Über das Leben von Jitte Glückstadt wissen wir nur sehr wenig. Aus ihrem Testament können wir sehen, dass sie unverheiratet war. Sie hatte mindestens zwei Schwestern, von denen eine verheiratet war und eine Tochter hatte. Ihre andere Schwester Keile Glückstadt war, wie wir den Angaben aus dem Testament entnehmen können, anscheinend sehr krank, denn sie war im jüdischen Spital untergebracht gewesen. Einen Hinweis darauf, dass Jitte keine arme Frau gewesen ist, geben die seidenen Kleider, die sie ihrer Nichte vermachte. Weniger wohlhabendere Frauen hätten Kleider aus Baumwolle getragen, arme Frauen Kleider aus Leinen oder Wolle.
Ihr Testament machte Jitte Glückstadt im Krankenbett. Daran können wir sehen, dass im 18. Jahrhundert ein Testament nicht ohne konkreten Anlass ausgestellt wurde, sondern erst sobald jemand mit seinem Tod rechnete. Zugleich dienten die beiden Männer, denen sie ihren letzten Willen diktierte, als Zeugen, dass Jitte Glückstadt bei klarem Verstand angetroffen worden war. Dies war wichtig, damit später niemand das Testament anfechten konnte. Die ersten und damit wichtigsten Regelungen, die Jitte in ihrem Testament vornahm, dienten der Sorge um ihr Seelenheil. Für Menschen im 18. Jahrhundert war es wichtig, „richtig“ – also vorbereitet – zu sterben. Die Sorge um das Seelenheil war damals eine von allen Schichten und Religionen geteilte Sorge. Lediglich die Art und Weise, wie Sterbende sich vorbereiteten und welche Maßnahmen für die Zeit nach ihrem Tod sie festlegten, variierte je nach Religionszugehörigkeit. Für Juden spezifisch war das gemeinschaftliche Lernen für die Seele einer oder eines Verstorbenen, wodurch der Übergang in die jenseitige Welt erleichtert werden sollte. Lernen, also das gemeinsame Studium des Talmuds, ist im Judentum eine religiöse Praxis. Anlässlich eines Todesfalls widmen sich die Lernenden bestimmten, dem Anlass entsprechenden Textstellen.
Jitte Glückstadt bereitete sich auf ihren Tod vor und ordnete ihre Angelegenheiten, um beruhigt diese Welt verlassen zu können. In ihrem Testament legte sie fest, wer die erforderlichen Gebete für ihre Seele verrichten sollte. Einen Teil dieser Gebete übernahmen dabei Waisen, die dafür bezahlt wurden. Dieses Geld ging an die Waisenkasse und half so, die Kosten der Waisenversorgung zu tragen. Auch die Beerdigung und die Begleitung ihrer Leiche durch zwei Frauen in einer Kutsche legte sie fest. Ebenso reservierte sie eine nicht genau festgelegte Summe Geld für die Herstellung eines Grabsteines. Ihre Sorge galt aber nicht nur ihrer eigenen Seele, sondern sie legte auch eine bestimmte Summe fest, die das Verrichten des Totengebets am Todestag ihrer Mutter weiterhin sichern sollte.
Die Regelungen über die weitere Verteilung ihres Besitzes werden erst an zweiter Stelle formuliert. Sie beziehen sich sowohl auf den verbliebenen Rest an Geld wie auch auf das Hab und Gut von Jitte Glückstadt. Auffällig ist, wie wenig Jitte besessen hat. Neben den oben erwähnten Seidenkleidern, werden noch Hemden (also Unterkleider) genannt. Darüber hinaus sollte eine ihrer Schwestern Pæschen Glückstadt einen Leuchter aus Messing sowie sechs Teller aus Zinn erhalten.
Besondere Sorge bereitete Jitte Glückstadt der Unterhalt für ihre kranke Schwester Keile, die im Altonaer jüdischen Spital untergebracht gewesen war. Da Keile nicht verheiratet war und ihre Eltern nicht mehr lebten, mussten ihre Geschwister für sie sorgen. Ob Jitte diese Verpflichtung aus besonderer Nähe zu ihrer Schwester auf sich nahm, oder weil kein anderer dazu bereit war, lässt sich nicht sagen. Spitäler waren eine Mischung aus Kranken- und Armenhäusern. Wer konnte, arbeitete und half so, einen Teil der Unterbringungskosten selbst zu tragen. Verwaltet wurde das Spital, in dem Jittes Schwester untergebracht war, von einer Bruderschaft. Die Mitgliedschaft in einer solchen Bruderschaft war eine besondere Ehre und wurde mit gesellschaftlicher Anerkennung entlohnt.
Als Testamentsvollstrecker setzte Jitte Glückstadt den Krankenkassierer Rabbi Lipmann Ladomir ein, der für die Eintreibung und Verwaltung der Gelder des Spitals zuständig war. Dadurch wollte sie wohl sicherstellen, dass das Spital genau über ihr Vermögen unterrichtet war und keine falschen Vorstellungen entstehen konnten. Es waren bereits Schulden für die Versorgung von Keile aufgelaufen und Jittes Nachlass reichte allem Anschein nicht aus, um sowohl die Schulden wie auch die in Zukunft noch anfallenden Pflegekosten zu decken.
Wie heutzutage auch, existierte ein gesellschaftlicher Konsens, wie viel Geld einem Mensch für die Deckung seiner eigenen (Grund-) Bedürfnisse zur Verfügung stehen sollte, man spricht in diesem Zusammenhang vom Existenzminimum. Dabei wurde auch festgelegt, welche Art von Begräbnis jemandem zustand. Auffällig ist, dass im 18. Jahrhundert die nicht unbeträchtlichen Ausgaben für Totenwache, Totengebete, Beerdigung und Grabstein als unantastbar galten. Die Sorge um das Seelenheil galt als so wichtig, dass die Ausgaben auch dann nicht gestrichen werden durften, wenn die Versorgung eines kranken Familienmitglieds dadurch nicht mehr geleistet werden konnte. Gläubiger akzeptierten in der Regel, dass diese Ausgaben vor Begleichung der Schulden vom Nachlass abgezogen wurden.
Woher nahm das Spital dann das Geld, das für den Unterhalt und bei ärmeren Verstorbenen auch für die Beerdigung anfiel? Zum einen zahlten die Mitglieder der Bruderschaft, die für das Spital zuständig war, einen Mitgliedsbeitrag. Darüber hinaus war die Bruderschaft darauf angewiesen, dass Familien für erbrachte Leistungen reichlich Geld gaben beziehungsweise ohne speziellen Anlass Geld spendeten. Die Schwachstelle eines solchen Krankenpflegesystems liegt auf der Hand: Wer nicht zahlen konnte, der wurde auch nicht im Spital aufgenommen. Wessen Familienangehörige nicht mehr zahlen konnten oder wollten, war auf den guten Willen der Bruderschaft angewiesen.
Grundlage für die Tätigkeit der Bruderschaften, die sich um Kranke und Sterbende kümmerten, war der Glaube an ein Weiterleben der Seele nach dem Tod. Die Sorge um das richtige Sterben, den leichten Übergang der Seele aus dem Körper und eine würdige Behandlung des toten Körpers war das eigentliche Anliegen. Darin unterscheidet sich die frühe Neuzeit, also ungefähr die Zeit zwischen 1500 und 1800, von der Moderne. Fürsorge war in erster Linie die Erfüllung religiöser Pflichten. Diese Pflichten umfassten selbstverständlich auch die Sorge für Arme und Kranke. Die Grenze für solche Fürsorgeleistungen bildete das finanzielle Leistungsvermögen des Einzelnen.
Für wen fühlte Jitte Glückstadt sich verantwortlich? In erster Linie für ihre weiblichen Verwandten, denen sie ihre wertvollsten Besitztümer überließ. An zweiter Stelle ihrer kranken Schwester Keile Glückstadt, für deren Unterhalt sie die Verantwortung übernommen hatte. Erst an dritter Stelle kamen Personen, die nicht mit ihr verwandt waren. Neben den Männern, die für sie beziehungsweise ihre Mutter beten sollten, sind hier besonders die Waisen erwähnenswert. Diese elternlosen Kinder waren in der unglücklichen Situation, dass ihre engsten Verwandten gestorben waren, sie hatten daher niemanden, der sich für ihr Schicksal verantwortlich fühlte. Deshalb bestand eine besondere Verantwortung aller, sich der Waisen anzunehmen und damit einen Ausgleich für die nicht vorhandene Familie zu schaffen.
Damit spiegelt Jitte Glückstadts Testament die wesentlichen Elemente frühneuzeitlicher Fürsorge wider: Sie war religiös motiviert und richtete sich zuallererst an die nächsten Familienangehörigen. Sie schuf einen Ausgleich für diejenigen, die keine Familie besaßen.
Jitte Glückstadts Testament enthält viele für die frühe Neuzeit typische Elemente, die sich ebenso in christlichen Testamenten finden würden: Das Testament wurde im Moment des nahenden Todes verfasst und regelte zuallererst die religiösen Notwendigkeiten von Sterbenden. Dennoch finden sich auch jüdische Spezifika, die Halacha war selbstverständliche Grundlage des Handelns. So etwa waren Lernen und Beten die wesentlichen religiösen Praktiken, die der Seele einen möglichst leichten Übergang in die jenseitige Welt ermöglichen sollten.
Dokumente, die über Jüdinnen Auskunft geben können, sind deutlich seltener als solche, die über Männer sprechen. Das trifft auch auf Testamente zu, die in ihrer Mehrzahl von Männern veranlasst wurden. Umso wichtiger sind Zeugnisse von und über jüdische Frauen, denn sie erlauben, einen Einblick in vergangene weibliche Lebenswelten zu gewinnen.
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Monika Preuß, Dr. phil., ist Mitarbeiterin im „Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland“ in Heidelberg. Sie hat mehrere Arbeiten zur jüdischen Geschichte im frühneuzeitlichen Europa veröffentlicht.
Monika Preuß, Jitte Glückstadts Testament. Seelenheil und Fürsorge in der frühen Neuzeit, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 22.09.2016. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-50.de.v1> [21.11.2024].