In der gesamten
Bundesrepublik
wurden Synagogen als Bauaufgaben zunehmend ab Mitte der
1950er-Jahre wieder relevant.
Die Gemeinden hatten ab Mitte 1945 provisorisch
eingerichtete Beträume genutzt. Dies bedeutete nicht nur geringe Kapazitäten
an Sitzplätzen an hohen Feiertagen, sondern behinderte oftmals auch die
Herausbildung einer gemeindlichen und religiösen Infrastruktur, die den
Bedürfnissen der jungen Gemeinden und ihrer Mitglieder hätte entsprechen
können. Zudem zeigte sich, dass Juden und Jüdinnen trotz ihres ursprünglichen
Wunsches,
Deutschland zu
verlassen, aus unterschiedlichen Gründen begonnen hatten, sich ein Leben in
Deutschland
aufzubauen. Damit etablierten sich die in vielen Städten gegründeten kleinen
Gemeinden, die nun ein Interesse an eigenen, ihren Nutzungsansprüchen
entsprechenden Bauten hatten. Auf ihre ab der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts errichteten
Vorgängerbauten hatten sie nach 1945 in den
allermeisten Fällen nicht mehr zurückgreifen können. Die Synagogen waren
zerstört oder, sofern sie noch erhalten waren, dauerhaft umgenutzt worden.
Der erste Neubau einer Synagoge entstand
1951/52 in
Stuttgart nach
Plänen von Ernst
Guggenheimer und wurde auf den Fundamenten des
1938
zerstörten Vorgängerbaus errichtet. Eine derartige Beziehung zur eigenen
Geschichte blieb in der jungen
Bundesrepublik
eine Ausnahme. In der Regel verhinderten städtische Behörden und jahrelange
Auseinandersetzungen um Entschädigungen und Rückerstattungen, dass die
Gemeinden auf ihre vormals zentral gelegenen Grundstücke zugreifen konnten.
Auch in Hamburg
wurde der Neubau ohne räumliche Beziehung zur Geschichte der
Gemeinde vor
1933 errichtet. Vielerorts entstanden die neuen
Komplexe abseits der städtischen Zentren und blieben damit den Blicken der
Öffentlichkeit entzogen. Sie mussten zudem Raum für alle Bedürfnisse des
Gemeindelebens bieten. Jüdische Institutionen siedelten sich nicht mehr an
unterschiedlichen Orten im städtischen Raum an, wie dies vor
1933 der Fall gewesen war, sondern nutzten die neu
entstandenen Zentren für all ihre Aufgaben. Ausnahmen bildeten lediglich einige
jüdische Altenheime und Friedhofsbauten.
In einigen Fällen, so zum Beispiel in
Düsseldorf,
Hannover und
Osnabrück
wurden an die Synagogenkomplexe zudem Wohnungen angesiedelt. Diese sollten den
Gemeindemitgliedern in einer Zeit zur Verfügung gestellt werden, in der
Wohnraum infolge der Bombardierungen deutscher Städte während des
Zweiten Weltkriegs nach
wie vor knapp bemessen oder ausgesprochen schlecht war. Juden und Jüdinnen
waren zudem bei der Vergabe oft benachteiligt oder wollten nicht inmitten von
deutschen Nichtjuden leben. Schließlich wollten die Gemeinden so sicherstellen,
genügend Männer für einen
Minjan zu haben.
In den 1950er-Jahren
entstanden acht und in den
1960er-Jahren zehn
Synagogenneubauten in der
Bundesrepublik.
Der Schwerpunkt lag dabei auf den späten
1950er- und den frühen
1960er-Jahren. Für die
1970er-Jahre sind schließlich
noch zwei Neubauten feststellbar. Der 1960 eingeweihte
Neubau in
Hamburg fällt
somit in eine Hochphase des Nachkriegssynagogenbaus. Die Mehrzahl der Gebäude
wurde von nichtjüdischen Architekten geplant. Häufig
widmeten sie sich einmalig einer solchen Bauaufgabe. Neben
Hermann Zvi Guttmann,
der sechs Synagogen errichtete, gehörten zu den herausragenden
Synagogenarchitekten
Helmut Goldschmidt
(vier Neubauten) und Karl Gerle. Letzterer war
wiederum nichtjüdisch und plante insgesamt vier Gebäude in
Norddeutschland.
Nichtöffentliche Wettbewerbe für Synagogenbauten auszuschreiben, geschah
mehrfach. So war Hermann Zvi
Guttmann eingeladen, Beiträge für eine geplante Synagoge mit
Gemeindezentrum in
Essen
(Wettbewerb vermutlich 1955 oder
1956, eingeweiht 1959) und
für das angedachte Gemeindezentrum in der
Fasanenstraße in
Berlin
(Wettbewerb 1957) einzureichen, konnte sich in beiden
Fällen aber nicht durchsetzen. Beide Aufträge wurden an das nichtjüdische
Architekturbüro von Dieter
Knoblauch und Heinz
Heise vergeben. In
Hamburg hatten
sich am 8. Juli 1945 zwölf Überlebende
getroffen und „einen vorläufigen Arbeitsausschuss und eine
Kultuskommission“ Ina
Lorenz,
Jüdische
Gemeinde (1945–1989), in: Institut für die Geschichte der deutschen
Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk,
Göttingen 2006, S. 135–138, hier S. 135. gebildet. Rund
80 Überlebende hatten zu dieser Zeit Interesse, wieder eine Gemeinde zu
gründen. Sie wollten damit vor allem eine organisatorische,
religionsgesetzliche und materielle Unterstützung gewährleisten. Am
18. September 1945 konstituierten sie sich als
Einheitsgemeinde mit einem gemäßigt orthodoxen Ritus aus 72 Personen. Im
März 1947 hatte die
Gemeinde bereits 1.268,
1952 1.044 und 1960 dann 1.369
Mitglieder, von denen etwa die Hälfte älter als 56 Jahre alt war. In den
nächsten drei Jahrzehnten blieben die Mitgliederzahlen stabil zwischen 1.350
und 1.400. Die Gemeinde
gehörte damit nach
Berlin,
München und
Frankfurt zu den
größten Gemeinden in der
Bundesrepublik.
Zwischen 1945 und der Einweihung des Synagogenneubaus
1960 nutzte sie erhaltene Beträume im ehemaligen
Oppenheimer Stift an der
Kielortallee sowie im
Altenheim in der
Sedanstraße.
Bei den Synagogenbauten, die errichtet wurden, handelt es sich in der
überwiegenden Zahl um schlichte und zurückgenommene Bauten, die zudem oft nur
durch einige ausgesuchte Zeichen wie Davidsterne oder hebräische Inschriften
auf ihre Funktion hinwiesen. Die Synagogen hoben sich dabei durch ihre äußere
Form und die Gestaltung der Fassaden von den Gemeindezentren ab, die in der
Formsprache von Bürobauten der Nachkriegsmoderne errichtet wurden. Dabei gehen
die Gestaltungen nicht allein auf die Wünsche der Gemeinden zurück; vielmehr
lassen sich zahlreiche Hinweise finden, dass städtische Behörden hier intern
massiven Einfluss auf Erscheinungsbild und Architektursprache nahmen.
Aufsehenerregende Lösungen, wie sie den Synagogenbau nach
1990 in
Deutschland
prägen, sucht man für
diese
Jahrzehnte vergebens. Der Plan von
Hermann Zvi Guttmann
für die Synagoge in
Hamburg verweist
darauf – ebenso wie sein Beitrag für die Synagoge in
Essen –, woran
ihm für den Synagogenbau der
Nachkriegszeit gelegen
war: Ein derart leichtes und filigran wirkendes Gebäude zu entwickeln, wie es
in dem Plan zu sehen ist, entsprach den allgemeinen Prinzipien einer
architekturmodernen Sprache dieser Jahre, war aber bisher nicht für Synagogen
angewendet worden.
Guttmann stand zu
diesem Zeitpunkt am Anfang seiner Karriere, erst fünf Jahre zuvor hatte er sein
Architekturstudium in
München beenden
können. 1956 eröffnete die erste von ihm entworfene
Synagoge in
Offenbach,
parallel war er bereits in die Planungen für einen Synagogenneubau in
Düsseldorf
involviert. In beiden Fälle war er direkt beauftragt worden. Er machte mit
diesen Neubauten nicht nur seine ersten Erfahrungen mit großen Projekten,
sondern besonders in
Düsseldorf auch
mit den Begrenzungen, die den Bauherren von Seiten der
deutschen Behörden und Politik auferlegt wurden. Ein Wettbewerb wie in
Hamburg war so
für ihn die Möglichkeit, eigenständigere Lösungen zu entwickeln und als
Vorschläge einzureichen – die Bauaufgabe freier zu denken, als es unter
Umständen in direkten Verhandlungen mit Auftraggebern möglich war. Zudem
dürfte er seine Teilnahme auch mit der Hoffnung verbunden haben, der Jury neue
architektonische Ansätze zu vermitteln.
Mit Guttmanns
Beiträgen sollte innerhalb der Architekturmoderne ein eigener,
unverwechselbarer Beitrag geleistet werden und zwar sowohl hinsichtlich seiner
Formsprache als auch für den Synagogenbau selbst. Dass
Guttmann diese
Wettbewerbsbeiträge zu Beginn seines Wirkens entwarf, verweist auch darauf,
welche Perspektiven er in seiner Laufbahn und in seiner Architektursprache
entwickeln wollte und womit er Erfolg zu haben hoffte.
Guttmann wollte den
Synagogenbau nach 1945 in der äußeren Form neu und
mit Blick auf die Architekturmoderne entwickeln. Und er sah die Neubauten dabei
offensichtlich als selbstbewusste, auffällige Baukörper im wiederaufgebauten
städtischen Raum; eine Position, die er auch den jungen Gemeinden zugestehen
wollte. Betrachtet man im Vergleich die realisierten Synagogen innerhalb dieser
Epoche, gibt es kein
Gebäude, das eine derartige Radikalität, Eigenständigkeit und
Unverwechselbarkeit erkennen lässt. Der Plan als Quelle verweist nicht nur auf
die Vorgeschichte des Entstehungskontexts des Gebäudes selbst und die
gestalterische Form und Aussage, die
Guttmann in ihm
anlegte. Er ist auch eines der wenigen Zeichen für die unterschiedlichen
Standpunkte und Architekturauffassungen, die in der Auseinandersetzung um die
Aufgabe Synagogenbau in der Nachkriegsmoderne hervortraten. Durchsetzen konnte
sich Guttmann mit
seinen Vorstellungen nicht. Gewonnen haben den Wettbewerb die
Architekten Franz May und
Karl Heinz Wrongel mit einem unauffälligen und
konventionellen Gebäude, der ihr einziger Synagogenbau blieb.
Er wurde 1960
eingeweiht und ist heute im originalen Zustand erhalten. Bei dem
schlichten und geschlossen wirkenden Komplex erhebt sich die Synagoge als
Zentralbau über einem fünfeckigen Grundriss. Die abweisend wirkenden Fassaden
sind das Gegenteil dessen, was
Guttmann in seinem
Wettbewerbsbeitrag andachte. Hier hätte die großflächige Fensterfläche der
Synagoge nicht nur Offenheit suggeriert, sondern auch den Bau als zeitgemäß
innerhalb der Architekturepoche markiert. Andere Wettbewerbsbeiträge für den
Neubau in
Hamburg konnten
bisher nicht recherchiert werden, ebenso wenig wie Quellen, die den
Entscheidungsprozess der Jury wiedergeben.
Hermann Zvi Guttmann
war einer von insgesamt nur drei jüdischen Architekten,
die nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges in
Westdeutschland
erfolgreich tätig werden konnten. Grundsätzlich wurde das Baugeschehen des
Wiederaufbaus in den Städten von den Architekten
dominiert, die auch in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Karrieren mehr oder
weniger prominent fortsetzten. Anders als
Ernst Guggenheimer
(Stuttgart) und
Helmut Goldschmidt
(Köln) konnte
Guttmann sein Studium
erst Anfang der 1950er-Jahre
in München
beenden. Die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik hatte
er in der
Sowjetunion
überleben können. Anschließend wartete er mehrere Jahre in einem Camp für
Displaced Persons (DPs) im
bayrischen
Pocking auf
seine Ausreise nach
Palästina /
Israel. So
konnte er zu Beginn seines Wirkens auch nicht auf ein (potentielles) Netzwerk
von (nichtjüdischen) Auftraggebern zurückgreifen. Er blieb Zeit seines Lebens
ausschließlich für jüdische Bauherren tätig. Für sie
errichtete er Synagogen und Gemeindehäuser in
Offenbach
(1956 Diese und die
folgenden Zahlen geben jeweils das Jahr der Eröffnung an und treffen somit
keine Aussage zu den weitaus längeren Entstehungs- und Bauzeiten.),
Düsseldorf
(1958),
Hannover
(1963),
Osnabrück
(1969),
Würzburg
(1970) und
Frankfurt am
Main (1977), das Jüdische Mahnmal auf dem
Gelände der KZ-Gedenkstätte
Dachau (1967), Trauerhallen für die
Jüdischen Friedhöfe in
Hannover
(1960) und
Augsburg
(1961), sowie
Mikwaot, Altenheime und
Jugendzentren.
Daneben entwarf er für private Auftraggeber Wohn- und Geschäftshäuser vor
allem in der Region
Frankfurt am
Main, aber auch in
Berlin. In
Hamburg wurde er
zweifach für die
Gemeinde tätig: Er
plante und baute zwischen 1956 und
1958 das Jüdische Altenheim in der
Schäferkampsallee
27 und beaufsichtigte den Einbau einer
Mikwe im
neuen
Gemeindezentrum.
Dieser Text unterliegt den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Unter Namensnennung gemäß der Zitationsempfehlung darf er in unveränderter Form für nicht-kommerzielle Zwecke nachgenutzt werden.
Alexandra Klei studierte Architektur und promovierte am Lehrstuhl Theorie der Architektur an der BTU Cottbus über das Verhältnis von Architektur und Gedächtnis am Beispiel der KZ Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und arbeitet in einem DFG-Forschungsprojekt zum 'Jüdischen Bauen' nach 1945. Zudem forscht sie zur Re-Konstruktion der White City Tel Aviv, zu Erinnerungsorten, den Architekturen der Nachkriegsmoderne sowie zu (Post-)Holocaust Landscapes. Für ihre Publikation Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi Guttmann (Berlin: Neofelis Verlag 2017) erhielt sie im Dezember 2016 den Rosl und Paul Arnsberg-Preis. Alexandra Klei gehört der Fachredaktion Theorie und Geschichte des Antisemitismus/der Shoah bei Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung an und ist zudem Kuratorin und Redakteurin für den werkraum bild und sinn e.V.
Alexandra Klei, Hermann Zvi Guttmann und sein Entwurf für den Neubau der Synagoge Hohe Weide, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 30.01.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-231.de.v1> [05.10.2024].