1639 denunzierte Diogo de Lima den in Hamburg lebenden portugiesischen Juden Duarte Esteves de Pina bei der portugiesischen Inquisition. Die vorliegende Quelle umfasst die Anzeige (sieben handschriftliche Seiten) sowie zwei dazugehörende Zeugenaussagen (jeweils vier handschriftliche Seiten). Ein Amtsträger der Inquisition befragte dafür die unter Eid stehenden Informanten und fertigte jeweils einen kurzen Bericht an. Anschließend bezeugten mehrere Priester die Glaubwürdigkeit der Informanten und die Authentizität der Berichte. Solche Protokolle bildeten die Grundlage für die insgesamt rund 32.000 Gerichtsprozesse, welche die Inquisition während ihres knapp 300-jährigen Bestehens in Portugal durchführte.
Mit der Liberalen Revolution fand die portugiesische Inquisition 1821 ihr offizielles Ende. Das Archiv des Lissabonner Tribunals, aus dem der Quellenausschnitt stammt, wurde zunächst der Stadtbibliothek übergeben. Bereits vier Jahre später wurde es dem Zugriff der Öffentlichkeit jedoch wieder entzogen und in das königliche Archiv (Torre do Tombo, das heutige Nationalarchiv) eingegliedert. Erst 1901 öffnete sich dieses Archiv dem regulären Wissenschaftsbetrieb. Nachdem um die Jahrtausendwende eine flächendeckende Digitalisierung seiner Bestände erfolgte, ist heute ein Großteil der Inquisitionsakten frei über das Internet zugänglich.
Im Jahr 1492 stellten die Katholischen Könige Ferdinand und Isabella alle Juden in Spanien vor die Wahl, entweder das Christentum anzunehmen oder das Land zu verlassen. 1497 verbot auch König Manuel von Portugal das Judentum und zwang alle in Portugal lebenden Juden zur Konversion. Nur wenige konnten sich durch Flucht entziehen. Sein Nachfolger, König João III., führte 1536 die Inquisition (das „Heilige Offizium“) in Portugal ein, um über die Einhaltung des katholischen Glaubens zu wachen. Die Inquisition konzentrierte sich sehr bald auf die Verfolgung von Neuchristen, also von getauften Juden, sowie deren Nachfahren. Die Inquisitoren gingen davon aus, dass die konvertierten Juden ebenso wie ihre Kinder und Kindeskinder für einen Rückfall zum jüdischen Glauben anfällig blieben und sich der „Makel des jüdischen Blutes“ unabhängig von der ausgeübten Religion der betroffenen Personen weitervererbe.
Es ist unklar, wie viele Neuchristen in Portugal tatsächlich im Geheimen weiter an der Religion ihrer Vorfahren festhielten und wie viele zu mehr oder weniger rechtgläubigen Christen wurden. Fest steht jedoch, dass die Neuchristen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft sozial und rechtlich diskriminiert wurden und kontinuierlich von der Inquisition bedroht waren. Die Konsequenzen für vermeintliche Häretiker reichten von Kerkerhaft und Beschlagnahmung ihrer Vermögen bis hin zur öffentlichen Hinrichtung durch Verbrennen. Viele Neuchristen verließen daher das Land. Doch selbst wenn sie sich im Ausland aufhielten, konnten sie in Portugal denunziert werden. Um einen solchen Fall handelt es sich in dieser Quelle. Auch wenn die Zuverlässigkeit entsprechender Denunziationen und Zeugenaussagen grundsätzlich mit großer Vorsicht zu betrachten ist, erlauben sie wichtige Einblicke in die Anfänge jüdischen Lebens in Hamburg.
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts war Hamburg einer der wichtigsten Niederlassungsorte für Neuchristen aus Portugal. Einige der Auswanderer zogen direkt dorthin, andere hatten für einige Jahre in Südfrankreich, den Niederlanden, Italien oder anderen Orten gewohnt, bevor sie in Hamburg eintrafen. Sie lebten dort zunächst wie in ihrer Heimat als Katholiken. Allmählich bekannten sich jedoch immer mehr von ihnen zum Judentum und kehrten damit zur Religion ihrer Vorfahren zurück. Mit dem 1611 erfolgten Erwerb eines eigenen Friedhofs im benachbarten Altona kann die Gründung der jüdischen Gemeinde als abgeschlossen angesehen werden. Zum Entstehungszeitpunkt der Quelle, im Jahr 1639, gab es etwa 60 portugiesisch-jüdische Familien in Hamburg. Die meisten der Männer waren als Kaufleute tätig, doch gab es auch Makler und einzelne Ärzte unter ihnen.
Die Quelle berichtet über die Denunziation des portugiesischen Kaufmanns Duarte Esteves de Pina. Dieser war laut Aussage 1621, im Alter von etwa 37 Jahren, in Hamburg eingetroffen, hatte sich dort beschneiden lassen und den jüdischen Namen Isaac Milano angenommen. Von da an habe er „das mosaische Gesetz öffentlich ausgeübt“. Zur Bekräftigung führte der Denunziant eine Reihe von Verhaltensweisen an, die in entsprechenden Anzeigen immer wieder auftauchen und für die Inquisitoren charakteristische Merkmale des jüdischen Glaubens darstellten: der regelmäßige Besuch von Synagogen, Gebete, die Verwendung von Tefillin und Tallit, das Fasten und die Einhaltung der Feiertage. Außerdem habe Esteves de Pina in Hamburg nach jüdischer Art geheiratet und auch seine zwei Söhne beschneiden lassen. Schließlich erklärte der Denunziant, dass Esteves de Pina sogar eine eigene Synagoge in seinem Haus am Dreckwall (heute: Alter Wall) unterhalte. Tatsächlich waren die portugiesischen Juden in Hamburg auf private Synagogen angewiesen, da ihnen die Einrichtung einer öffentlichen Synagoge von der Stadt untersagt war. Auch wenn die Bezeichnung Dreckwall wenig schmeichelhaft erscheint, befand sich das Haus von Esteves de Pina im kommerziellen Zentrum der Stadt; anders als in vielen anderen deutschen Städten lebten die Juden in Hamburg nicht in einem für sie bestimmten, abgegrenzten Viertel.
Noch interessanter als der Inhalt der Denunziation sind die Umstände, die zu der Denunziation führten. Der Denunziant Diogo de Lima war selbst in Hamburg als Kind portugiesisch-jüdischer Eltern geboren und als Jude aufgewachsen. Wie er den Inquisitoren bei einer anderen Denunziation berichtete, hatte er sich im Alter von etwa 18 Jahren entschlossen, nach Lissabon zu gehen, um sich dort katholisch taufen zu lassen. Fünf Jahre nach seiner Ankunft in Portugal denunzierte er seine Eltern und seine beiden älteren Brüder sowie acht weitere in Hamburg als Juden lebende Portugiesen. Vier Jahre später erfolgte die in der Quelle dokumentierte Denunziation von Duarte Esteves de Pina sowie eines weiteren portugiesischen Juden, der in Venedig lebte. Ein letztes Mal scheint er 1644 vor die Inquisitoren getreten zu sein, um Mitglieder der Hamburger Gemeinde anzuzeigen.
Denunzianten wurden an dem beschlagnahmten Besitz einer von der Inquisition verurteilten Person beteiligt, konnten also materiell von der Denunziation profitieren. Im Fall von Duarte Esteves de Pina wären dies die Handelswaren gewesen, die der Kaufmann von Hamburg nach Portugal gesandt hatte. Dass dieser materielle Vorteil ihn motiviert habe, wies Lima jedoch explizit zurück. Auch habe er Esteves de Pina „nicht aus Hass oder bösem Willen“ gemeldet, sondern allein aufgrund seines „Glaubenseifer[s] und weil alles der Wahrheit entspreche“. Doch das Argument des Glaubenseifers vermag kaum zu überzeugen, wenn man seine weitere Geschichte kennt.
Denn bald nach 1644 kehrte Diogo de Lima nach Hamburg zurück. Dort schloss er sich nun jedoch weder der katholischen noch der jüdischen Gemeinde an. Vielmehr trat er spätestens 1650 zum Luthertum über. In der Folge erkannte sein Bruder Duarte de Lima ihn nicht mehr als Mitglied der Familie an und schloss ihn vom väterlichen Erbe aus. Für den Fall, dass er zum Judentum zurückkehre, stellte er ihm jedoch eine jährliche Pension in Aussicht. Diogo de Lima wandte sich daraufhin an den Hamburger Stadtrat und forderte, dass die Juden in Hamburg dazu verpflichtet werden sollten, zum Christentum konvertierten ehemaligen Glaubensgenossen ihre Vermögensansprüche auszuhändigen. Obwohl er vom Rat wie auch von der Hamburger Geistlichkeit Unterstützung erfuhr, scheint er in seinem Anliegen nicht erfolgreich gewesen zu sein. Noch 1669, als sein Bruder bereits neun Jahre tot war, waren die Ansprüche auf das Erbe ungeklärt.
Die Gründe für Limas Verhalten sind im Einzelnen nicht mehr zu rekonstruieren. Die Denunziation deutet jedoch auf die schwierige Situation hin, in der sich die portugiesischen Juden in der Frühzeit der Hamburger Gemeinde befanden. Offenbar hatte Lima sich dort nicht wohl gefühlt. Dies hatte ihn nicht nur zur Abkehr vom jüdischen Glauben und zur zeitweiligen Rückkehr in die Heimat seiner Eltern veranlasst, sondern auch zum Bruch mit seiner Familie. Die Stellung der portugiesischen Juden innerhalb der lutherischen Mehrheitsgesellschaft in Hamburg war prekär. Viele Einwohner waren fremdenfeindlich und antijüdisch eingestellt; die Geistlichkeit hetzte gegen die Juden und der Stadtrat hatte sich vorbehalten, ihre Erlaubnis zur Niederlassung jederzeit mit einjähriger Kündigungsfrist aufzuheben. Der Vorstand der portugiesisch-jüdischen Gemeinde versuchte die Unsicherheit durch eine strenge Disziplinierung der Gemeindemitglieder zu kompensieren: Die Portugiesen mussten sich nicht nur eine ihnen fast unbekannte Religion von Grund auf neu aneignen. Gleichzeitig sollten sie möglichst wenig Aufsehen in der Stadt erregen. Nicht alle kamen mit dem Druck zurecht, der hinter dieser doppelten Herausforderung stand. Doch wie das Beispiel Limas zeigt, war auch eine Rückkehr in die alte Heimat nicht unbedingt eine Lösung.
Dass einzelne Portugiesen wieder vom Judentum abfallen und auf die Iberische Halbinsel zurückkehren könnten, war eine verbreitete Befürchtung innerhalb der Hamburger Gemeinde. Auf familiärer Ebene waren die wichtigsten Druckmittel gegen solche Entscheidungen – wie im Fall Diogo de Limas angewandt – der Verstoß aus der Familie sowie der Entzug des Erbes. Aber auch der Gemeindevorstand bemühte sich, einen Rückfall der Juden zum Katholizismus zu verhindern. Insbesondere untersagte er ihnen, in katholische Länder zu reisen, in denen die Ausübung des Judentums verboten war. Für die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zur Iberischen Halbinsel, die für die jüdischen Kaufleute mindestens bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung waren, war dies jedoch ein Problem. Denn ohne eine persönliche Kontaktpflege mussten die Beziehungen über kurz oder lang abreißen.
Eine noch größere Beeinträchtigung der Handelsaktivitäten ging von der Inquisition aus. Denn ein in Hamburg zum Judentum übergetretener Portugiese, der dauerhaft oder vorübergehend nach Portugal zurückkehrte, musste damit rechnen, bereits bei den Schiffskontrollen, welche die Inquisitoren in den Häfen durchführen ließen, verhaftet zu werden. Auch während seines gesamten Aufenthaltes war die Gefahr einer Denunziation groß. Selbst wenn ein portugiesischer Jude Hamburg gar nicht verließ, sondern nur mit Verwandten oder anderen Neuchristen in Portugal im Handelsaustausch stand, bedeutete die Inquisition ein Risiko. Für ihn selbst, weil seine Waren konfisziert werden konnten; vor allem aber für seine Geschäftspartner, da die Inquisition alle Personen verdächtigte, die mit Glaubensabtrünnigen in Verbindung standen.
In der Quelle werden drei Zeugen befragt, welche die Aussage von Diogo de Lima bestätigen sollten: João Aique, Rodrigo Pãocome und João Vanaique. Es handelt sich um einen hamburgischen und zwei niederländische (oder norddeutsche) Kaufleute, die hier jeweils mit ihren portugiesischen Namensformen benannt werden. Zum Zeitpunkt der Befragung wohnten sie in Portugal, zuvor hatten sie jedoch in Hamburg gelebt; aus diesem Grund kannten sie Duarte Esteves de Pina. Mit solchen Kaufleuten konnten die in Hamburg lebenden portugiesischen Juden zusammenarbeiten, wenn sie Kontaktpersonen, Vertreter oder Kommissionäre in Portugal brauchten, die nicht so leicht von der Inquisition bedroht wurden wie die Neuchristen. Denn trotz ihres protestantischen Hintergrundes genossen die hamburgischen und niederländischen Kaufleute in Portugal besonderen Schutz.
Wie man an ihren Aussagen sieht, gaben die Zeugen ihr Wissen über die portugiesischen Juden in Hamburg zunächst nicht preis. Erst nachdem sie den Inhalt der Denunziation von Diogo de Lima erfahren hatten, bestätigten sie ihn, ohne jedoch weitere Informationen hinzuzufügen. Auf diese Weise versuchten sie womöglich ihre Geschäftspartner in der portugiesisch-jüdischen Gemeinde von Hamburg zu schützen. Denn die hamburgischen und niederländischen Christen profitierten natürlichen auch von der Zusammenarbeit mit den portugiesischen Juden. Viele von ihnen hatten auf die Dauer weit mehr Erfolg im Handel zwischen Hamburg und Portugal als die portugiesischen Juden.
Portugiesisch-jüdische oder neuchristliche Kaufleute gab es im 17. Jahrhundert in fast allen wichtigen Hafenstädten in- und außerhalb Europas. In der Forschung wird weithin angenommen, dass die Mitglieder solcher ethnisch begründeten Handelsdiasporen große Vorteile aus der engen Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe zogen. Auch der deutsche Wirtschaftshistoriker Hermann Kellenbenz vertrat diese These in seiner lange als Standardwerk zur Wirtschaftsgeschichte der portugiesischen Juden in Hamburg angesehenen Monographie „Sephardim an der unteren Elbe“. Aufgrund ihrer vermeintlich besonderen Eignung zum Handel sowie ihres außergewöhnlichen Zusammenhalts – insbesondere der intensiven Zusammenarbeit mit den Neuchristen auf der Iberischen Halbinsel und in den iberischen Überseegebieten – hätten die portugiesischen Juden eine außerordentlich erfolgreiche Wirtschaftselite in Hamburg und an anderen Orten der Diaspora gebildet.
Doch die portugiesischen Juden tätigten in Hamburg keineswegs größere Umsätze als die anderen Kaufleute. Das Denunziationsprotokoll deutet vielmehr auf die besonderen Schwierigkeiten hin, mit denen sie konfrontiert waren. Und es lässt erahnen, wie wichtig gerade in Portugal ihre Zusammenarbeit mit Hamburgern protestantischer Herkunft war.
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Jorun Poettering, Dr. phil., forscht zu Themen der Atlantischen Geschichte. Ihr erstes Buch ist eine vergleichende Studie der Kaufleute, die im 17. Jahrhundert zwischen Hamburg und Portugal tätig waren. Zur Zeit arbeitet sie an einer Sozialgeschichte des kolonialen und imperialen Rio de Janeiro, in der sie insbesondere die Rolle der schwazen Bevölkerung in sozialen, politischen und kulturellen Aushandlungsprozessen untersucht.
Jorun Poettering, Die portugiesisch-jüdische Gemeinschaft in Hamburg im Blick der Inquisition, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 10.12.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-209.de.v1> [20.11.2024].