Dieser als Broschüre gedruckte offene Brief muss im Zusammenhang mit der kurz
zuvor erfolgten
bürgerlichen
Gleichstellung der Juden in
Hamburg gesehen werden.
Er dokumentiert ein damit verbundenes Problem, nämlich die Frage, ob es trotz
der
Emanzipation
weiterhin ein separates jüdisches Wohlfahrtswesen geben sollte. Die Verfasser
der Quelle waren alle Mitglieder des „Armen-Collegiums“ der
Deutsch-Israelitischen
Gemeinde. Dieses Gremium hatte die Oberaufsicht über die
gemeindlichen Wohltätigkeitsaktivitäten. Adressat war das Vorsteher-Collegium
der
Gemeinde. Die Verfasser positionierten sich damit in der Debatte um die
Zukunft der
Gemeinde und vor allem ihrer Unterstützungsinstrumente, als die
Verfassungsänderung von 1860 die Juden
Hamburgs rechtlich mit
Nichtjuden gleichstellte. Denn innerhalb des Gemeindevorstands herrschte
Uneinigkeit darüber, ob die Fortführung eines separaten jüdischen
Wohlfahrtswesens auch bei Abschaffung des Gemeindezwangs unbedingt nötig war.
Eine Minorität unter den Vorstehern plädierte dafür, dass
sich jüdische Bedürftige von nun an primär an die öffentliche Hand wenden
sollten. Die Majorität sah dies anders, und der offene Brief reflektiert diese
Meinung. Er verdeutlicht in besonders eindringlicher Weise, von welch
überragender Bedeutung die jüdische Wohltätigkeit für den sozialen Zusammenhalt
und die Identitätsbewahrung der Juden der
Hansestadt war.
Armen-Collegium der Deutsch-Israelitischen Gemeinde: „An ein verehrliches Vorsteher-Collegium der Deutsch-israelitischen Gemeinde“ (15.4.1863), Hamburg, S. 1-11, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte,
<https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-26.de.v1> [21.12.2024].