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Ich danke Ihnen auch für die freundlichen persönlichen Worte,
die Sie über
mein November „Times“ Interview mir schreiben, wenn ich
auch ganz gut weiß, dass ich
wegen dessen was ich ehrlich und offen
gesagt, nicht nur in England und Frankreich, sondern
noch mehr in
Deutschland
bitter angegriffen worden bin, während hier mir meine
Aussprache vielen
Beifall von allen Seiten gebracht hat, und sogar
Dernburg gleich
nachher zu mir kam, um mir zu sagen, wie sehr er
meine Position verstehe
und würdige und mit dem, was ich gesagt, fast
vollständig einverstanden
sei, wenn er dies auch nur in seiner privaten
Eigenschaft und nicht als
Vertreter Deutschlands tun könne.
Was meine Absicht war, und fernerhin sein muss, ist zu ver-
suchen, beiden
Seiten das Bewusstsein beizubringen in was ihre be-
treffende Position
falsch sei und wie notwendig es ist, dass die kriegs-
führenden Völker oder
Regierungen es einsehen lernen, dass ein Krieg
„à
outrance“ exzessiv das
schrecklichste Resultat wäre, das erzielt werden
könnte; dass in dieser
Weise ein dauernder Friede nie und nimmer ge-
schaffen werden kann, und dass
beide Seiten zurückgreifen müssen zu
den Konditionen, die vor dem Ausbruch
des Krieges existiert und den
Konflikt mit unwiderstehlicher Macht
herbeigeführt haben, um dann ge-
meinschaftlich den Versuch zu machen, ob
diese Ursachen durch gegen-
seitige Konzessionen nicht dauernd beseitigt
werden können.
Ich weiß ganz gut, dass derjenige, der versucht, da wo die
Leidenschaften
so furchtbar entfesselt sind, wie es jetzt in Europa
der Fall
ist, die Rolle des Friedensstifters zu übernehmen, notwendiger-
weise
verkannt werden muss, und sich selbst den schlimmsten Angriffen
aussetzt,
aber trotzdem werde ich, in Gemeinschaft mit anderen nach
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dieser Richtung unbeirrt weiter arbeiten, weil ich die
Überzeugung
habe, dass dies meine Pflicht ist.
Genau so wie alle meine Korrespondenten in Deutschland mit
der größten Bitterkeit über die Feinde, die Deutschland
gegenüber-
stehen schreiben und mir sagen, dass Deutschland siegen
müsse und
siegen werde und nie und nimmer in einen Frieden einwilligen
würde,
der ihm nicht alles das zugestehe, wofür es
in den Krieg gegangen, –
genau so scharf und ungebeugt schreiben mir meine
Freunde, die auf
der anderen Seite stehen und ebenso wie der Deutsche
glaubt, nur für
sein gutes Recht zu kämpfen, ebenso glaubt das auch der
Engländer
und der Franzose. Somit würde die Entscheidung schließlich nur
durch
die rohe Macht und Übermacht herbeigeführt werden können, und
damit
sind Zustände geschaffen wie sie eben auch in Mexico existieren,
und
über welche zivilisierte Länder und Menschen so sehr entrüstet
sind.
Das ist ja eben das Schreckliche, dass der Krieg und die
gegenwärtigen
Zustände bereits anfangen zur Tagesordnung und zur Gewohnheit
zu
werden, und auf diese Weise der sittliche Wert der Völker und ihre
Zivilisation auf ein niederes Niveau herabgedrückt wird.
Ich habe es für angemessen gehalten Ihnen so ausführlich zu
schreiben wie
ich mit vielen anderen hierzulande fühle, und ich hoffe
aufrichtig, dass
Sie trotz Ihrer, wie Sie schreiben kriegerischen
Gefühle, das was ich
gesagt, als die offenen Worte eines Freundes
aufnehmen werden; dessen bin
ich übrigens gewiss!
Schreiben von Jacob H. Schiff (New York) an Max Warburg (Hamburg), 28.1.1915, veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:source-84.de.v1> [09.10.2024].