(K)ein Zurück? Rückkehr und (Re-)migration nach Hamburg

Eine Einführung ins Quellen-Dossier

Die meisten jüdischen Flüchtlinge kehrten nicht zurück, der Anteil derjenigen, die sich für eine Rückkehr entschieden lag bei unter vier Prozent. Die Statistik der Jüdischen Gemeinde in Hamburg verzeichnet für den Zeitraum 1945 bis 1959 insgesamt knapp 200 Remigrantinnen und Remigranten, also Personen, die sich vorübergehend oder dauerhaft in Hamburg niederließen, eine zahlenmäßig größere Gruppe waren dabei die Shanghai-Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Insgesamt stellte die Gruppe der Remigrantinnen und Rückkehrer im Jahr 1959 etwa 14% der Gemeindemitglieder, die sich in der Anfangszeit in erster Linie aus Personen, die in sogenannter Mischehe überlebt hatten, zusammensetzte.[1] Wobei in den ersten Jahren 1945 bis 1948 nur 25 Personen zurückkehrten und erst 1950 die Zahl der Rückwandernden die der Auswandernden überstieg. [2] Das Thema Remigration lässt sich jedoch nicht auf die Frage von Rückwanderung beschränken, vielmehr geht es um komplexe Beziehungsgeflechte zwischen Exil und ehemaliger Heimat, zwischen Emigrierten, Remigrierten und den Mehrheitsgesellschaften, es geht um die Bedeutung von Orten, um Fragen des Überlebens, des Neuanfangs, des Umgangs mit der Vergangenheit, um das Verhältnis zwischen jüdischer und nichtjüdischer Gemeinschaft, um Fragen von Zugehörigkeit.

Aus aktuellem Anlass: Stellungnahme zur Verwendung des Begriffs „Remigration“ durch die AFD und andere Rechte

Mit Remigration wird in der Exilforschung der komplexe und oftmals langwierige Prozess der Rückkehr in ein vormaliges Heimatland beschrieben, insbesondere wird der Begriff für diejenigen verwendet, die aus NS-Deutschland fliehen mussten und sich nach 1945 aus sehr unterschiedlichen Gründen entschieden, nach Deutschland zurückzukehren.
Der aktuell in rechten Debatten zirkulierende Begriff der „Remigration“ ist hingegen ein irreführender und menschenverachtender Missbrauch des Begriffes, da hier (menschenrechtswidrige) Ausbürgerungen und Deportationen gemeint sind.
Wir stellen uns dieser rechtsextremen Umdeutung des Forschungsbegriffes entgegen und haben uns bewusst für eine Weiterverwendung entschieden, umso auch den historischen Kontext aufzuzeigen, der ein ganz anderer als der von den Rechten postulierte ist.

All diese Fragen sind zutiefst individuell und lassen sich zunächst nur auf einer Mikroebene betrachten.[3] Eine Zusammenschau von verschiedenen Quellen, wie es dieses Dossier anstrebt, verweist dennoch auf allgemeine Strukturen, auf gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen, rechtliche Hürden, emotionale Ambivalenzen, die sich von dem einzelnen Erfahrungshorizont abstrahieren lassen. So ist es unser Ziel, anhand konkreter Erfahrungsberichte und ausgewählter Dokumente am Beispiel einzelner Biografien und räumlich auf die Stadt Hamburg fokussiert Schlaglichter auf das Themenfeld Remigration zu werfen, unterschiedliche Gruppierungen und Perspektiven zu beleuchten, mehr Fragen aufzuwerfen, als Antworten zu geben. Was waren die Faktoren, die Remigrationsentscheidungen beeinflussten (Familie, Beruf, Gesundheit, Klima), wie gestalteten sich die Lebensbedingungen in Hamburg für die jüdischen Remigrantinnen und Remigranten, welche Bedeutung hatte die ehemalige Heimatstadt im Exil bzw. in der neuen Heimat und welche hatten die Emigrantinnen und Emigranten für Hamburg?

Das Dossier und seine Quellen

Das Themendossier setzt sich zum Ziel umfangreiches Quellenmaterial als digitales Faksimile und Transkript bereitzustellen. Durch die Online-Präsentation werden Quellen virtuell zusammengeführt und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Jede Quelle bzw. jedes Quellenkonvolut wird durch einen kurzen Text eingeführt: Neben Informationen zur Provenienz und Überlieferungsgeschichte erläutern die Einführungen Inhalt und Aussagekraft der vorgestellten Quellen. Ebenso finden sich Hinweise zum Zugang zu den Originalquellen sowie möglichen weiteren Quellen.

Im Mittelpunkt dieses Dossiers stehen die Quellen, die zum Teil erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die präsentierten Quellen sind von unterschiedlicher Provenienz, repräsentieren verschiedene Akteurinnen und Akteure und damit zugleich verschiedene Perspektiven auf den Themenkomplex Remigration und Rückkehr. Neben die persönlichen Momente treten politische, juristische oder verwaltungstechnische Fragen. Die zeitgenössischen Dokumente werden ergänzt durch Rückblicke und Erinnerungen, die Entscheidungen in der Retrospektive bewerten. Um Entscheidungsprozesse und Entwicklungen in ihrer Komplexität abzubilden und nachvollziehbar zu machen, haben wir uns entschieden, die Quellen weitgehend ungekürzt zu präsentieren oder ganze Quellenkonvolute wiederzugeben. Ohne die Kooperation mit verschiedenen Archiven wäre dieses Dossier nicht möglich gewesen. Wir danken dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung, dem Staatsarchiv Hamburg, dem Universitätsarchiv Hamburg sowie der Werkstatt der Erinnerung an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte.

Das bereitgestellte Material, das eigens für dieses Dossier ediert und ausgezeichnet wurde, wird ergänzt durch Links auf vorhandene Beiträge in der Schlüsseldokumente-Edition. Den Reisetagebüchern von Martha Glass wird eine Karte an die Seite gestellt, auf der sich die Stationen ihrer Reisen und Hamburg-Besuche nachvollziehen lassen.

Hinweise zu den editorischen Richtlinien gibt es hier: https://juedische-geschichte-online.net/ueber/editionsrichtlinien

Konkret finden sich in diesem Dossier:

Reisetagebuch 1947
Bericht von Martha Glass über ihre Überfahrt von Bremerhaven nach New York im Februar / März 1947
Reisetagebuch 1953
Bericht von Martha Glass über ihren Aufenthalt in Deutschland und Österreich und insbesondere über ihren Besuch in Hamburg
Übersicht Wiedergutmachungsfälle
Undatierte vierseitige Liste mit Wiedergutmachungsfällen an der Universität Hamburg
Der Fall Siegfried Landshut
Der Fall von Siegfried Landshut, einer der maßgeblichen Begründer der deutschen Politikwissenschaft nach dem Krieg.
Der Fall Walter A. Berendsohn
Schreiben von Walter A. Berendsohn an Karl Ludwig Schneider vom 1.9.1965
Berufsfragen der Rückkehrer aus Shanghai
Undatierte Übersicht zu beruflichen Erfahrungen und Wünschen der Rückkehrer aus Shanghai
Rückkehrer aus China in Bremerhaven
Artikel in der Nordsee-Zeitung, 17.11.1950
Henry Cohen an die Jüdische Gemeinde Hamburg
Schreiben von Henry Cohen aus China an die Jüdische Gemeinde in Hamburg vom 29.12.1946
Jüdische Gemeinde Hamburg an Henry Cohen
Antwortschreiben der Jüdischen Gemeinde Hamburg an Henry Cohen, 10.2.1947
Rückwanderung nach Deutschland
Rundschreiben, Hendrik George Van Dam, Eilshausen bei Herford, 30. Mai 1947
Rückkehrer-Statistik
Undatierte Statistik der Rückkehrer in dem Zeitraum 1945 – April 1952
Status der jüdischen Gemeinde in Hamburg,
Bericht über den Status der jüdischen Gemeinde in Hamburg, 17. November 1952
Interview mit Elsa Davidsohn
„und so haben wir uns entschlossen […] 1958 nach Hamburg zu gehen“. Elsa Davidsohn über ihre Rückkehr nach Deutschland in den 1950er-Jahren.
Interview mit Roberto Kahn-Heymann
„Ich hätte gerne nochmal hier gewohnt“. Pendeln zwischen Spanien und Deutschland, 1952-1969.
Interview mit Franziska Mayer
„Und wir haben gedacht, wir würden immer da bleiben”. Elsa Mayer über ihre Remigration aus Peru.
Interview mit Ruth Dräger
„Das war erst, zuerst ganz komisch”. Ruth Dräger über die Anfangszeit in Hamburg nach ihrer Befreiung in Theresienstadt.
Interview mit Esther Bejerano
„Also, das ist schon, eine [...] unheimliche Umstellung gewesen”. Esther Bejerano über den Umzug ihrer Familie von Israel nach Hamburg.
Interview mit Kurt van der Walde
„Wenn ich schon überlebt hab' [...] gemeinsam so arbeiten, daß die nie wieder 'ne Chance haben”. Kurt van der Walde über sein antifaschistisches Engagement.
Interview mit Menachem Uzai
„Meine Füße wer'n nie mehr den deutschen Boden [be]treten”. Menachem Uzai über seinen ersten Besuch in Hamburg.
Interview mit Rudolf Heymann
„Nun begann ein [...] traumwandlerisches Wiedererleben meiner Geburtsstadt”. Rudolf Heymann erinnert sich an der Neuanfang in Hamburg.
Arie Goral an Erich Lüth
„Das Unternehmen bedeutet für mich selbst ein grosses Wagnis“. Brief von Arie Goral an Erich Lüth, 17.1.1953
Arie Goral an Erich Lüth
„Meine Idee war, mit dieser Ausstellung hier in Deutschland einen Anfang zu machen“. Brief von Arie Goral an Erich Lüth, 12.2.1953
Erich Lüth an Arie Goral
„Und ich weiß, daß wir zu dieser Arbeit verpflichtet sind“. Brief von Erich Lüth an Arie Goral, 26.2.1953
Erich Lüth an Arie Goral
„Diese Ausstellung hilft […] neue Brücken schlagen“. Telegramm von Erich Lüth an Arie Goral, 7.4.1953
Erich Lüth an Arie Goral
„Das darf uns aber nicht beirren“. Brief von Erich Lüth an Arie Goral, 5.5.1953
Arie Goral an Erich Lüth
„nachdem ich jetzt wieder in Hamburg weile“. Brief von Arie Goral an Erich Lüth, 18.10.1953
Erich Lüth an Arie Goral
„für einen alten Hamburger wie mich […] doch auch eine kleine Genugtuung“. Brief von Erich Lüth an Arie Goral, 20.10.1953
Arie Goral an Erich Lüth
„habe ich […] manche Rüge erteilt bekommen“. Brief von Arie Goral an Erich Lüth, 26.10.1953

Anmerkungen

[1] Vgl.: Ursula Büttner, Schwierige Rückwanderung nach Hamburg. Wie Briten und Deutsche den jüdischen Flüchtlingen im Wege standen, in: Irmela von der Lühe / Axel Schildt / Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 34, S. 40-68, hier: S. 66f. In Hamburg machten die in sogenannter Mischehe Überlebenden fast 98% aus, vgl.: Ina Lorenz, Gehen oder Bleiben. Neuanfang der Jüdischen Gemeinde in Hamburg nach 1945, Hamburg 2002, S. 19.

[2] Vgl.: Ina Lorenz, Gehen oder Bleiben. Neuanfang der Jüdischen Gemeinde in Hamburg nach 1945, Hamburg 2002, S. 37.

[3] Vgl. auch Kirsten Heinsohn, „Aber es kommt auch darauf an, wie einen die anderen sehen“. Jüdische Identifikation und Remigration, in: Irmela von der Lühe / Axel Schildt / Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 34, S. 69-85, hier: S. 71.