Verehrter Herr Landesrabbiner, Exzellenz, meine Damen und
Herren, mit dem heutigen Tage beginnt sich die schmerzlichste aller Wunden zu
schließen, die uns hier in Hamburg in den Jahren des Schreckens und der Finsternis, mit der
Zerstörung der Gotteshäuser geschlagen worden sind. Ich sage „die schmerzlichste
aller Wunden“, denn mit der Verbrennung der Synagogen, der Demolierung und
Schließung der jüdischen Betsäle in Hamburg und Altona hatte sich viel
Schlimmeres vollzogen als die Zerstörung und Beschädigung von Kirchen während des
von Hitler entfalteten
totalen Krieges. Hier stand im
tiefsten Frieden die Hölle auf gegen Gott und die Menschen, wurden die Dämonen und
Furien entfesselt. Was hier geschehen ist und was uns heute noch mit Trauer und
Empörung erfüllt, war die Lästerung Gottes, dem alle Menschenkinder das Licht dieser
Welt verdanken. Die Erinnerung an diese schreckliche Zeit kann nicht eindrucksvoller
heraufbeschworen werden, als mit den Worten Leo Baecks, des
Oberrabbiners aus Berlin, der zur 15.
Wiederkehr der Novemberpogrome
Folgendes schrieb: „Wie oft sind die Bilder jener Nacht, in der der große Frevel
geschah, dass die jüdischen Gotteshäuser zerstört wurden, wieder, ob wir es wollten
oder nicht, vor uns hingetreten? Wieder meinten wir, auch wenn wir die Ohren
abwandten, die Stimmen zu hören, die in jener Nacht uns zugerufen hatten: ‚Die
Synagogen brennen!‘“ Was ist es, was damals vernichtet worden ist? Nicht nur die
jüdischen Gotteshäuser wurden zerschlagen, sondern mit ihnen brachen Pfeiler und
Stützen eines menschlichen Bundes, auf den man vertraut hatte. Eines, so hatte man
gedacht, binde doch alle immer wieder zusammen: Eine Ehrfurcht vor der Stätte, zu
der Menschen kommen, damit sie aus der Enge und der Not des Tages sich zu dem Ewigen
erheben. Dorthin, wo das Unsichtbare an sie herantritt und die unendliche Stille
sich an sie wendet. Damals, in jener Nacht als man [verlorenes Material] unverständlich es wissen wollte oder nicht,
ist auch an die Kirchen im Lande die Hand angelegt worden. An sie auch, denn die
Synagoge ist geschichtlich und geistig die Mutter aller Kirchen. Eine und dieselbe
Gewissheit will hier und dort sich offenbaren, mögen auch Weise und Weg verschieden
sein, jüdische, christliche Gotteshäuser haben am letzten Ende ein unteilbares
Schicksal. Und was dem Einen angetan wird, ist zugleich dem Anderen zugefügt. So
mancher Tag danach hat in Deutschland dies deutlich gemacht, und nur der, der blind sein
wollte, hat es weder damals noch späterhin gesehen. Noch ein anderes ist damals
zerstört worden: Eine lebendige Geschichte, die auf dem deutschen Boden und aus deutschen Boden
aufgewachsen war und die eine Verheißung fruchtbarer Zukunft in sich trug, sie ist
damals zerschlagen. Es ist für den Senat unserer ehrwürdigen alten Hansestadt und für unser
Landesparlament, wie für
alle Bürger unserer Stadt die guten Willens sind, eine Ehrenpflicht an der Vollendung
des guten Werkes, das mit dieser Grundsteinlegung begonnen werden soll, mitzuwirken.
Damit suchen wir die Ehrfurcht vor dem Sakralen wiederherzustellen. Und wir sind
glücklich, dass sich Regierung und Landesparlament an der Schaffung auch der notwendigen materiellen
Fundamente zum Bau dieses neuen Gotteshauses beteiligen können. Wir können in dieser
Stunde nicht umhin, unsere Gedanken um zwanzig Jahre zurück schweifen zu lassen, bis
zurück in jene Jahre, in denen die jüdische Gemeinde in Hamburg und
Altona
insgesamt sechsundzwanzigtausend Seelen zählte. Es war, wie hier schon gesagt ist,
eine blühende Gemeinde und die Mitglieder dieser Gemeinde waren angesehene und gute
Bürger unserer Stadt. Sie gehörten allen Berufen an. Hervorragende Mitglieder ihrer
Gemeinde haben sich im Senat
und in unseren Behörden große Verdienste erworben. Ich nenne
Senator
Karel Cohn und Staatsrat
Lippmann. Bedeutende
jüdische Gelehrte waren eine Zierde unserer Universität: Der Philosoph [verlorenes Material] unverständlich
Ernst Cassirer, der
Kunsthistoriker Erwin
Panofsky, der Privatgelehrte Aby Warburg oder Albrecht Mendelssohn-Bartholdy,
aus der Familie des großen Musikers. Einer Familie, die sich wie so viele andere
ihrer Art durch mehrere Generationen dem Geistesleben unserer Stadt verbunden haben.
Männer wie Albert Ballin
und Max Warburg haben in
der Welt einen hervorragenden Ruf, der auch den Ruhm Hamburgs mehrte unter den
Kaufleuten, Reedern und Finanzfachleuten. Auch unter der Blüte unserer
Kaufmannschaft, gab es viele jüdische Namen. Ich darf und will aber jene vielen
anderen nicht vergessen, die einfache Bürger waren und hier in unserer Mitte ihr
Glück und ihr Heim besaßen. Einer der Männer, deren Namen mich besonders stark
anrührt, ist vorhin von unserem verehrten Herrn Landesrabbiner
genannt worden. Es ist der Name unseres früheren Altonaer
Oberrabbiners
Carlebach, mit dem ich
mich persönlich besonders verbunden gefühlt habe. Wir müssen heute die schmerzliche
Frage aufwerfen, was ist aus ihnen allen geworden. Ein jüdisches Ehrenmal draußen in
Ohlsdorf spricht
von siebentausend toten Gemeindeangehörigen, aber es starben noch viele andere, die
jüdischer Herkunft waren und ihre Herkunft nicht verleugnen wollten. Heute zählt die
jüdische Gemeinde
eintausenddreihundertneunzig Angehörige, von ihnen lebten vor 1933 vielleicht rund dreihundert in unserer Stadt. Diese tragische
Entwicklung ist für uns alle eine schmerzliche Mahnung an jene furchtbare Zeit, die
auch mich im Jahre 1933 aus der Heimatstadt vertrieben hat.
Jedes Mal, wenn ich während der Jahre meiner Emigration in anderen Ländern
Europas, in den
USA oder auch im
fernen Osten, Gerettete traf, wurde mein Herz leichter. Wir grüßen heute alle diese
Geretteten, die einmal zu uns gehörten. Und wir beugen uns in Ehrfurcht und Schmerz
vor den Erschlagenen. Als Sie, meine Damen und Herren von der jüdischen Gemeinde, nach 1945 an die schwere Aufgabe herangingen, ihre so tragisch
dezimierte Gemeinde wieder aufzubauen, fanden sie noch mehr Gräber Ihrer Freunde als
Trümmer vor. Jeder Fortschritt im Wiederaufbau Ihrer Institutionen bewegte uns und
fand auch im Hamburger
Rathaus starke Anteilnahme. Als Krönung aller Bemühungen um den
Wiederaufbau Ihrer Gemeinde,
um die sich besonders Herr Harry
Goldstein große Verdienste erwarb, folgt nun die Grundsteinlegung
Ihrer Synagoge, die das Herz Ihrer Gemeinde sein wird. Sie haben sich lange mit einem Provisorium
behelfen müssen, es war auch für uns schmerzlich, dass dieser Behelf unzureichend
war. Das hat nun ein Ende gefunden. Hamburg gibt sich selbst
einen Teil seiner Würde zurück, wenn es sich mit seinen jüdischen Mitbürgern und der
jüdischen Gemeinde
verbindet, um ein neues würdiges Gotteshaus zu schaffen. Möge darin der Friede für
die Unantastbarkeit Ihres Glaubens wohnen, mit dem wir uns alle brüderlich und
menschlich nahe fühlen. Niemand hat wohl ergreifender und schöner die Hoffnung auf
ein neues Beginnen ausgedrückt, als der von mir schon zitierte Leo Baeck, der im Zwangslager
von Theresienstadt für
seinen Glauben leiden musste. Er hat ausgesprochen, was uns auch in dieser Stunde bewegt, indem
er schrieb: „Das letzte, das entscheidende Wort ist das einer Hoffnung, welche
bleibt. Der echten, der wahren Hoffnung und der Jude darf sagen, der alten jüdischen
Hoffnung. Aus dem ewigen Gebot und aus dem ewigen ‚Du sollst’ des Wortes Gottes
spricht sie, diese Hoffnung, Gebot und Trost und Zuversicht in einem. Denn das ist
das, die bleibende Hoffnung in der Menschheitsgeschichte. Der Mensch, der einzelne,
wie das Volk, kann und soll neu beginnen zu jeder Zeit. Diese Kraft der Umkehr zu
Gott ist in jeden hineingelegt und vor jedem öffnet sich der Weg des Ewigen. Aus der
Zerstörung hervor spricht die Mahnung, die zugleich die Hoffnung ist: ‚Bahnet dem
Ewigen den Weg‘.“
[…] Verlesung der Urkunde
der jüdischen Gemeinde zur Grundsteinlegung der Synagoge […]
Indem wir den
Grundstein fügen zu dieser neuen Synagoge weihen wir diese Synagoge zur dauernden
Ehre und zum Gedächtnis der Toten. Den Lebenden zur Mahnung, den Kommenden eine
Stätte, die den Weg zu echter Menschlichkeit öffnet.
Ansprache Max Brauers anlässlich der Grundsteinlegung der Synagoge an der Hohen Weide, 9.11.1958, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-146.de.v1> [21.12.2024].