem 17. Jahrhundert auch noch regionale und überregionale Räte (Vierländerrat, Rat des Großfürstentums Litauen) als statutengebende Institutionen auftraten. Dort und in größeren Gemeinden mit weitgehenden Autonomierechten wurden neben Fragen von Gottesdienst, Gemeindewahlen und -verwaltung auch die Armenfürsorge, wirtschaftliche Angelegenheiten (etwa Bankrott) und ähnliches geregelt. Viele Statuten enthielten außerdem Luxus- und Kleiderordnungen oder einzelne Paragraphen zu diesen Fragen. Erstellt wurden solche Statuten meist von der Laienführung der jüdischen Gemeinden, manchmal auch unter Hinzuziehung des Gemeinderabbiners. Zum Teil gab es eigens eingesetzte Statutenkommissionen wie in Hamburg. Darüber hinaus hinterließen oft auch einzelne Organisationen innerhalb der Gemeinde, wie zum Beispiel die Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa), eigene Statuten.
Viele jüdische Gemeinden erließen in der Frühen Neuzeit mehr oder weniger umfangreiche Gemeindestatuten, die Altonaer Statuten, die von der AHW übernommen wurden, gehören dabei zu den sehr umfangreichen. Sie enthielten vor allem Bestimmungen zur inneren Selbstverwaltung der jüdischen Gemeinde: die Bedingungen für die Aufnahme in die Gemeinde, für die Wahlen innerhalb der Gemeinde, zum Armenwesen, und eben zunehmend Regelungen zu Kleidung, Konsum und Freizeitverhalten. Manchmal waren sie, wie in Altona, auch eine Reaktion auf die Erlasse der städtischen Behörden, die Anfang des 18. Jahrhunderts versuchten, das Betteln in der Stadt zu unterbinden. Damit sahen sich auch die Vorsteher der jüdischen Gemeinde veranlasst, neue Regelungen zu erlassen, die nicht nur das Betteln untersagten, sondern auch neue Einnahmen in der Gemeinde generierten, um die wachsende Armenfürsorge finanzieren zu können.
Kleider- und Luxusordnungen, die sowohl erlaubte und verbotene Kleidung als auch Ausgaben für Feste und Geschenke zu verschiedenen Anlässen regelten, waren ein typisches Herrschaftsmittel der Frühen Neuzeit und erschienen regelmäßig und in den verschiedensten Herrschaftszusammenhängen (auf Reichsebene, in landesherrlichen oder städtischen Ordnungen). Während christlich-obrigkeitliche Kleidungsvorschriften für Juden und Jüdinnen vor allem das Tragen stigmatisierender Kennzeichen vorschrieben und zum Teil auch das Tragen bestimmter Kleidungsstücke untersagten, deckten innerjüdische Kleiderordnungen soziale und geschlechtsspezifische Differenzen ab und unterschieden gleichzeitig zwischen verschiedenen Raum- und Zeitkategorien. Die frühesten Kleiderordnungen entstanden im 15. und 16. Jahrhundert in Spanien und verschiedenen italienischen Städten, ab dem späten 16. Jahrhundert auch in Mittel- und Ostmitteleuropa. Die frühesten bekannten takkanot aus diesem Raum stammen von der jüdischen Gemeinde Krakau und wurden im Jahr 1595 verfasst. Sie enthalten auch zahlreiche Kleidungsvorschriften, die über die klassischen biblischen Bestimmungen, wie die Trennung von Leinen und Wolle (sha’atnez) oder das Verbot, den Bart abzunehmen, deutlich hinausgehen. Weitere Kleidungsvorschriften wurden von den überregionalen jüdischen Räten in Polen und Litauen, regionalen Räten, wie dem von Mähren, und einzelnen Gemeinden von Posen bis Metz und von Hamburg bis Frankfurt am Main und Fürth erlassen.
Die hier ausgewählten Paragraphen mit Kleidungsvorschriften der Gemeinde Altona sind nicht als getrennte Kleiderordnung formuliert, aber bilden einen zusammenstehenden Block innerhalb der Gemeindestatuten von 1685, wobei einzelne Paragraphen, die bestimmte Kleidung vorschreiben oder verbieten, auch an anderen Stellen in den takkanot zu finden sind.
Dabei betreffen die einzelnen Verbote verschiedene Differenzebenen: Einerseits waren bestimmte Stoffe und Materialien, aber auch bestimmte Kleidungsstücke und Schnitte, wie die schwedischen Röcke oder Taberten (eine Art Rundmantel), verboten. Dazu heißt es im Paragraphen [178]: „Frauen dürfen keinesfalls farbige Seidenkleider tragen, sondern nur schwarze. […] Zobel, Marder oder Luchs dürfen nicht am Leib getragen werden, noch viel weniger untere Röcke damit gefüttert werden. Schwedische Röcke sind überhaupt verboten.“ Hier ging es vor allem um die Vermeidung von – in den Augen der jüdischen Obrigkeit – unnötigem Luxus, der die Wahrnehmung der Juden und Jüdinnen durch die christliche Umgebung beeinflussen und sogar Neid hervorrufen konnte, aber auch um die finanzielle Situation der Gemeinde selbst, die insbesondere für die Armenfürsorge auf Steuern und Spenden ihrer Gemeindemitglieder angewiesen war. So war Samtstoff für jüdische Männer verboten, Spitzen waren nur in beschränktem Umfang erlaubt, der genau festgelegt wurde (§ [176]). An den meisten Kleidern war auch das Verweben von Gold- und Silberfäden verboten. Knöpfe bildeten hier für jüdische Männer eine Ausnahme. Für Frauen waren vielerlei Stickereien und Borden aus Gold- und Silberfäden untersagt. Dass es nicht nur um die finanzielle Seite solcher Waren ging, zeigt die Regelung, dass nicht nur Schmuck mit echten Perlen und Edelsteinen, sondern auch mit den entsprechenden Imitaten verboten war (§ [178]). Hier ging es vor allem darum, nicht den Anschein von Reichtum zu erwecken. Echte Perlen und Edelsteine, auch das muss betont waren, blieben ohnehin für den größten Teil der Gemeindemitglieder unerschwinglich.
Die Regelungen verweisen ebenfalls auf soziale und geschlechterspezifische Unterschiede innerhalb der Gemeinde. Für Stoffe und Spitzen finden sich unterschiedliche Regelungen für Männer und Frauen. Außerdem unterscheiden die Statuten zwischen Verheirateten und Unverheirateten, in der Quelle meist als junge Leute bezeichnet. Zwar wird postuliert, dass ihnen das Tragen bestimmter Kleidung gleichermaßen verboten ist, jedoch mit einigen Ausnahmen. So durften unverheiratete Männer Halstücher mit Spitze tragen, jungen Mädchen waren weite Ärmel mit Spitze erlaubt (§ [177]). Auch Taberten und schwedische Röcke durften unverheiratete Frauen tragen, allerdings nicht aus farbiger Seide. Innerhalb der Gemeinde fehlt hier, in den relativ kurzen Paragraphen zur Kleidung, eine Differenzierung, die sich jedoch in ausführlicheren Kleiderordnungen wie in Krakau (1595) oder Metz (Ende des 17. Jahrhunderts) findet. In diesen Gemeinden wurde die Steuerleistung der Gemeindemitglieder zugrunde gelegt, um zum Beispiel die Breite oder den Preis der erlaubten Spitzen zu differenzieren. Die wichtigste soziale Trennlinie wurde zwischen Gemeindemitgliedern und Dienstboten gezogen, so dass Dienstmädchen gar keinen Tabert tragen durften. Auch zu Dienstmägden und -boten finden sich in anderen Kleiderordnungen deutlich umfangreichere Bestimmungen.
In vielen Kleiderordnungen spielte auch die Unterscheidung von profaner und heiliger Zeit oder von „jüdischen“ Orten, wie Synagogen oder „jüdischen Gassen“, von nichtjüdischen Orten eine zentrale Rolle. In Altona tauchte eine solche Regelung nur hinsichtlich des Kontakts mit Nichtjuden auf, wenn verboten wurde, sich am Schabbat und an Feiertagen von Nichtjuden frisieren zu lassen (§ [179]). Dieser Hinweis zeigt zugleich, dass jüdische Frauen offenbar regelmäßig nichtjüdische Friseure aufsuchten, um sich die Haare machen zu lassen. Wenigstens am Schabbat sollte das unterbleiben.
Schlussendlich insistierten die takkanot, dass diese Regelungen auch für Mitglieder anderer jüdischer Gemeinden galten, und versuchten damit eine klare Deutungshoheit über den eigenen städtischen Raum zu erlangen (§ [181]). Interessant ist jedoch die gleich zu Anfang gemachte Ausnahme, die festlegte, dass neu aufzunehmende Gemeindemitglieder von den Kleiderregelungen befreit werden konnten (§ [176]). Es lässt sich vermuten, dass hierfür die Zahlung einer größeren Summe in die Gemeindekasse oder die Aussicht auf (relativ hohe) Steuereinnahmen ausschlaggebend war.
Die Feststellung, dass die Statutenkommission unmöglich vor allen neuen Moden warnen könne, die die Gemeindemitglieder – genannt sind hier ausdrücklich verheiratete und unverheiratete Männer und Frauen – einführten (§ [180]), deutet darauf hin, dass in einer Großstadt wie Altona und Hamburg die allgemeine Mode auch in der jüdischen Gemeinde wahrgenommen wurde und Anklang fand.
Normative Quellen wie die Gemeindestatuten und Kleiderordnungen geben erst einmal vor allem ein Idealbild vor, die Wiederholung solcher Ordnungen, die im Fall der jüdischen Gemeinden häufig in der Synagoge verlesen wurden, deutet auch auf ihre Nichteinhaltung hin. Trotzdem sollten wir sie nicht für bedeutungslos halten, oft waren sich die Gemeindemitglieder der Verbote durchaus bewusst und versuchten sie aber häufig zu umgehen, zum Beispiel um ihr soziales Kapital zu erhöhen. Leider wissen wir kaum – weder in Altona noch in anderen Fällen – wie streng die Regelungen tatsächlich durchgesetzt wurden, ob es regelmäßige Denunziationen gab und welche Strafen gegebenenfalls verhängt wurden. Die Statutenkommission drohte zwar mit der Verhängung von (nicht näher definierten) Geldstrafen bei Nichtbeachtung der Ordnung und generell dem Tragen neuer Moden, doch entsprechende Konsequenzen sind nicht überliefert. Mit der Zeit, so lässt sich vermuten, erhielten Geldstrafen für das Tragen bestimmter Kleidung und Accessoires auch die Funktion einer Luxussteuer, zumindest dann, wenn keine anderen Strafen, wie der Bann, angedroht wurden. Nachweisen lässt sich das nicht.
Die Gemeinden in Altona, Hamburg und Wandsbek erließen noch eine ganze Reihe an Kleiderparagraphen oder fügten neue Details hinzu, so zum Beispiel 1715 und 1726. In den folgenden Jahrzehnten verschwanden sie jedoch – die Vielzahl neuer Moden, Stoffe und Verzierungen ließ sich kaum noch regulieren, und immer mehr Juden und Jüdinnen trugen in ihrem Alltag Kleidung, die sie kaum von der christlichen Einwohnerschaft Altonas, Hamburgs und Wandsbeks unterschied. Statuten für die Gemeinden Wandsbek und Hamburg regelten 1801/02 ein weites Feld von Fragen wie die Synagogenordnung, Gemeindewahlen, Steuern, Armenwesen und auch das Geschäftsgebaren junger jüdischer Kaufleute. Nicht ein einziger Paragraph jedoch bezog sich auf die Kleidung oder das öffentliche Erscheinungsbild der Gemeindemitglieder.
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Cornelia Aust ist Referentin der Geschäftsführung am Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Sie ist Historikerin für die jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts in Mittel- und Ostmitteleuropa. Ihre Arbeitsfelder liegen im Bereich der jüdischen Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. 2018 erschien ihr Buch The Jewish Economic Elite: Making Modern Europe.
Aust, Cornelia, Zwischen jüdischer Identität und Zugehörigkeit: Auszug aus den Statuten der jüdischen Gemeinde Altona, Hamburg, Wandsbek (Kleidervorschriften), in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 19.12.2023. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-293.de.v1> [07.12.2024].