Bei den Reisetagebüchern von 1947 bzw. 1953 handelt sich um zwei Berichte, die Martha Glass während der Überfahrt von Bremerhaven nach New York im Februar 1947 bzw. während ihres dreimonatigen Aufenthaltes in Deutschland und Österreich im Sommer 1953 verfasste. Die Verfasserin Martha Glass hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann Hermann Glass in Hamburg ein bürgerliches Leben geführt, bevor das Ehepaar bereits über 60-jährig am 18.7.1942 den Deportationsbescheid erhielt und am Folgetag von Hamburg nach Theresienstadt deportiert wurde. Ein knappes halbes Jahr später, im Januar 1943, verstarb Hermann Glass aufgrund der katastrophalen Bedingungen im Lager. Martha Glass überlebte. Sie wurde im Mai 1945 befreit und konnte am 8.8.1945 zu ihrer Tochter Edith nach Berlin fahren. Etwa eineinhalb Jahre lebte sie zusammen mit ihrer Tochter, ihrer Enkeltochter und ihrem Schwiegersohn in Berlin, bevor sie am 28.2.1947 in Bremerhaven die M. Flasher bestieg und zu ihrer Tochter Ingeborg nach New York fuhr. Martha Glass hatte sich für eine Auswanderung entschieden und sollte bis zu ihrem Lebensende 1959 im New Yorker Stadtteil Washington Heights wohnen bleiben. Im Sommer 1953 kehrte sie für einen dreimonatigen Aufenthalt nach Europa zurück, neben Baden-Baden und Bad Gastein in Österreich besuchte sie ihre ehemalige Heimatstadt Hamburg. Ihre ambivalenten Gefühle bei der Wiederbegegnung mit bekannten Menschen und Orten hielt sie in einem Reisetagebuch fest.
In beiden Berichten nimmt die Schilderung der Mahlzeiten, des Gesundheitszustandes und der Wetterbedingungen viel Raum ein. Essen, Klima und Gesundheit waren die entscheidenden Faktoren im Theresienstädter Ghetto, sie beeinflussten die Überlebenschancen der Lagerinsassen entscheidend. Ihre ausführliche Schilderung kann so als ein Trauma des Überlebens verstanden werden. Eine weitere Parallele zu den Theresienstädter Tagebüchern ist die aufmerksame Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten, erneut tritt Martha Glass als eine genaue Beobachterin ihrer Umwelt in Erscheinung.
In beiden Berichten nimmt die Schilderung der Mahlzeiten, des Gesundheitszustandes und der Wetterbedingungen viel Raum ein. Essen, Klima und Gesundheit waren die entscheidenden Faktoren im Theresienstädter Ghetto, sie beeinflussten die Überlebenschancen der Lagerinsassen entscheidend. Ihre ausführliche Schilderung kann so als ein Trauma des Überlebens verstanden werden. Eine weitere Parallele zu den Theresienstädter Tagebüchern ist die aufmerksame Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten, erneut tritt Martha Glass als eine genaue Beobachterin ihrer Umwelt in Erscheinung.
Der Reisebericht 1947 umfasst dreizehn handschriftliche Seiten und setzt mit der Zugfahrt von Bremen-Gröpelingen zum Schiff in Bremerhaven am 27.2.1947 ein. Während der 15-tägigen Überfahrt machte Martha Glass Notizen zu den Wetterverhältnissen, der Schiffsroute und ihrem Gesundheitszustand, vor allem aber zu den Mahlzeiten, die sie an Bord einnahm. Zu Beginn und Ende der Reise beschreibt sie ihre Gefühlslage. Während sie am 28. Februar bei der Abfahrt feststellt, „Kaum einem von all den Passagieren wird der Abschied von Europa schwer“ (Seite 2), hält sie kurz vor der Einfahrt in den New Yorker Hafen am 13. März fest: „Ich muss immer an den Hamburger Hafen mit dem Bismarck denken. Mir ist recht wehmütig zu Mut. Ich kann mich nicht restlos freuen“ (Seite 13). Beide Zitate verdeutlichen die ambivalente Gefühlslage beim Verlassen der ehemaligen Heimat angesichts einer (noch) ungewissen Zukunft in einem neuen Land.
Der Text aus dem Jahr 1953 umfasst 156 handschriftlich beschriebene Seiten in einem kleinen Notizheftchen, er beginnt auf dem Schiff „America“ am 3.7.1953 und endet mit der Rückkehr nach New York Anfang Oktober 1953.
Zunächst schildert Martha Glass die Überfahrt von New York nach Bremerhaven über Irland, Le Havre und Southampton, wohin sie von ihrer Tochter Ingeborg begleitet wurde. In Bremerhaven traf sie ihre Tochter Edith wieder, die sie während ihres Aufenthaltes begleitete. Anschließend notiert Martha Glass Eindrücke und Erlebnisse ihres Aufenthaltes in Deutschland und Österreich. Der Reisebericht endet mit dem Abschied von Edith und der Enkeltochter Renate in Bremerhaven am 5.10.1953, der Rückfahrt nach New York und einem kurzen Nachtrag zu dem Tod einer Hamburger Freundin (?) und den während der Reise getätigten Ausgaben. Wie bereits bei der Überfahrt 1947 sind auch in diesem Bericht das Wetter, der Gesundheitszustand und das Essen zentrale Themen, ebenso die Kosten der Reise. Während des Kuraufenthaltes in Bad Gastein finden sich landschaftliche Beschreibungen und Berichte über Ausflüge in der Umgebung.
Während ihres Besuches in Hamburg kommt als ein weiterer Strang der Aspekt der Wiederbegegnungen hinzu: Martha Glass beschreibt das Wiedersehen bekannter Orte und Menschen und schwankt dabei zwischen Wiedersehensfreude und Vorbehalten. Dass Hamburg immer wieder als Vergleichsfolie für die Beschreibung landschaftlicher Schönheit dient, ebenso wie die positive mitunter wehmütige Schilderung von Orten in Hamburg können wohl auch als Ausdruck einer Sehnsucht nach der verlorenen Heimat und einem nicht mehr existenten früheren Leben gelesen werden. Während Martha Glass von der Blumenpracht in Planten un Blomen, den „herrlichsten Gärten“ (Seite 37) an der Elbe oder dem „wundervolle[n] Bild“ (Seite 132) der Außenalster schreibt, wird das andere Hamburg, das ihr begegnet weniger explizit erwähnt. So hält sie am 13. Juli in einer kurzen Notiz fest: „Vor ‚Glass Haus‘ steht Glass Haus auf der Straße im Mosaik, was nicht zu entfernen ist & mich zu Tränen gerührt hat.“ (Seite 24) 1911 hatte Hermann Glas dort ein von Fritz Höger entworfenes Gebäude errichten lassen, in dem er kurze Zeit ein Modegeschäft betrieb und sich anschließend seine Büroräume befanden. Das Mosaik hatte er im Gehweg vor dem Haus verlegen lassen.
Die Enteignungsgeschichte des Gebäudes wird auch in den folgenden Einträgen nur implizit thematisiert, etwa wenn Martha Glass schreibt, dass ihr berichtet wird, dass „Frau Bischoff das Haus an die Krankenversicherung verkauft hat [sic] die schon 25 Jahre im Haus ist“. (Seite 27) Auch das Wiedersehen mit früheren Bekannten war durch die Erfahrungen der Vergangenheit geprägt: wie hatte sich wer verhalten, unter welchen Voraussetzungen konnte man sich wiederbegegnen? Da sich Martha Glass naturgemäß vor allem mit denjenigen traf, denen sie sich weiterhin verbunden fühlte, schreibt sie von Begegnungen, bei denen man sich „viel zu erzählen“ hatte oder die durch „gegenseitige Freude“ geprägt waren. Ihr Kommentar „warm konnte ich nicht mehr werden“, zeugt hingegen von den Vorbehalten gegenüber einigen der früheren Bekannten und den tiefen Wunden, die das Verhalten dieser Personen verursacht hatte.
Und auch wenn sich Martha Glass vor ihrer Weiterreise nach Bad Gastein zum Kuraufenthalt mit der Formulierung „Leb wohl, mein l. Hamburg“ (Seite 39) sehr bewusst und endgültig von Hamburg verabschiedete, machen die Ausführungen zu dem Glass Haus und zu den Bemühungen um einen Gedenkstein für Hermann Glass auf dem Ohlsdorfer Friedhof deutlich, wie wichtig es ihr war, Spuren in der ehemaligen Heimatstadt zu hinterlassen.