Der einseitige handschriftliche Bescheid ist die Antwort auf eine Anfrage des im Jahr 1892 21-jährigen Hans Julius Oppenheim. Er hatte gebeten, statt seines bisherigen Familiennamens Oppenheim den Familiennamen Lübbert-Oppenheim verwenden zu dürfen. Der Senat genehmigte zwar eine Namensänderung, allerdings nicht in der beantragten Form: Der Familienname sollte vielmehr Oppenheim-Lübbert lauten. Für die Ausfertigung des Bescheides wurde ein gestempeltes Formular des Hamburger Senats verwendet, geschmückt mit dem Hamburger Wappen.
Das Dokument (Nr. A I 11.1) liegt im Familienarchiv Oppenheim-Lübbert. Das Familienarchiv ist im Staatsarchiv Hamburg unter der Signatur StAHH Bestand 622-1/533 Oppenheim-Lübbert deponiert.
Hans Julius Oppenheim entstammte einer wohlhabenden jüdischen Händler- und Kaufmannsfamilie, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Hamburg lebte. Die Familie spielte zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine aktive und einflussreiche Rolle im jüdischen Gemeindeleben der Stadt. Salomon Oppenheim (um 1770–1830), verheiratet mit Judith Bondy (um 1773–1857), war viele Jahre einer der Vorsteher der liberalen Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg und Vorsitzender des Vorschuss-Institutes, das 1816 als Zweig der Israelitischen Armenanstalt gegründet wurde. Salomon Oppenheims wohltätiges Engagement war bemerkenswert, sein Handeln stand ganz im Zeichen der jüdischen Aufklärung, der Name Oppenheim war im Kreis der aufgeklärten Juden Hamburgs bekannt und angesehen.
Salomon Oppenheims Kinder – und seitdem alle Familienmitglieder – konvertierten ab 1820 zum christlichen Glauben und wählten damit den Weg der Assimilation. Die jüdischen Vornamen wurden mit der Taufe abgelegt. Der Sohn Samuel, nach der Taufe im Jahr 1820 Friedrich Wilhelm genannt, wurde bedeutender Arzt und Wissenschaftler, sein Bruder Isaac (1805–1872), nach der Taufe im Jahr 1834 Julius Ernst genannt, Großvater von Hans Julius Oppenheim, setzte als vermögender Kaufmann und Mäzen die Familientradition fort. Er gründete das paritätisch besetzte jüdisch-christliche Julius-Ernst-Oppenheim-Stift, das von der Vaterstädtischen Stiftung getragen wird und bis heute existiert.
Die Familie führte ein Leben in großbürgerlichem Stil, als Hans Julius Oppenheim 1870 in Hamburg-Pöseldorf zur Welt kam. Es waren vermutlich finanzielle Gründe, die seinen Vater Henry Carl Oppenheim, geboren 1846 als Sohn des äußerst vermögenden Julius Ernst Oppenheim, im Jahr 1877 veranlassten, Suizid zu begehen. Hans Julius war damals sieben Jahre alt. Seine Mutter Dorothea Christine, geborene Hansen (1850–1926), heiratete 1884 ein zweites Mal: den Berufsoffizier Eduard Lübbert (1854–1933), Sohn eines schlesischen Rittergutsbesitzers und zukünftiger Namensgeber der Familie Oppenheim. Die Familie zog nach Schlesien. Nach dem Abitur in Oels (heute Oleśnica), 1890, studierte Hans Julius Oppenheim bis 1892 Rechts- und Staatswissenschaften in Kiel und Rom, mit dem Ziel, in den diplomatischen Dienst einzutreten. 1892 heiratete er die Jüdin Eleonore Valentine del Banco (1859–1934), gab das Studium auf und wurde zunächst gemäß Familientradition Kaufmann.
Im Jahr der Eheschließung ließ sich Eleonore del Banco taufen – und Hans Julius Oppenheim nahm den Namen Lübbert – den Namen seines Stiefvaters – als Zweitnamen an. Auf sein Gesuch erteilte der Hamburger Senat am 10. Februar 1892 den Bescheid, „daß eine Namensveränderung des Bittstellers zu genehmigen sei“, jedoch nicht in der erbetenen Weise – Lübbert-Oppenheim –, sondern umgekehrt Oppenheim-Lübbert. Zwei Jahre später erwarb er das Bürgerrecht Recht der Selbstverwaltung; Voraussetzungen für die Erlangung des Bürgerrechts waren frei vererbbarer Grundbesitz, das Leisten eines Bürgereides und die Zahlung eines Bürgergeldes; Adlige waren davon ausgeschlossenen; bis 1814 war es Angehörigen der lutherischen Kirche vorbehalten [nach: Helmut Stubbe-da Luz, Bürgerrecht, in: Franklin Kopitzsch/Daniel Tilgner (Hrsg.), Hamburg Lexikon, Hamburg 1998, S. 92f.]. Damit waren der freien Berufswahl und dem wirtschaftlichen Aufstieg keine rechtlichen Grenzen mehr gesetzt.
Die Namensänderung fiel genau in den Zeitraum einer privaten und beruflichen Weichenstellung für den jungen Mann. Gleichzeitig verstärkten sich in diesem Jahr, 1892, in Hamburg antisemitische Tendenzen, forciert durch die verheerende Cholera-Epidemie, die in der Hansestadt grassierte und zu der Behauptung führte, russische Juden, die über Hamburg auswandern wollten, hätten die Seuche eingeschleppt. Ob ein direkter Zusammenhang zwischen diesen ersten größeren antisemitischen Tendenzen in Hamburg und der von Hans Julius Oppenheim ersuchten Namensänderung besteht, ist nicht überliefert.
Namensänderungen konnten, wenn hinreichende Gründe vorlagen, staatlich genehmigt werden, sie waren in das Personenstandsregister einzutragen. Grundsätzlich waren Anträge auf Namensänderung keine Seltenheit, und mit dem Aufkommen antisemitischer Tendenzen stieg der Anteil der Änderungen sogenannter jüdischer Namen erheblich. Hans Julius Oppenheims Beweggründe lassen sich nur vermuten, schriftlich formulierte Begründungen sind nicht bekannt. Anzunehmen ist, dass sich der junge Mann vor dem Hintergrund des aufkommenden Antisemitismus – beeinflusst durch seinen Stiefvater, den patriotisch und militärisch gesinnten preußischen Offizier Eduard Lübbert – durch die Namensänderung eine Verbesserung seiner Zukunftsperspektiven versprach: eine größere gesellschaftliche Akzeptanz für sich und seine Familie sowie Vorteile für seine berufliche Laufbahn.
Ein weiterer Schritt zur Namensänderung erfolgte 19 Jahre später. Am 1. Februar 1911 erteilte der Hamburger Senat auf Gesuch des Hans Julius Oppenheim-Lübbert den Bescheid, dass es ihm, seiner Frau Eleonore del Banco und den drei Söhnen zu gestatten sei, anstatt des Familiennamens Oppenheim-Lübbert zukünftig den Familiennamen Lübbert zu führen. Hans Julius Oppenheim-Lübbert scheint jedoch bereits spätestens seit 1904, möglicherweise schon geraume Zeit vorher, den ersten Teil des Nachnamens, der seine jüdische Herkunft offenbarte, nicht mehr verwendet zu haben. So unterschrieb er – als Fischereidirektor in hamburgischen Staatsdiensten – nachweislich offizielle Schreiben und Denkschriften nur mit „Lübbert“. Auch seine Weggefährten, darunter der Hamburger Senator und Bürgermeister Werner von Melle, nannten ihn ausschließlich Lübbert.
Damit war schrittweise über die Änderung des Glaubens durch die Taufen, verbunden mit neuen Vornamen, die Annahme des Namens des Stiefvaters als Zweitnamen und schließlich durch endgültige Ablegung des jüdischen Namens Oppenheim die jüdische Tradition der Familie, zumindest formal, beseitigt.
Hans Julius Oppenheim, seit 1892 Oppenheim-Lübbert, seit 1911 Lübbert, machte eine bemerkenswerte Karriere. Sein erfüllter Lebensweg hinterließ in hamburgischen Staatsdiensten, in Lehre und Forschung, in zahlreichen Veröffentlichungen, in internationaler Beratungstätigkeit und zahlreichen Ehrenämtern bleibende Spuren. Sein großes Interesse am Segeln und an der Hochsee-Fischerei führte dazu, dass er 1904 zum Fischereisachverständigen der Landherrenschaften und 1907 zum staatlichen Fischereidirektor in Hamburg ernannt wurde, ein Amt, das er mit Unterbrechungen bis 1948 ausübte. Sein wesentlicher Mentor war von Beginn an der Senator und Landherr von Ritzebüttel Dr. Werner von Melle. Lübbert hatte wesentlichen Anteil an der Errichtung und weiteren Entwicklung des 1908 eröffneten Fischmarktes im damals noch hamburgischen Cuxhaven. Unermüdlich setzte er sich für den Fischabsatz und Fischkonsum ein. Er hielt am 1908 gegründeten Kolonialinstitut Hamburg und später an der Hamburger Universität als Dozent Vorlesungen im Bereich Fischereiwesen. Er war international als Experte in Fischereiangelegenheiten gefragt. Hans Lübbert förderte die Fischwirtschaft und die Fischwissenschaft ebenso entscheidend wie die Entwicklung der norddeutschen Fischereihäfen. Sein Lebenswerk wurde mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Cuxhaven und der Ernennung zum Ehrendoktor (Dr. med. h.c.) und Ehrenprofessor der Universität Hamburg gekrönt.
Der Name Oppenheim wurde in der Familie nicht mehr erwähnt, so war dieser, wie auch die jüdische Herkunft, in der Enkelgeneration unbekannt. Nach 1933 holte die Vergangenheit die Familie jedoch wieder ein. Die mit der Ablegung des jüdischen Nachnamens verbundenen Hoffnungen auf Integration in das deutsche Bürgertum waren trügerisch und wurden mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zerstört.
Bereits im Juni 1933 warf der Nationalsozialist Alfred von Pustau in der Fachzeitschrift „Der Fischerbote“ Lübbert vor, dass er als hamburgischer Staatsbeamter die Gründung des Cuxhavener Fischmarktes im Sold der Hamburger Großfinanz (mit diesem populären nationalsozialistischen Stereotyp sind die jüdischen Privatbankiers Ballin und Warburg und ihr Engagement für die Cuxhavener Hochseefischerei gemeint) durchgeführt habe: „daß er ein geeigneter Verbindungsmann für die Großfinanz war, ergibt sich schon aus seinem Geburtsnamen ‚Oppenheim‘, später ‚Oppenheim-Lübbert‘ und zuletzt nur noch ‚Lübbert‘.“ Alfred von Prustau, Der Fischereidirektor, in: Der Fischerbote, Juni 1933. / Anlage zum Fragebogen des Military Government of Germany, in: StaHH, 311 - 8 Finanzverwaltung - Personalakten 78 Hans Lübbert, 1945 - 1948. Der signifikante Geburtsname und die Namensänderung wurden nunmehr im nationalsozialistischen Interesse missbraucht. Lübbert stellte einen Strafantrag gegen Pustau, der die Verleumdung laut Gerichtsentscheid vom Februar 1934 zurücknehmen und eine Gegenerklärung abgeben musste.
Dies war jedoch nur der Anfang. Zwischen 1933 und 1938 verlor Hans Lübbert die überwiegende Mehrheit seiner zahlreichen Ämter, seine Lehrbefugnis an der Hamburger Universität wurde aufgehoben. Mitgliedschaften wurden gekündigt, Herausgeberschaften beendet. Damit war Hans Lübbert – ein Mann, der stets in der Öffentlichkeit gestanden hatte – nach fünf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ausschließlich eine Privatperson. Er lebte seit 1933 in Hamburg, gleichsam in einer Art „inneren Emigration“, von 1936 bis 1949 in einem noch heute existierenden Haus in Blankenese, einige Jahre gemeinsam mit seiner Schwägerin, der jüdischen Künstlerin Alma del Banco, die unmittelbar nach Erhalt des Deportationsbescheides 1943 den Freitod wählte.
Nach 1945 kehrte Hans Lübbert wieder zurück in das öffentliche Leben, er wurde erneut zum staatlichen Fischereidirektor ernannt. Am 22. November 1951 starb er hochgeehrt in Hamburg. Das Verlangen, durch Namensänderung die jüdische Identität vollständig aufgeben, mit der jüdischen Vergangenheit der Familie brechen zu können, blieb letztlich eine Illusion. Der von zahlreichen deutschen Juden seit dem 19. Jahrhundert gewählte Weg bot keinen Schutz vor der beispiellosen Ausgrenzung und Verfolgung während der NS-Zeit.
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Beate-Christine Fiedler, Dr. phil., *1958, ist freiberufliche Historikerin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Niedersächsischen Landesarchiv, Standort Stade. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Frühen Neuzeit; Landes- und Regionalgeschichte Niedersachsens, insbesondere Geschichte des Elbe-Weser-Raums und der Schwedenzeit in den Herzogtümern Bremen und Verden.
Beate-Christine Fiedler, Familiennamen und Identitätsfragen. Das Gesuch des Hans Julius Oppenheim, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 05.07.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-91.de.v1> [21.12.2024].