Die Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung

Ina Lorenz

Quellenbeschreibung

Die Statuten der Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung vom November 1930 waren sehr knapp gehalten. Sie lesen sich wie ein Aktenvermerk mit einem Fünf-Punkte Programm. Ihr Inhalt verband programmatische Zielsetzungen ebenso wie konkrete Arbeitsschritte mit noch wenig ausgeformten institutionellen Vorgaben. Das geistige Leben der jüdischen Gemeinschaft in Hamburg sollte „im Sinne Rosenzweigs befruchtet und gefördert“ werden. Auf Rosenzweigs Werk „Zweistromland“ nahm man geradezu selbstverpflichtend ausdrücklich Bezug, in seinem Sinne sollte ein „Jüdisches Lehrhaus“ in Hamburg gegründet werden. Die Stiftung sollte überparteilich sein und keine religiöse Richtung bevorzugen, die Verbreitung des jüdischen Buches gefördert werden, ein jüdisches Vorlesungswesen eingerichtet sowie „Preisausschreiben zu Zwecken jüdischer Wissenschaft“ veranstaltet werden. Dies alles war angesichts der erfolgreichen Arbeit des Frankfurter Lehrhauses ein recht hoher Anspruch. Der Text zeigt auf, dass es an juristischer Beratung fehlte, man diese vielleicht sogar bewusst verschmähte, denn kein allgemein üblicher Verein sollte hier entstehen. Der Ausdruck „Stiftung“ wurde wohl auch gewählt, weil man für die Zukunft mit einem zinsbringenden Stiftungsvermögen rechnete, diese Hoffnung zerschlug sich allerdings. Zugleich sollte die Stiftung Mitglieder besitzen. Ein weiteres, später erlassenes Statut zeigt auf, dass man sich letztlich doch auf eine Vereinsstruktur verständigte mit einer kleinen eigenen Geschäftsstelle in der Hamburger Rothenbaumchaussee 77. Auf Nachfrage der Gestapo im November 1933 bestätigte die Rosenzweig-Gedächtnisstiftung, dass der Ausdruck Stiftung rechtlich nicht korrekt sei. In einer für die Gestapo gefertigten, angeforderten Aufstellung der Jüdischen Gemeinde wurde die Zahl der Mitglieder im Jahre 1935 mit 184 angegeben. Eine Mitgliederliste ist nicht überliefert.
  • Ina Lorenz

Die Entstehungsgeschichte der Franz Rosenzweig-Gedächtnisstiftung


Be­nannt nach dem Phi­lo­so­phen Franz Ro­sen­zweig, der zu den be­deu­tends­ten Ex­po­nen­ten einer jü­di­schen Re­nais­sance in der Wei­ma­rer Re­pu­blik ge­hört hatte, nahm ein Jahr nach sei­nem Tode die Gedächtnis-​Stiftung am 28.11.1930 ihre Tä­tig­keit in Ham­burg als ein Lehr­haus der Er­wach­se­nen­bil­dung auf. Ver­gleich­ba­re In­sti­tu­tio­nen grün­de­ten sich neben Frank­furt am Main auch in Ber­lin, Köln, Mann­heim, Mün­chen und Stutt­gart. Es ge­lang dem Ham­bur­ger Tuch­groß­händ­ler Herr­mann Phil­ipp (1863-1938), wel­cher der Or­tho­do­xie zu­zu­rech­nen und lang­jäh­ri­ges Mit­glied des Vor­stan­des der Deutsch-​Israelitischen Ge­mein­de war, pro­mi­nen­te Köpfe des Ham­bur­ger Ju­den­tums, dar­un­ter Ernst Cas­si­rer, Max War­burg und Jo­seph Car­le­bach, in der Stif­tung zu­sam­men­zu­füh­ren. We­sent­li­che per­so­nel­le Im­pul­se gaben die drei Ham­bur­ger jü­di­schen Logen, vor allem die Steinthal-​Loge.


Zum zen­tra­len jü­di­schen Kul­tur­ver­ständ­nis ge­hör­te seit jeher ein aus­ge­präg­tes Bil­dungs­we­sen, hinzu tra­ten mit Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts re­form­päd­ago­gi­sche Ziel­set­zun­gen. Sie wur­den in­ner­halb des deut­schen Ju­den­tums von Mar­tin Buber und von Franz Ro­sen­zweig ver­tre­ten, aber auch durch den Päd­ago­gen und Phi­lo­so­phen Ernst Simon. Ro­sen­zweig stieg An­fang der 1920er-​Jahre rasch zu einer öf­fent­li­chen Figur mit gro­ßer Be­kannt­heit auf. Neben Buber wurde er zu einem der wich­tigs­ten Ex­po­nen­ten einer jü­di­schen Re­nais­sance. Sein Haupt­werk „Stern der Er­lö­sung“ ver­öf­fent­lich­te er 1921. Im Som­mer des­sel­ben Jah­res be­warb er sich in Ham­burg um die Stel­lung als Haupt­leh­rer und Ver­tre­ter des Schul­lei­ters des Jü­di­schen Schul­ver­eins. Er war hier­für von Rab­bi­ner Nehemia Nobel, sei­nem Frank­fur­ter Men­tor, emp­foh­len wor­den. Die An­ge­le­gen­heit zer­schlug sich, als sich Ro­sen­zweig end­gül­tig be­reit er­klär­te, die Lei­tung der Jü­di­schen Volks­hoch­schu­le in Frank­furt am Main zu über­neh­men. Unter sei­ner Lei­tung ent­wi­ckel­te die Volks­hoch­schu­le, als­bald in „Frei­es Jü­di­sches Lehr­haus“ um­be­nannt, ein am­bi­tio­nier­tes und auch er­folg­rei­ches Lehr­plan­an­ge­bot, das zum Vor­bild für viele an­de­re jü­di­sche Bil­dungs­ein­rich­tun­gen wurde. Einen ni­veau­vol­len jü­di­schen Bil­dungs­an­spruch zu pfle­gen und zu för­dern, konn­te die Ham­bur­ger Deutsch-​Israelitische Ge­mein­de in der Wei­ma­rer Zeit nur un­voll­kom­men in­sti­tu­tio­nell ver­wirk­li­chen. Der jü­di­schen Ge­mein­schaft ge­lang es nicht, die zahl­rei­chen, aber dann doch ver­ein­zelt blei­ben­den Be­stre­bun­gen in einem jü­di­schen Bil­dungs­we­sen zu bün­deln. Hier­zu wäre eine Art Mas­ter­plan der Ham­bur­ger jü­di­schen Kultur-​ und Bil­dungs­ar­beit er­for­der­lich ge­we­sen. Ge­ra­de die stark bil­dungs­ori­en­tier­ten jü­di­schen Logen der Stadt zeig­ten sich mit die­sem Zu­stand un­zu­frie­den und wünsch­ten eine Ak­ti­vie­rung des Bil­dungs­we­sens au­ßer­halb der drei Kul­tus­ver­bän­de der Ge­mein­de. In Al­to­na stell­te sich die Lage nicht an­ders dar. Die Zer­split­te­rung des Vor­trags­we­sens wurde all­seits be­klagt. 1928 eta­blier­te sich ein nicht allzu er­folg­rei­cher „Bil­dungs­aus­schuss“ der Deutsch-​Israelitischen Ge­mein­de. Der In­itia­tor der Rosenzweig-​Gedächtnisstiftung, Herr­mann Phil­ipp, streb­te viel­mehr in Ham­burg eine kul­tur­po­li­tisch mo­ti­vier­te Re­nais­sance des jü­di­schen Bil­dungs­we­sens an und wurde in den kom­men­den Jah­ren zur trei­ben­den Kraft die­ser Ent­wick­lung.

Namensgebung und Gründung


Die Na­mens­ge­bung er­folg­te be­wusst pro­gram­ma­tisch. Ro­sen­zweig hatte in sei­nem Auf­satz­band „Zwei­strom­land“ (1926) seine Ge­dan­ken zu einer er­folg­rei­chen jü­di­schen Er­wach­se­nen­bil­dung nie­der­ge­legt. Darin knüpf­te er an frü­he­re Ver­öf­fent­li­chun­gen an. In „Zeit ist´s“ (1917) heißt es: „Der Geist des Ju­den­tums ver­langt nach ei­ge­nen Heim- und Pfle­ge­stät­ten. Das jü­di­sche Bil­dungs­pro­blem auf allen Stu­fen und in allen For­men ist die jü­di­sche Le­bens­fra­ge des Au­gen­blicks.“ Die­sem Be­fund und die­ser Auf­ga­be fühl­te sich der Kreis um Her­mann Phil­ipp ver­pflich­tet. Es soll­te ein intellektuell-​religiöses Netz­werk ent­ste­hen und eine neue, bil­dungs­re­for­me­ri­sche und for­mal ge­mein­de­fer­ne In­sti­tu­ti­on ge­schaf­fen wer­den, die viele an­zu­spre­chen ver­moch­te. Der Ent­frem­dung vom Ju­den­tum und dem zu­neh­men­den re­li­giö­sen An­alpha­be­tis­mus soll­te ein mit­tel­fris­tig an­ge­leg­tes Pro­jekt für ein in­halts­vol­les Ju­den­tum ent­ge­gen­ge­setzt wer­den. Denn die Deutsch-​Israelitische Ge­mein­de selbst als ein eher for­ma­ler Ver­bund würde dies nach be­rech­tig­ter Sicht der In­itia­to­ren der Stif­tung nicht leis­ten kön­nen.

Am Grün­dungs­tag bil­de­ten sich ein Eh­ren­prä­si­di­um und ein mehr­köp­fi­ger Ar­beits­aus­schuss unter dem Vor­sitz von Her­mann Phil­ipp. Im No­vem­ber 1930 ge­hör­ten dem Eh­ren­prä­si­di­um Prof. Dr. Ernst Cas­si­rer, Her­mann Gum­pertz, Al­fred Levy, Dr. Paul Ruben, und Max M. War­burg an. Dem Ar­beitsau­schuss ge­hör­ten neben Her­mann Phil­ipp die Rab­bi­ner Bam­ber­ger (Wands­bek), Ober­rab­bi­ner Dr. Car­le­bach (Al­to­na), Rab­bi­ner Dr. Hol­zer, Rab­bi­ner Dr. Ita­lie­ner, RA Bern­hard David, Land­rich­ter Dr. Her­mann Fei­ner, RA Dr. Louis Levy, Dr. Ernst Lo­e­wen­berg, Prof. Isaak Mar­kon, Wolf­gang Meyer-​Udewald, Dr. Na­than M. Na­than und Dr. Max Plaut an. Den Vor­sitz des Ar­beits­aus­schus­ses führ­te bis zu sei­nem Tode im März 1938 Her­mann Phil­ipp. Die­ser Ar­beits­aus­schuss be­tä­tig­te sich so­wohl als Vor­stand als auch als Ko­or­di­nie­rungs­gre­mi­um. Ein en­ge­rer Dreier-​Vorstand bil­de­te sich aus Her­mann Phil­ipp (Syn­ago­gen­ver­band), Dr. Hans Lie­beschütz und Wolf­gang Meyer-​Udewald (Tem­pel­ver­band). Per­so­nel­le Über­schnei­dun­gen des Ar­beits­aus­schus­ses mit der Kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Bi­blio­thek War­burg, hier Prof. Fritz Saxl, und mit dem 1934 / 35 ge­grün­de­ten Ham­bur­ger Jü­di­schen Kul­tur­bund gab es viel­fach.

Das Angebot des Lehrhauses


In den ers­ten Jah­ren blieb die Stif­tung noch weit davon ent­fernt, das An­spruchs­ni­veau des Frank­fur­ter Lehr­hau­ses zu er­rei­chen, da man sich erst ein­mal im Be­wusst­sein der Ham­bur­ger Juden eta­blie­ren muss­te. Dass sich ge­ra­de wäh­rend der NS-​Zeit die Rah­men­be­din­gen der Stif­tung grund­le­gend wan­del­ten, und doch diese Jahre die im Rück­blick er­folg­reichs­ten der Stif­tung wur­den, scheint pa­ra­dox. Weil sich für die Ham­bur­ger Juden in ihrer zu­neh­men­den Aus­gren­zung das Leben in jeder Hin­sicht än­der­te, fand eine Trans­for­ma­ti­on der Bil­dungs­ideen statt. Die zu­neh­men­de Get­toi­sie­rung führ­te zu einer Ex­pan­si­on des in­ner­jü­di­schen Kul­tur­be­rei­ches, die Ernst Simon 1959 mit dem Wort „Auf­bau im Un­ter­gang“ Ernst Simon, Auf­bau im Un­ter­gang. Jü­di­sche Er­wach­se­nen­bil­dung im na­tio­nal­so­zia­lis­tisċhen Deutsch­land als geis­ti­ger Wi­der­stand, Tü­bin­gen 1959. kenn­zeich­ne­te.

Der Ar­beits­aus­schuss der Stif­tung ent­schied sich für eine in­te­grie­ren­de se­mes­ter­li­che Pla­nung. Zum Win­ter­se­mes­ter 1934 / 35 wurde ein Ar­beits­plan mit acht Ab­tei­lun­gen auf­ge­stellt. Von ihnen wur­den sie­ben der Ver­ant­wor­tung der Stif­tung und eine dem Bil­dungs­aus­schuss der Ge­mein­de zu­ge­schrie­ben. Das Lehr­an­ge­bot struk­tu­rier­te sich im Laufe der Jahre zy­klen­mä­ßig in fol­gen­de Haupt­be­rei­che, die man als klas­si­sche Be­rei­che kenn­zeich­nen kann: I. He­bräi­sche Spra­che (bi­bli­sches He­brä­isch); II. Bi­bel­kun­de (Midrasch) – Ein­füh­rung in Bibel, Tal­mud und Lit­ur­gie; III. Jü­di­sche Ge­schich­te und Li­te­ra­tur; IV. Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie – Jü­di­sche Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie; V. Päd­ago­gik und Phi­lo­so­phie; VI. Na­tur­wis­sen – Na­tur­leh­re, VII. All­ge­mei­ne Ge­schich­te; VIII. Kunst­be­trach­tung; IX. Ju­den­tum und Ju­den­heit in der Welt­ge­schich­te. In me­tho­di­scher Hin­sicht wurde das Haupt­au­gen­merk auf Vor­trä­ge und Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ge­rich­tet. Ge­ra­de in den aka­de­mi­schen Ar­beits­ge­mein­schaf­ten ließ sich die von Ro­sen­zweig ge­for­der­te dia­lo­gi­sche Er­ör­te­rung und auch häus­li­che Vor­be­rei­tung und Ver­tie­fung gut rea­li­sie­ren. Die­ses an­spruchs­vol­le Pro­gramm war für Je­der­mann offen. 1933 hatte Mar­tin Buber pro­gram­ma­tisch er­klärt: „Das Lehr­haus muss den jun­gen jü­di­schen Men­schen von heute aus­rüs­ten hel­fen, der Si­tua­ti­on stand­zu­hal­ten. Aber es muss ihn auch aus­rüs­ten, ihr als Jude stand­zu­hal­ten“ Mar­tin Buber, Ein Jü­di­sches Lehr­haus, in: Frank­fur­ter Is­rae­li­ti­sches Ge­mein­de­blatt 3 (Nov. 1933), S. 1.. Die füh­ren­den Ver­tre­ter der Stif­tung muss­ten sich je­doch ein­ge­ste­hen, dass sie eher bil­dungs­fer­ne Schich­ten nicht er­reich­ten. Auch die jü­di­sche Ju­gend ging in ihren zahl­rei­chen Ver­bän­den ihre ei­ge­nen Wege. In ihren Ziel­set­zun­gen muss­te die Stif­tung also erste Ab­stri­che ma­chen.

Blüte und Untergang des Lehrhauses


Der Er­folg der Tä­tig­keit bleibt gleich­wohl be­mer­kens­wert. Das An­ge­bot der Stif­tung wurde zu einem Zen­trum ham­bur­gi­scher, jü­di­scher Bil­dungs­ar­beit. Ein Tä­tig­keits­be­richt aus dem Jahr 1934 ver­an­schau­licht das um­fas­sen­de Pro­gramm, so wur­den für die ers­ten fünf Jahre 16 Do­zen­ten, 514 Ar­beits­aben­de sowie Vor­trä­ge zu 26 The­men ver­zeich­net und die Ge­samt­zahl der re­gel­mä­ßi­gen Teil­neh­mer an den Kur­sen bzw. Vor­trä­gen auf etwa 750 ge­schätzt. Im Win­ter­se­mes­ter 1935 / 36 er­höh­te sich wegen der gro­ßen Nach­fra­ge die Zahl auf 20 Do­zen­ten, im Win­ter­se­mes­ter 1936 / 37 auf 23 Do­zen­ten, von denen ei­ni­ge meh­re­re Kurse über­nah­men. Im Selbst­ver­ständ­nis der Stif­tung er­reich­te man damit ein voll­wer­ti­ges Lehr­haus. Leich­te Ak­zent­ver­schie­bun­gen mach­ten sich be­merk­bar: Ge­gen­warts­be­trach­tun­gen über Pa­läs­ti­na, etwa im Sinne einer Lan­des­kun­de, und Hebräisch-​Sprachkurse dien­ten nicht nur zum tie­fe­ren Ver­ständ­nis der Tora, son­dern konn­ten auch für eine Aus­wan­de­rung nach Pa­läs­ti­na hilf­reich sein. Schät­zungs­wei­se etwa ein Zehn­tel aller Ge­mein­de­an­ge­hö­ri­gen be­such­ten die Ver­an­stal­tun­gen oder Kurse der Stif­tung. Seit Herbst 1936 ge­stal­te­te sich die Auf­recht­erhal­tung des Lehr­be­triebs aus in­ner­jü­di­schen Grün­den schwie­rig. Letzt­lich war es die in­ne­re Zer­ris­sen­heit der Ge­mein­de und die un­ver­ein­ba­ren Po­si­tio­nen zwi­schen Or­tho­do­xie und Li­be­ra­len, die zum Schei­tern der Stif­tung führ­ten. Der Kon­flikt ent­zün­de­te sich an der Frage um die Nut­zung des Rau­mes für Ver­an­stal­tun­gen. Gegen den Gabriel-​Riesser-Saal im Ge­bäu­de des li­be­ra­len Tem­pel­ver­ban­des gab es von or­tho­do­xer Seite dau­ern­de re­li­giö­se Vor­be­hal­te. Der rück­schau­en­de Be­trach­ter ver­steht der­ar­ti­ge Que­re­len und frak­tio­nie­ren­des Re­vier­ver­hal­ten ge­ra­de in der NS-​Zeit kaum. Mitte Mai 1937 er­klär­te die bis dahin so er­folg­reich agie­ren­de Franz Rosenzweig-​Gedächtnistiftung ge­gen­über dem Bil­dungs­aus­schuss der Deutsch-​Israelitischen Ge­mein­de, sie werde das „Jü­di­sche Lehr­haus“ wohl zum Herbst 1937 schlie­ßen, die Stif­tung solle nur noch in einem be­schei­de­nen Um­fang fort­ge­führt wer­den. Zum Herbst 1937 ge­lang es noch, ein Lehr­an­ge­bot mit 12 Do­zen­ten zu pla­nen. Mit dem neuen Ge­mein­schafts­haus der Ge­mein­de in der Har­tung­stra­ße, das im Früh­jahr 1938 ein­ge­rich­tet wurde, hät­ten die in­ner­ge­meind­li­chen Que­re­len be­en­det sein kön­nen. Aber es war zu spät. Im Mai 1938 er­schien ein letz­ter Tä­tig­keits­be­richt. Der Nach­fol­ger im Vor­sitz der Stif­tung, der Pri­vat­ge­lehr­te Paul Ruben, ver­moch­te die Ge­schi­cke der Stif­tung nicht mehr wirk­sam zu lei­ten. Im No­vem­ber oder De­zem­ber 1938 be­schloss die Stif­tung ihre Selbst­auf­lö­sung. Damit ver­lo­ren die Ham­bur­ger Juden einen ihrer wich­tigs­ten Kul­tur­trä­ger, der im NS-​Staat für ei­ni­ge Jahre den Geist des in­ne­ren Wi­der­stan­des und der jü­di­schen Selbst­ach­tung durch geis­ti­ge Ori­en­tie­rung hatte we­cken und be­kräf­ti­gen kön­nen.

Auswahlbibliografie


Evelyn Adunka / Albert Brandstätter (Hrsg.), Das Jüdische Lehrhaus als Modell lebensbegleitenden Lernens, Wien 1999.
Björn Biester, Die Hamburger Franz Rosenzweig-Gedächtnisstiftung 1930-1938, in: Andreas Brämer / Stefanie Schüler-Springorum / Michael Studemund-Halévy (Hrsg.), Aus den Quellen. Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte. Festschrift für Ina Lorenz zum 65. Geburtstag, Hamburg 2005, S. 97-104.
Michael Brenner, Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000.
Paul Mendes-Flohr, The „Freies Jüdisches Lehrhaus“ of Frankfurt, in: Karl E. Grözinger (Hrsg.), Jüdische Kultur in Frankfurt am Main von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1997, S. 217-229.
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.), Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886-1929). Internationaler Kongress Kassel 1986. 3 Bde., Freiburg (Breisgau) 1988.

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Zur Autorin

Ina Lorenz (1940), Prof. Dr. phil. habil., bis 2005 stellvertretende Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden und Professorin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die deutsch-jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts besonders im norddeutschen Raum; Quelleneditionen zu den jüdischen Gemeinden Hamburg, Altona und Wandsbek vom 17. bis zum 20. Jahrhundert sowie Sozial- und Gemeindegeschichte der Juden mit Schwerpunkt NS-Zeit in Hamburg. Auch: http://mitglieder.gegj.de/lorenz-prof-em-dr-ina/

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Ina Lorenz, Die Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 07.06.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-65.de.v1> [10.06.2025].

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